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Pauline Isaak (geborene Sealtiel) * 1900
Brahmsallee 16 (Eimsbüttel, Harvestehude)
1941 Minsk
Weitere Stolpersteine in Brahmsallee 16:
Charlotte Bravo, Ruth Isaak, Hanna Isaak, Michael Isaak, Daniel Isaak, Betty Jacobson, Recha Nathan, Helene Rabi, Max Warisch
Michael Isaak, geb. am 3.7.1888 in Hamburg, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Pauline Isaak, geb. Sealtiel, geb. am 17.6.1900 in Berlin, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Daniel Isaak, geb. am 26.4.1923 in Hamburg, 1939 Flucht nach Holland, 1943 in Sobibor ermordet
Ruth Isaak, geb. am 12.11.1926 in Hamburg, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Brahmsallee 16
Im Sommer 1993 besuchte der damals 65-jährige Menachem Usai aus Israel seine Geburtsstadt Hamburg. Hier, sagte er, habe seine Familie seit Jahrhunderten gelebt, bis der nationalsozialistische Terror ihre Auflösung erzwang. Ihn selbst, den zehnjährigen Max und seine Schwester Jenny schickten die Eltern 1939 nach England. Die anderen Familienmitglieder, Eltern und zwei weitere Kinder, fielen dem Ausrottungswahn der Nationalsozialisten zum Opfer. An sie erinnern vier Stolpersteine vor dem Haus Brahmsallee 16.
Max Isaak, der seinen Namen in Menachem Usai änderte, berichtete in dem in Hamburg gegebenen Interview, was ihm aus der Zeit seiner Kindheit einfiel. Die Stadt war ihm jetzt ganz fremd geworden, aber er kannte noch den Weg zur Talmud Tora Schule, die er vier Jahre lang besucht hatte. Er wusste, dass sein Großvater dort fünfzig Jahre lang die Schulanfänger im Lesen und Schreiben deutscher und hebräischer Texte unterrichtet hatte. Das Andenken an Großvater David Isaak war für den Enkel Ausgangspunkt seiner in die Familiegeschichte zurückführenden Erinnerung. David Isaak wurde 1840 in dem hessischen Ort Hesselbach, der eine kleine jüdische Gemeinde besaß, geboren. Nach dreijähriger Ausbildung am Lehrerseminar in Hannover wurde er 1864 Lehrer an der Talmud Tora Schule in Hamburg. Beim Jubiläum im Jahre 1911 wurde er besonders gewürdigt. In der Festrede wurde den Schülern eine Lebenshaltung empfohlen, die auch die Grundsätze von David Isaak und seiner aus Rüdesheim stammenden Frau Rosalie bestimmte: "Heimatgefühl, Pflege deutscher Literatur und deutscher Eigenart … Werdet tüchtige Juden, tüchtige Deutsche, tüchtige Hamburger." Der verehrte Großvater starb 1914, seine Frau lebte bis 1936. Sie erfuhr also noch, wie die "tüchtigen deutschen Juden" brutal angefeindet wurden.
David und Rosalie Isaak hinterließen drei Kinder, die in Hamburg lebten und untereinander verkehrten: Isidor, Adele, verheiratete Cohn, und Michael. Der 1888 geborene jüngste Sohn Michael, um den es hier geht, wurde Kaufmann. Am 1. Juni 1922 heiratete er Pauline Juliane Sealtiel. Ein Foto von Pauline zeigt die auffallend schöne junge Frau in selbstbewusster Haltung. Sie war die Älteste der vier Kinder von Benjamin und Helene Sealtiel. Diese Familie war in Hamburg so gut bekannt, dass ein nur mit dem Namen versehener Brief auch ohne Adresse richtig ankam. Familie Sealtiel gehörte zur Hamburger Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde. Diese unterschied sich durch ihre Geschichte und Tradition von der Israelitisch-Jüdischen Gemeinde der "deutschen Juden" oder Aschkenasen, welche die Mehrheit der gläubigen Juden am Ort stellte. Die Vorfahren der "Portugiesen" oder "Sepharden" waren einst von der Iberischen Halbinsel vertrieben worden und hatten sich anderswo, in Hamburg erstmals im 16. Jahrhundert, angesiedelt und eigene Gemeinden gegründet. Bis in die Neuzeit bewahrten sie in ihrem Gottesdienst Sprache und Kultus ihrer Herkunft, trugen bei der Ausübung geistlicher Ämter noch alt-spanische Gewänder, Schnallenschuhe und Spitzhüte. Pauline war in einer frommen sephardischen Familie aufgewachsen.
