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Emil Theodor Hans Wendt * 1895
Scheplerstraße 80 (Altona, Altona-Altstadt)
HIER WOHNTE
EMIL THEODOR HANS
WENDT
JG. 1895
VERHAFTET 1932
‚ALTONAER BLUTSONNTAG’
1933 EMSLAGER PAPENBURG
1937 ZUCHTHAUS FUHLSBÜTTEL
1943 ZUCHTHAUS WALDHEIM
ERMORDET 26.10.1944
Emil Wendt, geb. am 6.12.1895; ab 17.11.1932 inhaftiert, im Zuchthaus Waldheim in Sachsen ermordet am 26.10.1944
Scheplerstraße 80 (Adlerstraße)
"Ich bin Gegner jeglichen Terrors." Diesen Satz fügte Emil Wendt in den Fragebogen ein, den er am 14. Juni 1933 bei Haftantritt in der Strafanstalt Rendsburg ausfüllen musste. Wegen seiner Beteiligung an den Straßenkämpfen des "Altonaer Blutsonntags" war er zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Zu der Frage, warum er die ihm zur Last gelegte Tat begangen habe, schrieb er: "Ich kann diese Frage nicht beantworten, weil ich mit offenem Herzen mich unschuldig fühle."
Emil Theodor Hans Wendt wurde am 6. Dezember 1895 in Hamburg als Sohn von Augustine Wendt geboren. Sie war unverheiratet, seinen leiblichen Vater lernte Emil offenbar nie kennen. Dann heiratete seine Mutter den gelernten Schiffszimmermann und Kapitän Johann Ludwig Weidmann, den Emil später als seinen Vater angab. Am 11. Oktober 1906 bekam Augustine Wendt einen weiteren Sohn, Georg Ludwig Fritz Weidmann, Emils Halbbruder.
Nach dem Besuch der 9. Knabenvolksschule in der Adolphstraße 9 (heute Bernstorffstraße) machte Emil Wendt von 1910 bis 1913 eine Bäckerlehre bei Ernst Crull in der Hamburgerstraße (heute Max-Brauer-Allee) und war bis 1914 als Bäckergeselle beschäftigt. Im Ersten Weltkrieg meldete er sich freiwillig zur Infanterie und kam zu den "Husaren 15" in Hamburg-Wandsbek. Dreimal wurde er an der Front verwundet. Mit mehreren Auszeichnungen, aber auch mit Kriegsverletzungen kehrte er 1919 zurück. Seine Familie war während des Krieges nach Amerika ausgewandert; Augustine Weidmann war mit dem Sohn Georg auf dem Dampfer "Imperator" von Hamburg aus nach New York gefahren, wo ihr Mann sie offenbar schon erwartete. Emil Wendt versuchte ihre Adresse in Amerika zu ermitteln. 1921 teilte ihm das Reichsamt für deutsche Einwanderung, Rückwanderung und Auswanderung mit, im Adressbuch von New York sei ein Louis Weidmann verzeichnet. Ob Emil Wendt versuchte, Kontakt aufzunehmen, ist nicht bekannt.
Nach dem Krieg verdiente Emil Wendt seinen Lebensunterhalt wieder als Bäcker. Im Januar 1920 zog er von Hamburg nach Altona in die Nachtigallenstraße 15 (heute Lerchenstraße) und heiratete am 27. April 1920 die Hamburgerin Frieda Mathilde Caroline Toelle, verwitwete Hanssen, geb. am 8. Februar 1891. Sie brachte die am 16. Juni 1915 geborene Tochter Erika Hanssen mit in die Ehe. Am 1. Oktober 1920 wurde der gemeinsame Sohn Alfred geboren. Im selben Jahr musste Emil Wendt wegen Hehlerei eine kurze Gefängnisstrafe in Fuhlsbüttel verbüßen. Am 17. August 1921 zog die Familie in die in einem Arbeiterquartier in Altona-Altstadt gelegene Adlerstraße 80 (heute Scheplerstraße) um. Der Hinterhof war mit Terrassenhäusern umbaut; Wendts wohnten dort im zweiten Stock des Hauses 11 in der sogenannten Adlerterrasse.
Vor der Handwerkskammer zu Altona legte Emil Wendt am 20. August 1925 die Meisterprüfung ab und arbeitete seitdem als Bäckermeister, zuletzt in Harrys Brotfabrik in Altona-Bahrenfeld. Im März 1927 machte er einen Motorradführerschein. Im Sommer 1932 wurde er erwerbslos; Wirtschaftskrise und Inflation hatten die allgemeine Arbeitslosigkeit dramatisch ansteigen lassen.
