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Meta Becker, 1943
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Meta Becker * 1935

Schumannstraße 51 A (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
META BECKER
JG. 1935
EINGEWIESEN 1943
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM SPIEGELGRUND
"KINDERFACHABTEILUNG"
ERMORDET 24.9.1943

Meta Hildegard Amalie Becker, geb. am 7.5.1935 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten am 13.5.1943, "verlegt" in die "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" am 16.8.1943, gestorben am 3.12.1943

Schumannstraße 51a

Meta Becker kam am 7. Mai 1935 als elftes von zwölf Kindern des Ehepaares Becker zur Welt. Ihre Eltern Heinrich Becker, geb. am 25. Oktober 1888 (gestorben am 20. Februar 1945), und Amalie Annine Wilhelmine, geb. Bartelt, geb. am 18. Oktober 1896 (gestorben am 23. Februar 1958), hatten am 18. Oktober 1919 geheiratet.

Heinrich Becker, der das Klempnerhandwerk erlernt hatte, wurde in den Hamburger Adressbüchern als "Hafenarbeiter" und ab 1932 als "Staatsarbeiter" verzeichnet. Die Familie wohnte in der Schumannstraße 51a in Barmbek-Süd.

Nach der Geburt ihres siebten Kindes musste sich Amalie Becker einer schweren Nabeloperation unterziehen. Danach bekam sie noch weitere fünf Kinder. Zu ihnen gehörte Meta, die anderen vier überlebten das erste Lebensjahr nicht.

Dass Meta "geistig zurückgeblieben" sei, wurde – wie aus ihrer später in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) angelegten Patientenakte hervorgeht – im Alter von einem halben Jahr bemerkt. Danach sei sie auch körperlich "stark unterentwickelt" geblieben, an Diphtherie erkrankt und habe eine Mittelohr- und Lungenentzündung bekommen. Erst im Alter von vier Jahren habe sie laufen gelernt, die Fähigkeit zu sprechen habe sie nicht entwickeln können.

Am 27. November 1942 hielt ein Amtsarzt des Hamburger Landesfürsorgeamtes die Unterbringung der mittlerweile siebenjährigen Meta "auf Grund persönlicher, zuletzt am 30.10.1942 vorgenommener Untersuchung", in den Alsterdorfer Anstalten für erforderlich. Seine Begründung lautete: "angeborener Schwachsinn mit Erziehungsschwierigkeiten. Außerdem gefährdet das Kind ein neugeborenes Geschwisterkind, da sie zu Tätlichkeiten und gefährlichen Streichen neigt". Die Kosten sollte die Hamburger Sozialverwaltung übernehmen.

Die Leitung der Alsterdorfer Anstalten verweigerte zunächst Meta Beckers Aufnahme ohne Angabe von Gründen und schickte ihre Papiere an die Sozialverwaltung mit der Empfehlung zurück, sich wegen Metas Unterbringung an die "Langenhorner Anstalt" zu wenden. Damit war die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn gemeint.

Ein halbes Jahr später, am 13. Mai 1943, kam Meta kurz nach ihrem achten Geburtstag dann doch als "Zögling" in die Alsterdorfer Anstalten. Bei ihrer Aufnahmeuntersuchung wurde vom Pflegepersonal vermerkt, Meta sei "am Zeug" (Kleidung) und am Körper "sehr schmutzig" gewesen und ihre Bekleidung mit Sicherheitsnadeln zusammengehalten worden. Sie könne alleine essen, reagiere auf ihren Namen und höre, was gesprochen wird.

Auf ihre Anfrage erhielt Metas Mutter im Juni 1943 die Mitteilung, ihrer Tochter gehe es gesundheitlich gut, sie habe sich gut eingelebt und spiele sehr lebhaft. Ende Juli erkrankte Meta an Windpocken.

Metas Mutter bat am 9. August 1943 erneut um Auskunft und teilte der Anstaltsleitung in einem Schreiben mit, dass sie ihre Tochter nicht mehr besuchen könne, da sie sich zurzeit in Schney bei Lichtenfels in Bayern befände. Vermutlich hatte Amalie Becker ihre Wohnung in der Schumannstraße bei den schweren Luftangriffen auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") verloren.

Bombenschäden hatte es auch in den Alsterdorfer Anstalten gegeben. Für ein paar Tage musste die Anstalt zudem Hunderte von Obdachlosen und sowie etwa zweihundert Bombenverletzte aufnehmen. Vor diesem Hintergrund nahm der Leiter der Anstalt, Pastor Friedrich Lensch, mit Zustimmung der Gesundheitsverwaltung die Gelegenheit wahr, mehrere hundert Patientinnen und Patienten, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Anstalten zu verlegen.

Meta Becker kam mit einem Transport von 228 Mädchen und Frauen am 16. August 1943 zur "Entlastung" der Alsterdorfer Anstalten in die damalige "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", auch bekannt unter der Bezeichnung Anstalt "Am Steinhof". Acht Tage nach ihrer Ankunft in Wien gehörte Meta Becker zu den vierzehn Mädchen, die in die "Wiener städtische Nervenklinik für Kinder ‚Am Spiegelgrund‘" auf demselben Gelände verlegt wurden, und zwar in den Pavillon 15, in dem "Euthanasie"-Morde an Kindern stattfanden.

In dieser sog. Kinderfachabteilung wurden zunächst umfangreiche Untersuchungen an Kindern vorgenommen, bevor sie mit überhöhten Medikamentengaben getötet wurden.

