Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Maximilian Weber * 1893

Arnoldstraße 13 (Altona, Ottensen)


HIER WOHNTE
MAXIMILIAN WEBER
JG. 1893
VERHAFTET 1937/41
KZ NEUENGAMME
ERTRUNKEN 3.5.1945
CAP ARCONA

Maximilian Weber, geb. am 5.7.1893 Altlünen/Lünen, gestorben vermutlich am 3.5.1945 beim Untergang der "Cap Arcona"

Arnoldstraße 13

Maximilian Weber, von seiner Familie und Freunden nur Max genannt, kam 1893 als sechstes von elf Kindern des gleichnamigen Betriebsingenieurs und dessen Ehefrau Katharina, geb. Funk, im westfälischen Altlünen, heute Lünen im Kreis Unna, zur Welt. Er wurde im katholischen Glauben erzogen. Später lebte die Familie in Berlin und bezog 1912 in der Arnoldstraße 13 in Ottensen gegenüber den Holsatia-Werken, einer Holzverarbeitungsfabrik, eine Vierzimmerwohnung im zweiten Stock. Von seinen drei Brüdern arbeiteten zwei als Schlosser und Kraftfahrer in Deutschland und einer als Geistlicher in den Niederlanden. Die Schwestern waren alle verheiratet, ein Bruder verstarb früh.

Die Volksschule verließ Max Weber bereits 1907 nach der zweiten (der vorletzten) Klasse und begann eine kaufmännische Lehre, die ihm aber nicht zusagte, sodass er sie nach gut einem Jahr abbrach. Bis zum Beginn seiner freiwilligen Militärzeit 1911 in Magdeburg übernahm er Gelegenheitsarbeiten. Von 1912 bis 1913 wurde er an der dortigen Sanitätsschule ausgebildet. Im Ersten Weltkrieg fand er als Sanitäts-Unteroffizier Verwendung und absolvierte Einsätze an der Ost- und Westfront. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter das Eiserne Kreuz zweiter Klasse und das Frontkämpferabzeichen. Nach dem Krieg verblieb er beim militärischen Grenzschutz im Osten Deutschlands und war von 1920 bis 1922 als Sanitätsfeldwebel auch Mitglied des rechtsnationalen Freikorps Roßbach.

Wie er später angab, hatte er seit dieser Zeit viele gleichgeschlechtliche Erlebnisse. 1922 zog er zu seiner Familie nach Altona-Ottensen und fand bis 1930 Beschäftigung als Krankenpfleger im Hafenkrankenhaus. In dieses Jahr fällt auch seine Versetzung in die "Irrenanstalt", seit 1918 offiziell Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Dieser Arbeitsplatzwechsel hängt möglicherweise mit seiner ersten erkennungsdienstlichen Behandlung 1930 bei der Polizei als Homosexueller zusammen, nachdem er in den Verdacht geraten war, mit "Schulknaben" unzüchtige Handlungen vorgenommen zu haben. Auf seiner Arbeitsstelle in Friedrichsberg kam es zu Schwierigkeiten, weil ihm die Pflege von Menschen mit psychischen Störungen nicht lag und es darüber hinaus zu Konflikten gekommen sein soll, weil man ihm eine SPD-Mitgliedschaft nahelegte. Nachdem er 1935 vom Amtsgericht Hamburg wegen fahrlässiger Gefangenenbefreiung einer in Friedrichsberg untergebrachten Person zu einer Geldbuße von 150 RM verurteilt worden war, erfolgte seine Strafversetzung in die Staatskrankenanstalt Langenhorn. Von dort kam er recht bald über einen Einsatz in der Oberaltenallee wieder zurück ins Hafenkrankenhaus, wo er gerne arbeitete.

Max Weber war Anfang der 1930er Jahre in Ottensen als homosexuell veranlagter Mann bekannt. Selbst Kinder im Alter von 12 Jahren hätten ihm auf der Straße hinterher gerufen und niemand soll ihm gegenüber Respekt gezeigt haben. Junge Männer nutzten diesen Umstand in finanzieller Hinsicht, so hieß es u. a.: "Wenn ich Geld gebrauche, so brauche ich mich nur an Max Weber zu wenden". Zudem besaß er ein Segelboot in Övelgönne, was seine Attraktivität bei Jugendlichen erhöhte, weil diese sich gern zu Fahrten auf der Elbe einladen ließen. Sein lockerer Umgang mit Jugendlichen führte im November 1936 zu einer Anzeige eines 18-jährigen Lehrlings, der in der Hitler-Jugend organisiert war, gegenüber der Altonaer Polizei. Den Beamten berichtete er von einem ungefähr drei Jahre zurückliegendem Ereignis, als er sexuelle Avancen Max Webers während einer Segeltour abgelehnt habe, und von Vermutungen und Erzählungen aus seinem Bekanntenkreis. Daraufhin begann die Polizei mit umfangreichen Verhören von Jugendlichen aus Ottensen, die teilweise sexuelle Begegnungen mit Max Weber gegen Erhalt kleiner Geldbeträge, Zigaretten und Essen zugaben, aber auch von Strichjungentätigkeiten und kleinen Erpressungen berichteten. Übereinstimmend sagten sie aus, Max Weber habe bei ablehnendem Verhalten keine weiteren Annäherungsversuche unternommen und die Heranwachsenden nicht unter Druck gesetzt.