Emil Wendt stand politisch links; er gehörte dem Rotfrontkämpferbund an, einem paramilitärischen Verband der KPD, der während der Weimarer Republik mehrmals verboten wurde, und trat 1930 der KPD bei.
Im Sommer 1932 verschärfte sich die politische Krise der Weimarer Republik. Die Nationalsozialisten setzten auf Straßenmobilisierung, SA-Verbände patrouillierten als "Schutztruppen" in den Straßen. Große Werbemärsche waren Teil der nationalsozialistischen Propaganda. Straßenkämpfe zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten in den Arbeitervierteln Altonas waren an der Tagesordnung. In Altonas Altstadt, einer Hochburg der KPD, stellten sich "Antifaschistische Aktion" und Häuserschutzstaffeln, Nachbarschaftsnetzwerke der KPD, dem Faschismus entgegen und versuchten, ihren Einfluss in den Arbeiterwohnvierteln zu behaupten. Emil Wendt war Mitglied einer Häuserschutzstaffel.
Am 17. Juli 1932 führte die SA in Altona einen gewaltigen, polizeilich geschützten Aufmarsch durch, der in der Altonaer Altstadt eskalierte. SA-Leute provozierten durch brutale Übergriffe auf Zuschauer blutige Auseinandersetzungen. Zwei Mitglieder des Altonaer SA-Sturm 2/31 wurden erschossen. Weitere 16 Menschen starben, teils offenbar gezielt durch Polizeikugeln, teils von Querschlägern der unkontrollierten Schießerei getroffen. Ob kommunistische Schützen beteiligt waren, konnte nie geklärt werden. Dieser Tag ging als "Altonaer Blutsonntag" in die Geschichte ein.
Nach der Schilderung von Gerd Wendt, Urenkel von Emil Wendt, ist in der Familie überliefert, Emil Wendt sei an diesem Sonntag in der Allee [heute Max-Brauer-Allee] vor dem Gebäude des Altonaer Spar- und Bauvereins von der Polizei festgenommen worden, aber zunächst wieder auf freien Fuß gekommen. Vier Monate später, am 17. November 1932, erneut verhaftet, saß er im Untersuchungsgefängnis Altona ein.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme begann am 8. Mai 1933 der erste Prozess gegen fünfzehn Angeklagte vor einem eigens eingerichteten Sondergericht im Gebäude des Landgerichts Altona. Offensichtlich wollten die neuen Machthaber ein Exempel zur Abschreckung politischer Gegner statuieren.
Als Hauptbelastungszeuge gegen Emil Wendt trat Alex Kuhlmann auf, ein KPD-Parteigenosse. Emil Wendt fertigte im Prozess eine Mitschrift der Aussagen an:
"Alex Kuhlmann: … Sonnabend 16. Juli 3 Uhr Besprechung auf dem Büro mit Wendt, Sengespeik, Switalla. Abends 5 Uhr kam Wendt und ordnete Höchstalarm an … Wendt erklärte mir, Zug der NSDAP wird auf alle Fälle gesprengt. Das Haupt der Sprengung geschieht Lerchenstraße und Adolfstraße. Auch sollte ich eine scharfe Staffel aufstellen in der Dennerstraße und dann mit Schusswaffen in die Richtung der Schauenburgerstraße schießen. Auch erklärte mir Wendt, es käme nach Schauenburgerstraße 30 Mann Verstärkung aus Hamburg (dieses sollte eine scharfe Staffel sein in Nr. 12). Wie die SA hatte sie die Schulterriemen in der Hand. Geschossen wurde auf den Zug der NSDAP nicht. Auch hat Wendt mir erklärt Flaschen in die Taschen zu stecken und damit zu werfen. … Auch fand eine Sitzung im Keller der Dennerstraße statt. Auf dieser Sitzung verbrannte Wendt ein Schreiben mit der Erklärung, es darf nicht in unberufene Hände kommen, weil Hochverrat. Ich erklärte, es stände hohe Strafe darauf, worauf Wendt erwiderte, ein paar Jahre Zuchthaus darf einen Proleten nicht abhalten. … Das Schreiben, welches Wendt verbrannte, enthielt Order über Besetzung von Staatsgebäuden, Plätze und Anlegestellen. Auch enthielt es die Alarmstufen."
Emil Wendt erklärte vor Gericht, die Aussage von Kuhlmann sei komplett erlogen.
