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© Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese
Dr. Karl Stern * 1883
Dormienstraße 7 (Altona, Blankenese)
Freitod 21.2.1935 im Amtsgericht
Dr. Karl Stern, geb. am 20.6.1883 in Eschwege, Freitod am 21.2.1935 im Amtsgericht Blankenese
Dormienstraße 7, Amtsgericht Blankenese
Karl Stern wurde als zweiter Sohn des angesehenen Sanitätsrats Dr. Moritz Stern und seiner Frau Emma geboren. Er wurde Arzt wie sein Vater und übernahm 1911 dessen Praxis in Eschwege. Er war jüdischer Abstammung, seine aus Schwerin stammende Frau Clara Maria, geborene Schultz (Jg. 1885), war Nichtjüdin. 1913 bekam das Ehepaar den Sohn Joachim Heinrich, 1917 und 1919 folgten die Töchter Ursula Miriam und Edelgard Elisabeth. Die Kinder wurden im evangelischen Glauben erzogen.
Karl Stern praktizierte bis 1933 in Eschwege bei Kassel. Außer ihm gab es zwei weitere jüdische Ärzte in Eschwege und elf nichtjüdische. Er war ein beliebter Hausarzt in der kleinen Stadt. Doch schon vor Hitlers Machtantritt begannen Eschweger Nationalsozialisten, Karl Stern zu verfolgen und zu bedrohen. In öffentlichen Aushängen des "Stürmers" wurde er angefeindet, es gab nächtliche Angriffe, bei denen sein Haus beschädigt wurde, bald schon musste er die Fenster mit Stacheldraht versehen. Zunehmend blieben die Patienten aus, die wirtschaftliche Lage wurde schwierig. Schließlich war er gezwungen, die Praxis aufzugeben.
1932 kaufte er ein Haus in Blankenese am Strandweg 67, in das er 1933 mit seiner Familie übersiedelte. Karl Stern hatte die Hoffnung, in einer Großstadt vor Verfolgung sicherer zu sein als in einer Kleinstadt, wo jeder ihn kannte und wo er seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Tatsächlich erhielt er in Hamburg als Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges die Zulassung zu den gesetzlichen Krankenkassen, die 1933 bereits anderen jüdischen Ärzten entzogen worden war.
Doch am 21. Februar 1935 holte ihn der Eschweger Antisemitismus wieder ein. Karl Stern erhielt eine Vorladung vor das Amtsgericht Blankenese, ohne zu wissen, was gegen ihn vorlag. Die Anzeige kam aus Eschwege. Ihm wurde eine Abtreibung, die er angeblich acht Jahre zuvor vorgenommen hatte, zur Last gelegt, und es wurden Ermittlungen gegen ihn wegen "Rassenschande" eingeleitet. Solche Prozesse gehörten zu den Mitteln der Verdrängung jüdischer Ärzte aus dem Berufsleben. Karl Stern musste mit einer hohen Strafe rechnen, sollte er verurteilt werden. Unmittelbar nachdem der Richter ihm eröffnet hatte, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn schwebte, nahm er im Gerichtsaal Zyankali zu sich. Offenbar verwirklichte er damit einen schon lange gefassten Beschluss. Zunächst wurde ein in der Nähe wohnender Arzt gerufen. Auf dem Transport in das Krankenhaus in der Schenefelder Landstraße verstarb Karl Stern.
Wie seine Ehefrau aussagte, versuchte er mit dem Freitod im Gerichtsgebäude seiner Familie die Schande einer Verhaftung zu ersparen. Er konnte sich nicht vorstellen, aus der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen zu leben. Er fühlte sich als deutscher Patriot, pflichtbewusster Offizier und gewissenhafter Arzt und sah nun seine Existenz vernichtet. Die Anzeige sei aber, so erfuhr seine Frau später, gegenstandslos gewesen. Ihr Mann habe die Nerven verloren, so wurde ihr gesagt.
Sein Sohn Joachim Heinrich musste das Studium aufgeben und ging im März 1935 nach Kapstadt in Südafrika. 1936 ließ er seine beiden Schwestern Ursula Miriam und Edelgard Elisabeth nachkommen. Clara Stern lebte 1937 ein Jahr bei den Kindern, bekam jedoch keine Wohnerlaubnis und kehrte zurück nach Deutschland. 1949 wanderte auch sie endgültig nach Südafrika aus.
Stand September 2015
© Birgit Gewehr
Quellen: StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 7662 (Stern, Clara-Maria); StaH Auskunft aus der Hausmeldekartei von Blankenese 1927–1939 (1943); AB Altona 1937; Susanne Gonnermann, Bettina Plenz, Zur Erinnerung an Dr. Karl Stern, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese, Stolpersteine, S. 20; Recherchen von Sabine Boehlich; Zimmer, Juden in Eschwege.