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Wilhelm Güttler * 1884

Mühlenberger Weg 18 (Altona, Blankenese)


HIER WOHNTE
DR. WILHELM GÜTTLER
JG. 1884
VERHAFTET 1937
EINGEWIESEN
’HEILANSTALT’ LANGENHORN
ERMORDET 15.5.1938

Dr. jur. Wilhelm Hermann Paul Güttler, geb. am 18.9.1884 in Reichenstein, gestorben am 15.5.1938 in der "Heil- und Pflegeanstalt" Langenhorn

Mühlenberger Weg 18

Das Schicksal des Fabrikanten Wilhelm Güttler steht stellvertretend für bi- und homosexuelle Männer, die während ihres Aufenthaltes in der "Heil- und Pflegeanstalt" Langenhorn verstarben. Er wurde 1884 in Reichenstein/Schlesien als Sohn des Kommerzienrats Hermann Güttler und dessen Frau Gertrud, geb. Zucker, geboren. Der 1857 geborene Vater starb bereits 1906 in Reichenstein, die 1864 in Ratibor geborene Mutter lebte ab 1934 in München-Großhadern und verstarb 1947 in Bad Tölz. Wilhelm Güttler hatte zwei Brüder und eine Schwester. Der wohlhabenden Familie gehörte das Arsenik-Berg- und Hüttenwerk "Reicher Trost" in Reichenstein, das einzige Arsenbergwerk in Deutschland. Wilhelm Güttlers jüngster Bruder Fritz (geb. 1902, gest. 1967) war an der Firma nicht beteiligt. Er soll um 1922 "mit dem Strafgesetz in Konflikt" geraten sein und galt nach Aufenthalten in der "Irrenanstalt" Friedrichsberg und in einer vergleichbaren Pariser Einrichtung in den 1930er Jahren als "erkrankt". Der andere Bruder, Dr. Gerhard Güttler (geb. 1889, gest. 1966), fungierte zeitweilig als Mitinhaber der Firma, wurde jedoch von Wilhelm Güttler ausbezahlt und lebte in Berlin-Zehlendorf.

Nach dem 1908 mit einer Dissertation beendeten Jurastudium absolvierte Wilhelm Güttler seine Militärzeit, bevor er in die väterliche Firma eintrat. Durch einen Steinschlag hatte er in jungen Jahren ein Bein verloren, nahm aber dennoch am Ersten Weltkrieg teil, wo er mehrere Auszeichnungen erhielt.

Im Jahre 1918 eröffnete die ursprünglich nur in Schlesien ansässige Bergwerksfirma eine Hamburger Zweigniederlassung für das Exportgeschäft, als deren Geschäftsführer Wilhelm Güttler agierte. 1922 wandelte er die offene Handelsgesellschaft in die "W. Güttler Aktiengesellschaft" um und verlegte den Firmenhauptsitz nach Hamburg-Wilhelmsburg in die Neuhöfer Brückenstraße 69. Gegenstand des Unternehmens war die "Herstellung und der Vertrieb von Pulver, Zündschnüren, Jagdpatronen sowie Farben und Tonwaren".

Nach dem Ersten Weltkrieg heiratete Güttner die zwölf Jahre jüngere Luisa Behrens, eine Freundin seiner Schwester. Mit ihr hatte er zwei Söhne, Hans-Wolfgang (geb. 1919) und Peter (geb. 1923).

Überliefert ist, dass Wilhelm Güttler aufgrund der durch die Amputation bedingten Schmerzen zum Morphinisten geworden sei. Anfang Juni 1919 erlitt er einen "Nervenzusammenbruch", den angeblich seine Ehefrau ausgelöst hatte, indem sie ihrem Mann anstelle des Morphiums eine andere Substanz spritzte. Es folgte Güttlers Einweisung in die Universitätsklinik für Nervenkranke in Breslau. Nach einer Woche stellten seine Frau und seine Mutter einen Vormundschaftsantrag, wofür sie einen leitenden Angestellten der Firma vorschlugen. Nach ca. einem Jahr soll Wilhelm Güttler wieder geschäftsfähig gewesen sein. 1922 zog die Familie vom Rittergut Groß Rinnersdorf im niederschlesischen Kreis Lüben in den Mühlenberger Weg 18 nach Blankenese.

Unklar bleibt, in welchem Umfang Wilhelm Güttler die Firmengeschäfte in dieser Zeit noch selbstständig lenkte, oder ob diese bereits weitgehend von leitenden Angestellten übernommen wurden. Nach den 1938 gegenüber Ärzten gemachten Aussagen des seit 25 Jahren für die Aktiengesellschaft tätigen Vorstandsmitglieds Erich Fidyka hatte dieser Mühe, die sprunghaften, mitunter auch undurchführbaren Ideen des Firmeninhabers umzusetzen. Er schilderte Wilhelm Güttler als Sonderling mit Alkohol-, Drogen- und Spielsucht bei Pferderennen.