Des Weiteren belastete ihn der Hamburger Matrose Friedrich Baerwardt, dessen Aussage er ebenfalls protokollierte: "Ich war im Ausschuss der Antifa. … Er [Wendt] wurde mir vorgestellt als technischer Leiter der Staffeln, vor dem 17 Juli."
Weder fand man bei Emil Wendt eine Schusswaffe, noch konnte geklärt werden, ob er geschossen hatte. Das Gericht sah es aber als erwiesen an, dass er als technischer Leiter die Häuserschutzstaffeln alarmiert und den Befehl zur Bildung einer "scharfen", mit Schusswaffen ausgerüsteten Staffel gegeben hatte. Von der Presse wurde er zum "militärischen Höchstkommandierenden" der Altonaer Antifaschisten hochstilisiert.
Sein Sohn Alfred Wendt erklärte in den 1950er Jahren vor dem Amt für Wiedergutmachung, sein Vater sei als KPD-Funktionär an der Vorbereitung von Störmaßnahmen gegen den SA-Aufmarsch beteiligt gewesen, jedoch habe die von seinem Vater geführte Häuserschutzstaffel keine Waffen benutzt. Der Angeklagte Kuhlmann sei unglaubwürdig gewesen, weil er sich mehrfach in Widersprüche verwickelt habe, überdies mit seinem Vater verfeindet gewesen sei und nicht zuletzt sich selbst habe entlasten wollen.
Die Urteilsverkündung gegen die 15 Angeklagten fand am 2. Juni 1933 statt. Das Sondergericht beim Landgericht Altona sprach in der Hauptverhandlung vier Todesurteile aus gegen Bruno Tesch, August Lütgens, Karl Wolff und Walter Möller. Gegen andere Angeklagte wurden langjährige Haftstrafen verhängt. Emil Wendt wurde wegen Beihilfe zum vollendeten Mord an den beiden SA-Männern in Tateinheit mit schwerem Landfriedensbruch und schwerem Aufruhr zu zehn Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Die Untersuchungshaft wurde angerechnet, sodass ihn eine Zuchthaushaft bis zum 18. November 1942 erwartete.
Nach Wendts Verhaftung geriet die Familie in wirtschaftliche Not. Frieda Wendt wurde nach dem 30. Januar 1933 ebenfalls für einige Tage inhaftiert, sie sollte politische Zeitschriften vertrieben haben. Infolgedessen bekam sie Schwierigkeiten mit dem Amt für Wohlfahrtsunterstützung. Zivile Beamte führten mehrere Hausdurchsuchungen in ihrer Wohnung durch. Auch deswegen zog die Familie im selben Jahr von der Adlerstraße in die Schauenburgerstraße (heute Schomburgstraße). Aber auch dort erfolgte im August 1934 eine Hausdurchsuchung.
Alfred Wendt begann nach dem Besuch der Volksschule 1935 im Alter von 14 Jahren eine Lehre bei dem Schlossermeister Wilhelm Gössel in der Friedensallee. Als dieser erfuhr, dass sein Vater in Haft war, schlug er Alfred und schikanierte ihn. Seine Mutter, die sich beschweren wollte, warf er hinaus. Alfred Wendt schilderte 1950 vor dem Amt für Wiedergutmachung: "Im Jahre 1937, wo ich schon über zwei Lehrjahre hinter mir hatte, wurde ich von meinem damaligen Lehrherren Willi Gössel vor die Wahl gestellt, meine Lehre abzubrechen oder in eine N. S. Organisation einzutreten. Da meiner Mutter es sehr schwer war, mich überhaupt lernen zu lassen (Wohlfahrtsunterstützung) bin ich dann dem N. S. K. K. [Nationalsozialistisches Kraftfahrzeugkorps] beigetreten und nach Beendigung meiner Lehrzeit im Jahre 1939 wieder ausgetreten." Er schilderte auch, dass er wegen Fernbleibens von den Schulungsabenden verwarnt und schließlich vom Sturmführer Andresen verprügelt wurde. Ausschlaggebend für Alfred Wendt blieb aber, dass "mein Vater durch diese Leute hinter Gitter gebracht worden war. Mit diesen Leuten konnte ich nicht sympathisieren."
Zunächst saß Emil Wendt ab 14. Juni 1933 in der Strafanstalt Rendsburg ein. 1934 prüften er und sein Anwalt Otto Schmieder die rechtlichen Möglichkeiten einer Wiederaufnahme des Verfahrens. Doch hätte Wendt nachweisen müssen, dass eine andere Person technischer Leiter der Häuserschutzstaffeln gewesen war.
