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Wilhelm Wendorf * 1901

Gilbertstraße 69 (Altona, Altona-Altstadt)


HIER WOHNTE
WILHELM WENDORF
JG. 1901
VERHAFTET 1936+39
KZ FUHLSBÜTTEL
ERMORDET 26.1.1942
SACHSENHAUSEN

Wilhelm Richard Hermann Wendorf, geb. am 23.5.1901 in Kussow/Mecklenburg, gestorben am 26.1.1942 im KZ Sachsenhausen

Gilbertstraße 69 (Gustavstraße 83)

Wilhelm Wendorf wurde 1901 in Kussow bei Güstrow in Mecklenburg in eine Arbeiterfamilie geboren. Seine Mutter verstarb 1904 an Typhus, der Vater heiratete erneut. Er verstarb im Ersten Weltkrieg. Aus der zweiten Ehe seines Vaters hatte Wilhelm Wendorf mindestens einen Stiefbruder, bei dem er später auch in Altona wohnte. Ostern 1915 wurde er aus der Dorfschule entlassen und arbeitete danach zwei Jahre als Hausdiener im benachbarten Gremmelien, bevor er in der Folgezeit bis 1929 auf verschiedenen mecklenburgischen Gütern als Diener tätig war. Von sämtlichen Arbeitgebern wurde ihm in Zeugnissen ein tadelloses Verhalten attestiert. Von 1921 bis 1923 erkrankte er ernstlich an einer Kniegelenkstuberkulose, die einen langen Krankenhausaufenthalt in der Rostocker Universitätsklinik notwendig machte und schmerzhafte Folgeerkrankungen auslöste. Aus einer Beziehung zu einer Verlobten soll ein Kind hervorgegangen sein, das nach drei Wochen an TBC verstarb. Nachdem er im Mai 1929 eine Stelle als Bote bei der Norddeutschen Bank in Hamburg erhalten hatte, zog er kurzzeitig in die Hansestadt, wohnte ab 1930 aber wieder im benachbarten Altona.

Im Juli dieses Jahres kam er erstmals wegen einer gleichgeschlechtlichen Handlung mit dem Gesetz in Konflikt. Zwei Polizeiwachtmeister wurden um drei Uhr am Morgen von einem Anwohner der Eckernförderstraße auf St. Pauli darüber informiert, dass zwei Männer in einem Hauseingang onanierten. Die Polizisten zeigten Wilhelm Wendorf und seinen Partner an. In einem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 22. Oktober 1930 wurde von dem vorsitzenden Richter zwar die an sich straflose Tat bestätigt, der § 175 betraf vor der Strafrechtsverschärfung 1935 nur beischlafähnliche Handlungen, verurteilte die beiden Männer jedoch wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" nach § 183 zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 RM. Dieser Paragraph, wie auch der § 185 zum Delikt "tätliche Beleidigung" (wenn es zu einer Berührung kam), kam bereits in der Weimarer Republik und verstärkt in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus häufig gegen homosexuelle Männer zur Anwendung.

In einem 1935 gegen Wilhelm Wendorf angestrengten Verfahren nach § 175 wurde dieser zunächst zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, in der Berufungsverhandlung jedoch freigesprochen, weil der erst am 1. September 1935 verschärfte § 175 für diese Tat noch nicht zur Anwendung kommen konnte. Ein Urteil nach dem verschärften Paragrafen erging dann aber in einem zweiten Fall am 8. Juni 1936 vom Landgericht Hamburg wegen "widernatürlicher Unzucht" mit einem Strafmaß von sechs Monaten Gefängnishaft, die er vom 31. August 1936 bis 28. Februar 1937 in der Anstalt Fuhlsbüttel verbüßte. Wie bei den vorangegangenen Fällen sind die Strafakten wegen desselben Delikts 1939 leider vernichtet worden, jedoch durch eine im Staatsarchiv Wolfenbüttel archivierte Gefangenenpersonalakte Wendorfs sind einige Details zu den Urteilen überliefert. Das für Homosexuelle zuständige Kriminalkommissariat 24 setzte ihn vom 5. bis 9. Juni 1939 im KZ Fuhlsbüttel fest, bevor er bis zum 21. Juli 1939 in Untersuchungshaft überwiesen wurde. Nach einem am 17. Juli 1939 vom Hamburger Schöffengericht gegen ihn gefällten Urteil wegen zweier Vergehen nach § 175 wurde er zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt und fünf Tage später ins Zuchthaus Wolfenbüttel überstellt. Er hatte in dem Homosexuellenlokal "Monte Carlo" zwei Strichjungen kennengelernt und diese jeweils zu sich in seine Wohnung mitgenommen. Von einem Strichjungen wurde er zudem um hohe Geldbeträge erpresst. Gleichwohl und wegen seiner zahlreichen einschlägigen Vorstrafen erkannte das urteilende Gericht "im Interesse der öffentlichen Sicherheit" auf eine längere Freiheitsstrafe. Obwohl sich der 1,63 Meter kleine und durch ein steifes linkes Bein eingeschränkte Wilhelm Wendorf in der Strafhaft "einwandfrei geführt und zufriedenstellend gearbeitet" hatte, bescheinigte die Gefängnisleitung ihm eine vernichtende Prognose und fällte damit sein Todesurteil: "Sein ganzes Vorleben lässt erkennen, dass er in erheblichem Maße homosexuell veranlagt ist. Da Wendorf trotz seiner Vorstrafen und trotz weiterer Verfahren, die gegen ihn geschwebt haben, wieder rückfällig geworden ist, glaube ich nicht, dass die jetzige Freiheitsstrafe ihn derart beeindrucken wird, sodass ein weiterer Rückfall ausgeschlossen ist. Ich empfehle daher, gegen Wendorf vorbeugende polizeiliche Maßnahmen über den Zeitpunkt der Entlassung hinaus im Interesse der öffentlichen Sicherheit anzuordnen." Dazu ließ sich die Hamburger Kriminalpolizei nicht lange bitten und ordnete für seine am 3. Juni 1941 anstehende Entlassung zunächst eine "Überhaft"an und überstellte ihn ins innerstädtische Polizeigefängnis Hütten.

