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Fanny Berlin, geb. Meyer
© Privatbesitz Familie Berlin, San Raphael, CA, USA

Fanny Berlin (geborene Meyer) * 1878

Eppendorfer Baum 10 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1941 Riga
ermordet

Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Baum 10:
Hans Beer, Heinz Beer, Margot Beer, Thekla Bornstein, Paula Gans, Richard Gans, Hedwig Weiss, Olga Wolf, Dan Wolf

Fanny Berlin, geb. Meyer, geb. 27.4.1878 in Hamburg, am 6.12.1941 nach Riga deportiert
Olga Wolf, geb. Berlin, geb. 27.8.1910 in Hamburg, am 6.12.1941 nach Riga deportiert
Dan Wolf, geb. 22.2.1939 in Hamburg, am 6.12.1941 nach Riga deportiert

Eppendorfer Baum 10

Fanny Berlin wurde am 27. April 1878 als zweitältestes Kind von Jacob (geb. 1848) und Flora Meyer, geb. Jaffeé (geb. 1854), in Hamburg geboren. Sie hatte sechs Geschwister.

Am 10. September 1905 heiratete sie Eduard Berlin (geb. 11.9.1879), der nach Besuch der Talmud Tora Realschule im Beruf seines Großvaters mütterlicherseits als Steinmetz ausgebildet wurde und unter seinem Namen eine Grabsteinfirma in Ohlsdorf, damals Fuhlsbüttler Straße 679, betrieb. Seitens der Familie wird berichtet, dass Eduard an dem von Ernst Barlach entworfenen Mahnmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges am Hamburger Rathausmarkt mitgewirkt hat. Aus der Ehe gingen die Kinder Ivan Ernst (geb.11.6.1906), Olga (geb. 27.8. 1910) und Herbert (geb. 14.5.1918) hervor.

Am 15. Januar 1934 verstarb Eduard Berlin. Der Betrieb wurde von seiner Witwe und seinem ältesten Sohn Ernst, der ebenfalls Steinmetz war, weitergeführt. Nach dem Tod von Eduard Berlin wurde der Betrieb in die Fuhlsbüttler Straße 668, gegenüber der alten Geschäftsadresse, verlegt. Die Hamburger Adressbücher von 1938 und 1939 nennen als Anschrift Fuhlsbüttler Straße 666–672. Diese Grundstücke befanden sich beidseitig der Einfahrt zur Ihlandstraße (heute Ihlandkoppel) in unmittelbarer Nähe zum Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf.

Olga Berlin arbeitete als Kontoristin. Über eine Freundin, die bei der Fa. "Ephraim, Gumpel & Co." arbeitete, lernte sie deren Kollegen Donat Wolf, einen Sohn von Leopold Wolf (Gebrüder Wolf), kennen. Dazu schrieb Donat Wolf in seinen Le­benserinnerungen an seine Enkelkinder:

"Im Büro arbeitete auch ein Mädchen namens Ilse Neuhaus als Sekretärin und sie lud mich eines Tages ein, sie und ihren Mann gemeinsam mit einigen anderen Leuten aus dem Büro zu besuchen. Dort habe ich Olly Berlin getroffen und mich in sie verliebt. Am selben Abend gingen wir bis in die Morgenstunden nach Ohlsdorf, wo sie lebte, und von da an haben wir uns recht oft getroffen. Sie erzählte mir, dass sie mit einem nichtjüdischen Mann verlobt war, aber die Verbindung angesichts der Nürnberger Gesetze abgebrochen habe und ihm einen sehr teuren Verlobungsring zurückgegeben habe. Nun, der Weg war für mich frei und es dauerte nicht lange, bis ich zu ihrer Mutter ging – ihr Vater war schon lange tot – und sie bat, Olly heiraten zu dürfen. Die Verlobung wurde arrangiert und ich traf die ganzen Mitglieder der Familie Berlin – sehr nette Leute – und am 12. November 1937 haben wir geheiratet.

Wir zogen in eine kleine Wohnung – ein neu gebautes Mehrfamilienhaus – die noch nicht einmal ein Badezimmer hatte. Wir kauften uns eine tragbare Badewanne, die wir auf dem Dachboden lagerten, und wenn wir ein Bad nehmen wollten, mussten wir sie herunterholen und das heiße Wasser aus der Spüle in die Wanne laufen lassen. Nun, wir waren noch jung und es machte uns nicht so viel aus, die Wanne herunterzubringen und anschließend wieder heraufzutragen. Olga – sie wurde Olly genannt – und ich waren recht glücklich miteinander und sie ging sogar mit mir bei Ephraim, Gumpel & Co. zur Arbeit. Wir verbrachten unsere Zeit recht oft mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern Ernst und Herbert in ihrer Wohnung in Ohlsdorf und alles wäre schön und prima gewesen, bis Olly plötzlich schwanger wurde. Angesichts der sehr schlechten Umstände in Deutschland zu der Zeit, hatten wir nicht geplant, eine Familie zu gründen. Unsere Bemühungen, einen Arzt für eine Abtreibung zu finden, blieben fruchtlos und so wurde am 22. Februar 1939 unser Sohn Dan geboren."