Am 21. Januar 1937 wurde er in die Emslandlager überstellt. Schon im Sommer 1933 waren die sogenannten Emslandlager, die Konzentrationslager Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum, als "Staatliches KZ Papenburg" fertiggestellt und mit 4000 Häftlingen, vor allem politisch Verfolgten, belegt worden. Die Gefangenen nannten sich selbst "Moorsoldaten", weil sie bei der Kultivierung der emsländischen Moore zu harter Zwangsarbeit herangezogen wurden. Emil Wendt saß dort als strafrechtlich Verurteilter in der Kategorie der "Berufsverbrecher" im Strafgefangenenlager VII in Esterwegen ein.
Seine Ehe geriet inzwischen in die Krise. Seine Frau hatte am 21. Juli 1936 ein Kind von einem anderen Mann geboren, eine Tochter namens Karin Toelle. 1937 lief eine Scheidungsklage, doch das Landgericht Hamburg, Abteilung Altona, setzte die Scheidung zunächst aus, weil die Frau ihren Mann besuchen wollte und eine Aussöhnung möglich schien. Offenbar wurde die Scheidungsklage dann zurückgezogen. Frau Wendt wohnte zu der Zeit bei ihrer Mutter A. Schmitz in der Annenstraße 35 in Altona (die Straße existiert nicht mehr).
Wegen seiner Kriegsverletzungen erwies sich Emil Wendt als "moorunfähig" und wurde am 13. November 1937 von Papenburg ins Zuchthaus Fuhlsbüttel überstellt. Der Einlieferungsschein der Hamburgischen Gefangenenanstalten gibt den 16. November 1937 an.
Im Oktober 1939 stellten Wendt selbst und seine 23-jährige, inzwischen verheiratete Stieftochter Erika ein Gnadengesuch: Die Strafe solle zur Bewährung ausgesetzt werden. Der "Anstaltsoberlehrer" bescheinigte Wendt gute Führung. Er habe Familiensinn, auch wenn das Verhältnis zu seiner Ehefrau getrübt sei. Wendt sei "kein entwurzelter Mensch", auch wolle er sich nicht wieder "dem Kommunismus hingeben". Er fügte hinzu: "Die Länge der Strafe bedrückt ihn sehr."
Der Verwaltungsoberinspektor befürwortete eine Begnadigung, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt. "Wendt zeigt sich hier sehr diszipliniert und arbeitsam. Die Jahre der Haft haben ihn ernst gemacht und reifen lassen." Das Gnadengesuch wurde im November 1942 wiederholt. Wendt arbeitete nun als Vormann in der Bäckerei, ihm wurden Fleiß und Disziplin bescheinigt. Doch fanden die Gesuche kein Gehör. Emil Wendt blieb in Haft.
Das Ende seiner Haftzeit war auf den 18. November 1942 um 18 Uhr datiert, aber am Tag zuvor wurde auf der Rückseite seiner Gefangenenkarte vermerkt: "Bleibt zunächst gemäß reichsministerieller Verfügung in der Anstalt." Seit September 1942 wurden alle zu mehr als acht Jahren Zuchthaus Verurteilten als "Asoziale" in ein Konzentrationslager überführt. Emil Wendt galt als "Rädelsführer". Vor dem Amt für Wiedergutmachung beschrieben Familienangehörige, ein von der Gestapo gefügig gemachter Mithäftling habe ausgesagt, Wendt sei noch immer Antifaschist, und das sei der Grund dafür gewesen, dass er nach Ende der Zuchthaushaftzeit nicht freikam.
Der Verwaltungsinspektor des Zuchthauses Fuhlsbüttel teilte der Hamburger Gestapo am 16. November 1942 mit, Wendt bleibe zunächst im Zuchthaus und werde nicht dem Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel überstellt. Vom Zuchthaus Fuhlsbüttel wurde er am 31. Juli 1943 in die Vollzugsanstalt Rendsburg verlegt, eine Woche später, am 8. August 1943, ins Zuchthaus Waldheim nach Sachsen, etwa 30 km nördlich von Chemnitz, wo viele politische Häftlinge einsaßen.
