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Herbert Kopatscheck * 1911
Bachstraße 63 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)
HIER WOHNTE
HERBERT
KOPATSCHECK
JG. 1911
EINGEWIESEN 1914
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT` 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
12.10.1943 HADAMAR
ERMORDET 19.10.1943
Herbert Kopatscheck, geb. 8.9.1911 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 2.3.1914 und am 23.2.1921, abtransportiert am 7.8.1943 in die "Landesheilanstalt Eichberg" in Eltville, weiter verlegt in die "Landesheilanstalt Hadamar" am 12.10.1943, dort ermordet am 19.10.1943
Bachstraße 63 (Barmbek-Süd)
Paul Herbert Kopatscheck (Rufname Herbert) wurde am 8. September 1911 in Hamburg-Barmbek, Schumannstraße 56, geboren. Seine Eltern, der Schuhmachergeselle Karl Paul Kopatscheck, geboren am 1. April 1886 in Strehlen, Kreis Breslau, und Caroline Charlotte, geborene Nawratil, geboren am 22. Juli 1886 in Hussinetz, Kreis Strehlen, hatten am 14. September 1907 in Neuhof, geheiratet. Neuhof gehörte damals zum preußischen Kreis Harburg und erst seit 1. April 1938 zu Hamburg.
Laut Hamburger Adressbuch wohnte die Familie Kopatscheck seit 1914 in der Bachstraße 63 in Barmbek.
Ungeachtet seiner wegen einer Steißlage kompliziert verlaufenen Geburt schien Herbert Kopatscheck seinen Eltern in den ersten vier Lebensmonaten gesund zu sein und sich positiv zu entwickeln. Dann traten Bauchbeschwerden auf, die im Krankenhaus St. Georg behandelt werden sollten. Dort erkannte man zusätzlich syphilitische Symptome und eine Hautkrankheit. Die Ärzte verordneten Herbert eine Schmierkur mit Salvasan und Jod-Natrium.
Im Alter von elf Monaten erlitt er eine Gehirnhautentzündung, in der Folge traten Krampfanfälle auf.
Herberts Mutter war auf dem linken Auge erblindet. Deshalb wurde sie im Oktober 1911, also kurz nach der Geburt von Herbert, in der Poliklinik des Krankenhauses St. Georg behandelt. Während eines Krankenhausaufenthalts ihres Ehemannes vom 8. bis 21. Februar 1912, ebenfalls im Krankenhaus St. Georg, diagnostizierten die Ärzte - wie schon vorher bei seiner Ehefrau - die Geschlechtskrankheit Lues.
Das Ehepaar Kopatscheck hatte schon 1908 und 1909 jeweils ein Kind bekommen, die nicht in den Personenstandsregistern zu finden sind. Am 9. September 1910 wurde als drittes Kind Willi Karl Paul Kopatschek geboren, der bereits – wie später Herbert – bei seiner Geburt mit Lues infiziert war und schon am 13. Oktober 1910 im Krankenhaus St. Georg in Hamburg starb. Nach Herbert kamen am 12. Juli 1913 und auch später noch zwei Brüder zur Welt, die beide gesund gewesen sein sollen.
Herbert Kopatscheck wurde am 2. März 1914 zum ersten Mal in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Wegen eines kindlichen Wasserkopfes (Hydrozephalus internus) wurde eine Lumbalpunktion (Entnahme von Nervenwasser) vorgenommen. 1914 und 1915 waren wiederholt Krankenhausaufenthalte wegen Kopfschmerzen, Angina, Masern, Darmkatarrh, und Grippe erforderlich.
Nach seiner Entlassung auf Wunsch der Eltern am 18. Juni 1920 musste Herbert am 23. Februar 1921 erneut in Alsterdorf aufgenommen werden. Herberts Mutter gab an, dass die im Kleinkindalter aufgetretene Gehirnhautentzündung zur Lähmung der Beine geführt habe. Dr. Gustav Marr, ein niedergelassener Arzt, stellte zudem eine Verkrampfung des linken Armes fest. Der Neunjährige konnte noch nicht stehen, er konnte – so der Arzt – "die Beine nicht strecken und nicht auseinanderbiegen". Erst in diesem Alter habe er auch angefangen, einzelne Wörter zu sprechen und zu zählen. Der Arzt empfahl deshalb die abermalige Einweisung Herberts in Alsterdorf, zumal die Eltern außerstande gewesen seien, das Kind zu betreuen.
