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Melitta Handorf * 1911

Schedestraße 17 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
MELITTA HANDORF
JG. 1911
EINGEWIESEN 1943
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 7.3.1944

Melitta Handorf, geb. 18.8.1911 in Hamburg, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 29.7.1943, "verlegt" am 16.8.1943 in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", ermordet am 7.3.1944

Schedestraße 17, Eppendorf

Melitta Handorf wurde am 18. August 1911 in Hamburg geboren. Sie lebte bis zu ihrem 31. Lebensjahr bei den Eltern. Das Ehepaar Handorf hatte am 1. April 1925 geheiratet. Melittas Vater Johann August Wilhelm Handorf, geboren am 3. April 1884 in Schmedshagen, Kreis Franzburg, arbeitete als kaufmännischer Angestellter. Sein Rufname lautete Johann, er wurde aber von seiner Ehefrau immer "Hans" genannt. Melitta Handorfs Mutter Eva Karoline Ida, geborene Griebe, geschiedene Malsch, war am 27. September 1890 in Tiessau, heute ein Ortsteil von Hitzacker, geboren worden.

Über Melitta Handorfs Kindheit und Jugend wissen wir nichts. Ob sie z.B. eine Schule besucht hat, ist ebenso unbekannt wie über Ereignisse in ihrem jungen Erwachsenenleben.

Sie wurde am 29. Juli 1943 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Ihre Mutter brachte die Einweisung später mit den Bombenzerstörungen Ende Juli und dem Tod des Vaters bei Aufräumungsarbeiten in Verbindung. In einer schriftlichen Mitteilung vom 27. Juli 1943 hatte eine Kreisdienststelle der NSDAP Melitta Handorfs Heimaufnahme für erforderlich erklärt. Genaueres über den Hintergrund dieser Intervention ist den Akten nicht zu entnehmen.

Bei Melitta Handorfs Aufnahme in Alsterdorf diagnostizierten die Ärzte "Idiotie". (Dieser heute nicht mehr gebräuchliche Begriff wurde damals für eine schwere Form der Intelligenzminderung verwendet.) Außerdem wurde notiert, dass Melitta Handorf mit drei Jahren an Kinderlähmung erkrankt war. Erst aus den Eintragungen, die später über sie in der "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" vorgenommen wurden, ergibt sich, dass die Kinderlähmung zu bleibenden Bewegungseinschränkungen geführt hatte. Zudem litt Melitta Handorf anscheinend bereits seit ihrer Geburt an einer Fehlstellungen der Füße.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Die Anstaltsleitung nutzte die Gelegenheit, sich nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Verlegung in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Am 16. August 1943 ging ein Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Wien ab in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof"). Unter ihnen befand sich Melitta Handorf.

Bei ihrem Aufnahmegespräch in der Wiener Anstalt soll Melitta Handorf ruhig und zufrieden gewirkt, aber keine verständlichen Antworten gegeben haben. Infolge ihrer Bewegungseinschränkungen habe sie nur mit Mühe und starker Unterstützung gehen können.

Melitta Handorf lag während ihrer Zeit in der Wiener Anstalt weitgehend im Bett. Angeblich musste sie vollkommen versorgt werden.

Melitta Handorfs Mutter erhielt auf ein besorgtes Schreiben von Ende Januar 1944 die Mitteilung, der geistige Zustand der Tochter sei unverändert, der körperliche Zustand habe sich insofern verschlechtert, als in den letzten Tagen Unterleibsblutungen aufgetreten seien; der Frauenarzt habe aber vorläufig einen operativen Eingriff nicht für dringlich erklärt. Gleichwohl wurde Melitta Handorf Anfang Februar in den Pflegebereich der Anstalt verlegt.

Melitta Handorfs Mutter schrieb am 3. Februar 1944 nach Wien, sie müsse wohl annehmen, dass es mit ihrer Tochter bald zu Ende gehe. "Möge Gott geben, dass mein armes krankes Kind bald erlöst wird! Gibt es eine Möglichkeit, meine Tochter noch einmal zu sehen? Im Falle eines plötzlichen Todes wünsche ich eine Einäscherung und Überführung der Urne nach dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg".
Sie erhielt daraufhin mit Schreiben vom 11. Februar 1944 folgende Mitteilung: "Der körperliche Zustand hat sich in letzter Zeit nicht wesentlich geändert, die Unterleibsblutungen haben nachgelassen; eine unmittelbare Lebensgefahr besteht nicht. Bei wesentlicher Verschlimmerung werden Sie rechtzeitig verständigt werden. […] Gez. Dr. Podhajsky".

Für Eva Handorfs Befürchtung, ihre Tochter Melitta könnte demnächst sterben, ergab sich aus der bisherigen Korrespondenz zwischen ihr und der Anstalt kein Anhaltspunkt. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass Gerüchte über das vielfach überraschende Lebensende von Menschen in Heil- und Pflegeanstalten schon zu ihr vorgedrungen waren.

Melitta Handorf starb am 7. März 1944, angeblich an Lungenentzündung.

Die Anstalt in Wien war während der "Aktion-T4" (Bezeichnung für das "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten, so genannt nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) eine Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz. Nach dem offiziellen Ende der Morde in den Tötungsanstalten gegen Ende August 1941 wurde in den bisherigen Zwischenanstalten, also auch in der Wiener Anstalt, massenhaft weiter gemordet, durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheiten, durch Vernachlässigung, vor allem aber durch Nahrungsentzug.
Bis Ende 1945 kamen von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf.

Der Arzt Wilhelm Podhajsky (Jahrgang 1902 und SA-Mitglied) arbeitete seit 1935 in der Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges übernahm er die Leitung der dortigen Frauen-Pflegeanstalt. Nach dem Krieg wurde er Leiter der Anstalt. Er ging 1967 in Pension und starb 1994. Wilhelm Podhajsky musste sich nie für seine Tätigkeit in der Anstalt in Wien verantworten.

Stand: März 2023
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg 1942; StaH 332-5 Heiratsregister 3513 Nr. 177/1925 Johann August Wilhelm Handorf/ Eva Karoline Ida Griebe; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv V 329 (Melitta Handorf). Stadtarchiv Dannenberg, Geburtsregisterauszug Hitzacker Nr. 83/1890 (Eva Karoline Ida Handorf). Klaus Böhme, Uwe Lohalm (Hrsg.), Wege in den Tod, Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 425 ff., 490 ff. Zu Wilhelm Podhajsky: https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=Wilhelm+Podhajsky&ie=UTF-8&oe=UTF-8 (Zugriff am 21.9.2022).

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