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Martin Bellmer, ca. 1942, Zuchthaus Celle, Gefangenenpersonalakte
© Hauptstaatsarchiv Hannover

Martin Bellmer * 1906

Kottwitzstraße 8 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


1936 - 1942 mehrfach verhaftet
Zuchthaus Dreibergen-Bützow
verstorben an Haftfolgen
05.07.1945

Martin Bellmer, geb. am 29.10.1906 in Rotterdam, gestorben am 5.7.1945 in Bützow

Kottwitzstraße 8 (Blücherstraße 8)

Martin Bellmer wurde 1906 als ältester Sohn von zwei Söhnen des Schiffsingenieurs Johann Bellmer und der Mathilde, geb. Jonske, in Rotterdam geboren. Vier Schwestern starben gleich nach der Geburt. Seit 1910 lebte die Familie in Hamburg. Die Oberrealschule an der Bogenstraße verließ er in der Untersekunda. Anschließend ging er bei einem Zahntechniker in die Lehre, jedoch musste er die Ausbildung nach einem Jahr abbrechen, weil seine Eltern in finanzieller Not waren. Martin Bellmer absolvierte dann eine zweieinhalbjährige kaufmännische Lehre. In Hamburg und Berlin arbeitete er als Kaufmann. 1930 eröffnete er mit seiner Mutter ein Geschäft für Strumpf-, Weiß- und Kurzwaren in der Grabenstraße 14 in Hamburg-St. Pauli. Bereits nach einem Jahr übergaben sie das Geschäft an Martin Bellmers Freund Otto Rettberg, geb. 1907. Mit ihm eröffnete er eine Schankwirtschaft in der Eimsbütteler Straße. Das Lokal entwickelte sich zu einem Homosexuellentreffpunkt. Im Frühjahr 1933 wurde das Lokal geschlossen. Noch einmal, im Dezember 1937, wurde er Teilhaber eines Gastwirtschaftsbetriebes in dem "anders veranlagte Personen verkehrten", aus dem er sich aber "aus eigener Vernunft", wie er später zu seiner Verteidigung anführte, "sehr bald wieder" zurückzog. Bis zum Kriegsbeginn arbeitete der Gastwirtsgehilfe Martin Bellmer dann als Zigarettenverkäufer, u. a. im Ballhaus Alkazar auf der Reeperbahn. Im Dezember 1939 wurde er zum Wehrdienst eingezogen und gehörte bis zum 5.1.1942 der Heeresbauabteilung 232 an. Danach wurde er als Hilfsarbeiter bei der Rüstungsfirma Heidenreich & Harbeck in Barmbek dienstverpflichtet.