Wilhelm Wendorfs Zugang im KZ Sachsenhausen ist unter der Häftlingsnummer 39532 und der Häftlingskategorie "B. V. 175" und "Berufsverbrecher" für September 1941 dokumentiert. Am 24. September kam er erstmals in den Häftlingsblock 11, den Krankenbau, aus dem er am 29. September 1941 wieder entlassen wurde. Am 26. Januar 1942 erfolgte sein Tod im Häftlingsblock 14 im Alter von 40 Jahren. Seine sterblichen Überreste wurden auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof Güterfelde beigesetzt, wie auch weitere 719 deutsche KZ-Häftlinge und 383 Polen, die 1942 als verstorbene Häftlinge aus den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Wewelsburg/Niederhagen hier bestattet wurden.

Obwohl nach jüngsten Forschungsergebnissen die Wohnadressen Wilhelm Wendorfs ab 1937 in der früheren Friedrichsbaderstraße 6, der Breiten Straße 177 und zuletzt in der Großen Roosenstraße 82 in Altona lagen, hat der Stolperstein vor dem Haus Gilbertstraße 69, früher Gustavstraße 83, seine Berechtigung, da er dort die längste Zeit zusammen mit seinem Stiefbruder Albert Burmeister im zweiten Stockwerk gelebt hat.

Stand September 2015

© Bernhard Rosenkranz (†) / Ulf Bollmann

Quellen: AB Altona 1936; LSH, Abteilung 352.1 (Landgericht und Staatsanwaltschaft Altona), Nr. 10246 mit Dank an Dr. Stefan Micheler, der uns Einblick in seine Aufzeichnungen über die von 1933 bis 1937 in Altona geführten Verfahren nach § 175 gab, die im LSH verwahrt werden, und Dr. Elke Imberger, LSH, für die Vorbereitung einer Vorort-Recherche; StaH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, A 03645/31; StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, 29205 und Ablieferung 13; StaH 332-8 Meldewesen, A 34/1 (= 741-4 Fotoarchiv, K 4580); Mit Dank für Auskünfte an Rainer Hoffschildt, Hannover, für das Zurverfügungstellen seiner Forschungsergebnisse vom 30.12.2014 aus dem Niedersächsischen Landesarchiv, Staatsarchiv Wolfenbüttel, 43 A Neu Fb. 3 Buch 5, Häftlingsnr. 1228 und 43 A Neu 4 Jg. 1938 Nr. 1228 und an Monika Liebscher, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, für eine Auskunft vom 19.11.2014 mit Hinweisen aus dem Russischen Staatlichen Militärarchiv, Moskau, 1367/1/54, Bl. 091 und 086 (= Archiv Sachsenhausen, D 1 A/1054, Bl. 067 und Bl. 072), dem FSB-Archiv, Moskau, N-19092/Tom 98, Bl. 022 (= Archiv Sachsenhausen, JSU 1/98, Bl. 022) und dem Standesamt Oranienburg, Nr. 143/1942 (I), Bl. 20; 24 sowie einer Friedhofsliste des Wilmersdorfer Waldfriedhofs Güterfelde vom 31.1.1951 "Grundliste der Gräber während des Krieges 1939–1945 gefallenen oder verstorbenen Soldaten und Zivilpersonen, Waldfriedhof Güterfelde, Krs. Teltow" beim ITS Arolsen, KL Sachsenhausen/Ordner 40, Bl. 59, 24; Zur Strafaktenvernichtung vgl. Bästlein, Zehntausend Akten, und Micheler: "Verfahren nach § 175"; Müller/Sternweiler: Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen, S. 21; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg, S. 266.

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