Schon seit Anfang 1943 hatte Emil Wendt über Magenbeschwerden geklagt. Im Dezember 1943, vier Monate nach seiner Verlegung nach Waldheim, bescheinigte ihm der Anstaltsarzt einen Tumor im Magen-Darm-Trakt. Emil Wendt wurde auf die Invalidenabteilung verlegt. Immer noch war das Verhältnis zu seiner Ehefrau angespannt, die seit Oktober 1940 in der Weidenallee in Hamburg wohnte. Offenbar stand Emil Wendt in regelmäßigem Briefkontakt mit seiner Schwiegertochter Elfriede Wendt, die ihre Söhne, Gerhard und den neugeborenen Horst Emil, zu der Zeit allein groß zog; ihr Mann Alfred Wendt war als Soldat in Frankreich stationiert. In einem Brief von Emil Wendt aus dem Zuchthaus Fuhlsbüttel vom 9. Mai 1943 wird sein Vertrauen in sie deutlich: "Es ist nun einmal so, ich bin Zuchthäusler und darum auch richtbar, ich weiß aber, daß du dich daran wenig stößt."
Am 15. Februar 1944 kamen Ehefrau und Schwiegertochter gemeinsam zu Besuch. Frieda Wendt sprach mit dem Arzt. Sie wies auch nach, dass sie selbst "bombengeschädigt" sei. Beide Frauen baten um die Freilassung. Doch alle Versuche, den schwerkranken Emil Wendt freizubekommen, scheiterten.
Auf dem ab 1. Oktober 1944 geführten Krankenbogen wurde notiert, Emil Wendt leide unter Durchfall. Am 3. Oktober wurde vermerkt: "Wendt ist sehr schwer erkrankt, so daß er nicht mehr lange leben wird", am 4. Oktober "stark hinfällig". Er bekam Opium und "Choleratropfen". Am 12. Oktober wurde eine "erhebliche Verschlechterung" diagnostiziert. Emil Wendt bekam nun zweimal und ab 19. Oktober dreimal täglich das Schlaf- und Schmerzmittel Luminal in einer Dosis von 0,3 Gramm verabreicht. Am 19. Oktober empfing er noch einmal Besuch. Ab 21. Oktober wurde ihm "Luminal 20 %-1,0 s. c." und "Luminal 0,3 Jodkali 20 %-1,0 s.c." subkutan verabreicht, d. h. direkt in das Gewebe unter der Haut gespritzt. Am 26. Oktober 1944 lautete der Eintrag in der Krankenakte: um 7 Uhr "Exitus letalis". Emil Wendt war verstorben. Eine klinische Diagnose findet sich in der Krankenakte nicht. Auf dem Totenschein des Zuchthauses Waldheim wurde als Todesursache angegeben: "Krebs am Magenausgang".
Gerd Wendt, Emil Wendts Urenkel, erinnerte sich, seine Großmutter Elfriede habe ihm in seiner Kindheit weinend erzählt: "Opa hat man verhungern lassen." Die lange Zuchthaushaft bzw. die Verlängerung der Haft über das Ende des Strafmaßes hinaus, die Haftbedingungen und die im Zuchthaus Waldheim nur mangelhaft geleistete medizinische Versorgung hatten zu seinem Tod geführt.
Nicht auszuschließen ist, dass in dem Zuchthauslazarett Luminal zur gezielten Tötung nicht arbeitsfähiger Häftlinge eingesetzt wurde. Benachbart an das Zuchthaus "Waldheim" lag die psychiatrische Anstalt "Waldheim", die nicht zum Zuchthaus gehörte, aber auf dessen Gelände lag. Dort wurden während der NS-Zeit psychisch kranke oder geistig behinderte Straftäter mithilfe des "Luminalschemas" auf Station zu Tode gebracht. Eine leichte Überdosierung dieses Schmerz- und Schlafmittels ließ ohnehin geschwächte Patienten unauffällig sterben. In der Anstalt kamen zwischen 1940 und 1945 mehr als 800 Patienten ums Leben, wahrscheinlich durch eine Kombination aus Aushungern und tödlichen Medikamentengaben.
Ein Jahr später wurde Emil Wendts Urne in Döbeln/Sachsen beigesetzt und 1953 durch eine Initiative der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" auf den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg gebracht. 2013 erhielt Emil Wendt dort ein symbolisches Grab im Ehrenhain der Hamburgischen Widerstandskämpfer.
Stand September 2015
© Birgit Gewehr, auf Grundlage der Recherchen von Gerd Wendt (Urenkel)
Quellen: StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 13033 (Erbengemeinschaft Wendt); StaH 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferung 13 (Strafhaftzeiten); Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Bestand 20036 Zuchthaus Waldheim, M 43115; KZ-Gedenkstätte Neuengamme, handgeschriebenes Protokoll von Emil Wendt vom Prozess Altonaer Sondergericht 8.5-2.6.1933; Breloer, Blutgeld, S. 51-54; Jachertz, Die Waldheim-Story; Gespräch mit Gerd Wendt, 11.7.2013.