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Dr. Emil Hartogh * 1875
Claudiusstraße 20 (Wandsbek, Marienthal)
HIER WOHNTE
DR. EMIL HARTOGH
JG. 1875
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
21.11.1938
Dr. Emil Hartogh, geb. am 24.3.1875 in Amsterdam, Suizid am 28.11.1938
Claudiusstraße 20
Emil Hartogh wurde am 24.3.1875 in Amsterdam geboren als Sohn von Marie Henri Hartogh und Marie Ina Witt. Welcher Religion die Familie angehörte, ist nicht bekannt. Vermutlich stammten beide Elternteile aus jüdischen Familien, denn 1939 notierten die NS-Behörden bei der älteren Schwester Emil Hartoghs, sie habe drei als jüdisch geltende Großelternteile. Sein Vater war Ingenieur, seine Mutter vermutlich Hausfrau.
Emil Hartogh wuchs zusammen mit der etwas älteren Schwester Henriette Mimi auf, auf weitere Geschwister gibt es keine Hinweise.
Mit 18 Jahren verließ Emil Hartogh die Niederlande, als er im Sommersemester 1893 sein Studium an der Universität Heidelberg aufnahm, um Medizin zu studieren. Im Oktober 1898 legte er seine "Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde in der Medizin, Chirurgie und Geburtshilfe" vor, und zwar der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig. Die Arbeit widmete sich Erkrankungen der Leber und trägt den Titel "Ueber embolische Lebergangrän". Auf dem Deckblatt wird Emil Hartogh mit dem Zusatz "approbierter Arzt aus Amsterdam" genannt. Das bedeutet, dass er sein Studium beendet und die ärztliche Prüfung inzwischen abgelegt hatte. Ob er in seiner Heimatstadt auch schon als Arzt praktizierte, ist fraglich. Emil Hartogh widmete seine Doktorarbeit "seinen lieben Eltern in Dankbarkeit".
Anfang des neuen Jahrhunderts kam er nach Hamburg. 1902 erschien sein Eintrag "Hartogh, E., Dr. med." im Adressbuch unter Martinistraße 52. Dort befindet sich ein historisches Gebäude des Universitätsklinikums Eppendorf. Emil Hartogh wohnte (und arbeitete vermutlich) hier, bis er 1904/1905 nach Wandsbek in die neue Bahnhofstraße 14 zog, wo er eine Praxis eröffnete, die er zwei Jahre später in die Hausnummer 11 verlegte. 1908 ließ er sich in Marktplatznähe in der Schloßstraße 6 nieder.
Ab 1911 wohnte und praktizierte er in der Claudiusstraße 20, bis er sich 1936 gezwungen sah, das Grundstück zu verkaufen, ebenso das daneben liegende Areal Claudiusstraße 18. Emil Hartogh arbeitete nun in der Schloßstraße 34, musste die Praxis aber bald darauf ein paar Häuser weiter verlegen, in die Schloßstraße 31. Als Wohnadresse war Uhlandstraße 68 im Stadtteil Wartenau eingetragen.
Am 28.8.1906 heirateten auf dem Wandsbeker Standesamt Emil Hartogh und die am 12.1.1876 geborene Anna Louise Bargfeld-Roterberg, wohnhaft Claudiusstraße 18 – sie war lt. Heiratsurkunde "ohne Gewerbe", d.h. nicht berufstätig. Beide Eheleute waren evangelischer Religion. Emil Hartoghs Vater war inzwischen verstorben, seine Mutter lebte in Innsbruck. Ob sie zur Hochzeit ihres Sohnes anreiste, ist fraglich. Als Trauzeugen fungierten ein Arbeiter und ein Korbmacher aus Wandsbek. Das lässt den Schluss zu, dass Emil Hartogh noch nicht im gesellschaftlichen Leben Wandsbeks eingebunden war.
