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Josabeth Halberstadt (geborene Ezechiel) * 1887

Hallerstraße 76 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Riga

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 76:
Alice Baruch, Sara Carlebach, Charlotte Carlebach, Dr. Joseph Zwi Carlebach, Noemi Carlebach, Ruth Carlebach, Margarethe Dammann, Gertrud Dammann, Charlotte Dammann, Dina Dessau, Felix Halberstadt, Elsa Meyer, Margarethe Meyer, Alice Rosenbaum, Julius Rothschild, Jente Schlüter

Felix Halberstadt, geb. am 31.5.1877 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Josabeth Halberstadt, geb. am 28.6.1887 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof

Hallerstraße 76

Ein halbes Jahr bevor das Ehepaar Halberstadt nach Riga in den Tod geschickt wurde, schrieb die Speditionsfirma Röhling & Co. an den Oberfinanzpräsidenten folgenden Brief, der die Hamburger politischen und bürokratischen Verhältnisse treffend charakterisiert:
"Für Helmuth Israel Halberstadt, früher Hamburg, hatten wir einen Transport Umzugsgut auf Lager, welcher inzwischen nach New York verladen wurde. Herrn Halberstadt steht für nicht ausgenutztes Lagergeld ein Betrag von RM 30,-- zugute, und wir sind heute von ihm beauftragt worden, diesen Betrag an seinen Vater: Felix Israel Halberstadt, Hamburg 13, Ostmarkstr. 76, auszuzahlen. Wir bitten Sie, uns hierzu die Genehmigung zu erteilen und zeichnen mit Heil Hitler."

Mit geradezu preußischer Korrektheit funktionierten Bürokratie und kaufmännischer Ehrenkodex am Rande der Massengräber. Eine rechtsstaatliche Fassade verschleierte die bereits durch Raub und Ausrottungsabsichten gegen die Juden in Deutschland geprägte Realität des Jahres 1939.

Die Halberstadts waren eine alte Hamburger Kaufmannsfamilie. Samuel Halberstadt, Felix‘ Vater, betrieb laut Adressbuch von 1877 mit der Firma Heymann & Halberstadt ein Lager von Band, Garnen und Strumpfwaren. Felix Halberstadt blieb dieser Tradition verpflichtet und wurde ab 1904 selbstständiger Handelsvertreter für Wollsachen und Handschuhe etc. In den Adressbüchern bis 1939 war er als "Mitgl. e. E. K." geführt, d.h.: Mitglied der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns. Dieses Gremium bei der Handelskammer in Hamburg geht in seinen Wurzeln bis auf das Jahr 1517 zurück und kümmert sich besonders um wirtschaftsethische Fragen.

Felix Halberstadts Geschäftsräume befanden sich in der Kaiser-Wilhelm-Straße, ab 1927 in seiner Wohnung, Blücherstraße 4. Laut Aussagen einer ehemaligen Kontoristin betrug das Jahreseinkommen vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten zwischen 8000 und 10.000 RM. Der Sohn sagte im Wiedergutmachungsverfahren nach dem Krieg aus, sein Vater habe außer einer ständigen Kontoristin mindestens zwei Untervertreter beschäftigt. Er habe "seine Familie immer gut unterhalten … Wir wohnten in einer modernen Wohnung und hatten bis 1933 immer ein Mädchen".

1910 wurde für Felix Halberstadt eine Ehe mit Rosi Joseph van der Walde arrangiert, die 1883 in Queenstown, Neuseeland, geboren wurde und zu Verwandten nach Hamburg zog. Aus dieser Ehe entstammten zwei Söhne: Helmuth, geboren am 31.10.1911, und Werner, geboren am 19.6.1920. Die Familie war religiös gebunden und Mitglied im Hamburger Synagogenverband. Felix Halberstadt arbeitete ehrenamtlich im Wohlfahrtswesen der Gemeinde. Die Familie besuchte die Synagoge in der Hoheluftchaussee. Wie die Halberstadts waren auch die van der Waldes eine traditionsreiche Hamburger Kaufmannsfamilie. Diese Familien bewegten sich in einem jüdisch-mittelständischen Milieu, das seine Kontore in der Innenstadt hatte und bevorzugt im Grindel wohnte.

