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Gittel Adolf, geb. Offner
© Yad Vashem

Gittel Adolf (geborene Offner) * 1892

Grindelallee 153 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1941 Lodz

Weitere Stolpersteine in Grindelallee 153:
Barthold Goldschmidt, Alfred Hammer, Reisel Hammer, Joseph (Josef) Hammer, Martha Münden, Dr. Max Münden

Gittel Adolf, geb. am 11.4.1892 in Przemysl (Galizien), deportiert am 25.10.1941 nach Litzmannstadt/Lodz, ermordet

Grindelallee 153

"Dieser ist der letzte Tag!" Mit diesen Worten beendeten zwei in Parteiuniform gekleidete Männer im November 1938, kurz nach dem reichsweiten Pogrom gegen die Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich, nicht nur eine beeindruckende Berufskarriere. Sie läuteten zugleich auch das letzte Kapitel im Leben von Gittel Adolf ein.

Gittel war am 11. April 1892 in Przemysl in Galizien geboren worden und hatte mindestens eine Schwester und einen Bruder. Ihr Geburtsname lautete entweder Offner oder Messner, in den heute noch verfügbaren Dokumenten werden beide Namen genannt. Ihre sechs Jahre ältere Schwester Sara Zimmermann lebte mindestens seit 1914 in Hamburg. Auch ihr späterer Ehemann Oskar (Osias) Adolf stammte aus Galizien und war am 17. Oktober 1894 in der heute ukrainischen Stadt Rawa Ruska geboren worden. Die beiden heirateten am 7. Juni 1920 in Lemberg. Das genaue Datum ihres Zuzugs nach Hamburg ist unbekannt, jedoch finden sich in den Unterlagen der hamburgischen Meldebehörden bereits seit 1900 mehrere Kaufleute mit dem Nachnamen Adolf, die aus Przemysl und Rawa Ruska stammten und, zumindest zeitweise, in der Hansestadt wohnten.

Oskar Adolf arbeitete als Kaufmann und betrieb ab 1924 einen Lebensmittelhandel in der Humboldtstraße 54 in Hamburg-Uhlenhorst. 1926 zog er mit dem Laden um, in die heute nicht mehr existierende Jenischstraße 5 in Hammerbrook. Neben dem Verkauf von Eiern, Butter und Fleisch an Einzelkunden tätigte er auch Geschäfte mit der Gastronomie und dem Hotelgewerbe, die der Familie ein sicheres Einkommen und einen relativ hohen Lebensstandard sicherten. Oskar Adolf beschäftigte in seinem Laden einen Angestellten und besaß ein Pferdegespann, mit dem die Waren ausgeliefert wurden. Sowohl Gittel als auch die beiden Kinder, Kurt (geboren am 9. November 1922) und Ethel (geboren am 3. September 1924) halfen im Betrieb mit. 1926 zeigten sich bei Oskar erste Anzeichen einer geistigen Erkrankung. Eine in den Kämpfen des Ersten Weltkriegs erlittene Kopfverletzung brach wieder auf. Oskar litt an zeitweisem Gedächtnisverlust sowie an Sprachstörungen und war ab 1928 nicht mehr in der Lage, sein Geschäft zu führen. Trotz regelmäßiger Behandlungen im Israelitischen Krankenhaus auf St. Pauli trat keine Besserung ein. Ende Oktober 1930 wurde er schließlich mit der Diagnose "Progressive Paralyse" in die geschlossene Abteilung der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg überwiesen. Im Juni 1935 wurde er, bereits stark vom körperlichen und geistigen Verfall gezeichnet, nach Gut Strecknitz bei Lübeck verlegt, wo er seinem Leiden am 16. April 1938 erlag. Beigesetzt wurde er in Hamburg auf dem Jüdischen Friedhof Langenfelde.

