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Lina Leider * 1930
Schmarjestraße 6 (Altona, Altona-Altstadt)
HIER WOHNTE
LINA LEIDER
JG. 1930
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
RIGA
Weitere Stolpersteine in Schmarjestraße 6:
Berta Leider
Berta Leider, geb. Kleinberger, geb. am 10.11.1890, deportiert nach Riga am 6.12.1941
Lina Leider, geb. am 15.2.1930, deportiert nach Riga am 6.12.1941
Schmarjestraße 6 (Turnstraße)
"6. Dez. 41 Abwanderung" lautete der Stempel auf der Kultussteuerkarte der Witwe und alleinerziehenden Mutter Berta Leider, die an diesem Tag mit ihrer elfjährigen Tochter Lina den Deportationszug Richtung Riga besteigen musste.
Berta Leider, geb. Kleinberger, war am 10. November 1890 im Schaumburg-Lippeschen Hagenburg in der Nähe des Steinhuder Meers als Tochter des jüdischen "Produktenhändlers" Josef Kleinberger und seiner Frau Lina Kleinberger, geb. Mendler, zur Welt gekommen. Acht Jahre zuvor war ihre Schwester Fanny geboren worden. 1893 kam der Bruder Ernst (David), 1896 der Bruder Adolf zur Welt. Aus der ersten Ehe ihres Vaters mit Anna Kleinberger, geb. Mendler, stammte die 1880 geborene Halbschwester Jette. Der Vater Josef Kleinberger war vermutlich aus dem galizischen Niepolomice nach Deutschland gekommen und hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts zunächst mit seiner Familie in Stolzenau an der Weser niedergelassen. Da sein Schrotthandel wenig einbrachte, lebte die Familie in ärmlichen Verhältnissen. Josef Kleinberger verstarb 1904.
Nach dem Tod ihrer Mutter 1920 zog Berta nach Dortmund, kehrte aber zwischenzeitlich nach Stolzenau zurück und zog im August 1924 nach Hamburg. Dort heiratete sie im Dezember 1927 den 25 Jahre älteren Juden Josef Leider, der aus Lopatyn im polnischen Galizien stammte. Durch ihre Heirat erhielt auch Berta Leider die polnische Staatsangehörigkeit. Für Josef Leider war es die zweite Ehe. Er war Begräbnisbeamter bei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde. Als die beiden heirateten, wohnte Berta in der Isestraße 119. Vielleicht war sie dort Hausangestellte gewesen, denn im selben Haus wohnte bei der Familie Levy auch ihre unverheiratete Schwester Fanny, die als Köchin tätig war.
Josef Leider besaß in der Altonaer Altstadt nah am Platz der Republik ein Haus in der Turnstraße 6 (heute Schmarjestraße), wo er im Erdgeschoss wohnte. Berta Leider zog zu ihm nach Altona. Am 15. Februar 1930 wurde die gemeinsame Tochter Lina geboren.
Als Josef Leider am 1. Juli 1938 verstarb, war Lina acht Jahre alt und Schülerin an der Israelitischen Töchterschule in der Karolinenstraße.
1940 geriet die Witwe Berta Leider als Jüdin mit Hausbesitz ins Visier der Behörde des Oberfinanzpräsidenten. Ihre Vermögensverhältnisse wurden überprüft; sie gab Grundbesitz im Wert von 7.800 Reichsmark (RM) und sonstige Vermögenswerte im Wert von 7000 RM an. Auf Aufforderung der Behörde schätzte sie die monatlichen Ausgaben für sich und ihre Tochter auf 241 RM. Der handschriftlichen Aufstellung fügte Berta Leider hinzu: "Da ich Herzkrank, Nieren und Magen leidend bin, muss ich sehr Diät leben, um mein minderjähriges Kind von 10 ¾ Jahren zu einem guten Menschen zu erziehen."
Doch die alleinerziehende Mutter erfuhr kein Mitleid. Ihr Haus fiel der Politik der "Arisierung" anheim, "gemäß Durchführungserlass des RWM vom 6.2.1939 zur Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3.12.1938". Am 14. Oktober 1940 musste Berta Leider einen Antrag auf Verkauf ihres Grundstücks Hamburg-Altona, Turnstraße 6, an die Hansestadt Hamburg stellen.
Im November des Jahres erließ die Behörde des Oberfinanzpräsidenten eine "Sicherungsanordnung". Somit konnte Berta Leider nicht mehr frei über ihr Vermögen verfügen, lediglich ein monatlicher Freibetrag von 240 RM für den Lebensunterhalt wurde ihr gewährt. Vergeblich beantragte sie, das Sparkonto ihrer minderjährigen Tochter als beschränkt verfügbares "Sicherungskonto" zu führen, das die Altonaer Zweigstelle der "Hamburger Sparkasse von 1827" daraufhin umgehend sperrte. Im Februar 1941 wurde der Kaufvertrag für das Haus abgeschlossen; nach Abzug der Kosten wurde der Kaufbetrag auf Lina Leiders Sperrkonto eingezahlt und damit der Verfügungsgewalt von Mutter und Tochter entzogen.
