Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Grabstätte der histologischen Präparate auf dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, Grablage: Bo 73, Nr. 155
Grabstätte der histologischen Präparate auf dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, Grablage: Bo 73, Nr. 155
© Privatbesitz

Gerda Behrmann * 1939

Langenhorner Chaussee 560 (Hamburg-Nord, Langenhorn)


ERMORDET IN DER
"KINDERFACHABTEILUNG"
DER
HEIL- UND PFLEGEANSTALT
LANGENHORN

GERDA BEHRMANN
GEB. 7.1.1939
ERMORDET 8.8.1941

Weitere Stolpersteine in Langenhorner Chaussee 560:
Uwe Diekwisch, Peter Evers, Elke Gosch, Claus Grimm, Werner Hammerich, Marianne Harms, Hillene Hellmers, Helga Heuer, Waltraud Imbach, Inge Kersebaum, Hella Körper, Dieter Kullak, Helga Liebschner, Theo Lorenzen, Jutta Müller, Ingrid Neuhaus, Traudel Passburg, Edda Purwin, Angela Quast, Erwin Sänger, Hermann Scheel, Gottfried Simon, Monika Ziemer

Gerda Behrmann, geb. am 7.1.1939 in Hamburg, getötet am 8.8.1941 in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn"

Asklepios-Klinik Nord-Ochsenzoll, Henny-Schütz-Allee, Gedenkort Haus 25, Einfahrt Langenhorner Chaussee 560

Gerda Behrmann kam am 7. Januar 1939 in Hamburg als fünftes Kind von Anni, geb. Höppner, und dem Lokomotivführer Hans Behrmann zur Welt. Eines ihrer Geschwister, ihr 1935 geborener Bruder Hans, ein Zwillingskind, war bereits mit vier Monaten nach einer Nabelbruchoperation und hinzugetretener Lungenentzündung in der Eppendorfer Klinik verstorben. Gerdas Geburt verlief ohne Komplikationen, mit einem Gewicht von 2 kg war sie untergewichtig.

Bald nach ihrer Geburt glaubten die Eltern, bei ihr körperliche und geistige Mängel festgestellt zu haben. Gerda wuchs zunächst bei ihnen und ihren Geschwistern in Hamburg-Eidelstedt in der Reichsbahnstraße auf. Sie wurde evangelisch getauft. Im ersten Jahr soll sie viel geschlafen haben; sie konnte nicht richtig schlucken und hatte keine Ansätze zum Sprechen gezeigt.

Ernsthaft erkrankte sie Weihnachten1940. Sie soll erhebliches Fieber gehabt und sich immer auf die Fingerspitzen gebissen haben. Daraufhin ließen die Eltern den praktischen Arzt Dr. Schwarzenberg aus Eidelstedt, Furtweg, kommen. Nach Aussagen der Eltern nach Kriegsende soll er das Kind besehen, es dann einfach ins Bett zurückgeworfen und geäußert haben, das Kind sei rachitisch, da gebe es wenig Hoffnung, dass es jemals gesund werden würde. Nach Aussage der Mutter sagte er wörtlich: "Es hat keinen Zweck etwas zu tun."

Als Anni Behrmann im Mai 1941 mit dem sechsten Kind hochschwanger war, hatte das Ehepaar große Bedenken. Die Pflege von Gerda würde nach der Niederkunft während des Wochenbettes schwer werden und eine Behandlung allein durch einen Hausarzt würde ihnen nicht weiterhelfen. Es sei wohl am besten, wenn Gerda zu einer gründlichen Untersuchung und Behandlung in eine Klinik käme. Nach der Geburt des sechsten Kindes ging Hans Behrmann zu Dr. Schwarzenberg und bat um ihre Einweisung.

So brachte der Vater die zweijährige Gerda am 21. Mai 1941 in die "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn". Ihre Mutter lag noch im Krankenhaus im Wochenbett. Friedrich Knigge, leitender Arzt der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn", schrieb am 23. Juni 1941 einen Bericht an den "Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden". Für ihn handele es sich nach dem körperlichen Befund bei Gerda um ausgebildete Merkmale des "Mongolismus" (Down-Syndrom). Die geistige Entwicklung habe mit zweieinhalb Jahren kaum die Stufe eines halbjährigen Kindes erreicht: "[…] es spricht nicht, es kann allein weder stehen noch gehen und es führt im Grunde noch das rein vegetative Dasein der ersten Lebensmonate. Für seine Umgebung äussert es kein Interesse, seine gewohnheitsmässige Affektlage ist Stumpfheit oder Unlust, die leicht in Zorn übergeht. Berücksichtigt man schliesslich noch den Mangel an sinnvollen Ausdrucksbewegungen und Gefühlsäusserungen, so kann das Bestehen einer mongoloiden Idiotie nicht zweifelhaft sein".