Auch der Lebensweg der Braut wies Besonderheiten auf. Ihre Eltern, Johann August Matthias Roterberg und Margarethe Helene, geb. Egge, waren vermutlich beide verstorben, da in der Heiratsurkunde auch die Adoptivmutter vermerkt ist, die Witwe Auguste Margarethe Albertine Roberti, geb. Bargstedt. Im Wandsbeker Adressbuch 1909 ist die Letztgenannte als (Mit)Eigentümerin unter Claudiusstraße 18 eingetragen. Zu dieser Zeit existierte die Nr. 20 noch nicht. Erst 1913 trat im Straßenverzeichnis des Adressbuchs die Arztpraxis von Dr. Hartogh unter der Nr. 20 in Erscheinung. Als Eigentümerin der Nr. 18 war nur noch Albertine Roberti eingetragen.
Die Eheleute bekamen am 29.8.1907 eine Tochter, Maria Friederike, die in Wandsbek geboren wurde.
Etwa einen Monat nach seiner Heirat erhielt Emil Hartogh die deutsche Staatsbürgerschaft, davor besaß er die holländische. Beim Wechsel der Staatsangehörigkeit hatte er wohl nachweisen müssen, dass er in den Niederlanden nicht wehrpflichtig war und bewies dies mit einer vom Militär ausgestellten Bescheinigung der Provinz Süd-Holland.
Bei Beginn des Ersten Weltkrieges war der nunmehr deutsche Staatsbürger und Arzt 39 Jahre alt und stand demnach kurz vor Ende der zu leistenden Dienstpflicht. Ob er dieser nachkommen musste und evtl. als Militärarzt eingezogen wurde, geht aus den eingesehenen Akten nicht hervor, ist aber anzunehmen. Besonders in der späteren Kriegsphase wurden die wehrfähigen Männer akribisch durchgemustert und rekrutiert.
1989 hatte ich schon einmal einen Text über Emil Hartogh geschrieben, damals konnten sich einige Wandsbeker Zeitzeugen noch an ihn persönlich erinnern. Demnach hat er beispielsweise 1923 eine Volksküche zur Unterstützung der durch die Wirtschaftskrise betroffenen Bevölkerung eingerichtet. Zudem waren sie über sein Schicksal während der NS-Zeit orientiert.
Im selben Jahr ging Emil Hartogh eine zweite Ehe ein, seine erste Frau war am 4.4.1922 verstorben. Am 9.6.1923 heiratete er Elsa Pabst. Sie stammte aus Löbau in Sachsen, kam 1918 nach Hamburg und war nicht jüdisch. Als Berufsbezeichnung hatte sie in einem Antragsformular "Krankenschwester" eingetragen. Im Straßenverzeichnis der Adressbücher 1920 und 1921 finden sich die Einträge Elsa Pabst, Oberin, Papenhuderstraße 11. Möglich, dass sie eine Leitungsfunktion in einem Kranken- oder Stiftshaus innehatte.
Zeitzeugen haben auch von den Gewaltereignissen 1933 berichtet. Am 1. April 1933 wurde Emil Hartoghs Praxis boykottiert. SA-Leute stellten ein Schild im Garten auf und fotografierten Patienten, die den Arzt aufsuchen wollten. Wenige Jahre später wurde er (neben vier weiteren jüdischen Ärzten in Wandsbek) auf dem antisemitischen Flugblatt gelistet, das Angehörige selbständiger Berufe sowie Inhaber von Firmen und Geschäften anprangerte und nichtjüdische Kundschaft fernhalten sollte.
Trotz seiner "Mischehe" mit einer nichtjüdischen Ehefrau war der politisch fundierte Druck so groß, dass Emil Hartogh sich entschloss, Haus und Grundstücke 1936 (lt. Vertrag vom 1.7.) zu verkaufen. Käufer war der Wandsbeker Krankenhausarzt Dr. Rudolf Deussing. In seinem Testament vom 14.8.1937 verfügte Emil Hartogh den überlebenden Ehegatten als Alleinerben.
Zum 30.9.1938 wurde jüdischen Ärzten die Approbation entzogen und damit Berufsverbot erteilt. Dass seine Praxis nicht mehr weiterbestehen würde, teilte Emil Hartogh u.a. durch eine Visitenkarte mit, die vermutlich zur Information der Patienten in den Praxisräumen auslag. Anzunehmen ist, dass die antisemitischen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung während des Novemberpogroms (9./10. November 1938) zu seinem Entschluss beitrugen, aus dem Leben zu scheiden.
