Namen, Orte und Biografien suchen
Bereits verlegte Stolpersteine
Suche
Günther Brenneisen * 1935
Bahrenfelder Kirchenweg 51 (Altona, Bahrenfeld)
HIER WOHNTE
GÜNTHER BRENNEISEN
JG. 1935
EINGEWIESEN 1943
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
"KINDERFACHABTEILUNG"
ERMORDET 24.9.1943
Günter/Günther Brenneisen, geb. am 6.3.1935 in Altona, 1937 eingewiesen in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), am 7.8.1943 "verlegt" in die Heil- und Pflegeanstalt Eichberg im Rheingau, ermordet am 24.9.1943
Bahrenfelder Kirchenweg 51 (Bahrenfeld)
Günter Brenneisen kam am 6. März 1935 in der damals noch selbstständigen Stadt Altona als Günter Schröder in schwierigen Verhältnissen zur Welt, die ihm in seinem nur achteinhalb Jahre währenden Leben keine gedeihliche Entwicklung ermöglichten.
Sein Vorname wurde auf dem Geburtsregistereintrag "Günter", auf dem Sterberegistereintrag "Günther" geschrieben.
Günters Mutter Anna Dorothea Schröder, geborene Brenneisen, war am 26. Juni 1903 in Kiel geboren worden. Sie besuchte die Schule von September 1916 bis Ostern 1918, also nur etwa 1½ Jahre. Die Rektorin der Schule führte ihre ungünstigen Schulnoten auf mangelhafte Ernährung sowie die ungenügende Versorgung mit Lehrkräften und Räumen infolge der Verhältnisse während des Ersten Weltkrieges zurück. Anna Schröder heiratete den 1904 geborenen Arbeiter Willi Schröder. Es ist nicht bekannt, wann und wo die Eheschließung stattfand, auch nicht, wann sich beide in Hamburg niederließen. Das Ehepaar bekam 1929 eine Tochter und 1930 einen Sohn.
Anna Schröder scheint schon 1933 nicht mehr mit ihrem Ehemann zusammen gelebt zu haben. Ab Dezember 1933 wohnte sie in der heute nicht mehr existierenden Friedrichsbader Straße 28 in der Nähe der Straße Kleine Freiheit im Stadtteil St. Pauli. Die Ehe wurde 1934 geschieden. Beide ehelichen Kinder blieben bei dem Vater und lebten mit ihm in Winsen/Luhe.
Günter Brenneisen, der zunächst den Nachnamen Schröder erhalten hatte, kam nach seiner Geburt am 6. März 1935 in der Diakonischen Mütter- und Säuglingseinrichtung Haus "Daheim" der Großstadtmission am Bahrenfelder Kirchenweg 51 unter. Seine Mutter lebte in einer der Einrichtungen in der Norderstraße 23 in Altona (Städtisches Altenheim oder Städtische Heil- und Pflegeanstalt). Wir wissen nicht, ob Mutter und Sohn überhaupt je zusammengelebt haben.
Der von Anna Schröder geschiedene Willi Schröder bestritt die Vaterschaft für Günter. Dessen leiblicher Vater war ein 1892 in Kiel-Gaarden geborener Händler. Sein Name ist uns nicht bekannt. Da Anna Schröder mit ihm nicht verheiratet war, erhielt Günter nun als Nachnamen den Geburtsnamen seiner Mutter: Brenneisen. Auch sie nahm diesen Namen wieder an.
Schon im November 1936 ersuchte das Mütterheim am Bahrenfelder Kirchenweg das Jugendamt Altona um Günters anderweitige Unterbringung, angeblich wegen Platzmangels. Günter fand daraufhin am 11. Januar 1937 Aufnahme im Landpflegeheim Altona-Blankenese, Tinsdaler Kirchenweg 54-58. Drei Wochen später, am 2. Februar, wurde er erneut verlegt, diesmal laut Jugendamtsakte in das Auguste-Viktoriastift in Altona (gemeint ist vermutlich das Augusten-Stift für die Pflege weiblicher Siechen in der früheren Steinstraße 40, heute Hospitalstraße) in Altona-Altstadt.
