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Henny Hirschfeldt (geborene Burchard) * 1880
Grindelallee 88 (Eimsbüttel, Rotherbaum)
HIER WOHNTE
HENNY HIRSCHFELDT
GEB. BURCHARD
JG. 1880
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET
Henny Hirschfeldt, geb. Burchard, geb. am 3.9.1880 in Neubukow/Mecklenburg, am 18.11.1941 nach Minsk deportiert, ermordet
Grindelallee 88
Die Familie Burchard scheint in Hennys Geburtsort Neubukow schon sehr lange ansässig gewesen zu sein, denn es ist belegt, dass im Jahr 1813 ein Hirsch Baruch aus Neubukow den Familiennamen Burchard annahm. Dies geschah in Zusammenhang mit einem Erlass des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin, der vorschrieb, dass die Juden des Landes erbliche Familiennamen annehmen sollten, um sie besser zu "Contributionen" heranziehen zu können.
Henny heiratete am 12. April 1907 in Neubrandenburg den ebenfalls aus Mecklenburg stammenden Eduard Hirschfeldt, der am 12. Januar 1878 in Teterow zur Welt gekommen war. Eduards Eltern waren Louis Hirschfeldt und Dora, geborene Burchard. Er hatte drei Brüder: Franz, geboren 5. Februar 1882, Walter, geboren 9. Februar 1884 und Georg, geboren 18. Februar 1887. Auch die Familie Hirschfeldt dürfte schon länger in Teterow ansässig gewesen sein, denn der oben erwähnte Erlass führte dazu, dass 1813 ein Kiewe Hirsch aus Teterow den Namen Kiewe Hirschfeldt annahm. Im Jahr 1882 wurde einem Louis Hirschfeldt in Teterow ein Patentbrief über ein verstellbares Sortiersieb zur Getreideverarbeitung ausgestellt. Es ist naheliegend, dass es sich hier um Eduards Vater handelte. Das Dokument wird im Deutschen Historischen Museum in Berlin verwahrt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zog Louis Hirschfeldt mit seiner Frau Dora nach Hamburg. Wahrscheinlich ist, dass er von seinem Sohn Eduard begleitet wurde, von dem bekannt ist, dass er seit Mai 1904 ebenfalls in Hamburg wohnte. Am 11. Dezember 1911 wurde beiden der Hamburger Bürgerbrief überreicht. Franz Hirschfeldt kam 1906 nach Hamburg und erhielt den Bürgerbrief am 30. Mai 1913. Auch Walter Hirschfeldt war spätestens 1919 nach Hamburg gekommen, er lebte mit seiner Frau Bertha, geborene Kaufherr, geboren 16. Mai 1880, und dem Sohn Kurt Peter, geboren 9. Juli 1931, am Grindelhof 10/12, später am Steindamm 6III. Ab 1929 wurde für ihn eine zweite Kultussteuerkarte geführt, auf der Frau und Kind nicht mehr eingetragen sind, was auf eine Trennung hindeutet. Er verließ Hamburg 1934 und meldete sich bei der Jüdischen Gemeinde nach Mersch in Luxemburg ab. Es ist unklar, ob seine Frau und sein Sohn ihn begleiteten, sie tauchen aber in keiner Opferliste auf. Walter Hirschfeldt betätigte sich in Lintgen in Luxemburg als Geflügelhändler. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht wurde er festgenommen, man brachte ihn ins Lager Rivesaltes in Südfrankreich. Von dort wurde er am 11. August 1942 nach Drancy und am 14. August 1942 weiter nach Auschwitz deportiert. Sein Todesdatum ist nicht bekannt.
Louis Hirschfeldt starb 1916, seine Frau Dora, die danach auf die Unterstützung ihrer Söhne angewiesen war, lebte offenbar mit ihrem Sohn Walter am Grindelhof 10/2. Sie starb 1925.
