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Hertha Peters * 1901

Lobuschstraße 32 (Altona, Ottensen)


HIER WOHNTE
HERTHA PETERS
JG. 1901
EINGEWIESEN 1928
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 2.11.1943

Hertha Peters, geb. 31.5.1901 in Altona, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 18.9.1928, "verlegt" am 16.8.1943 nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", dort gestorben am 2.11.1943

Lobuschstraße 32, Ottensen

Hertha Katharina Wilhelmine Peters wurde am 31. Mai 1901 in der Winterstraße 5 in Ottensen, einem Stadtteil der damals noch selbstständigen Stadt Altona, geboren. Sie war das einzige Kind des Fettwarenhändlers Hinrich Peters, geboren am 13. März 1875 in Mittelnkirchen im heutigen Landkreis Stade, und seiner Ehefrau, der Näherin Hermine Mathilde Martha, geborene Ohlendorff, geboren am 6. Mai 1880 in Hamburg. Das Paar evangelischer Konfession hatte am 15. Februar 1901 geheiratet.

Hertha Peters wurde am 25. Juli 1928 durch einen niedergelassenen Arzt in die damaligen Alsterdorfer Anstalten eingewiesen. Zur Begründung führte er aus: "Die Aufnahme der Hertha Peters in die Alsterdorfer Anstalten ist wegen Idiotie mit Epilepsie erforderlich. Nähere Angaben: Patient ist eigensinnig, unruhig, unrein. Leidet zeitweilig an Krämpfen, kann nicht gehen, kann sich nicht aufsetzen, mangelhaft sprechen, aber gut hören und sehen. Körperlich unterentwickelt, ohne organische Fehler außer dem Gehirnleiden."

Bei ihrer Aufnahme berichteten die Eltern, dass Hertha im Alter von einem dreiviertel Jahr wochenlang sehr krank gewesen sei. Der behandelnde Arzt habe damals erklärt, dass der Tod des Kindes wünschenswerter sei als das Überstehen der Krankheit, da das Kind sicher schwachsinnig würde. (Der heute nicht mehr verwendete Begriff "Schwachsinn" bezeichnete eine Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche.) Im Anschluss an die Krankheit seien jedoch nur einmal Krämpfe aufgetreten, dann erst wieder während der Pubertät.

Hertha Peters lebte bis zu ihrer Aufnahme in Alsterdorf bei ihren Eltern. Ob sie eine Schule besucht oder eine ambulante Betreuungseinrichtung besucht hat, ist nicht bekannt.

Als elterliche Adresse wurde bei der Aufnahme in den Alsterdorfer Anstalten die Lobuschstraße 32 in Ottensen vermerkt. Deshalb erinnert an dieser Stelle ein Stolperstein an Hertha Peters. Das Hamburger Adressbuch weist hier das Geschäft von Hinrich Peters aus, als Wohnadresse die nur wenige Schritte entfernte Winterstraße 5. Später wohnte das Ehepaar Peters u.a. in der Lobuschstraße 55. Dort starb am 11. Juni 1940 Hertha Peters‘ Vater an Herzschwäche.

In Hertha Peters‘ Patientenakte notierte das Personal während ihres Aufenthalts in den Alsterdorfer Anstalten wiederholt Krampfanfälle. Kurz nach ihrer Aufnahme wurden bei ihr dauernde Kopfbewegungen beobachtet. Sämtliche "Beuger" (Skelettmuskel, die die Beugung der Gelenke vollziehen) wurden als versteift beschrieben. Ihre Kniegelenke konnte sie nicht strecken. Es hieß, sie müsse vollkommen "besorgt" werden. Das Pflegepersonal beschrieb sie als laut, unruhig und schreckhaft.
Im September 1933 wurde ihr Gewicht mit 45,5 kg angegeben. Mehrmals weisen Aktenvermerke bis Mitte 1936 darauf hin, dass ihr Appetit schlecht sei und sie Nahrung wieder ausspucken würde. Bis September 1935 hatte sie 17,3 kg verloren. In den folgenden Jahren wiederholten sich Berichte über Unruhe, Erregtheit und sehr laute Äußerungen. Hertha habe weiterhin gefüttert und in der Körperpflege vollkommen besorgt werden müssen.

Zwischen dem 24. Juli und dem 3. August 1943 richteten die bis dahin schwersten Luftangriffe verheerende Schäden insbesondere in den östlichen Stadtteilen Hamburgs an. Auch in den anderen Stadtgebieten, u.a. in den Alsterdorfer Anstalten und in Altona, kam es zu massiven Zerstörungen. Die Wohnung von Hertha Peters‘ Mutter in Altona war ebenfalls betroffen. Sie fand eine neue Bleibe in der Lobuschstraße 26 als Untermieterin.