Im Mai 1937 – Günter war zwei Jahre und zwei Monate alt – stellte der Altonaer Amtsarzt Dr. Schmidt fest, "die Aufnahme des Patienten in die Alsterdorfer Anstalten ist wegen Imbezillität erforderlich." Anna Brenneisen hielt sich zu dieser Zeit im Elisabeth-Krankenhaus in der Schäferkampsallee in Hamburg-Eimsbüttel auf, ob als Patientin oder als Angestellte, ist nicht bekannt. (Imbezillität ist ein nicht mehr gebräuchlicher Ausdruck für eine mittelgradige geistige Behinderung.)
Am 11. Mai 1937 wurde Günter Brenneisen schließlich in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Hier wurde er als ein körperlich seinem Alter entsprechend entwickeltes Kind mit gut entwickelter Muskulatur beschrieben. Er habe jedoch bei seiner Aufnahme weder gehen noch sprechen können und habe noch eingenässt. Als "seelischer Befund" wurde vermerkt, das Kind könne mit zwei Jahren zwar fixieren, es greife nach vorgehaltenen Gegenständen, äußere aber keine Freude. Inwieweit die beschriebenen Defizite aus mehrfachen Heimwechseln, fehlender kontinuierlicher Bezugsperson und mangelnden Lernanregungen resultierten oder aber das Ergebnis körperlicher oder geistiger Behinderungen waren, blieb unerörtert. Der wenige Wochen nach Günters Aufnahme in Alsterdorf gezeichnete Stammbaum hebt dagegen besonders Günters leiblichen Vater als "Potator" (Trinker) und andere "unehelich geborene Verwandte" hervor.
Günter Brenneisen litt während seines Aufenthalts in Alsterdorf immer wieder an Krankheiten, u. a. an Masern, Grippe, Mittelohrentzündung, Diphterie und Scharlach. So wurde die Mutter im Mai 1940 gebeten, von einem Besuch ihres Sohnes abzusehen, weil er erkrankt sei.
Nach einer Notiz vom Oktober 1940 konnte Günter Brenneisen nun laufen. Es ist nicht vermerkt, wann er diese Fähigkeit erlangt hatte. Zwei Jahre später, im Oktober 1942 wurde über weitere Fortschritte berichtet: "Pat.[tient] ist ein freundliches, zutrauliches Kind, Fremden gegenüber etwas scheu. Er ist ruhig u. verträglich, spielt gern u. hilft auch gern. Er spricht alles, ist selbständig im Essen u. ist sauber und trocken." Im November 1942 hieß es: "Pat. ist unverändert, nur in letzter Zeit im Umgang mit seinen Kameraden etwas kecker geworden. Er nimmt ihnen Spielzeug, das ihm gefällt, fort und wehrt sich, wenn die Kinder es zurückfordern." Die Patientenakte endet ohne weitere Einträge am 6. August 1943 mit der Notiz: "Verlegt, da die Alsterdorfer Anstalten zerstört sind. gez. Dr. Kreyenberg"
Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt.
Am 7. August 1943 wurden zusammen 128 Mädchen, Jungen und Männer in die Heil- und Pflegeanstalt Eichberg im Rheingau (76) und in die Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof bei Idstein (52) abtransportiert.
Von den nach Eichberg geschickten 28 Kindern der Alsterdorfer Anstalten kamen 20 sofort in die sog. Kinderfachabteilung. Unter ihnen war Günter Brenneisen.
Der allgemeine Begriff "Kinderfachabteilung" wurde im nationalsozialistischen Deutschen Reich als beschönigende Bezeichnung für besondere Einrichtungen der Psychiatrie in Krankenhäusern sowie in Heil- und Pflegeanstalten verwendet, die der "Kinder-Euthanasie" dienten, also der Forschung an und Tötung von Kindern und Jugendlichen, die körperlich oder geistig als schwer behindert galten.
Mit Ausnahme eines Kindes, dessen Todestag nicht bestimmt werden konnte, wurden alle Kinder zum 15. Oktober 1943 ermordet. Günter Brenneisen starb am 24. September 1943 in Eichberg, laut Eintrag in das Sterberegister an "Herz- und Kreislaufschwäche durch Durchfälle bei Gehirnleistungsschwäche".
Stand: April 2023
© Ingo Wille
Quellen: Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, Patientenakte V38 (Günter Brenneisen); Stadtarchiv Eltville/Rheingau, Sterberegisterauszug Günter Brenneisen; Stadtarchiv Kiel, Geburtsregisterauszug Nr. 1960/1913 (Anna Dorothea Brenneisen), Standesamt Erbach (Rheingau) Sterberegisterauszug Nr. 562/1943 (Günter Brenneisen). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff., S. 299 ff.