Als Max Weber am 16. November 1936 eine Vorladung für den folgenden Tag zum 8. Kriminalkommissariat bei der Altonaer Polizei erhielt, verfasste er in Erwartung seiner bevorstehenden Verhaftung einen Abschiedsbrief an seine Mutter:
"Mein Schicksal hat sich erfüllt. Ich gehe den Weg, den mir das Geschick vorgeschrieben hat. Weine nicht um mich, es tut mir so leid, daß ich nicht anders konnte und vergib mir alles, jede Kränkung usw. Es lag nicht bei mir, die Natur ist stärker als ich und jedes Gesetz. Grüße Kätchen, Hilde und alle von mir. Ich bin in immerwährender Sohnestreue Dein Max."

Im Verhör am 17. November gab er unumwunden seine homosexuelle Veranlagung zu, die ihn seit 1922 auch in die einschlägigen hamburgischen Lokale "Tuskulum, Drei Sterne, Marienburg, Moni, Sonne" usw. geführt habe. Ebenso schilderte er seine Vorliebe für Heranwachsende, die er auf der Straße oder auf Rummelplätzen kennenlernte und mit kleinen Geschenken für sich gewann. Noch am selben Tag wurde er, wie von ihm erwartet, festgenommen und im Gerichtsgefängnis Altona inhaftiert. Als Sachverständiger für das Gericht erstellte der Altonaer Stadtarzt Fritz Trendtel einen "Ärztlichen Bericht zur Frage der Entmannung", der in stereotyper Form verfasst wurde und u. a. die Gesichtsbildung von Max Weber als "etwas weiblich" wie auch den psychischen Gesamteindruck als "weichlicher, willensschwacher Mensch mit starker sexueller Triebhaftigkeit" beschrieb. Als Fazit empfahl er, nachdem sich Max Weber mit einer freiwilligen Entmannung nicht einverstanden erklärt hatte, dem Gericht "gemäß § 42 k" die Entmannung, obwohl dieser Paragraph im vorliegenden Fall bei sexuellen Handlungen mit über 14-jährigen Personen gar nicht zur Anwendung kommen durfte. Auch schrieb Trendtel von "unsittlichen Handlungen bei Knaben und bei Mädchen", obwohl es sich beim zu begutachtenden Fall ausschließlich um männliche Jugendliche gehandelt hatte. Der Prozess gegen Max Weber wurde am 20. Mai 1937 vor der großen Strafkammer des Landgerichts in Hamburg geführt. Obwohl bisher ohne Vorstrafe, lautete das Urteil für acht ermittelte Fälle, davon fünf in Tateinheit mit Verführung, auf eine Zuchthausstrafe von drei Jahren.

Max Weber verbüßte seine Strafe in Fuhlsbüttel, wurde jedoch im letzten Jahr seiner Haft am 24. Februar 1939 ins Strafgefangenlager I Börgermoor bei Papenburg verlegt. Er überlebte die erschwerten Haftbedingungen dieses Emslandlagers und kehrte nach vollständiger Verbüßung der Zuchthausstrafe am 17. November 1939 in die elterliche Wohnung zurück. Sein Vater war ein Jahr zuvor im Alter von 76 Jahren verstorben.

Gleich nach seiner letzten Verhaftung im November 1936 war Max Weber vom Hafenkrankenhaus entlassen worden. Nach seiner Strafverbüßung bis Februar 1940 arbeitete er als Gastwirtsgehilfe. Danach fand er Anstellung als Fensterputzer bei dem Glasermeister Konrad Fey am Heidenkampsweg 50, der auch nach seiner erneuten Untersuchungshaft ab 28. November 1941 ein gutes Zeugnis über seinen Mitarbeiter ablegte: "Weber hat hier seine Pflicht getan; ich kann ihm in keiner Weise etwas Ungünstiges nachsagen. Er war pünktlich und fleißig und hat durch seine Arbeit mich und die Kundschaft zufriedengestellt".