Eduard Hirschfeldt hatte nach seiner Heirat 1907 seine Frau Henny mit nach Hamburg gebracht. Die Tochter Margot wurde 1909 in der Hansestadt geboren. Eduard war Kaufmann und betrieb ein Weiß- und Wollwarengeschäft an der Grindelallee 80. Offenbar war er erfolgreich, denn im Jahr 1931 weist ihn das Hamburger Adressbuch als Besitzer der Häuser Grindelallee 78–90 und Steindamm Nr. 55 aus. Er lebte mit seiner Familie im Haus Grindelallee 88. Es haben sich keine Berichte erhalten, wie sich die antisemitischen Schikanen des NS-Staats in den ersten Jahren des Regimes auf die Hirschfeldts auswirkten. Mit Vertrag vom 16. Juni 1936 verkaufte jedoch Eduard Hirschfeldt die Grundstücke Grindelallee 86–90 an Friedrich Busch und Walter Seifert. Von dem Erlös von 54.000 Reichsmark (RM) mussten Hypotheken und andere Belastungen abgelöst werden, danach verblieben 14.060 RM, die an den Verkäufer bezahlt wurden. Es ist anzunehmen, dass auch diese Verkäufe schon unter Druck stattfanden, doch mussten die Verträge zu diesem Zeitpunkt noch nicht vom Gauwirtschaftsberater genehmigt werden und konnten daher unter "halbwegs fairen Bedingungen" (Frank Bajohr, 182) abgeschlossen werden.
Das war 1938, als Eduard Hirschfeldt seine Firma und die übrigen Häuser verkaufen musste, anders. Jetzt mussten alle "Arisierungs"-Verträge dem Gauwirtschaftsberater Otte vorgelegt werden und der achtete darauf, dass, wie er im "Hamburger Tageblatt" vom 2. Dezember 1938 verkünden ließ, "der Jude keinen unangemessen hohen Preis erhielt". Das bedeutete unter anderem, dass der innere Wert einer Firma, der "Goodwill", nicht bezahlt wurde, sondern nur das Warenlager zum Einstandspreis und das Inventar. Auch die so ermittelten Summen wurden regelmäßig vom Gauwirtschaftsberater noch nach unten "korrigiert". Der Preis von Grundstücken und Häusern wurde ebenfalls erheblich gedrückt, wobei die Verkäufer von dem Erlös meist nichts oder nur sehr wenig ausgezahlt bekamen. Nach diesem Muster wurde auch bei der "Arisierung" des restlichen Besitzes von Eduard Hirschfeldt verfahren. Die Firma Eduard Hirschfeldt wurde zum 31. Dezember 1938 an "arische" Erwerber abgegeben. "Bezahlt" wurde der Einstandspreis der vorhandenen Waren, der "Goodwill" blieb unvergütet. Die Erwerber, die Herren Feldmann und Langhein, ließen die "jüdische" Firma am 17. März 1939 löschen und eröffneten an gleicher Stelle und mit den alten Warenbeständen ein "neues" Geschäft. Über den Verkauf der Grundstücke Grindelallee 78/80 (an Günter Langhein) und Steindamm 55 (an Otto Kurz) im Laufe des Jahres 1939 sind Akten des Oberfinanzpräsidenten erhalten. Anlässlich dieses erzwungenen Verkaufs machte der Bücherrevisor Karl Candidus gegenüber Eduard Hirschfeldt zum Stichtag 31. Dezember 1938 die folgende Rechnung auf:
Betriebsvermögen: 6.538,87 Reichsmark
Grindelallee 80 (Verkaufspr. 78.000/Belastung 77.010) 990,00 Reichsmark
Steindamm 55 (Verkaufspr. 48.400/Belastung 41.510) 6.890,00 Reichsmark
zus. 14.418,87 Reichsmark
abzügl. voraussichtl. Wertzuwachs- und Grunderwerbssteuer,
Umschreibungsgebühren und Kosten 13.500,00 Reichsmark
verbleiben 918,87 Reichsmark
Da sich die Grundstücke schon einige Jahre in Hirschfeldts Besitz befanden, kann man bei einem Kaufpreis, der eben über den Belastungen lag (vorausgesetzt, es handelt sich dabei um Hypotheken und keine Sondersteuern), wohl von einer starken Unterbewertung ausgehen. Trotzdem hätten dem Verkäufer aus dem Verkauf noch über 14.000 RM zugestanden. Durch die Abschöpfungen, die der Staat nur Jüdinnen und Juden auferlegte, blieben davon noch etwas über 900 RM übrig. Da die Ehefrau Henny Hirschfeldt kein eigenes Vermögen besaß, wurde für das Ehepaar nicht einmal mehr eine "Sicherungsanordnung" erlassen, wie es gegenüber jüdischen Eigentümerinnen und Eigentümern größerer Beträge üblich war. Der Rechtsanwalt Rembert Müller stellte 1947 in einem Schreiben fest: "Das Vermögen der Eheleute Hirschfeldt ist […] restlos der sogenannten Arisierung zum Opfer gefallen."