Darüber befindet sich in der Wiedergutmachungsakte eine Bescheinigung des Arztes Dr. med. H. Brinkmann, Langereihe 43, in der es heißt: "Herr Dr. med. Emil Hartogh … wurde von mir am 11. Nov. 38 bei seinem ersten Selbstmordversuch behandelt. Sofortige Einweisung ins Marienkrankenhaus erfolgte, so daß Pat(ient) gerettet werden konnte. Am 28. Nov. 38 nahm sich dann Herr Dr. Hartogh durch massive Injektion von Morphium … sowie durch Einnahme von Tabletten das Leben. Als ich gerufen wurde, war der Tod schon eingetreten. Dr. Hartogh ist zweifellos durch seelische Depression infolge Verfolgung durch Gestapo, Praxis-Entziehung und Geschimpf aus dem Leben geschieden. Die Art der Vorbereitung der Tat zeigte eindeutig die Absicht, das nicht mehr tragbare Leben als gehetzter Mensch endgültig zu beenden."
Die Sterbeurkunde weist die Todesursache "Suicidium (Morphiumvergiftung)" aus. In der Akte befinden sich auch Abschriften der beiden Abschiedsbriefe, die an seine Frau gerichtet waren:
"Abschiedsbrief 11. Nov. 38: Meine geliebte Elsa!
Es wird mir ungeheuer schwer, von dir zu gehen. Ich habe Dich sehr sehr lieb gehabt! Habe Dank für all deine Liebe und Treue! Behalte die Kinder und Enkelkind lieb! Verzeihe mir und denke in Liebe an mich. Dein unglücklicher H.
Grüße Henny und danke ihr für ihre Liebe. Ich will nicht seziert werden, es sei denn, daß die Versicherung es verlangt. Wenn es Dir recht ist, gib meinen Pelz an Emmo und meine Uhr meinem kleinen Patenkind.
Abschiedsbrief vom 24.11.1938
Meine geliebte Elsa!
Ich kann nicht mehr leben und will nicht mehr leben! Laß mich ruhig schlafen, hole keinen Arzt und laß mich nicht ins Krankenhaus bringen!
Hab‘ Dank für all‘ Deine Liebe! Dein H."
Emil Hartogh war 63 Jahre alt.
In der Claudiusstraße 20 erinnert ein Stolperstein an ihn (der irrtümlich ein falsches Todesdatum trägt).
Anfang April 1939 sollte seitens der Devisenstelle beim Oberfinanzpräsidenten geprüft werden, ob "Sicherungsmaßnahmen" gegen den Arzt erforderlich seien. Mit Datum 13.4. erging eine Vorladung zur Rücksprache an ihn. Ein Vermögensverzeichnis vom 27.7.1938 lag der Dienststelle bereits vor, Änderungen und Ergänzungen seien mitzubringen.
Am 24.4.1939 schrieb ein Beamter einen Vermerk, in dem er eine Frau erwähnt, die offenbar im Auftrag Elsa Hartoghs in der Devisenstelle erschienen war: "Frl. Jessen spricht vor und gibt an: Dr. Hartogh ist am 28.11.38 verstorben. Alleinerbin ist die Ehefrau… Arierin. Vermögen etwa RM 80.000 Wertpapiere. Es ist nichts zu veranlassen…".
Mitte November erging ein Veranlagungsbescheid zur Zahlung der "Judenvermögensabgabe" in Höhe von RM 16.600. Gut möglich, dass Emil Hartogh den Bescheid noch erhielt. Vielleicht hoffte er, dass die Zahlung durch seinen Tod abgewendet werde und versuchte auf diese Weise, sein Vermögen für seine Angehörigen zu retten. Das ist anscheinend nicht geschehen, denn Elsa Hartogh hatte die gezahlten Teilsummen in ihren Wiedergutmachungsantrag eingetragen. Die erste Rate wurde Ende 1938 fällig, die anderen vier Raten 1939. Da nachträglich noch ein Aktiendepot angerechnet wurde, belief sich die Summe schließlich auf RM 20.750.