Am 30. Juli 1943 bat Hermine Peters auf einer Postkarte um Auskunft über ihre Tochter. Die Alsterdorf Anstalten antworteten am 6. August 1943, "… teilen wir Ihnen mit, dass es Ihrer Tochter Hertha gut geht. Wenn die Anstalten auch durch den Fliegerangriff betroffen sind, so geht doch alles seinen gewohnten Gang." Tatsächlich nutzte die Anstaltsleitung die Bombenschäden, sich nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Verlegung in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Am 16. August 1943 ging ein Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") ab. Unter ihnen befand sich Hertha Peters. Der Anstaltsarzt Dr. Kreyenberg notierte in Hertha Peters Patientenakte: "wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Wien".

Beim Aufnahmegespräch in der Wiener Anstalt – so ein Vermerk – sei Hertha Peters desorientiert, unrein, pflegebedürftig gewesen. Das Gewicht der inzwischen 42jährigen Frau wurde mit 25 kg notiert.

Wir wissen nicht, wie Hertha Peters‘ Mutter von dem Abtransport ihrer Tochter erfahren hat. Die besorgte Hermine Peters wandte sich am 9. September 1943 mit einem Schreiben an die Direktion der "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" und bat um Auskunft, wie es ihrer Tochter gehe. Sie schrieb an die Direktion der Anstalt:

"Ich Endesunterzeichnete richte an Sie die freundliche Bitte, mir mitzuteilen wie es meiner Tochter Hertha Peters ergeht. Solange sie hier in Hamburg war, habe ich ja jeden Sonntag zu ihr kommen können, leider ist dies ja nun nicht mehr möglich. Und dass mir mein Kind, wo ist unser einziges war, besonders ans Herz gewachsen ist, können Sie sich wohl denken. Die ersten 27 Jahre haben wir sie im Hause gehabt und 14 Jahre hat sie dann ja in der Anstalt zugebracht. Sollte dem Kind mal etwas geschehen, soll sie hierher überführt werden. Ich habe eine Grabstelle für Sie auf Ohlsdorf. Auch bitte ich Sie höflichst mir mitzuteilen, ob es wohl möglich ist, Hertha zu besuchen. In der Hoffnung, dass Sie meiner Bitte Gehör schenken werden, zeichnet Frau H. Peters, Witwe."

Sie erhielt etwa zwei Wochen später folgende Antwort:
"Auf Ihre Anfrage vom 9. d.M. wird Ihnen mitgeteilt, dass Ihre Tochter sich seit dem 17.8.43 in hierortiger Anstalt befindet und hat sich bereits in die geänderten Verhältnisse gut eingelebt. Der geistige und körperliche Zustand ist unverändert. Eine Verlegung in eine andere Anstalt ist derzeit nicht möglich. Einem Besuch ihrer Tochter steht nichts im Wege. Gez. Dr. Podhaysky e.h." (= ehrenhalber)

Der Gewichtsverlust hatte sich mittlerweile fortgesetzt. Am 1. Oktober 1943 wog Hertha Peters nur noch 23 kg. Drei Wochen später, am 10. Oktober, heißt es in der Patientenakte: "Sehr schwach, verfällt stark, seit einigen Tagen leichte Durchfälle."

Hertha Peters starb am 2. November 1943 laut Eintrag im Totenschein an Enterocolitis acuta, Marasmus und Herzschwäche.
Enterocolitis acuta ist die medizinische Bezeichnung für eine Schleimhautentzündung des Dünndarms, Marasmus für eine schwere Erkrankung, die in Folge einer chronischen quantitativen Mangelernährung entsteht.

Aus den verfügbaren Unterlagen ist nicht ersichtlich, wann und auf welchem Weg Hermine Peters von dem Tod ihrer Tochter erfahren hat. Sie telegrafierte noch einmal an die Wiener Anstalt, "Tochter Hertha Peters soll nach Hamburg überführt werden." Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass diesem Wunsch entsprochen wurde. Deshalb ist davon auszugehen, dass Hertha Peters in Wien beigesetzt wurde.

Die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" war während der "Aktion-T4" (Bezeichnung für das "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten, so genannt nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) eine Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Nach dem offiziellen Ende der Euthanasie-Morde in den Tötungsanstalten im August 1941 wurde in bisherigen Zwischenanstalten, auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter gemordet: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheit, vor allem aber durch Nahrungsentzug.
Bis Ende 1945 kamen von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf.

Stand: November 2022
© Ingo Wille

Quellen: 1; StaHH 332-5_1978 Nr. 2251/1880 Geburtsregisterauszug Hermine Mathilde Martha Ohlendorff, 5798 Nr. 33/1901 Heiratsregisterauszug Hinrich Peters/ Hermine Mathilde Martha Ohlendorff, 13681 Nr. 577/1901 Geburtsregisterauszug Hertha Katharina Wilhelmine Peters, 5102 Nr. 733/1940 Sterberegisterauszug Hinrich Peters; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, V 134 (Patientenaktie Hertha Katharina Wilhelmine Peters). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 283 ff., 331 ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Website "Recherche und Quellen".

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