Das junge Paar Michael und Pauline Isaak wohnte zusammen mit der Großmutter Rosalie Isaak in der Parkallee 20. Vier Kinder wurden geboren: Daniel am 16.4.1923, Jenny am 30.9.1924, Ruth am 12.11.1926 und Max am 14.11.1928. Nichts spricht gegen die Vorstellung, dass sich hier eine glückliche Familie entfaltete. Die Jungen gingen in die Talmud Tora Schule, die Mädchen in die Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße. Erwachsene und Kinder hatten Umgang mit anderen jüdischen Familien im Viertel, mit "Gojim" (Nichtjuden) verkehrte man kaum. Wohl aber lebten christliche Kindermädchen und Haushaltshilfen mit in der Familie. Pauline machte ihre Kinder mit den feierlichen Gebräuchen der Sepharden bekannt. Sie erlebte mit ihnen die Einweihung der "Esnoga" genannten Synagoge der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde "Bet Israel" am 14. März 1935 in der umgebauten Villa Innocentiastraße 37. Die Kinder der Familie Isaak empfanden ihre Zugehörigkeit zu den Sepharden als etwas Besonderes. Sie waren beeindruckt von der Farbenpracht der Glasfenster, vom feierlichen Gesang, von der orientalisch anmutenden Atmosphäre und der Ehrfurcht bei allen kultischen Handlungen. Das war anders als im vergleichsweise nüchternen Gottesdienst in der Synagoge am Bornplatz, den die Familie sonst oft besuchte. Denn der Vater Michael Isaak war Aschkenase. Das bedeutete aber keine Entscheidung für die eine oder andere Richtung, hatte auch keine Konsequenz für die Erziehung der Kinder. Man konnte in jeder Synagoge am Gottesdienst teilnehmen. Max alias Menachem bezeichnete seine Familie als "sehr fromm, orthodox". Bei den Eltern der Mutter Pauline war das Verhältnis umgekehrt: Paulines Vater Benjamin Sealtiel war Sepharde, Mutter Helene Aschkenasin. Der Vater soll gesagt haben: "Meine Frau ist ein Engel mit allen guten Eigenschaften. Sie hat nur einen Fehler. Sie ist Aschkenasin. Aber dafür kann sie nichts." Mutter Helene gab sich große Mühe, all die schönen sephardischen Bräuche zu lernen.
Materielle Sorgen kannte Familie Isaak nicht. Erst infolge des Machtantritts der Nationalsozialisten gingen die Einkünfte des Vaters drastisch zurück. Vielleicht hing damit der Wechsel in die Brahmsallee 16 im Jahre 1936 zusammen. Pauline Isaak wurde im Adressbuch als Betreiberin einer "Parfümerie" aufgeführt. Wahrscheinlich trug ihr Handel mit Kosmetika wesentlich zum Lebensunterhalt bei. In die Brahmsallee 16 zog auch Hanna Isaak, die Tochter von Michaels Bruder Isidor und seiner Ehefrau Lea. Sie war allein in Hamburg zurückgeblieben, nachdem ihre beiden Brüder und die Eltern emigriert waren.
Nach Jahren des Zuwartens und Hoffens verdüsterte sich 1938 der Horizont. Michael Isaak entrichtete die nötige Summe, um eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" zur Ausreise zu erhalten. Die Eltern Isaak waren darauf bedacht, vor allem ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. "Die Kinder müssen raus", hieß es. Viele Kinder mussten damals "raus", sagte Menachem Usai im Interview. "Die Eltern haben uns alle verteilt." Er erinnerte sich daran, wie sehr seine Mutter beim Abschied weinte, nicht aber, ob und wie sie dem Zehnjährigen erklärte, warum sie ihn allein in die Welt schicken musste. Am einfachsten war es vermutlich, in London für die fünfzehnjährige Jenny einen Platz als Haushaltshilfe zu bekommen. Sie kam im Januar 1939 in London an. Im Mai folgte ihr der kleine Max in einem Kindertransport. Die Kindergruppe wurde von einem älteren Mädchen, Eva Carlebach, einer Tochter des Oberrabbiners, begleitet. In London kümmerten sich Verwandte um Jenny und Max. Mutter Pauline Isaak bedankte sich überschwänglich bei Onkel und Tante für die große Mühe, eine geeignete Unterbringung für Max zu finden. "Jennylein empfindet Eure Liebe und Güte ganz genau, wenn sie es auch aus Schüchternheit nicht so zeigen kann wie der goldige Max. Unser Mäxchen ist kein Briefeschreiber, er ist, wenn er beim Schreiben ist, mit den Gedanken schon bei anderen Sachen. Aber Ihr kennt ihn ja schon so genau, er ist ein geliebter Kerl. Papas ganzer Stolz war der Kleine. Und was hat mein Muttchen auf ihn gehalten!" Durch Fürsprache der Verwandten konnte Max eine jüdische Schule, eine sogenannte Jeshiwa, besuchen.