In ihrem am 15.6.1948 gestellten Antrag auf Rückerstattung von Vermögen hat Elsa Hartogh den Besitz zweier Häuser in der Umgebung Hamburgs angegeben, die sie mit der Summe der Lebensversicherung erworben habe, die ihr Ehemann auf sie abgeschlossen hatte. Weiter führte sie aus: "Eine Pension als Arztwitwe habe ich nie bekommen, obwohl mein Mann der Pensionskasse von Schleswig-Holstein (Ärztekammer) angehörte." Den Verkauf der Grundstücke Claudiusstraße 18/20 betreffend beantwortete Elsa Hartogh die im o.g. Antrag gestellten drei Fragen wie folgt: Entschädigung wurde nicht geleistet. Der Verkauf fand unter Nötigung statt. Eine Gegenleistung wurde dafür nicht gewährt.
Welch anhaltenden Kampf Elsa Hartogh um ihr Erbe führen musste, soll hier schon deshalb ausführlich geschildert werden, weil viele überlebende Ehegatten von jüdischen NS-Opfern ähnliche Erfahrungen sammelten:
Fünf Jahre kämpfte sie um die Rückerstattung der Grundstücke bzw. um eine angemessene Ausgleichszahlung. Unter Schwierigkeiten gelang es schließlich, mit der Witwe bzw. den Erben der Familie Deussing zu einem Vergleich zu kommen. Diese sahen auch nachträglich keine Zwangslage in dem Verkauf 1936 und daher auch keinen Grund, die Grundstücke zurückzugeben bzw. die gezahlte Kaufsumme nachträglich aufzustocken. Deren Anwälte beantragten am 5.7.1950, den von Elsa Hartogh gestellten Restitutionsantrag kostenpflichtig abzuweisen. Der Kaufpreis (Goldmark/GM 54.000) habe über dem Einheitswert (RM 46.300) gelegen und zudem sei das Grundstück im Juli 1943 "durch feindliche Fliegereinwirkung" getroffen worden. Deshalb hatte das Finanzamt Hamburg-Dammtor am 9.5.1950 den Einheitswert auf DM 11.500 herabgesetzt.
Im Laufe des Jahres 1936 waren vom Kaufpreis RM 35.800 entrichtet worden, das Grundstück hatte noch Belastungen über RM 17.000 aufgewiesen.
Die Anwälte der Käufererben versuchten das Argument Elsa Hartoghs, der Verkauf sei unter Zwang erfolgt, weil das Grundstück ihrem Ehemann aus "rassischen Gründen" entzogen sei, da ihr Ehemann als Jude gegolten habe, zu entkräften. Dementsprechend konterten sie: "Soweit die Antragsgegnerin hat feststellen können, ist der verstorbene Dr. Hartogh jüdischer Mischling gewesen."
Die Nürnberger Gesetze von 1935 kamen also noch einmal zum Tragen mit ihren Kategorien "Volljude", "Mischling" und "Geltungsjude". Der Kaufpreis sei angemessen gewesen und zudem habe der Verkäufer frei über die Summe verfügen können, "was sich schon daraus ergibt, dass der Verkauf im Juli 1936 getätigt ist." Womit die Verfolgung "jüdischer Mischlinge" zu diesem Zeitpunkt in Zweifel gezogen werden sollte. Auch könne der Verstorbene keine Verfolgungsmaßnahmen erlitten haben, schon gar nicht Schäden an Vermögen. Diese habe seine Witwe auch nicht vorgebracht. Der Wandsbeker Hausmakler Hans B.U. Hansen hatte den Verkauf vermittelt, er bezeugte nun, dass der Verkauf des Grundstücks nicht unter Ausnutzung einer Notlage erfolgt sei.
Die Anwälte der Käufererben führten weiter aus, dass Emil Hartogh das Grundstück auf seine "arische" Ehefrau hätte überschreiben können. Die "Mischehe" wurde ihm damit als Nachweis seiner Nichtverfolgung ausgelegt, zumal die Ehe auch "privilegiert" gewesen sei, da Kinder aus ihr hervorgegangen seien. (Wobei nicht beachtet wurde, dass die "Privilegierung" von Mischehen erst ab 1938/39 eingeführt und nicht schriftlich fixiert wurde). Die Tochter, inzwischen verheiratet, war 1949 krank, sie und ihre drei Kinder lebten von der Fürsorge.
