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Amandus Karges * 1888
Lippmannstraße 69 (Altona, Sternschanze)
1943 KZ Fuhlsbüttel
ermordet 16.03.1944
Weitere Stolpersteine in Lippmannstraße 69:
Alfred Norden
Amandus Carl Matthias Karges, geb. am 30.1.1888, ab 28.10.1943 Haft im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, ab 8.11.1943 Haft im Untersuchungsgefängnis Hamburg, dort ermordet am 16.3.1944
Lippmannstraße 69 (Friedenstraße)
Amandus Carl Matthias Karges wurde 1943 wegen kritischer Äußerungen gegen Hitler und den Krieg denunziert; die Anzeige bei der Gestapo führte zu seiner Verhaftung und Ermordung.
Am 30. Januar 1888 war er in Hamburg als Sohn von Heinrich Christian Johann Karges und Dorothea Anna Therese Karges, geb. Möller, zur Welt gekommen. Nach der Volksschule erlernte er auf einer Werft den Beruf des Nieters. Ohne ausgelernt zu haben, fuhr er als Trimmer, später als Heizer zur See. Während des Ersten Weltkrieges diente er bei der Kriegsmarine; 1918 wurde er als Maschinenmaat entlassen. Eine Zeitlang arbeitete er bei der Kohlenstauerei im Kohlenschiffhafen Hamburg-Steinwerder, wo mit Steinkohle beladene Schiffe gelöscht wurden, anschließend fuhr er wieder zur See.
1914 bis 1927 war Amandus Karges verheiratet. Aus der Ehe stammten zwei Töchter: Gertrud Amanda Marie Karges, später verheiratete Langenberg, geboren am 25. Juli 1914, gelernte Verkäuferin, und Hertha Dora Lisa Henkel Karges, geboren am 21. Januar 1917.
Ende 1931 heiratete er in zweiter Ehe Anna Elfriede Langschmidt, geboren am 12. Oktober 1896 in Altona als Tochter von Friederike Alwine Karoline Langschmidt. Die gelernte Plätterin war früher Fabrikarbeiterin gewesen, nun arbeitete sie als Putzfrau, um Geld dazuzuverdienen. Aus ihrer ersten Ehe, die nach zwei Jahren geschieden worden war, hatte sie einen Sohn namens Ludwig, der 1930 im Alter von 16 Jahren tödlich verunglückte.
Amandus Karges, der von 1902 bis 1916 der SPD angehörte, trat 1930 in die KPD ein und blieb Mitglied bis 1933. Er war Mitbegründer der Altonaer Häuserschutzstaffel, einer Schutzformation der KPD gegen nationalsozialistische Übergriffe in der Zeit vor 1933.
Im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme zog das Paar nach Hamburg-Niendorf, wo Amandus Karges im Tiefbau tätig war. Dann arbeitete er auf einem Fischdampfer, anschließend bei der Stülcken-Werft und bei Blohm & Voss, unterbrochen von Zeiten der Arbeitslosigkeit. Schließlich fand er im November 1938 bei der Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft Beschäftigung als Schauermann beim Löschen der Schiffe. Der Tagesschichtlohn betrug 7,60 Reichsmark. 1943 wurde er zeitweilig nach Kiel versetzt und arbeitete dort im Hafen bei einer Firma im Transport-Nachschub.
Das Ehepaar wohnte in einem Arbeiterviertel in der Altonaer Altstadt in der Kellerwohnung der Friedenstraße 69 (heute Lippmannstraße, Altona-Sternschanze).
Nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg im Juli/August 1943 musste Amandus Karges Bombengeschädigten in seiner Wohnung Quartier gewähren: Anna Steen, verwitwete Möllers, die früher ebenfalls in der KPD gewesen war, und deren beiden Töchtern Thea Preisser, geb. Möllers, und Anna Möllers. Das wurde ihm zum Verhängnis.
Seine Frau schrieb nach Kriegsende, am 9. Juli 1945, einen Bericht an das Komitee ehemaliger politischer Gefangener:
"Mein Mann nahm im August 43 die Bekannte Anna Steen, verw. Möller[s], und deren zwei Töchter bei uns auf. Mit dem Vermerk, dass der Schwiegersohn T[h]omy, genannt Fritz, unsere Wohnung nicht betreten durfte, da dieser T[h]omy Frau Steen und Tochter Anna mehrfach gedroht hatte, diese politisch verhaften zu lassen, erhielt Frau Steen 2 Zimmer bei uns."