Die Hirschfeldts mussten ihre Wohnung in der Grindelallee 88 aufgeben und zogen nach Eppendorf, in die Haynstraße 9, wo bereits die Tochter Margot mit ihrem Sohn Michael (geboren 30. August 1931) wohnte. Sie hatte Alfons Haas geheiratet, der am 3. Januar 1895 in Borken/Westfalen zur Welt gekommen war. Er stammte aus einer der wohlhabendsten Familien in Borken, sein Vater Moses Haas hatte dort eine Furnierfabrik gegründet, die von seinen Söhnen weitergeführt wurde. Alfons Haas gründete mit seinen Brüdern Harry (geboren 7. September 1891) und Leo (geboren 4. Dezember 1896), sowie der Mutter Ricka Haas eine eigenständige Niederlassung in Hamburg, Billstraße 156–158: Gebr. Haas & Co. Im September 1938 mussten sie ihr Unternehmen an "Gruppenführer Ulrich and Sturmbannführer Lofink and a certain Mr. Meyer, who were members of the Nazi Party" verkaufen, wie Harry Haas nach dem Krieg aus London 1947 an die britische Militärverwaltung in Hamburg schrieb. Ulrich und Lofink waren frühere Angestellte, die, wie auch Paul Friedrich Meyer, nach Harry Haas‘ Einschätzung nicht die Mittel besessen hätten, einen fairen Kaufpreis zu bezahlen. Dennoch wurde ein Kaufpreis von 395.000 RM ausgemacht, der auf ein Sperrkonto gehen sollte. Ob dieser relativ hohe Betrag vollständig einbezahlt wurde, wissen wir nicht. Geringe Beträge daraus wurden den Alteigentümern zur Lebenshaltung zugestanden, der Rest des Geldes 1941 "zu Gunsten des Reiches" eingezogen. Die neuen Inhaber gründeten bald nach der Übernahme eine OHG und führten die Firma unter ihrem Namen weiter: Ulrich, Lofink & Co.
Alfons Haas verließ, folgt man den Angaben auf seiner Kultussteuerkarte, Deutschland im Juni 1939 und ging in die Niederlande. Sein Neffe Hans Friedrich Gans berichtete allerdings gegenüber dem Wiedergutmachungsamt: "[Alfons Haas] kam im November 1938 von Hamburg zunächst nach Borken zu seiner Mutter auf Besuch, weil er glaubte, dass er dort sicher sei. Als aber die Kristallnacht auch in Borken gewesen war, ging er schwarz über die grüne Grenze nach den Niederlanden. Dort traf er mit seinen Vettern Leo und Erich Haas zusammen, die ebenfalls aus Deutschland emigriert waren. Zunächst wurde er von der Polizei in Winterswyk festgenommen, da er keinerlei Papiere bei sich hatte und wurde in das Kloster Reuver überführt – interniert. Dann kam er als Flüchtling ohne Papiere nach Westerbork ins Lager." Das Lager Westerbork war 1939 von der niederländischen Regierung zur Aufnahme von "papierlosen" jüdischen Flüchtlingen eingerichtet worden. Als im Mai 1941 die deutsche Wehrmacht in die Niederlande einmarschierte, erwies es sich als tödliche Falle für seine Bewohnerinnen und Bewohner. Für Alfons Haas‘ Ausreise wurden 53.930 RM "Reichsfluchtsteuer" fällig, die ebenso wie die "Judenvermögensabgabe" in Höhe von 42.400 RM und eine Auswanderungsabgabe von 8666 RM, Letztere zu zahlen an den Jüdischen Religionsverband Hamburg, aus dem oben erwähnten Sperrkonto bezahlt wurden.