Doch zurück zum Schriftsatz der Deussing-Anwälte. Sie räumten ein – vielmehr grenzten ein, dass eine Kollektivbedrohung für Juden am 9./10. November 1938 bestanden habe. Ein Zusammenhang mit Emil Hartoghs erstem Suizidversuch am 11. November wurde offenbar nicht gesehen, vielleicht auch übergangen, um kein Gegenargument zu erzeugen.
Die folgenden Seiten ihres Schriftsatzes beschäftigen sich mit dem Status "jüdischer Mischlinge". Diese seien nach dem Reichsbürgergesetz in allen Rechten den "Deutschblütigen" gleich gesetzt, vor allem hätten sie als vorläufige Reichsbürger gegolten…
Jüdische Mischlinge wären zwar bei der Eheschließung benachteiligt. Das träfe auf Emil Hartogh nicht zu. Er sei ja schon verheiratet gewesen mit einer "Deutschblütigen" und seine Ehe nicht benachteiligt … Das Vorgehen gegen das Judentum habe sich erst nach Kriegsausbruch verschärft. … Jüdische Mischlinge aus dem Wirtschaftsleben auszuschalten … sei niemals verwirklicht. … Jüdischen Mischlingen sei die Betätigung als Arzt wie auch als Anwalt generell niemals untersagt … Jüdische Mischlinge hätten nicht unter Kollektivdrohung gestanden, jedenfalls stünden sie im Sommer 1939 nicht unter dem Druck von Verfolgungsmaßnahmen. Soweit die Theorie Anfang der 1950er Jahre über die Lebenswirklichkeit jüdischer Mitbürger fünfzehn Jahre zuvor. Einen Beweis in Form eines Dokuments, dass Emil Hartogh ein "Mischling" war, d.h. Kind eines jüdischen und nicht jüdischen Elternteils, lieferten die Anwälte der Käufererben nicht.
In der Rückerstattungsakte befindet sich ein Umschlag mit Dokumenten, die wohl von Emil Hartoghs Erben eingereicht wurden bzw. schon in der NS-Zeit von ihm selbst vorgelegt werden mussten. Beigelegt sind drei Auszüge aus den Trauregistern der Kirchen St. Nikolai und St. Petri in Hamburg sowie eine Taufbescheinigung von St. Nikolai ab dem frühen 19. Jahrhundert. Es dürfte sich um Vorfahren von Hartoghs Mutter handeln, da deren Geburtsname Witt in den Papieren vorkommt.
Auf den Bescheinigungen sind mit Bleistift nachträglich notiert die Worte "israelitisch" oder "Proselyt", einmal findet sich auch der Zusatz "mosaisch". Wann und von wem diese Nachtragungen vorgenommen wurden, ob von kirchlicher oder NS-Verwaltung, lässt sich nicht bestimmen. Es zeigt aber, wie akribisch in den Taufregistern gefahndet wurde, um "Geltungsjuden" aufzuspüren. Das waren jene "Halbjuden, die unter der NS-Gesetzgebung wieder als Juden geführt wurden, obwohl sie aus Familien kamen, die manchmal seit Generationen christlich getauft waren – wie vermutlich Emil Hartogh und seine Eltern.
Unter den Dokumenten finden sich auch Urkunden von Henriette Mimi, der Schwester Emil Hartoghs. Auf deren Sterbeurkunde heißt es 1942 unter Religion "Katholisch früher jüdisch".
Ende 1950 kam es zu einem Vergleich bezüglich der Grundstücke Claudiusstraße 18/20. Elsa Hartoghs Anspruch auf Rückerstattung wurde anerkannt, jedoch nur für das Grundstück Blatt 612 abzüglich eines Geländestreifens. Beim Grundstück Blatt 2550 verzichtete Elsa Hartogh auf eine Rückerstattung zugunsten der Witwe Deussing und deren erwachsenen Kindern.
Es sollte noch über zwei Jahre dauern, bis das Grundstück rückerstattet war, die Adresse lautete nicht mehr Claudius-, sondern Rantzaustraße 39 (Eckgrundstück).