Doch der wegen einer schweren Kriegsverletzung aus der Wehrmacht entlassene Friedrich Thomy, genannt Fritz, der Ehemann einer weiteren Tochter der Frau Steen, besuchte seine Schwiegermutter trotzdem in der Wohnung des Ehepaares Karges. Der 23-jährige Fritz Thomy, in der Hitlerjugend sozialisiert, war überzeugter Nationalsozialist. Es kam zu einer Auseinandersetzung mit Amandus Karges, der Fritz Thomy erneut die Wohnung verbot.
Für den 15. Oktober 1943 erhielt Amandus Karges aufgrund einer Anzeige von Fritz Thomy eine Vorladung zur Hamburger Gestapo-Dienststelle in der Dammtorstraße. Seine Frau begleitete ihn. Bei der Vernehmung hielt man ihm vor, er habe geäußert, dass man seinen Bruder in Oranienburg erschlagen habe und er Waffen in einem Versteck vergraben aufbewahre. Nach der Vernehmung kam er mit dem Hinweis frei, dass die Gestapo Zeugen befragen werde. Der Denunziant Fritz Thomy hatte als Zeuginnen Thea Preisser und Anna Möllers benannt, die bei ihren Vernehmungen Amandus Karges staatsfeindliche Äußerungen zur Last legten.
Zwei Wochen später, am 28. Oktober 1943, erhielt Amandus Karges eine erneute Vorladung und wurde anschließend in Haft genommen. Anna Karges erfuhr bei der Gestapo, er sei ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert worden. Als sie einen Brief von ihm bekam, der unvollendet abbrach, erlitt sie einen Zusammenbruch.
Anna Karges sprach schließlich mit Frau Steen, und ihr Verdacht bestätigte sich, dass deren Tochter Anna Möllers zusammen mit ihrem Schwager Fritz Thomy ihren Mann bezichtigt hatte, sich gegen Hitler geäußert zu haben. Ende Oktober 1943 wurde auch sie zur Gestapo vorgeladen. Bei der Vernehmung hielt der vernehmende Gestapo-Beamte ihr vor, ausländische Rundfunksender gehört zu haben. Sie wurde wieder freigelassen, konnte aber auf dem Tisch die von Fritz Thomy unterzeichnete Anzeige gegen sich sehen.
Auf Grund des Haftbefehls des Vorsitzenden des Hanseatischen Sondergerichts II in Hamburg vom 8. November 1943 wurde Amandus Karges an diesem Tag in die Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt, Holstenglacis 3, überstellt. Gegen ihn war ein Verfahren wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" eingeleitet worden (Aktenzeichen OJs 49/43). Vorgeworfen wurde ihm "Wehrkraftzersetzung", eine Straftat, die in der letzten Kriegsphase besonders drakonisch bestraft wurde.
Amandus Karges saß nun als politischer "Schutzhaftgefangener" in Untersuchungshaft. Nach der fünften Woche in Haft durfte Anna Karges ihren Mann alle drei Wochen besuchen.
"Ich habe in Erinnerung, dass er ein krankhaftes, fieberhaftes Aussehen hatte. Die Wäsche, die ich von ihm erhielt, es war die Schmutzige, die ich zum Tausch übernahm, war jedesmal (jede Woche) mit Blut beschmutzt, ebenfalls waren deutlich sichtbar Abdrücke von schmutzigen Stiefeln, sodass man den Eindruck gewinnen musste, dass dieses alles untrüglich von furchtbaren Misshandlungen herrührte." Auch fand sie "Anzeichen, dass man meinen Mann am Fußboden geschleift hat." Als sie dem nachgehen wollte, drohte man auch ihr Gefängnis an. "Ich fragte einen Beamten, wie das mit dem Blut sich verhielt, er sagte, das macht die Luftveränderung."
Die Staatsanwalt gab das Verfahren an den Oberreichsanwalt in Berlin ab, der am 17. Februar 1944 Anklage nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Kriegssonderstrafrechtsverordnung und den §§ 88 Abs. 2, 91 b StGB erhob. In der Anklageschrift des Oberreichsanwaltes wurde Amandus Karges beschuldigt, "Mitte bis Ende 1943 in Hamburg fortgesetzt durch seine marxistische Gesinnung entsprungene hetzerische und auf Beseitigung der Regierung hinzielende Redensarten gegenüber Bombengeschädigten die Widerstandskraft der inneren Front zu untergraben gesucht, dadurch auch den Hochverrat vorbereitet und den Feind begünstigt zu haben."