Bezugnehmend auf angebliche Äußerungen der Eltern schrieb er weiter, die "Eltern sind mit jeder Behandlung einverstanden und würden es nicht bereuen, wenn das Kind ‚von allem erlöst wäre‘". Er erklärte: "trage ich keine Bedenken, eine Behandlung einzuleiten." Die "Behandlung" bedeutete die Tötung von Gerda Behrmann mit einer Spritze, einer Überdosierung Luminal. Die letzten Eintragungen von Friedrich Knigge erfolgten am 8. August 1941 nach der "Behandlung": "8.VIII.41. Hat Temperatur von über 39°. Atmung, cyanotische Verfärbung des Gesichtes. Über den Lungen z.T. […] R.G" (Rasselgeräusch), "12:00 Uhr exitus letalis" (tödlicher Ausgang).

Gerda Behrmann wurde in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" getötet. Am 8. August 1941 verstarb sie um 12:00 Uhr in Haus M 7, Abteilung F. In der Todesbescheinigung gab Knigge als Todesursache "Mongoloide Idiotie, Bronchopneunomie" (Down-Syndrom, Lungenentzündung) an. Dr. Friedrich Ofterdinger, Generalkommissar für das Gesundheitswesen, zeichnete sie ab und fügte den Stempel der Gesundheitsbehörde hinzu.

Knigge tötete mit Luminal-Injektionen, einem Schlafmittel. Fieber und eine Lungenentzündung waren die Folge; die Kinder erlitten einen langsamen und qualvollen Tod. In den meisten Todesbescheinigungen, wie auch bei Gerda, deutet der Zusatz "Bronchopneumonie" auf diese Tötung hin.

Gerda wurde 2 Jahre, 7 Monate und 1 Tag alt.

Ihre Eltern wurden zweieinhalb Stunden später per Telegramm benachrichtigt. Hans Behrmann fand seine Ehefrau zu Hause weinend mit dem Schreiben der Klinik vor, auf dem lediglich die Worte standen: "Gerda verstorben".

Es ist davon auszugehen, dass kein Einverständnis der Eltern eingeholt worden war, als Gerdas Körper zu wissenschaftlichen Untersuchungen freigegeben wurde. Im Sektionsprotokoll der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn" ist am 9. August 1941 verzeichnet: "Bronchopneumonische Infiltrate", "Gehirn zur Conservierung abgegeben". Es wurde der neuropathologischen Forschung im Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf übersandt. Die Todesursache erfuhren die Eltern nicht. Der Vater ließ Gerdas Leiche aus dem Krankenhaus auf den Friedhof nach Eidelstedt überführen.

In der Zeugenaussage nach dem Krieg am 15. Januar 1948 äußerte Hans Behrmann vor dem Untersuchungsrichter beim Landgericht Hamburg, dass Dr. Schwarzenberg als behandelnder Arzt bei der Einweisung von Gerda in keiner Weise zu erkennen gegeben habe, dass dem Kind irgendwie Sterbehilfe gegeben werden könnte, auch habe er nie einen solchen Wunsch geäußert.

Einige Zeit nach der Aufnahme habe Friedrich Knigge in einem Gespräch mit den Eltern gefragt, ob sie mit einer Operation oder einem Eingriff einverstanden sein würden. Dieser Eingriff sollte zu einer Gesundung des Kindes führen. Hans Behrmann war es im Nachhinein so, als ob er noch sagte, dass die Operation auf Leben und Tod ginge. Nach Anni Behrmanns Erinnerung habe der Arzt gesagt, "daß er was in die Wege leiten werde. Es könnte zum Guten aber auch zum Bösen auslaufen, […]. Ich kann nur soviel sagen, dass wir doch gehofft haben, daß Gerda gesund werden würde."