Max Weber war durch eine umfangreiche Aussage des Strichjungen Ernst Dams (geb. 1915, Überlebender des KZ Neuengamme) Ende Oktober 1941 erneut in den Fokus der Ermittler des 24. Kriminalkommissariats geraten. Die beiden kannten sich bereits aus der Zeit vor 1933 und trafen sich 1940 zufällig wieder. Danach kam es zu ungefähr zehn sexuellen Kontakten. Zudem benannte Max Weber während intensiver Verhöre weitere sieben Personen, darunter zwei Wehrmachtssoldaten, mit denen er homosexuelle Handlungen ausgeführt hatte. Die "Ermittlungshilfe der Strafrechtspflege" führte zu seinen Gunsten die zitierten Aussagen seines letzten Arbeitgebers und seiner Mutter an, die über ihren Sohn sagte: "Maximilian ist anders veranlagt und leidet sehr darunter. Er sagte mir, die Menschen verurteilen mich; ich kann aber doch nichts dafür." Die Ermittlungshilfe schloss ihren Bericht wie folgt: "Persönlich macht er keinen ungünstigen Eindruck." Dagegen zeichnete das gerichtsärztliche Gutachten des Medizinalrats Rolf Schwarke das Bild eines triebgesteuerten Homosexuellen, der sich um eine "freiwillige Entmannung" drücken wolle und infolgedessen eine "äusserst ungünstige Prognose" aufweise, der nur mit "Sicherungsmaßnahmen" begegnet werden könne. So verwundert es nicht, dass Max Weber am 16. April 1942 in einer erneuten Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg vom Landgerichtsdirektor Karl Henningsen nunmehr als "gefährlicher Gewohnheitsverbrecher" wegen "Unzucht mit Männer[n]" nach den §§ 175, 20 a und 74 StGB zu drei Jahren Zuchthaus und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf fünf Jahre mit anschließender "Sicherungsverwahrung" verurteilt wurde. Seine rechnerisch bis 23. November 1944 abzusitzende Haft verbüßte er ab 8. Mai 1942 im Zuchthaus Bremen-Oslebshausen.

Auf "Anordnung des Reichsministers der Justiz" wurde die Strafverbüßung am 16. Dezember 1942 unterbrochen und Weber zur "Polizei" entlassen. Dieses Datum ist gleichlautend mit einer aktenkundigen Einlieferung durch die "Kripo" ins Hauptlager des KZ Neuengamme, wo er unter der Häftlingskategorie "SV HOMO" die Häftlingsnummer 12914 erhielt. Am 15. und 24. Mai 1943 findet sich sein Name in den erhalten gebliebenen Laboruntersuchungsbüchern der dortigen Krankenstation. Ein Leidenskamerad, der ebenfalls im Konzentrationslager einsaß und Webers Mutter kurz nach Kriegsende besuchte, berichtete, ihr Sohn sei "mit einem Transport kranker KZ-Insassen nach Lübeck oder Lüneburg gekommen. Von diesem Transport sei aber wahrscheinlich niemand mehr am Leben".

Ob sich Max Weber nun unter den 2.000 kranken Häftlingen befand, die am 8. April 1945 in einem nachgewiesenen Transport nach Sandbostel bei Bremervörde kamen, was jedoch nicht in Richtung Lüneburg lag, oder zuvor am 28. März 1945 auf einen Transport von ebenfalls 2.000 kranken Häftlingen in Außenlager des KZ Neuengamme nach Hannover oder Salzgitter geschickt wurde oder doch – wie auf dem Stolperstein eingraviert – mit 9.000 Häftlingen nach Lübeck und damit vermutlich auf eines der beiden am 3. Mai 1945 bombardierten Schiffe "Cap Arcona" oder "Thielbek" kam, wird sich wohl nie mehr klären lassen. Da die Mutter kein Lebenszeichen mehr von ihrem Sohn erhielt (sie starb 1947 mit 78 Jahren in Elmshorn), muss auf jeden Fall von seinem Tod ausgegangen werden.

Die Oberstaatsanwaltschaft Hamburg entledigte sich dieses im juristischen Sinne unerledigten Falls am 26. Januar 1946 durch den Erlass einer Reststrafe und der "Sicherungsverwahrung" für den "wahrscheinlich nicht mehr am Leben" befindlichen Max Weber "im Wege der Gnade". Denn hätte er überlebt, wäre die ausstehende Haftstrafe und Sicherungsverwahrung – wie in Fällen von überlebenden homosexuellen KZ-Opfern geschehen – auch über die neu entstehenden Grenzen zur SBZ (Sowjetisch Besetzte Zone) hinweg vollstreckt worden.

Stand September 2015

© Bernhard Rosenkranz (†) / Ulf Bollmann

Quellen: StaH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 4644/36, 10960/39 und 3321/42; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 1998/1; StaH 332-8 Meldewesen, A 49 Band 1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 4954 ), A 50 Band 1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 5089) und A 51/1 (= 741-4 Fotoarchiv K 2382); Mit Dank an das Standesamt der Stadt Selm über eine Auskunft zum jedoch fehlenden Randvermerk bei seiner Geburtseintragung im Standesamt Bork, jetzt Selm Nr. 102/1893 vom 9.5.2007 und an die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Alyn Beßmann, für eine Auskunft vom 1.10.2014 mit Hinweisen auf zwei Eintragungen im Laboruntersuchungsbuch II des Krankenreviers, lab 00410299 und lab 00410733, sowie auf eine Hollerith-Vorkarteikarte des SS-Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamtes Amtsgruppe D. Konzentrationslager vom Sommer bis Herbst 1944, Bundesarchiv Berlin NS 3/1577, file 056224; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 264–265.

druckansicht  / Seitenanfang