Margot Haas blieb mit dem gemeinsamen Sohn in Hamburg. Sie gab die Wohnung in der Parkallee 5 auf und zog in die Haynstraße 9. Dort nahm sie ihre Eltern, Henny und Eduard Hirschfeldt, auf, nachdem diese ihr Vermögen verloren hatten. Zusammen zogen sie noch einmal um, in die Haynstraße 10. Am 19. Oktober 1941 starb Eduard Hirschfeldt, über die Todesursache ist nichts bekannt. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt.
Einen Monat später, am 18. November 1941, wurde die restliche Familie – Henny Hirschfeldt, Margot und Michael Haas – nach Minsk deportiert. Sie gehörten nicht zu den wenigen Überlebenden des dortigen Gettos.
Alfons Haas wurde am 4. September 1944 von Westerbork nach Theresienstadt gebracht. Nur wenige Wochen später, am 29. September 1944, wurde er einem Transport ins Vernichtungslager Auschwitz zugeteilt. Das niederländische Rote Kreuz teilte dem Amt für Wiedergutmachung am 17. März 1959 mit, er sei dann am 6. Oktober 1944 ins Arbeitslager Golleschau verbracht worden. Seine Häftlingsnummer sei B 11199 gewesen.
In Golleschau befand sich ein Nebenlager von Auschwitz-Birkenau. Es lag etwa 60 Kilometer südwestlich von Auschwitz, die Häftlinge dort mussten in einem Steinbruch und einer Zementfabrik schwere körperliche Arbeit verrichten. Am 19. Januar 1945 sei Alfons Haas von Golleschau in Richtung KZ Sachsenhausen "evakuiert" worden, dort aber nicht angekommen. Wahrscheinlich starb er auf diesem Todesmarsch an Entkräftung oder wurde erschossen.
Nach niederländischer Auffassung galt Alfons Haas als "verstorben am 2. Februar 1945 in Mitteleuropa". Die deutschen Behörden legten sein Todesdatum, wie auch das seiner Frau und seines Sohnes, auf den 8. Mai 1945 fest.
Alfons Haas‘ Bruder Harry kehrte 1948 nach Hamburg zurück und starb hier am 25. Mai 1948 "auf dem Weg ins Hafenkrankenhaus". Er soll als Zeuge in einem Kriegsverbrecherprozess geladen gewesen sein und vor Aufregung über den Verlauf einen tödlichen Herzanfall erlitten haben.
Für Alfons, Margot und Michael Haas liegen Stolpersteine in Harvestehude, in der Parkallee 5.
Stand: Juli 2017
© Ulrike Sparr
Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH 232-5 Nachlassgericht Hamburg, Vormundschaftswesen 776; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 13208 (Haas, Harry u. Alfons) u. 1362 (Gans, Helene); Bajohr, "Arisierung"; Francke/ Krieger: Die Familiennamen; Hamburger Adressbücher 1930–1940; www.dhm.de/datenbank/dhm.php?seite=5&fld_0=03621750 (letzter Aufruf: 29.7.2014); http://suomenhirvi.piranho.de/gegenvergessen/ moseshaas.htm (letzter Aufruf: 22.7.2014); http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Golleschau (letzter Aufruf: 7.8.2014); www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/chronicles.html.en?page=3 (letzter Aufruf: 10.9.2014); www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=3534928 (letzter Aufruf: 10.9.2014); www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=510136 (letzter Aufruf: 10.9.2014); www.ushmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=1532302 (letzter Aufruf: 10.9.2014); www.us hmm.org/online/hsv/person_view.php?PersonId=5334153 (letzter Aufruf: 10.9.2014); http://de.wikipe dia.org/wiki/Camp_de_Rivesaltes (letzter Aufruf: 10.09.2014).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".