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Lilli Brann, geb. Appel
© Yad Vashem

Lilli Brann (geborene Appel) * 1898

Museumstraße 18 (Altona, Altona-Altstadt)


HIER WOHNTE
LILLI BRANN
GEB. APPEL
JG. 1898
FLUCHT 1939 HOLLAND
INTERNIERT WESTERBORK
DEPORTIERT 1944
THERESIENSTADT
AUSCHWITZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Museumstraße 18:
Dr. Günther Brann

Dr. Günther Brann, geb. am 22.3.1892, über Italien in die Niederlande geflohen, vom Lager Westerbork deportiert nach Theresienstadt am 4.9.1944, deportiert nach Auschwitz am 16.10.1944, ermordet am 18.10.1944
Lilli Brann, geb. Appel, geb. am 25.2.1898, über Italien in die Niederlande geflohen, vom Lager Westerbork deportiert nach Theresienstadt am 4.9.1944, deportiert nach Auschwitz am 16.10.1944, ermordet

Museumstraße 18
Friedensallee 269, Ottensen

Günther Ottomar Robert Brann, Sohn von Joseph und Blanda Brann, geborene Wolff, stammte aus Berlin, wo er das klassische Köllner Gymnasium besucht hatte. Er studierte Medizin in Berlin und Rostock. Während des Ersten Weltkrieges diente er freiwillig als Lazarettarzt und wurde 1918 zum Arzt approbiert. Zunächst lehrte er als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Universität in Rostock und habilitierte sich an der medizinischen Fakultät für Dermatologie. Dort lernte er die sechs Jahre jüngere Lilli Appel kennen, die eine seiner Studentinnen war. Lilli Appel war am 25. Februar 1898 in Altona als Tochter von Julius Appel und seiner Frau Elise, geborene Gumpertz, geboren worden. Das Paar heiratete. Lilli Brann gab das Medizinstudium auf. 1920 wurde der Sohn Eberhard und am 27. Juli 1925 der Sohn Conrad Max Benedict geboren.

Schließlich zog die Familie nach Altona in die Schillerstraße 40 zu Dr. Julius Appel, dem erkrankten Vater von Lilli Brann. Günther Brann übernahm dessen hautärztliche Praxis in den Colonnaden, Hamburg. Nach dem Tod von Julius Appel 1927 wurde das Haus in der Schillerstraße verkauft. 1930 eröffnete Günther Brann im zweiten Stock der Museumstraße 18, im Südflügel des Kaiserhofgebäudes, in unmittelbarer Nähe des Altonaer Bahnhofs und gegenüber dem Stuhlmannbrunnen, eine Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten, wo Familie Brann auch wohnte. Außerdem war er als leitender Oberarzt am Harburger Krankenhaus tätig.

In der Familie spielte die jüdische Herkunft keine Rolle mehr. Günther Brann und seine Frau hatten sich taufen lassen. Conrad Max Brann erinnerte sich: "Mein Elternhaus war nicht jüdisch im religiösen Sinne. Obwohl wir jüdische Verwandte hatten und sie sehr gerne besuchten, waren das jüdische Verwandte, wohingegen wir uns nicht als Juden empfanden. Ich wusste, dass wir unter der jüdischen Verfolgung zu leiden hatten. Aber deshalb wurde ich in eine nichtkonfessionelle Schule geschickt, in die Steinerschule [Flottbeker Chaussee 101, heute Elbchaussee]. Und übrigens wussten auch meine Mitschüler nicht, dass ich jüdischer Abstammung bin und das sollten sie auch nicht wissen zu der Zeit."

1933 entzog die kassenärztliche Vereinigung Altona Günter Brann wegen seiner jüdischen Herkunft die Zulassung. Einen Monat später verlor er auch seine Stellung am Harburger Krankenhaus. Das am 7. April 1933 erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums sah die Entlassung "nichtarischer" Beamter vor.

Günther Brann war laut Eintrag im Altonaer Adressbuch 1933 bis 1935 noch als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten in einer Praxis in der Großen Bergstraße 254 tätig, 1936 in einer Praxis in der Schillerstraße 27. 1934 musste die Familie in den dritten Stock einer kleinen Mietwohnung in der Friedensallee 269 umziehen. Sohn Eberhard besuchte seit 1933 ein von den Quäkern unterhaltenes Internat in den Niederlanden.

Conrad Max Brann schilderte seinen Vater als "ein bisschen preußisch". "Während die Mutter als Altonaerin recht weltoffen war, war der Vater als bewusster Berliner und Preuße recht deutsch-national." Der Vater sei "sehr kultiviert" gewesen, habe Geige gespielt und Goethes "Reise nach Italien" geliebt. "Aber das hat ihn leider dazu verleitet, nach Italien auszuwandern. Das war eben sein größter Fehler."