In den 1930er Jahren erkrankte seine Ehefrau an einer schweren Tuberkulose und verstarb im September 1936 im schweizerischen Chur. Seitdem lebten die Söhne bei seinem Bruder in Berlin und Güttlers Haushalt in Blankenese wurde von Angestellten geführt.

Anfang 1937 engagierte er als Reisebegleitung für eine Dampferfahrt nach Mexiko seinen späteren Diener und Chauffeur Otto Pätzold, geb. 1914, weil er "mit seinem künstlichen Bein nicht zurechtkam". Dieser zeigte ihn am 20. Dezember 1937 bei der Polizei wegen "homosexueller Betätigung" und Morphiumabhängigkeit an. Noch am selben Tag erschienen Kriminalbeamte und durchsuchten Wilhelm Güttlers Wohnung. Aufgrund des Fundes von Injektionsspritzen und Morphium erfolgte eine Meldung an die Rauschgiftkommission. Er wurde verhaftet, in polizeiliche "Schutzhaft" genommen und einen Tag später in die Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt überführt. Im Verhör gab er gelegentliche gleichgeschlechtliche Kontakte mit Männern zu, u. a. mit seinem Diener. Weitere Namen nannte er nicht.

Otto Pätzold sagte später aus, er sei von Kameraden an Bord vor Wilhelm Güttler als einem "175er" gewarnt worden. Trotzdem ließ er sich am 1. September 1937 als Hausdiener anstellen. Wilhelm Güttler schilderte gegenüber der Polizei die homosexuellen Handlungen mit seinem Diener als einvernehmlich.

Am 18. Februar 1938 wurde Wilhelm Güttler im Zentrallazarett der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt untersucht. Der Arzt Hans Löffler diagnostizierte eine "geistige Schwäche", deren Ursache mit Entzugserscheinungen zusammenhängen könne. Noch am selben Tag wurde Wilhelm Güttler nach § 81 StGB in die "Heil- und Pflegeanstalt" Langenhorn eingewiesen. Als Begründung notierte man dort "Haftstörungen eines Psychopathen nach Morphinismus". Der in Langenhorn tätige Arzt Wigand Quickert forschte intensiv nach Wilhelm Güttlers möglichen homosexuellen Kontakten. Erich Fidyka sagte dazu u. a. aus: "… man merkte an verschiedenem, daß er abwegi-ge Neigungen hatte. Im Büro musste ein junger Mann die Diktate aufnehmen, anstatt das dafür bestimmte Mädchen."

Knapp drei Monate später, am 15. Mai 1938, starb Wilhelm Güttler laut Todesbescheinigung im Alter von 54 Jahren offiziell an den Folgen einer Lungenentzündung bei Meningitis ("Pachymeningitis haemorrhagica, Broncho-Pneumonie"). Sein Leichnam wurde auf der Familiengrabstätte in Reichenstein beigesetzt.

Der Heimatforscher Helmut Seifert berichtete, es habe nach Wilhelm Güttlers Tod in dessen Heimatstadt keine große Beerdigung gegeben, anders als bei seinem Vater, für den eine einwöchige Trauer angeordnet worden sei. Es entstand das Gerücht, er habe den Tod seiner Frau nicht verwunden und sei daran verstorben.

Das über mehrere Generationen von der Familie Güttler geführte Unternehmen wurde 1955 in Hamburg liquidiert. Beim früheren Bergwerk im heute polnischen Złoty Stok befindet sich jetzt ein Bergbaumuseum, das auch die Geschichte der Unternehmerfamilie Güttler beleuchtet.

Stand September 2015

© Bernhard Rosenkranz (†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaH 231-7 Amtsgericht Hamburg – Handels- und Genossenschaftsregister, A 1 Band 114 (Eintrag HRA 25934) und B 1979-89 Band 1 bis B 1979-89 Band 5; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, 15923; StaH 332-5 Standesämter, 9893 (Eintrag Nr. 396); StaH 332-8 Meldewesen, A 34/1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 4439); StaH 352-5 Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen, C II 1938 Standesamt 19 Nr. 104; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Ablieferung 1995/2, 24731; Mit Dank an Helmut Seifert, Chemnitz, für Auskünfte 2008 an Bernhard Rosenkranz, an Dr. Manfred Paetzold, Kessin, für Auskünfte 2013/2014 und an Michael Schubert, Haldensleben, für Auskünfte 2014; Vgl. Beitrag von Eugeniusz Salwach, Złoty Stok, 2012 unter http://zlotystok.salwach.pl/guttler [abgerufen am 5.12.2014]; Dr. Hans-Henning Zabel: Schlesien und seine Wirtschaftsgeschichte (1). In: Schlesische Nachrichten 11/2008, S. 11; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 60–61, 214.

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