Außer zwei Vorstrafen wegen Diebstahls im Jahr 1926 und 1932 sowie einer fahrlässigen Brandstiftung 1935, wo er im Materialraum des Ballhauses Alkazar aus Unachtsamkeit einen Brand auslöste, wurde Martin Bellmer fünfmal wegen seiner homosexuellen Veranlagung bestraft. 1929 saß er drei Monate in Haft wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und tätlicher Beleidigung nach §§ 183, 185. Vom 20. November bis 22. Dezember 1936 saß er in "Schutzhaft" im KZ Fuhlsbütttel und anschließend bis zum 16. Februar 1937 wegen eines schwebenden Verfahrens nach § 175 in Untersuchungshaft. Er war verdächtigt, u. a. mit seinem Freund Otto Rettberg in sexueller Beziehung gestanden zu haben, was ihm seinerzeit aber nicht nachgewiesen werden konnte. Fast genau ein Jahr später, im Februar 1938, wurde er erneut wegen des Verdachts, "widernatürliche Unzucht" begangen zu haben, in Untersuchungshaft genommen. Ein Strichjunge, den er im Sommer 1937 im Lokal "Indische Bar" auf St. Pauli kennengelernt hatte, verriet ihn während einer "Schutzhaft" gegenüber der Kripo. Dieses Mal konnten ihm ungefähr zehn Fälle nachgewiesen werden, die im März 1938 zu einer Verurteilung vor dem Amtsgericht Hamburg und einer 15-monatigen Freiheitsstrafe nach § 175 führten. Im März 1939 stellte sein Bruder, der wie der gemeinsame Vater als Schiffsingenieur zur See fuhr, ein Gnadengesuch. Zur Begründung führte er aus, dass die nunmehr alleine lebende Mutter nach einem Schlaganfall der Betreuung bedürfe. Das Gesuch wurde sowohl von Staatsanwalt Nicolaus Siemssen als auch vom Richter Friedrich Bertram fast empört abgelehnt. Vom 23. Oktober bis 15. Dezember 1939 saß Martin Bellmer erneut in "Schutzhaft" im KZ Fuhlsbüttel. 1940 und 1941 verurteilte ihn das Feldkriegsgericht des Kommandeurs des Luftverteidigungsgebiets Hamburg wegen versuchter Unzucht zwischen Männern nach § 175a, Ziffer 3 zu neun und für ein durch den Strichjungen und Erpresser Theodor Gehring bereits in einem Verhör im Oktober 1938 der Polizei bekannt gewordenes Erlebnis zu einer Gesamtstrafe von 15 Monaten Haft. Die beiden hatten sich im Oktober 1937 in einer Bedürfnisanstalt in der Nähe der Christuskirche kennengelernt, einem Ort, der als einschlägiger Treffpunkt in Eimsbüttel bei vielen Homosexuellen bekannt war. In der Wohnung von Martin Bellmers Tante nahe der Schanzenstraße hatten sie Sex gehabt, wofür Gehring 2 RM erhielt. Nach Teilverbüßung in einem Wehrmachtsstraflager wurde er am 27. April 1941 vorzeitig aus der Haft entlassen, weil die Vollstreckung, angeblich zwecks "Frontbewährung", bis Kriegsende ausgesetzt wurde. Bis zu seiner krankheitsbedingten Entlassung im Januar 1942 verblieb er bei seiner Truppe. Schon am 23. Februar 1942 wurde Martin Bellmer bei der polizeilichen Überholung des Hotels Wiener-Hof in der Capellenstraße in St. Georg erneut mit einem Mann, dem Schiffbauer Walter Zwang (Jg. 1921), beim Sex angetroffen. Aus dem Polizeiprotokoll: "Die Zimmertür war von innen verschlossen. Auf mein mehrmaliges Klopfen wurde von Bellmer geöffnet. Zwang lag in einem Bett und tat, als wenn er schlief. Durch das Benehmen der beiden u. durch kurze Fragestellung hatte ich sofort den Eindruck, daß es sich um zwei Homosexuelle handelte. Mit der Hilfe der mit mir überholenden militärischen Streife ... brachte ich beide zu dem 44. Pol. Revier." Die beiden hatten sich einige Wochen vorher im Lokal Loreley-Keller, Davidstraße 19 in St. Pauli, kennengelernt. Martin Bellmer wurde in polizeiliche "Schutzhaft" genommen und am 5. März 1942 in die Untersuchungshaftanstalt überführt. Am 5. November 1942 fällte die 2. Strafkammer – als Jugendschutzkammer, weil auch noch eine einvernehmliche sexuelle Handlung mit einem 16-Jährigen verhandelt wurde – des Landgerichts Hamburg folgendes Urteil: "Der Angeklagte wird als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher wegen widernatürlicher Unzucht in drei Fällen zu einer Gesamtstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Untersuchungshaft wird auf die erkannte Strafe angerechnet. Die Sicherungsverwahrung des Angeklagten wird angeordnet. [...] Er hat schon im Alter von 22 Jahren seine erste Strafe wegen homosexueller Betätigung erhalten. Schon in diesem Urteil wird der Angeklagte verwarnt, indem er auf die Gemeingefährlichkeit seines Tuns hingewiesen wird. [...] Der Angeklagte begeht hiernach auf Grund angeborener Veranlagung, die durch fortlaufende Übung gesteigert wird, fortlaufend Vergehen und Verbrechen gegen §§ 175, 175a Ziff. 3 StGB. [...] Auch ein Versuch durch ärztliche Hilfe Heilung zu erlangen, war ohne Erfolg ..."

Noch am gleichen Tag wurde Martin Bellmer in das Zuchthaus Celle gebracht. Zwei Tage nach der Urteilsverkündung stellte er einen Antrag auf "freiwillige Entmannung", um so der Einlieferung in ein Konzentrationslager entgehen zu können.

Die Zuchthausstrafe verbüßte er von Dezember 1942 bis zum 22. August 1944 im Zuchthaus Celle. Nach einer Untersuchung im Juni 1943 durch den Medizinalrat Hiestermann in Celle zog Martin Bellmer seinen Antrag auf Kastration zurück, da der Amtsarzt ihn über die möglichen Spätfolgen eines solchen Eingriffs aufgeklärt hatte.

Nach seiner "Entlassung" wurde er ins Zuchthaus Dreibergen-Bützow zur "Sicherungsverwahrung" überstellt. Beim Einmarsch der Roten Armee am 3. Mai 1945 ist er von dieser aus seiner Haft befreit worden. Am 5. Juli 1945 starb Martin Bellmer jedoch an den Folgen der langjährigen Haftstrafen mit 39 Jahren in einem Lazarett in Bützow/Mecklenburg.

Im August 1945 erkundigte sich die Hamburger Staatsanwaltschaft in Celle nach dem Verbleib Martin Bellmers und wurde an das Zuchthaus Dreibergen-Bützow verwiesen. Von November 1945 bis Januar 1946 schloss sich ein ausführlicher Briefwechsel zwischen der Staatsanwaltschaft Hamburg und der Leitung des Zuchthauses in Bützow über die Art der Entlassung Martin Bellmers an. Ungeachtet seines längst eingetretenen Todes wurde er im April 1946 zur Fahndung ausgeschrieben, noch im gleichen Monat wurde bekannt, dass der Gesuchte schon fast ein Jahr tot war.

Der Denunziant Theodor Gehring wurde am 9. Juli 1942 hingerichtet (s. Biographie Henry Heitmann).

© Bernhard Rosenkranz(†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaHH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 6173/36, 2830/38 u. 3893/43; 242-2 Kriminalbiologische Sammelstelle, 60; 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht – Verwaltung, Abl. 2, 451 a E 1, 1 a u. Abl. 2, 451 a E 1, 1 b; 331-1 II Polizeibehörde II, Ablieferung 15 Band 2; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 u. 16; Niedersächsisches Landesarchiv, Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 86 Celle Acc. 142/90 Nr. 42/0304; Auskunft von Rainer Hoffschildt, Hannover; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 104, 107 u. 200.

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