Am 29. September 1943 schrieb die Ärztin Marianne Türk, Meta sei für ihr Alter ein etwas zu kleines, grazil gebautes Mädchen in etwas mangelhaftem Ernährungszustand. Das Kind könne alleine stehen und gehen, dies aber langsam und ungeschickt. Meta sei recht hübsch und nett im Ausdruck, nehme wenig Anteil an den Vorgängen seiner Umgebung obwohl sie auf Anrede und Geräusche reagiere. Sie spreche nur ganz undeutlich das Wort "Mama", summe zeitweise Melodien, ihr Sprachverständnis sei beschränkt. Abschließend fasste die Ärztin in ihrem Bericht zusammen: "Es handelt sich um ein körperlich leicht unterentwickeltes Kind, das durchaus nicht auf den ersten Blick idiotisch aussieht. Es ist geistig tiefstehend, steht kaum auf der Stufe eines 1 ½ jährigen Kindes".

Wenige Tage später, am 8. Oktober 1943, wurde Meta Becker dem "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" in Berlin gemeldet. Anhand der Meldebögen bestimmten sogenannte Gutachter aus der Ferne über das Schicksal der Kinder. Setzten sie auf einen Meldebogen zwei rote Pluszeichen, bedeutete dies in der NS-Diktion die Ermächtigung zur "Behandlung", in Wahrheit jedoch zur Tötung des Kindes.

Das Gutachten für den "Reichsausschuss" unterschrieb Obermedizinalrat Ernst Illing, seit Juli 1942 ärztlicher Direktor der "Wiener städtischen Nervenklinik für Kinder ‚Am Spiegelgrund‘" und einer der Hauptverantwortlichen für die "Kinder-Euthanasie" in Wien. Seine Prognose für Meta Beckers weitere Entwicklung fiel negativ aus: "Das Kind ist bildungsunfähig und wird voraussichtlich nie arbeitsverwendungsfähig werden."

Im November 1943 wurde bei Meta eine Encephalographie, eine Lufteinblasung in die Gehirnkammern zwecks Röntgenaufnahme, vorgenommen, eine riskante und sehr schmerzhafte Untersuchungsmethode. Da sie im Monat zuvor wegen Durchfalls auf "Diätkost-Haferbrei" gesetzt wurde, war ihr Gesundheitszustand ohnehin vermutlich angegriffen.

Marianne Türk verschickte am 1. Dezember 1943 einen auf die Todesnachricht vorbereitenden sogenannten Warnbrief an Amalie Becker: Meta sei an einer schweren Grippe erkrankt. Ihr Zustand sei besorgniserregend. Nur zwei Tage nach dem "Warnbrief" an die Mutter starb Meta Becker am 3. Dezember 1943. Als offizielle Todesursache wurde wie in vielen anderen Fällen "Grippe mit Darm- und Lungenentzündung" angegeben. Im Sektionsprotokoll vermerkte die Ärztin Barbara Uiberrak eine "Diffuse eitrige Bronchitis und Bronchiolitis".

Mit Datum vom 9. Dezember 1943 erhielt Meta Beckers Mutter die Todesnachricht aus Wien. Ihr wurde mitgeteilt: "Das Kind hat im Oktober Masern und einen Darmkatarrh gut überstanden. Am 30.11. erkrankte es an einer fieberhaften Grippe, die schon am 1.12. bedrohliche Formen annahm. Eine Verständigung ging an diesem Tage an Sie ab. Am 2.12. trat eine Lungenentzündung hinzu, der das Kind am 3.12. um 22.30 h erlag. Für das unheilbar kranke Kind konnte der Tod nur eine Erlösung bedeuten und es ist sanft und ruhig eingeschlafen. Assistenzärztin Dr. Marianne Türk".

Das Sterben am "Spiegelgrund" erfolgte systematisch, die Kinder wurden kaum noch ernährt und erhielten überdosierte Medikamente, wie z.B. Luminal, wodurch eine Lungenentzündung herbeigeführt wurde.

Meta Becker sowie die anderen dreizehn Mädchen aus Hamburg mussten sterben, weil sie als "lebensunwert" eingestuft wurden. Ihre Körper wurden für anatomische Forschungszwecke missbraucht; Teile ihrer Gehirne wurden präpariert und konserviert.

1996 erstritten Antje Kosemund, deren Schwester Irma Sperling ebenfalls in Wien ermordet worden war, und Michael Wunder von der Evangelischen Stiftung Alsterdorf die Herausgabe von zunächst zehn Gehirnpräparaten. Diese wurden auf dem Ehrenfeld der Geschwister-Scholl-Stiftung auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg bestattet. Im April 2002 wurden weitere der sterblichen Überreste von etwa 600 Kindern, ebenfalls Opfer der "Euthanasie", in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt.

Zeitgleich wurde auf dem Gelände des heutigen Otto-Wagner-Spitals (ehemals "Wagner von Jauregg – Heil-und Pflegeanstalt der Stadt Wien") eine Dauerausstellung über die Krankenmorde, ihre Hintergründe, Durchführung und Folgen eingerichtet. Seit Ende 2003 erinnern Lichtstelen an die ermordeten Kinder.

Stand: August 2020
© Susanne Rosendahl

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 2406 Nr. 3681/1896 Geburtsregistereintrag Amalie Annine Wilhelmine Bartelt; StaH 332-5 Standesämter 9962 Nr. 392/1888 Geburtsregistereintrag Heinrich Becker; StaH 332-5 Standesämter 6557 Nr. Heiratsregistereintrag Nr. 801/1919 Heinrich Becker/Amalie Annine Wilhelmine Bartelt; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 385, Becker, Meta; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 3. Aufl. Stuttgart 2016, S. 284 ff.; Götz Aly, Die Belasteten, "Euthanasie" 1939-1945, Frankfurt am Main, 2013; Antje Kosemund, Spurensuche Irma, Berichte und Dokumente zur Geschichte der "Euthanasie-Morde" an Pfleglingen aus den Alsterdorfer Anstalten, Hamburg 2005.

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