Zur weit verzweigten Familie Halberstadt gehörte auch Max Halberstadt, ein Cousin von Felix. Dieser betrieb am Neuen Wall ein Fotoatelier und gehörte zu den namhaften Vertretern der damals noch jungen Sparte der Kunst- und Werbefotografie. Seine Porträtaufnahmen von Sigmund Freud beispielsweise werden bis heute immer wieder veröffentlicht, meist allerdings ohne den Namen des Fotografen zu nennen, der ein Schwiegersohn von Freud war. Er hatte in erster Ehe dessen Tochter Sophie geheiratet und zwei Söhne mit ihr. Max Halberstadt und seine Familie konnten sich 1936 nach Südafrika retten.

Felix Halberstadt war während des gesamten Ersten Weltkriegs eingezogen. Er war Träger des Eisernen Kreuzes und Mitglied im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten. Erst spät kam er von der Ostfront zurück, wo er nach dem Waffenstillstand und dem Frieden von Brest-Litowsk noch bis 1919 auf einer Schreibstube für die deutschen Truppen eingesetzt war.

Nach Weltkrieg und Inflation gab es für die Kriegsteilnehmergeneration nur eine kurze Erholungsphase in den 1920er-Jahren. Dann wurden ihre persönlichen und wirtschaftlichen Lebenschancen erneut in Frage gestellt. Die neuerliche Wirtschaftskrise und der Aufstieg der NSDAP mit den Boykotten und gesetzlichen Ausgrenzungen trafen insbesondere jüdische Kaufleute. Für Felix Halberstadt und seine Familie kamen noch zwei Schicksalsschläge hinzu. Am 20. Oktober 1935 starb zunächst Rosi van der Walde und dann, am 23. Dezember 1936, 16-jährig, der jüngere Sohn Werner, der seit 1931 in einem Heim für geistig behinderte Kinder in Lübeck gelebt hatte.

1939 heiratete Felix Halberstadt erneut. Wieder innerhalb der speziellen Jüdisch-Hamburgischen Kaufmannschaft. Seine Ehefrau wurde die Witwe Josabeth (Josabath) Heckscher, deren Mann Hermann ein Jahr zuvor gestorben war. Auch Hermann Heckscher stand als "Tuchvertreter" in den Adressbüchern. Die Namen der Familien beider Ehefrauen – van der Walde und Heckscher – waren mit jeweils einem Kontor unter derselben Adresse: Brandsende 15/17 vermerkt. Die Familien waren sich also verbunden oder doch wenigstens bekannt. Auch der Sohn von Felix Halberstadt, Helmuth, heiratete vor seiner Emigration eine Heckscher (Jenny), deren Vater Samson lt. Handelsregister eine Firma für Polstermaterialien betrieb. Samson Heckscher und Felix Halberstadt waren Kollegen bei der Arbeit für die Wohlfahrtspflege in der Jüdischen Gemeinde.

Die existentielle Bedrohung der Juden in Deutschland muss den Halberstadts bewusst geworden sein, als Vater und Sohn während des Novemberpogroms 1938 verhaftet und ins KZ Sachsenhausen-Oranienburg verfrachtet wurden. Während der Sohn nach einigen Tagen wieder frei kam, wurde der Vater dort zwei Monate festgesetzt. Nach dem Pogrom lösten Vater und Sohn die Wohnung in der Blücherstraße auf und zogen in die Hallerstraße 76.

Sohn Helmuth, damals 27 Jahre alt und frisch verheiratet, fuhr praktisch vom KZ in das amerikanische Konsulat in Hamburg, wo er am 15. November 1938 einen Termin wegen der Visa hatte. Aufgrund von Bürgschaften entfernter Verwandter bekam er die Visa und konnte mit Unterstützung der Jüdischen Gemeinde, bei der er zuletzt angestellt war, im Februar 1939 zusammen mit seiner Frau Jenny in die USA emigrieren, wo sie am 3. März 1939 in New York ankamen. Auf mündlichen Antrag hatte ihm die Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten genehmigt, eine Thora-Rolle aus Hamburg mitzunehmen.