Die sorgenden Gedanken der Eltern kreisten weiter um das Wohl der Kinder. Die zwölfjährige Ruth wurde 1939, vermutlich von Freunden oder Verwandten, mit nach Belgien genommen, wo sie zunächst ungefährdet leben konnte. Daniel emigrierte im Februar 1939 allein nach Holland. "Von meinem Dani haben wir Gott Lob gute Berichte", schrieb Mutter Pauline an Onkel und Tante in London.
Sich selbst ins Ausland zu retten, gelang Michael und Pauline Isaak nicht. Vielerlei Gründe können zusammen gewirkt haben. Reichte das nach all den Ab- und Ausgaben noch zur Verfügung stehende Geld nicht? War kein Land mehr zur Aufnahme bereit, oder gab es keinen Schiffsplatz? Seit Ausbruch des Krieges wurde alles noch viel schwieriger. Nur noch wenigen Juden gelang die Flucht. Am 10. Mai drang die deutsche Wehrmacht ins neutrale Belgien ein. Die belgische Regierung wies alle männlichen Flüchtlinge aus, sie wurden über die Grenze nach Frankreich abgeschoben. Unbegleitete Kinder wurden nach Deutschland zurückgeschickt, so auch Ruth Isaak. Sie lebte nun wieder bei ihren Eltern und ging wie zuvor in die Schule in die Carolinenstraße, die nur noch "Jüdische Schule in Hamburg" hieß, in der die wenigen verbliebenen Jungen und Mädchen aller Klassen gemeinsam unterrichtet wurden.
Auf der Liste der am 18. November 1941 nach Minsk deportierten Schülerinnen stand der Name von Ruth Isaak hinter den vier Schwestern Jakobsohn aus der in "Ostmarkstraße" umbenannten Hallerstraße: Bertha, Ernestine, Eva und Mathilde. Ruth und ihre Eltern Michael und Pauline Isaak gehörten diesem zweiten Massentransport nach Minsk an, ebenso die Nichte Hanna Isaak. Der Zug fuhr vom Lloydbahnhof in Bremen ab, besetzt mit 570 Männern und Frauen aus dem Bezirk der Staatspolizeistelle Bremen. Auf dem Hannoverschen Bahnhof in Hamburg kamen 408 Hamburger Juden hinzu. Die Fahrt ging über Bad Oldesloe, Lübeck, Güstrow, Neubrandenburg, Stettin, Stargard, Bromberg, Thorn, Warschau, Bialystok und kam am 22. November in Minsk an. Das Getto der Stadt war verwüstet durch eine vorangegangene Mordaktion an den polnischen jüdischen Bewohnern. Sie waren erschossen worden, um Platz für die "reichsdeutschen Juden" zu schaffen. Bei der Verteilung von Wohnraum und Verpflegung musste ein Judenrat die Verantwortung dafür übernehmen, dass die deutschen Befehle ausgeführt wurden. Waren die beauftragten Juden zu nachgiebig, wurden sie hart bestraft oder erschossen. Ein Teil der in Minsk angekommenen Männer wurde zu Zwangsarbeiten an Eisenbahnen, in Reparaturwerkstätten oder Versorgungslagern der Wehrmacht eingesetzt. Ob Michael Isaak, der über 50 Jahre alt war, dazu gehörte, wissen wir nicht. Wann und auf welche Weise er, seine Frau Pauline und Tochter Ruth ums Leben kamen, blieb bis heute ungeklärt. "Haben keine Nachricht von Pauline" telegrafierte Paulines Bruder Joseph "Israel" Sealtiel, selbst auf der Flucht, am 17. Juli 1942 an die Verwandten in London. Es kamen keine Nachrichten mehr.