In der Anklageschrift hieß es weiter:
"Der Angeschuldigte ist als alter Marxist ein Gegner des Nationalsozialismus. Seiner feindlichen Einstellung gegen ihn gab er besonders gegenüber den Geschwistern Anna Möllers und Thea Preißer, geb. Möllers, Ausdruck, die er im Juli 1943 als Bombengeschädigte in seiner Wohnung aufnehmen musste. Er schimpfte über die heutige Regierung, nannte sie ‚Hunde’ und ‚Schweine‘ und redete sich dabei vor der Zeugin Möllers so in Wut, daß diese vor Angst das Zimmer verließ. Bei der Durchgabe der deutschen Rundfunknachrichten stellte er die Meldungen als unglaubhaft hin, zeigte aber sichtlich seine Freude, wenn gemeldet wurde, daß die deutschen Truppen eine Stadt im Feindesland aufgegeben hatten. Er äußerte dann ferner die Vermutung, daß die betreffende Stadt schon mindestens acht Tage vorher aufgegeben worden sei, und daß dies erst jetzt bekannt gegeben werde, um das deutsche Volk zu ‚verdummen‘.
Oft nahm er in seiner Wut sein Taschenmesser, klappte es auf, fuchtelte damit in der Luft herum und sagte dabei: ‚Wenn wir erst da sind (oder dran sind)‘. Wiederholt drohte er, daß die ‚Nazis‘ alle umgebracht würden, und er dabei mithelfen wolle. Ein andermal erzählte er bei einer solchen Gelegenheit, daß er in Niendorf und in einem Haus an der Eimsbütteler Chaussee Revolver und Munition versteckt habe. Zu der Zeugin Preißer und deren damals gerade von der Wehrmacht auf Urlaub befindlichem Ehemann erklärte er gelegentlich eines Gesprächs über die Terrorangriffe: ‚Ich warte darauf, daß die Amerikaner kommen, um die Nazis zu beseitigen. Ich will dann diesen mit Freuden helfen.‘ Gleich in den ersten Tagen ihres Aufenthalts beim Angeschuldigten sagte er beim Gespräch über den Verlust der Wohnung und der Sachen der Zeugin: ‚Wir haben euch damals ja schon immer auf Flugblättern bekannt gegeben: ‚Wer Hitler wählt, wählt Tod und Verderben‘. Diese Äußerung widerholte der Angeschuldigte später nochmals. Nach einem Besuch des schwerverwundeten und am Bein amputierten Schwagers der beiden Zeuginnen in der Wohnung des Angeschuldigten sage dieser: ‚Nie habe ich es geduldet, daß Nazischweine in meiner Wohnung sind und nun muß ich es dulden. Mir hat das Mittagessen nicht mal geschmeckt.‘ Der Angeschuldigte ist im Wesentlichen geständig, insoweit er bestritten hat, wird er durch die Zeuginnen überführt werden."
Zwecks Eröffnung der für den 5. April 1944 anberaumten Hauptverhandlung gegen Amandus Karges wurde im März eine Überstellung nach Berlin-Plötzensee angeordnet. Doch am 16. März 1944 wurde er, wie man am Tag darauf seiner Frau mitteilte, im Hamburger Untersuchungsgefängnis tot aufgefunden.
"Am 17.3. brachte ich wieder Wäsche und musste zum Inspektor kommen. Nun sagte man mir, mein Mann hätte den Freitod genommen. Ich schrie ihm ins Gesicht, es ist nicht wahr, man hat ihn umgebracht. Es kamen drei Aufseher, welche mich dann hielten. Als ich etwas zu mir kam, lief ich zu meinem Schwager Henny Karges. Dieser ging sofort mit zu dem Inspektor. Nachmittags sahen wir dann meinen Mann im Hafenkrankenhaus. Bis zum Hals hatte man ihn zugedeckt. Es hieß wir durften die Leiche nicht berühren."
In der Sterbeurkunde war verzeichnet, dass Amandus Karges am 16. März 1944 um 22 Uhr verstorben sei. Anna Karges erklärte vor dem Komitee ehemaliger politischer Gefangener am 17. Juni 1947: "Eine Woche vorher hatte ich ihn noch besucht und er meinte, dass er nun bald seinen Termin bekäme und dann würde es wohl nicht mehr lange dauern bis er wieder in Freiheit wäre. Mein Mann war im U.G. in einer Gemeinschaftszelle (3 Mann) und es ist kaum glaubhaft, dass die anderen beiden nichts davon gemerkt haben, da der Tod um 22 Uhr eingetreten sein soll."
