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Porträt Dorothea Gutbier, 1938
Dorothea Gutbier, 1938
© Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv

Dorothea Gutbier * 1877

Conventstraße 12 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
DOROTHEA GUTBIER
JG. 1877
EINGEWIESEN 1943
"HEILANSTALT"
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 9.2.1945

Dorothea Gutbier, geb. am 7.9.1877 in Hamburg, ermordet am 9.2.1945 in der Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien

Conventstraße 12

Über die ersten vier Jahrzehnte in Dorothea Gutbiers Leben ist nur wenig bekannt. Ihr Vater, der Schneidermeister Eduard Gutbier, stammte aus Langensalza in Thüringen, wo er am 14. August 1849 geboren wurde. Er kam zusammen mit einem Bruder in den 1870er Jahren nach Hamburg und heiratete 1876 die dort am 31. Juli 1848 geborene Maria Schröder. Als ihr erstes Kind brachte sie 1877 Dorothea zur Welt. Die Familie wohnte in der Niedernstraße 24 in der Hamburger Altstadt. Am 29. Oktober 1882 wurde eine zweite Tochter geboren, Emma Caroline Wilhelmine. Sie starb als junge Frau an einer Blinddarmentzündung. Dorothea wurde am 28. April 1878 in der St. Jacobi-Kirche getauft. Sie galt seit frühester Kindheit, wie man damals sagte, als "schwachsinnig". Dennoch besuchte sie eine Privatschule und wurde nach deren Abschluss am 24. März 1893 in der St. Jacobi-Kirche konfirmiert. Ihr Konfirmationsvers, Psalm 62,1, entsprach ihrem späteren Leben: "Zu Gott allein ist stille meine Seele; von ihm kommt mir Hilfe."

1895 bezog Familie Gutbier eine Wohnung in der Conventstraße 12. Dorotheas Mutter starb am 10. Mai 1910 im Alter von 62 Jahren. Ihr Vater ging eine zweite Ehe ein. Er heiratete am 15. Februar 1913 die 24 Jahre jüngere Anna Hedwig Pirk, geboren am 23. März 1874 in Markt-Bohrau in Schlesien. Sie brachte am 12. Mai 1915 ihre einzige Tochter zur Welt, die ihren Vater nur vier Jahre lang erlebte. Eduard Gutbier starb am 13. September 1919 im Alter von 70 Jahren, nicht ohne für seine ältere Tochter Dorothea vorgesorgt zu haben.

Dorothea Gutbier, inzwischen 42 Jahre alt, blieb noch kurze Zeit bei ihrer nur drei Jahre älteren Stiefmutter. Sie erhielt einen Vormund, der ihre Aufnahme in die damaligen Alsterdorfer Anstalten betrieb. Für ihren dortigen Aufenthalt stand ein Vermögen von 3700 Mark zur Verfügung. Als dies im Oktober 1921 aufgebraucht war, übernahm das Wohlfahrtsamt die Kosten. Für Dorothea Gutbier musste der höchste Verpflegungssatz entrichtet werden, weil sie hilfsbedürftig und zu keiner Arbeit fähig war.

Zudem litt Dorothea Gutbier auf beiden Augen am Grauen Star. Sie war räumlich und zeitlich orientiert, verhielt sich ängstlich und still, sprach ruhig und sinnentsprechend, wobei ihre gute Satzbildung auffiel. Ihr Gang war sicher, sie kleidete, pflegte und beschäftigte sich allein. Als sie 1925 eine Lungenentzündung durchmachte, erhielt ihre Stiefmutter die Erlaubnis zu täglichen Besuchen.

Dorotheas Hilfsbedürftigkeit nahm zu. 1934, sie war 57 Jahre alt, hieß es: "Dorothea Gutbier ist bescheiden, rücksichtsvoll und höflich gegen alle Menschen, rührend aufmerksam gegen ihre [blinde] Freundin. Sie ist hilfsbereit, muss dagegen für sich sehr viel Hilfe in Anspruch nehmen. Sie führt häufig murmelnde Selbstgespräche. Sie beschäftigt sich nie." Nach 18 Jahren Anstaltsleben benötigte Dorothea Gutbier dauernde Pflege, die ihr von der Gesundheits- und Sonderfürsorge zunächst bis zum 1. August 1943 gewährt wurde.

Am 16. August musste sie Alsterdorf mit dem Mädchen- und Frauentransport, der in die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien führte, verlassen. Das dortige Aufnahmegespräch scheiterte an ihrer Ängstlichkeit. Dorothea Gutbier verbrachte viel Zeit im Bett. Im Oktober 1943 wog sie 47 kg. An ihrem Befinden änderte sich nichts, doch verlor sie weiter an Gewicht. Am 9. März 1944 füllte die Anstaltsleitung den Meldebogen der T4-Dienststelle der angeblich längst eingestellten "Anstalts-Euthanasie" aus. Darin wurde bemerkt, dass sie keinen Besuch erhielt, keine Angehörigen bekannt seien und sie "unverwendbar" für Beschäftigungen sei. Das bedeutete ihr Todesurteil.

Der Kontakt zu ihrer Stiefmutter war im Juli 1943 abgebrochen: Hedwig Gutbier war vom Roßberg in die Marienthaler Straße 153 in Hamm gezogen und dort ausgebombt worden.

Zwei Monate nach Ausfüllung des Meldebogens wurde Dorothea Gutbier im Mai 1944 innerhalb der Anstalt auf die Pflegeabteilung verlegt. Dort starb sie am 9. Februar 1945 bei einem Gewicht von ca. 30 kg an "Altersauszehrung und Bronchitis". Sie wurde 67 Jahre alt.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 332; StaH 332-5 Standesämter 6507-51/1913, 5459-113/1954; 332-8 Meldewesen, Alt-hamburgisches Gebiet 1892–1925, K 6175; Jenner, Meldebögen, in: Wunder/Genkel/Jenner, Auf dieser schiefen Ebene; Wunder, Abtransporte, in: Wunder/Genkel/Jenner, Auf dieser schiefen Ebene; ders., Exodus, ebd.

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