Im Herbst 1941 begannen die Großdeportationen der Hamburger jüdischen Bevölkerung. Am 8. November musste Berta Leider erleben, dass ihr Neffe Hans, der 23-jährige Sohn ihrer Halbschwester Jette Weinberg, geb. Kleinberger, Witwe wie sie, aus der Mansteinstraße 49, wo er bei Mutter und Schwester Johanna Luise (Anneliese) wohnte, nach Minsk deportiert wurde.
Einen Monat später erhielten auch Berta und Lina Leider den "Evakuierungsbefehl" für den 6. Dezember 1941. Deportationsziel war das Getto Riga im deutsch besetzten Lettland. Ihre Schwester Fanny Kleinberger (in der Deportationsliste und den Gedenkbüchern irrtümlich Klein), die im "Judenhaus" Bogenstraße 5 in Eimsbüttel wohnte, war für denselben Transport vorgesehen.
Die elfjährige Lina musste sich mit ihrer Mutter und ihrer Tante am Tag vor der Deportation im Logenhaus an der Moorweide einfinden, das von der Gestapo während der ersten Deportationen als Sammelstätte genutzt wurde. Am nächsten Tag, dem 6. Dezember, wurden sie zum Hannoverschen Bahnhof gefahren, wo sie mit einem Großtransport von 753 Personen in Richtung Riga geschickt wurden. Unter den Deportierten war auch der ehemalige Altonaer Oberrabbiner Joseph Carlebach. Da im Getto Riga eine Massenerschießung einheimischer Juden stattfand, um Platz für die Juden aus dem Deutschen Reich zu schaffen, wurden die Deportierten in einem Außenlager des Gettos untergebracht, in den baufälligen und meist unbeheizbaren Scheunen, Baracken und Viehställen des ehemaligen Gutes Jungfernhof. Bei der Auflösung des Lagers im März 1942 wurden diejenigen, die den Winter ungeachtet von Hunger, Typhus und Kälte überlebt hatten, in einem nahe gelegenen Wald erschossen. Auch Berta und Lina Leider und Fanny Kleinberger kamen ums Leben.
Berta Leiders Vermögen wurde nach der Deportation zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Eine Möbelspeditionsfirma holte die Einrichtung der Wohnung Parterre Turnstraße 6 am 9. Januar 1942 ab und versteigerte sie im Auftrag der Dienststelle für die Verwertung eingezogenen Vermögens beim Oberfinanzpräsidenten Hamburg in der Versteigerungshalle der Gerichtsvollzieherei. Alles wurde verkauft, unter anderem Kinderbett, Chaiselongue, Schreibtisch, Kommode, Mangel, ein defektes Küchenbuffet, eine Handnähmaschine und Porzellan. Laut Versteigerungsabrechnung überwies der Gerichtsvollzieher nach Abzug der Gebühren knapp 400 RM an die Oberfinanzkasse.
Am 18. April 1942 wurden Berta Leiders Halbschwester Jette Weinberg und ihre Tochter Johanna Luise (Anneliese) im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in "Schutzhaft" genommen. Beide wurden am 4. Mai 1942 entlassen, jedoch zwei Monate später, am 11. Juli 1942, aus dem "Judenhaus" Großneumarkt 56 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.
Der Bruder Ernst (David) Kleinberger wurde in Hamburg im November 1942 wegen Verstoßes gegen die Kennkarten- und Namensverordnung inhaftiert. Im Februar 1943 saß er im KZ Fuhlsbüttel ein, wurde nach Berlin überstellt, von dort am 2. März 1943 nach Auschwitz deportiert, von dort weiter ins KZ Groß-Rosen und am 10. Februar 1945 ins KZ Buchenwald. Am 26. Februar wurde er in das Außenlager Berga/Elster gebracht und von dort wahrscheinlich zwischen dem 10. und 12. April 1945 auf den Todesmarsch getrieben; ein Transport ging ins KZ Dachau, ein zweiter ins Getto Theresienstadt. Da die dortigen Ankunftslisten Ernst Kleinberger nicht verzeichnen, kam er vermutlich auf dem Todesmarsch ums Leben.
Über das Schicksal des Bruders Adolf Kleinberger ist nichts bekannt. Für Fanny Kleinberger liegt ein Stolperstein in der Bogenstraße 5. Zur Erinnerung an die Familie Weinberg wurden Steine in der Mansteinstraße 49 verlegt. (Biographien siehe www.stolpersteine-hamburg.de)
Stand September 2015
© Birgit Gewehr
Quellen: 1; 2 (R 1940/457, Leider, Berta); 4; 5; 6; 8; AB Altona; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 2 Band 3 (Deportationsliste Riga, 4.12.41); StaH 332-5 Standesämter, 5414 (Eintrag Nr. 982, Tod Josef Leider); Biographie von Jetta Weinberg, in: Lohmeyer, Stolpersteine, S. 516f.; Deutsch-Jüdische Gesellschaft Hamburg (Hrsg.), Wegweiser; Auskunft Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Zugangsbuch KZ Buchenwald, 26.11.2014; Auskunft KZ-Gedenkstätte Dachau, 4.12.2014
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".