Seine hinterbliebene Frau war sich sicher, dass Amandus Karges nicht freiwillig in den Tod gegangen war. Später erinnerte sie sich, ein Stiefel ihres Mannes sei beschädigt gewesen: "Von dem Linken war oben im Schaft ein ganzes Stück rausgeschnitten." Möglicherweise hatte Amandus Karges einen Lederriemen herausgetrennt und sich – verzweifelt über die Aussichtslosigkeit seiner Situation – damit erhängt. Entweder war er ermordet oder in der Untersuchungshaft systematisch in den Tod getrieben worden.
In der Nachkriegszeit kam es in einigen Hamburger Fällen von "Wehrkraftzersetzung" zu Strafverfahren, in denen gegen Denunzianten wegen "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" Anklage erhoben wurde. 1947/48 wurde die Strafanzeige des Komitees ehemaliger politischer Gefangener/ Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gegen Friedrich Thomy, Thea Preisser und Anna Möllers "in Sachen Karges" vor dem Landgericht Hamburg verhandelt.
Friedrich Thomy gab an, zuerst bei einer Polizeidienststelle nur zur Anzeige gebracht zu haben, dass Karges sich geweigert habe, Thomys Möbel nach dessen Ausbombung bei sich unterzustellen, weil er so etwas für "Nazischweine" nicht tue. Er sei von dort zur Gestapo geschickt worden, die dann auch Thea Preisser und Anna Möllers vorgeladen habe. Alle drei Angeklagten behaupteten, sie seien von den Gestapo-Beamten unter Druck gesetzt worden.
Das Gericht folgte im Wesentlichen den Aussagen der Angeklagten und kam zu dem Schluss, es handele sich nicht um Denunziation, sondern um eine "Anzeige mit berechtigtem Hintergrund". Der ehemalige Wehrmachtssoldat Friedrich Thomy, dessen schwere Kriegsverletzung und Beinamputation besondere Erwähnung fand, sei zu Recht wütend gewesen über den Verlust seines Mobiliars. Das Gericht sah bei dem Angeklagten Thomy kein "Angriffsverhalten", sondern "ein Sichwehren gegen massive Angriffe des Karges selbst". Er habe lediglich ein Strafverfahren wegen Beleidigung auf den Weg bringen wollen und nicht mit den schwerwiegenden Folgen der Anzeige rechnen können. Die beiden Frauen seien durch Zwang und Drohungen der Gestapo zu Aussagen veranlasst worden, die sie eigentlich nicht hätten machen wollen. Am 8. November 1948 sprach das Landgericht Hamburg – Vorsitzender Richter war Dr. Heymann – die Angeklagten vom Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit frei. Dem Argument der Anklage, die Angeklagten hätten wissen müssen, dass ihre Denunziation unter dem nationalsozialistischen Regime für das Opfer Amandus Karges Haft und Misshandlung nach sich ziehen würde, folgte das Gericht nicht.
Im September 1949 musste Friedrich Thomy im Rahmen der Entnazifizierung einen Fragebogen der britischen Militärbehörde ausfüllen; er gab an, im März 1933 in die Hitlerjugend und im Mai 1944 in die NSDAP eingetreten zu sein. Er wurde als "entlastet" eingestuft.
Stand September 2015
© Birgit Gewehr
Quellen: StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 10904 (Erbengemeinschaft Karges, Amandus), 41916 (Henkel, Hertha), 40169 (Langenberg, Gertrud), 18606 (Karges, Anna); StaH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 4324/49 (Thomy, Friedrich Bernhard Adolf); StaH 221-11 Staatskommissar für die Entnazifizierung und Kategorisierung, 63956 (Friedrich Thomy); VVN-BdA Hamburg, Archiv, handschriftliche Berichte von Anna Karges, 1949, und Abschrift der Anklageschrift des Oberstaatsanwaltes am Volksgerichtshof Berlin, 17. Februar 1944, und Aktenbestand des Komitees ehemaliger politischer Ge-
fangener; AB Altona; Diercks, Gedenkbuch Kola-Fu; Justizbehörde Hamburg (Hrsg.), "Für Führer, Volk und Vaterland …", S. 88 f.