Neben dem Kampf um die Grundstücke ging es um eine Kapitalentschädigung ("Judenvermögensabgabe") und um eine Rente. Elsa Hartogh ließ sich von einem Anwalt vertreten, nahm aber auch immer wieder die Hilfe der "Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen", einer Selbsthilfeorganisation, in Anspruch.
Bereits am 8.2.1952 hatte die Vereinsbank in Hamburg Elsa Hartogh bescheinigt, "dass wir am 12.12.38, 15.5.39, 15.8.39, 15.11.39. insges. 17.800 RM zu Lasten des Kontos Dr. Hartogh bzw. zu Ihren Lasten überwiesen haben. Da unsere Unterlagen nicht mehr vorhanden sind, können wir Ihnen nicht bescheinigen, dass die Beträge an das Finanzamt wg. Judenvermögensabgabe gezahlt sind. (Diese) … müssen beim FA eingegangen sein", sie möge dort nachfragen. 1955 erkannte die Sozialbehörde Hamburg an, dass Dr. Hartoghs Tod "ursächlich auf nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen zurückzuführen" sei und sprach seiner Witwe eine Rente und eine Kapitalentschädigung zu.
Letztere wurde 1956 in einem Vergleich zwischen der Sozialbehörde Hamburg (Amt für Wiedergutmachung) festgelegt: Elsa Hartogh erhielt als Abgeltung für den Vermögensschaden ("Judenvermögensabgabe") DM 3.762.
Anfang 1958 kam es zu einem weiteren Vergleich über DM 4.025 zuzügl. Zinsen. Die Summe wurde als Entschädigung gezahlt wegen Schadens im beruflichen Fortkommen (Beschränkungsschaden) und bezog sich auf sinkende Einnahmen der Arztpraxis in den Jahren 1933-1938 infolge von Boykottmaßnahmen.
Schließlich erstritt sich Elsa Hartogh 1966 noch eine Berufsschadenswitwenrente.
Erst mit dem Tod Elsa Hartoghs am 16.2.1972 wurden die Akten geschlossen. Alleinerbin war ihre Stieftochter Maria Friederike Emmental, geb. Hartogh. Diese hinterlegte später ein Gedenkblatt mit einem Foto ihres Vaters bei der Gedenkstätte Yad Vashem.
Emil Hartogh war nicht der einzige seiner Familie, der seinem Leben während des NS-Regimes ein Ende setzte. Ebenfalls in Hamburg beging die Witwe Henriette Mimi Schmid Suizid. Die am 30.7.1873 in Amsterdam geborene war die Schwester Emil Hartoghs, sie lebte zuletzt in der Innocentiastraße 37 und starb am 17.7.1942 im Hafenkrankenhaus. Als kinderlose Witwe einer früheren Mischehe hätte sie keinen Schutz vor der Deportation genossen. Möglicherweise hatte sie an ihrem Todestag den Deportationsbefehl für Theresienstadt erhalten (19.7.42). Ein Erbschein des Amtsgerichts Hamburg vom 13.12.1949 weist Elsa Hartogh auch als ihre Alleinerbin aus. An Henriette Mimi Schmid erinnert ein Stolperstein in der Innocentiastraße 37.
Stand: April 2023
© Astrid Louven
Quellen: 2; 4; 8; StaHH 213-13_3025 Landgericht Hamburg-Wiedergutmachung; Adressbücher Hamburg + Wandsbek 1904 + 05; Adressbuch Hamburg 1937; Nachweis über Medizinstudium Heidelberg: Deutsche Nationalbibliothek https://d-nb.info/gnd/1197732454 [https://d-nb.info/gnd/1197732454]; Nachweis über Dissertation Emil Hartogh: GVK - Gemeinsamer Verbundkatalog - 2.1 (k10plus.de); Ancestry, Heiratsurkunde Emil Hartogh + Sterbeurkunde Anna Louise Hartogh; StaHH 351-11_3998 Amt für Wiedergutmachung; Astrid Louven, Die Juden in Wandsbek 1604-1940 Spuren der Erinnerung, Hamburg 1989/91 (2. Aufl.) S. 166f; StaHH 614 - 2/5 NSDAP A 8, Flugblatt.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".