Einblick in die Brutalität des NS-Regimes hatte die Familie Halberstadt nicht zuletzt deshalb, weil Felix Halberstadts Sohn bis zu seiner Emigration in der Jüdischen Gemeinde arbeitete und dabei u.a. mit der Betreuung der staatenlos gemachten, polnischen Juden befasst war, die am 28. Oktober 1938 in der sogenannten Polenaktion vom Altonaer Bahnhof ins Niemandsland bei Zbaszyn abgeschoben wurden.

Helmuth Halberstadt, der sich jetzt Howard Hall nannte, hatte es in Amerika zunächst schwer, Fuß zu fassen. Seine deutsche Ausbildung zum Buchhalter und Bücherrevisor half ihm für den Anfang nicht viel. Nach verschiedenen Tätigkeiten im ganzen Land, u.a. auch in der US-Army, studierte er noch einmal und konnte schließlich 1948 in New York ein eigenes Office als vereidigter Bücherrevisor betreiben. Von Amerika aus stellte er Wiedergutmachungsanträge als Erbe seines Vaters, die nach Maßgabe der Bestimmungen zwar nicht großzügig, aber immerhin positiv beschieden wurden.

Anträge auf Wiedergutmachung kamen auch aus den Exilländern USA und Israel von drei erb­berechtigten Nichten und einem Neffen der Josabeth Halberstadt. Gestellt wurden sie von Rechtsanwalt Dr. Herbert Pardo, der vor seiner eigenen Emigration mit der Familie des Fotografen Max Halberstadt befreundet war. Nach dem Krieg kehrte Dr. Pardo nach Hamburg zurück und war unter anderem SPD-Bürgerschaftsabgeordneter. Er vertrat anwaltlich viele der überlebenden Hamburger Juden.

Für Felix Halberstadt, 64 Jahre alt, und seine 10 Jahre jüngere Frau Josabeth begann der Exodus aus Hamburg mit einem bürokratisch ablaufenden Verfahren. Sie erhielten den Deportationsbefehl für den 4. Dezember 1941. Felix Halberstadt stellte deshalb bei der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten am 23. November 1941 noch einen Antrag auf Freigabe von 600,– RM: "Für Reise und Anschaffungen zur Evakuierung für mich selbst und für meine Frau. Die Evakuierung erfolgt höchstwahrscheinlich mit dem nächsten Transport am 4. Dez. ds. J." Dem Antrag wurde stattgegeben. Das Gesamtvermögen, beziffert auf 13.440,– RM, war ihm schon 1940 abgenommen und unter "Sicherungsverwahrung" gestellt worden. Nach der Deportation wurde das Geld- und Sachvermögen routinemäßig zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.

In der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg wurde im Rahmen der Provenienzforschung im November 2015 ein religiöses Standardwerk aus dem Besitz von Felix Halberstadt entdeckt: "Die fünf Bücher Moses" in einer hebräisch-deutschen Ausgabe von 1914. Das Buch wurde an das Leo Baeck Institut in New York übergeben, wo der Familiennachlass der Halberstadts archiviert ist.

Stand: September 2016
© Bruno Lowitsch

Quellen: 8; StaH: 351 – 11, Amt für Wiedergutmachung_10054, _37344; 314–15, Oberfinanzpräsident_R 1940/356; FZH/WdE 426, Interview Howard Hall v. 9.6.1996; Stolpersteine in Hamburg, www.stolpersteine-hamburg.de; Hamburger Adressbücher; Auskünfte Jürgen Sielemann; Blog der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg vom 7.12.2015, Anna von Villiez, Buchstiftung an das Leo Baeck Institut; Weinke, Verdrängt, S. 110–175; Meyer (Hrsg.), Verfolgung.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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