Seit der Erkrankung ihres Mannes war Gittel auf sich allein gestellt und übernahm die Leitung des Geschäfts, das bis zur Schließung weiterhin den Namen "O. Adolf – Eierhandlung" trug. Sie sah sich gezwungen, das Pferdegespann zu verkaufen, schaffte es jedoch mit großem Fleiß den Lebensstandard der Familie zu sichern. Dabei erhielt sie Unterstützung aus ihrem Familienkreis. Zwei entfernte Verwandte, Samuel Glücksmann und sein Sohn Arnold, betrieben in der Hammerbrookstraße ebenfalls eine Fettwarenhandlung und standen ihr mit Rat und Tat zur Seite. Auch erwies sich Gittel als äußerst geschickte und erfolgreiche Geschäftsfrau, sodass ihr Betrieb 1930 sogar expandierte. Das Ladengeschäft in der Jenischstraße bediente nur noch Endverbraucher und der neu eröffnete Laden in der Eiffestraße 18 diente dem Weiterverkauf und Großhandel. Die Führung der Zweigstelle übernahm Gittels Schwester Sara.

Da die Leitung der beiden Betriebe und die Erziehung der Kinder Kurt und Ethel viel Zeit in Anspruch nahmen, beschäftigte Gittel eine Haushaltshilfe namens Gisela, die zusammen mit den Adolfs in der Wohnung über dem Geschäft in der Jenischstraße wohnte. Kurt und Ethel begannen früh, ihrer Mutter sowohl bei der Führung des Haushalts als auch bei Arbeiten im Geschäft unter die Arme zu greifen. Ethel beschrieb ihre Kindheit in einem 1997 geführten Interview bis zur "Machtergreifung" der Nationalsozialisten als glücklich. Sie berichtete von Freizeitaktivitäten wie Segeln auf der Alster, Kinobesuchen oder Lageraufenthalten in den Ferien. Die Adolfs wohnten in einer Gegend mit relativ wenigen jüdischen Familien, doch legte Gittel großen Wert auf die jüdische Schulbildung ihrer Kinder. Kurt ging ab 1928 auf die Talmud Tora Schule und Ethel später auf die Israelitische Töchterschule. Die Familie besuchte regelmäßig die Synagoge und feierte gemeinsam mit Gittels Geschwistern jüdische Feste und Feiertage wie Pessach und hielt den Shabbat ein. Lebensmittel kauften sie bevorzugt bei jüdischen Händlerinnen und Händlern im Grindelviertel, sofern sie nicht im eigenen Geschäft vorhanden waren.

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten verschlechterten sich Gittel Adolfs Geschäfte im Laufe der Zeit. Boykottaufrufe und die allgegenwärtige antijüdische Propaganda zeigten Wirkung und viele Kunden mieden ihr Geschäft. Aufgrund der stetig sinkenden Umsätze und dem Entschluss ihrer Schwester Sara, mit ihrer Familie nach Palästina auszuwandern, sah sich Gittel 1936 gezwungen, das Geschäft in der Eiffestraße aufzugeben. In der Hoffnung auf mehr Kundschaft verlegte sie wenig später zudem den Laden und den Familienwohnsitz von der Jenisch- in die Hammerbrookstraße 61. Doch im November 1938 kam, wie bereits erwähnt, das Aus für das Geschäft. Während des Novemberpogroms wurden die Schaufensterscheiben mit dem Schriftzug "Jude" beschmiert und Uniformträger machten Gittel Adolf wenige Tage später unmissverständlich klar, es sei besser für sie, ihr Geschäft aufzugeben. Umgehend schloss sie den Laden und veräußerte die letzten Warenbestände sowie die Ladeneinrichtung.