Herbert Kopatscheck entwickelte eine undeutliche Sprache. So sagte er zum Beispiel "Breistift", wenn er Bleistift meinte. Er konnte weiterhin nicht laufen, aber allein essen. Im Oktober 1927 beobachtete das Personal bei ihm Krämpfe, verbunden mit Bewusstlosigkeit und Zuckungen in den Gliedern. 1929 überstand er eine schwere Lungenentzündung. Er galt zunächst als ruhig, freundlich und anhänglich. In den 1930er Jahren wurden aber wiederholt Konflikte mit seinen Mitpatienten erwähnt. Obwohl er insgesamt als sauber galt, habe er Hilfe beim Waschen und Zähneputzen benötigt. Geriet er in Streit mit Pflegern, wurde er durch angeordnete Bettruhe "beruhigt".
Die Eltern hielten engen Kontakt zu Herbert. Sie besuchten ihn in der Regel zweimal pro Monat. Er wurde auch öfter zu ihnen beurlaubt.
1930 traf die Familie Kopatscheck ein Schicksalsschlag: Herberts Vater, der im Laufe der Jahre außer als Schuhmacher auch als selbständiger Monteur, Bauarbeiter und Schauermann tätig war, kam am 16. Dezember 1930 bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Es ist nicht überliefert, wie sich dies auf die Lebensumstände der Familie auswirkte, auf jeden Fall bedeutete es einen tiefen Einschnitt.
In den nächsten Jahren wiederholten sich die Berichte über Herbert Kopatscheck im Wesentlichen. Seine Alsterdorfer Patientenakte endet am 7. August 1943 mit einer Notiz des Oberarztes Gerhard Kreyenberg: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Eichberg."
Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in Eltville, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt.
Herbert Kopatscheck gehörte zu den 76 Kindern und Männern, die am 7. August 1943 in die "Landesheilanstalt Eichberg" gebracht wurden.
Davon erfuhr Caroline Kopatscheck, die nach der Ausbombung nach Bayreuth evakuiert worden war, erst im Nachhinein. Sie hatte sich am 18. August 1943 bei der Direktion der Alsterdorfer Anstalten erkundigt, wie es ihrem Sohn ergangen sei. Offensichtlich gaben die Alsterdorfer Anstalten ihr Auskunft über die Verlegung und am 6. September 1943 erkundigte sie sich bei der Direktion der Anstalt Eichberg nach dem Befinden ihres Sohnes. Auf dem Brief notierte man nur in roter Schrift "Hadamar". Caroline Kopatscheck wurde offenbar in dem Glauben gelassen, dass sich ihr Sohn in der "Landesheilanstalt Eichberg" aufhalte. Erst mit Schreiben vom 22. Dezember 1943 erhielt sie eine Mitteilung der "Landesheilanstalt Hadamar", nach der an diesem Tage ein an ihren Sohn geschicktes Paket von der Anstalt in Eichberg eingegangen sei und die Anstalt Hadamar nur dadurch Caroline Kopatschecks Postadresse erfahren habe.
In diesem Brief wurde weiter mitgeteilt, dass Herbert Kopatscheck am 12. Oktober 1943 aus Eichberg in die Landesheilanstalt Hadamar verlegt worden und dort am 19. Oktober 1943 verstorben war. Seine Beerdigung habe "in aller Stille auf dem Anstaltsfriedhof" stattgefunden.
Während der "Aktion T4" bis August 1941 war die Anstalt Eichberg eine der Zwischenanstalten für die Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg an der Lahn, in der die Menschen mit Kohlenmonoxyd ermordet wurden. Nach dem offiziellen Ende der Gasmorde wurde in Hadamar durch Injektionen von Morphium, Einflößen vergifteter Nahrung und/oder systematische Unterernährung weiter gemordet.
Die vom Standesamt Hadamar besiegelte Sterbefallanzeige für Herbert Kopatscheck datiert vom 26. Januar 1944. Darin trat sein Tod am 19. Oktober 1943 ein. Als Sterbeursachen wurden "Geisteskrankheit" und "Darmgrippe" angegeben.
Es ist sicher anzunehmen, dass Herbert Kopatscheck ermordet wurde.
Stand: November 2024
© Ingo Wille
Quellen: Adressbuch Hamburg 1915-1921; StaH 332-5 Standesämter 114178 Geburtsregister Nr. 860/1911 (Paul Herbert Kopatscheck), 11330 Heiratsregister Nr. 7/1907 (Karl Paul Kopatscheck, Caroline Charlotte Nawratil), 9850 Sterberegister Nr. 2405 (Karl Paul Kopatscheck); Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv Sonderakte V 105 (Paul Herbert Kopatscheck). Hamburger Gedenkbuch Euthanasie Die Toten 1939-1945 S. 310. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 299 ff. Verlegt nach Hadamar – Die Geschichte einer NS-"Euthanasie-Anstalt" von Irmgard Gaertner (Vorwort), Bettina Winter (Bearbeitung, Mitarbeiter), Fred H Müller (Bearbeitung), Januar 2002, S. 118 ff.