Daniel Isaak war 16 Jahre alt, als er auf legalem Wege nach Holland emigrierte. In Enschede, nahe der deutschen Grenze, lebte er nachweislich vom 19. Juli 1939 bis 30. Dezember 1942 in einer Pension unter der Adresse Strootsweg 460 mit vielen jüdischen Menschen zusammen. Diese Unterkunft hatte er nach halbjähriger Suche gefunden. Flüchtlingen war es verboten zu arbeiten. Wovon hat David gelebt? Er wird versucht haben, beim US-Konsulat in Rotterdam ein Visum für sich und seine Eltern zu bekommen, er wird sich an das jüdische Flüchtlingscomité, die Zentralstelle für deutsche Auswanderer oder an den holländischen Judenrat gewandt haben; vielleicht fand er dort, wie andere junge Deutsche, eine Beschäftigung in der Verwaltung. Jedenfalls scheint er dreieinhalb Jahre lang unangefochten in Enschede gelebt zu haben, bis 1942 die Judenverfolgung in Holland verschärft wurde. Die Judengesetze wurden noch rigider, das Tragen eines Judensterns befohlen, bei plötzlichen Razzien wurden Hunderte von Juden auf Lastwagen gepfercht und in das Lager Westerbork gebracht. Von dort fuhren jeden Dienstag Züge beladen mit jüdischen Häftlingen nach Osten an eine Vernichtungsstätte. Unter den Insassen von Westerbork, die dort zum Teil schon seit ihrer Flucht aus Deutschland interniert waren, wurde das Unglaubliche zur Gewissheit: denn von Deportierten kam kein Lebenszeichen mehr. In Amsterdam, aber auch in der Provinz, wuchs die Angst, erfasst zu werden. Einen Aufschub gewährte nur eine "Sperre" mit dem Nachweis, dass die jeweilige Person eine wichtige Funktion ausübte, sei es innerhalb des riesigen Behördenapparates oder in einem kriegswichtigen Betrieb. Für David Isaak wurde der Versuch gemacht, ihn als Austausch-Häftling, versehen mit einem Palästina-Zertifikat, nach Bergen-Belsen zu schicken. Eine Anzahl der dort internierten Juden wurde als eine Art wertvolle "Verhandlungsmasse" für einen eventuellen Austausch gegen im feindlichen Ausland internierte Deutsche bereitgehalten. Die Bestätigung für Daniel Isaak erfolgte tatsächlich – aber um Monate zu spät. Er wurde am 6. Juli 1943 in das "polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork" eingeliefert, dort mit dem nächsten Dienstags-Transport am 13. Juli weiterdeportiert und bei der Ankunft in Sobibor sofort durch Gas ermordet.
Die Familie wurde grausam dezimiert. Von den Geschwistern Paulines überlebte nur der Bruder David, von dem Menachem Usai sagte: "Dieser Onkel war gut." Ein abenteuerlicher Lebenslauf führte David Sealtiel nach Palästina, fünf Jahre diente er in der französischen Fremdenlegion. Dann kämpfte er in der Untergrundorganisation "Hagada" in Palästina. Bei einer Auftragsreise nach Deutschland geriet er in die Fänge der Gestapo, wurde inhaftiert und gefoltert, dann unter der Auflage entlassen, das Land zu verlassen. Seine Ausweisung nach Südamerika erwartete er bei Schwester und Schwager Isaak in Hamburg. Nach Gründung des Staates Israel machte er eine steile Karriere in der Armee. Als General und später als diplomatischer Gesandter in den Niederlanden war er eine bekannte Persönlichkeit. 1969 starb er in Jerusalem. Sein Bruder Joseph war in Hamburg der letzte Vorsitzende der Portugiesischen Gemeinde. Er wurde nach Theresienstadt deportiert und im März 1945 in Dachau ermordet. Seine Frau Else und das halbjährige Kind kamen ebenfalls nach Theresienstadt; ihr Leben endete in der Gaskammer von Auschwitz. Paulines jüngere Schwester wurde auf der Flucht an der Grenze aufgegriffen und kam ihrer Ermordung durch Suizid zuvor.
Stand: September 2016
© Inge Grolle
Quellen: 1; 4; 5; 8; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 23563; Studemund-Halévy (Hg.), Sefarden, S. 901–935; E-Mail Auskunft v. 22.5. und 4.6. 2013 durch Bert van Veenendal, Staatsarchiv Enschede; E-Mail Auskunft von José Martin, Kampwesterbork.nl v. 26.11.2012; E-Mail Auskunft v. Denise Rein, The Central Archives for the History of Jewish People, v. 19.5.2013; Kopie von Briefen aus der Sammlung Familie Sealtiel P 178.3, Private Korrespondenz 1931–1942; FZH/WdE Interview mit Menachem Usai aus dem Jahr 1993; Hesdörffer, Bekannte traf man viele …; Randt, Talmud Tora Schule, S. 61, 76, 82, 85; Lorenz, Verfolgung, Brief v. 25.7.1939, S. 163
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".