Trotz der rückläufigen Einnahmen nach 1933 war es Gittel gelungen, über die Jahre hinweg eine erhebliche Summe Geldes zu sparen, das bar im Haushalt lagerte und somit dem Zugriff des NS-Regimes zumindest vorläufig entzogen war. Es war ihr somit möglich, eine 8-Zimmer-Wohnung mit Gemeinschaftsküche und Bad im zweiten Stock der Grindelallee 153 zu mieten. Sechs der Zimmer wurden untervermietet, zwei bewohnte sie mit ihren Kindern. Auch ihre Schwester Sara lebte in der Wohnung, bis sie Deutschland im Juli 1939 endlich verlassen konnte. Die geschäftliche Tätigkeit ließ Gittel ruhen, da ihr die Untervermietung und das Ersparte ein gutes Auskommen sicherten. Lediglich zur Aufbesserung der Lebensmittelversorgung ließ sie hin und wieder alte Kontakte spielen, um zusätzliche Nahrungsmittel zu beschaffen. Trotz der immer schwieriger werdenden Lage, trotz der Verfolgungsmaßnahmen und der Flucht zahlreicher Verwandter, sah Gittel zunächst keinen Grund, selbst auszuwandern. Laut ihrer Tochter fühlte sie sich durch den Status als Witwe eines Frontkämpfers, der seinen im Krieg für das Deutsche Reich erlittenen Verletzungen erlegen war, sicher. Erst nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen im September 1939 dachte sie um und stellte für sich und ihre Kinder zahlreiche Visa-Anträge, die jedoch allesamt abgelehnt wurden.

Anfang 1940 wurde Kurts Klasse an der Talmud Tora Schule aufgelöst, da er der einzig verbliebene Schüler seiner Jahrgangsstufe war. Im März desselben Jahres wurde er vom Arbeitsamt zur Pflichtarbeit herangezogen und arbeitete zunächst in einer Jutefabrik, in der Taue hergestellt wurden, sowie anschließend auf verschiedenen Baustellen im Hamburger Stadtgebiet. In dieser Zeit gelang es Gittel über die amerikanische Botschaft und mithilfe ihres in New York lebenden Bruders Pinkas Messner, 2 US-Visa für Kurt und Ethel zu bekommen. Der Abschied fand am 19. August 1941 statt, wobei Gittel betonte, dass sie fest an ein Wiedersehen glaube. Mithilfe des Joint Distribution Committee, einer seit 1914 vor allem in Europa tätigen Hilfsorganisation US-amerikanischer Juden für jüdische Glaubensgenossinnen und -genossen, reisten Kurt und Ethel über Berlin und den französisch-spanischen Grenzort Hendaye mit dem Zug nach Barcelona. Da die US-Visa zum Zeitpunkt ihrer Ankunft in Spanien jedoch bereits abgelaufen waren, saßen die beiden bis April 1943 dort fest.

Gittel Adolf wurde am 25. Oktober 1941 mit dem ersten Transport Richtung Osten aus Hamburg ins Getto Litzmannstadt deportiert, so hatten die Deutschen Lodz umbenannt. Dort wohnte sie in Wohnung 22 der Hohensteinerstraße 21, zusammen mit den Eheleuten Josef und Reisel Hammer, die bereits in der Grindelallee ihre Untermieter gewesen waren und sich im selben Transport wie sie befunden hatten. Laut Tochter Ethel gab es vor der Deportation noch einen kurzen Briefwechsel zwischen Hamburg und Spanien, in dem Gittel immer wieder ihre Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen betonte und ihre Kinder sogar fragte, was sie ihnen mitbringen könne. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Gittel Adolf rückwirkend zum 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Ihren Kindern Kurt und Ethel gelang 1943 die Reise von Spanien nach Portugal und die anschließende Überfahrt in die USA. Dort kamen sie zunächst bei ihrem Onkel unter. Beide nahmen die amerikanische Staatsbürgerschaft an und Kurt diente als Soldat der US-Marine von Dezember 1943 bis Juni 1946. Anschließend arbeitete er als Angestellter und später als Geschäftsführer eines Juwelierbetriebs in Virginia. Seine Schwester Ethel heiratete und lebt noch heute in Virginia.

Stand: Juli 2017
© Thomas Rost

Quellen: 1; 2; 6; 8; 9; Hamburger Adressbücher 1924-1941; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 13893 und 45396; StaH 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn 21332 Adolf, Oskar; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992e2 Band 3 Liste 1; StaH 741-4; Sternberg, Ethel, Interview 33601, Visual History Archive, USC Shoah Foundation Institute, online abgerufen am Center for Digital Systems der Freien Universität Berlin am 25.4.2014.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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