Oberschwester Elsa Küchelmann arbeitete damals auf der Abteilung F 7. Sie erinnerte sich am 21. Januar 1948 vor dem Landgericht Hamburg als Zeugin an Gerda Behrmann: "Ganz genau erinnere ich mich an die kleine Gerda Behrmann. Das Kind war sehr lebhaft und sehr niedlich und die Oberschwester Scheidies und ich haben das Kind des öfteren zu uns genommen und mit dem Kind gespielt. An einem Vormittag forderte mich Dr. Knigge auf, ihm das Kind auf das Untersuchungszimmer zu bringen. Ich mußte ihm das Kind auf das Untersuchungsbett setzen. Er forderte mich sodann auf das Zimmer zu verlassen. Dieser Aufforderung war mir außerordentlich auffällig, denn es war ja etwas außergewöhnliches, daß eine Schwester den Arzt bei der Untersuchung nicht assistiert. Als ich draußen war, hörte ich nach einer Weile das Kind sehr schreien und weinen. Nach wenigen Minuten klingelte Dr. Knigge und als ich hereinkam, sagte er mir, ich könne das Kind wieder mitnehmen. Ich sagte sofort zu der Oberschwester Johanna Scheidies ‚Was mag er bloß mit dem Kind gemacht haben, daß es so schrie?‘ Wir haben uns gemeinsam das Kind ganz genau angesehen und glaubten einen Einstich an der Hüfte feststellen zu können. Körperlich war das Kind völlig gesund. Nach etwa 1 1/2 Stunden schlief das Kind ein und schlief durch bis zum Vormittag des anderen Tages. Gerda erhielt noch weitere zwei Male im Abstand von 1 bis 2 Tagen auf diese Weise eine Spritze von Dr. Knigge. Am Morgen nach der letzten Spritze war sie bereits schon von der Station fortgebracht worden. […] Die Oberschwester Hanna Scheidis hatte mir weinend die Todesnachricht übermittelt. Die Oberschwester Scheidis hing genauso wie ich an dem Kind. Die Oberschwester Scheidis und ich haben uns über den Fall anschließend unterhalten und kamen zu der Annahme, daß das Kind von dem Arzt irgendwie eine Spritze erhalten haben müsse. Außerlich war an dem Kind nie etwas festzustellen, bis auf die eine Stelle an der Hüfte. Ich selbst habe im Untersuchungszimmer des Arztes nachgesehen, ob ich etwas finden würde, um Aufschluß darüber zu erhalten, was mit dem Kinde vorgefallen war."

Auch Schwester Sophie Pertzel hatte die kleine Gerda gern, weil sie "so niedlich" gewesen sei. Am 4. Februar 1948 erinnerte sie sich als Zeugin vor dem Untersuchungsgericht, dass sie Gerda, nachdem sie mittags von ihr gefüttert wurde und sie gut gegessen habe, zu Friedrich Knigge ins Untersuchungszimmer brachte. Nach der "Untersuchung" spuckte sie das Essen aus und schlief dann auffällig lange. Als sie den Arzt später darauf aufmerksam machte, äußerte er: "Ach, lassen Sie man, das schläft sich zurecht." "Das Kind ist gestorben, ich kann aber nicht mehr sagen nach wieviel Tagen der Tod eingetreten ist."

Der Mediziner Marc Burlon machte im Jahre 2006 eine erschreckende Entdeckung: Im Keller des Universitätskrankenhauses Eppendorf, in der neuropathologischen Sammlung, fand er die histologischen Präparate von Gerda Behrmann zusammen mit denen der Kinder Werner Hammerich, Marianne Harms und Dieter Kullak, alle Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen in der "Kinderfachabteilung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn", und Agnes Erna Petersen (Biographie siehe www.stolpersteine-hamburg.de), Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen in der "Kinderfachabteilung" des Kinderkrankenhauses Rothenburgsort.

Am 15. September 2012 wurden diese im Rahmen einer öffentlichen Trauerfeier zusammen auf dem Friedhof Ohlsdorf, auf dem Ehrenfeld für Verfolgte der NS-Herrschaft der Geschwister-Scholl-Stiftung, bestattet, Grablage Bo 73, Nr. 155.

Stand: Januar 2023
© Margot Löhr

Quellen: StaH, 213-12 Staatsanwaltschaft, 0013 Bd. 060 Sonderakte Bd. 40, Schirbaum, Gottfried u. a., Akte 28548, 0017 Bd. 001, Bayer Dr. Wilhelm, u. a., S. 69, 130, 156–158, 181 f., 186; StaH, 332-5 Standesämter, Sterbefallsammelakten, 64155 u. 459/1941 Gerda Behrmann; StaH, 332-5 Standesämter, Sterberegister, 9925 u. 459/1941 Gerda Behrmann; StaH, 352-5 Standesämter, Todesbescheinigungen, 1941 Sta 1b Nr. 459 Gerda Behrmann; StaH, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01 Nr. 27 Akte 28548; Standesamt Hamburg 7b, Geburtsregister, Nr. 4/1939 Gerda Behrmann; Hildegard Thevs: Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort. Biographische Spurensuche, Hamburg 2011, S. 204 (Agnes Petersen); Friedrich Knigge, http://www.hamburg.de/clp/dabeigewesene-suche/clp1/ns-dabeigewesene/onepage.php?BIOID=12&qN=Knigge, eingesehen am 16.3.2022.

druckansicht  / Seitenanfang