Nachdem seine berufliche Existenz zerstört war, entschloss sich Günther Brann zur Emigration. "Mein Vater studierte in Neapel und Rom seit 1933, machte die notwendigen Prüfungen, um als Facharzt in Italien praktizieren zu können." Am 2. Juni 1936 verließ er Deutschland endgültig, um in Rom eine neue Existenz aufzubauen. Seine Frau hatte inzwischen in Bahrenfeld eine Lehre in einem Reisebüro abgeschlossen und arbeitete in der Branche, um sich und ihren Sohn zu ernähren; zudem konnte sie auf diese Weise Freifahrkarten ins Ausland bekommen. Nachdem Günter Brann 1937 eine Praxis in Rom eröffnet hatte, folgte ihm Lilli Brann mit Conrad Max. Ab Juni 1937 lebte die Familie in Rom in der Via Adige 70.

Doch schon bald, nachdem sich das Bündnis zwischen Hitler und Mussolini gefestigt hatte, waren die Branns auch in Italien von der nationalsozialistischen Judenverfolgung bedroht. Kurz vor Kriegsbeginn schickten die Eltern den dreizehnjährigen Conrad Max mit dem Zug von Rom zu einem Cousin nach Paris, von wo ihn ein Onkel nach London brachte. Eberhard hatte schon 1938 von den Niederlanden aus in die USA emigrieren können. Die Eltern selbst reisten nach Amsterdam, um von dort per Schiff Europa zu verlassen. Doch der Kriegsbeginn vereitelte die Pläne. Die Niederlande wurden besetzt.

"Wieder bedroht in ihrer Existenz, beschlossen meine Eltern in die USA auszuwandern, wo Cousins meines Vaters in zweiter Generation lebten. Doch die Visa, die sie aus Amerika bekommen hatten, wurden vernichtet, als kurz nach Beginn des Krieges in den Niederlanden Bomben fielen. Sie kamen nicht mehr aus Europa raus. Kurz nach der Besetzung des Landes waren sie gefangen, sozusagen, und mussten untertauchen, und zwar in Amsterdam selbst, und wurden von hochherzigen Holländern beschützt. In diesen ganzen Jahren hatten meine Eltern noch versucht mit uns zu korrespondieren, über das Rote Kreuz; ganz seltene Briefe kamen dann an."

Mehr als drei Jahre lang lebte das Ehepaar in einem Versteck im Untergrund, bis es verraten wurde. Am 20. Mai 1943 wurden Günther und Lilli Brann in Westerbork interniert, dem von den nationalsozialistischen Besatzern genutzten zentralen Durchgangslager für die Deportation. Jeden Dienstag verließ ein Güterzug Westerbork und deportierte Juden in die Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und Sobibor. Insgesamt wurden von 1942 bis 1944 mehr als 107.000 Juden und Jüdinnen aus Westerbork per Zug deportiert. Das Ehepaar Brann wurde am 4. September 1944 nach Theresienstadt, von dort am 16. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert.

Wie sein Sohn Conrad Max Brann in Erfahrung brachte, erschoss ein Wachmann seinen Vater am 18. Oktober 1944. Otto Wolken, ehemaliger Häftlingsarzt im Quarantänelager von Auschwitz-Birkenau, Zeuge im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 bis 1965 gegen Mitglieder der Lagermannschaft, erstattete auf der Grundlage von Augenzeugenaussagen einen Bericht:
"Das Kommando, das mit Abladen und Einladen von Kartoffeln beschäftigt war, bestand zum größten Teil aus jungen Männern. Es war uns bereits während einiger Tage aufgefallen, dass aus diesem Kommando fortlaufend eine sehr große Zahl misshandelter Menschen in die Ambulanz kam, um ihre Wunden verbinden zu lassen. Hierüber wurde dem Lagerarzt Meldung erstattet, was jedoch, wie immer, folgenlos blieb. Bei dem Kommando arbeitete auch der Dozent der Dermatologie an der Universität Rostock, Dr. Günther Brann. Er trug eine goldene Brille, was dem Aufsicht führenden SS-Mann auffiel. Dieser nahm ihm darauf die Brille ab. Dozent Brann, der sehr kurzsichtig war, bat den SS-Mann darauf, ihm die Brille, ohne die er nicht sehen und seine Arbeit unmöglich ausführen konnte, behalten zu dürfen. Seine Bitte wurde mit Ohrfeigen und Tritten beantwortet. Das war für den Kapo des Kommandos das Signal, seinerseits über den Dozenten herzufallen. So oft Brann auf dem Weg zum Kartoffelbunker am Kapo vorbeiging, schlug letzterer ihm mit einem Stock auf den Kopf, den Rücken, und wo er ihn auch nur treffen konnte, so lange, bis Brann zusammenbrach. Als er wieder aufstand und erneut geschlagen wurde, entriss er dem Kapo den Stock und schleuderte ihn weg. Darauf zog der SS-Mann seine Pistole und schoss Brann nieder."

Auch Lilli Brann wurde in Auschwitz ermordet.

Stand September 2015

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 4; 5; 8; AB Altona 1929, 1937; FZH/WdE 491T, Conrad Max Benedict Brann; Gespräch und Korrespondenz mit Conrad Max Bennedikt Brann, Oktober 2008, übersetzt von der Autorin; Aussage von Otto Wolken, Lagerarzt in Auschwitz, Besitz Conrad Max Brann; v. Villiez, Mit aller Kraft, S. 234f.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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