Zu dieser Zeit lebten Olga, Donat und Dan bereits bei Familie Berlin in Ohlsdorf.
Nachdem Olgas Brüder Ernst und Herbert sowie Donats Bruder James nach der Pogromnacht im November 1938 verhaftet und für rund einen Monat ins Konzentrationslager Sachsenhau­sen verschleppt worden waren, reifte ihr Entschluss, Deutschland zu verlassen. Herbert gelang im März 1939 die Flucht nach England, während Donat, sein Schwager Ernst und sein Bruder James beabsichtigten, zu Donats und James’ älterem Bruder nach Manila zu emigrieren, um später die Familien ebenfalls dorthin zu holen.

Dazu schrieb Donat in seinen Lebenserinnerungen:
"Die Zeit war gekommen, dass wir uns um unsere Ausreise aus dem Land kümmern mussten und Ernst Berlin und ich gingen jeden Tag von Ort zu Ort, um ein Visa zu bekommen. Jedes ausländische Konsulat, jede Schiffahrtslinie, bei denen wir es versuchten, weigerte sich, uns ein Visa oder einen Fahrschein in ein anderes Land auszustellen. Mein ältester Bruder Gustav war schon fort in Manila und wir versuchten, auf die Philip­pinen zu kommen, die zu der Zeit noch unter Herrschaft der USA waren.

Es gab kein einziges Konsulat, das wir nicht aufgesucht haben – keine einzige Schiffahrtsgesellschaft, bei der wir nicht versucht haben, eine Passage nach Manila zu bekommen, wo wir hin wollten, und schließlich – und ich glaube es war Ernst, dem es gelang – erhielten wir eine Passage nach Bangkok in Siam (heute Thailand) bei der Ostasiatischen Schiffahrtslinie. Aber nach einiger Zeit hatten wir alle Papiere zusammen und am 26. Juli 1939 konnten wir auf der ,Selandia‘ abreisen nach ....... Bangkok!

Wie soll ein Mann die Tage beschreiben, bevor er sein Zu­hause verlässt, seine Frau, seinen Sohn und alles von dem er glaubte, es sei seine Zukunft? Ich sehe mich immer noch, wie ich das Haus in Ohlsdorf verlasse – Olly steht im Flur mit unserem Sohn auf dem Arm und ebenso steht da meine Schwiegermutter, Fanny Berlin ... und ich werde sie alle nie wiedersehen."

Da Donat, Ernst und James das Schiff in Manila nicht verlassen durften, gelangten sie schließlich mit einer Schiffspassage nach Schanghai.

Noch während die drei auf der Reise waren, mussten Fanny Berlin, ihre Tochter Olga und der Enkelsohn Dan das Haus in der Fuhlsbüttler Straße verlassen, sie zogen am 1. August 1939 zum Eppendorfer Baum 10. Der Betrieb wurde "arisiert". Das Hamburger Adressbuch von 1941 verzeichnet als Eigentümer des Grundstücks Fuhlsbüttler Straße 666/672 "Kallmes & Levy" sowie als Bewohner des Hauses Nr. 668 u. a. "Dannemann, K., Grabmale" und "Schwarz, Alb., Steinmetz-Meister".
Den Umzug an den Eppendorfer Baum nahmen Ernst und Donat bei einem Aufenthalt am 28/29. Juli 1939 in Southampton, wo sie Herbert Berlin trafen, zum Anlass, ihrer Familie in Hamburg ein kleines Gedicht zu schreiben:

Zum 1. August 1939 !

Wir sitzen hier und denken wie verstohlen
an die vergangene schöne, schöne Zeit.
Ihr braucht nicht mehr Briketts und keine Kohlen
und auch die Küche ist nicht mehr so weit.

Ihr braucht nicht mehr die Treppen raufzulaufen
Im Keller nicht mehr nach dem Feuer sehn
Nach Barmbek nicht, um Fische einzukaufen.
Habt’s auch nicht weit, um Minna mal zu sehn.

Wollt Ihr zum Bridge, braucht Ihr nicht mehr zu beben,
Krieg ich die Bahn um 4 Minuten später noch.
Ja endlich könnt Ihr ruhig für Euch leben
Ist auch das Zimmer klein, die Küche nur ein Loch.

Sei wie ihm sei, wir greifen nun zum Punsche
Und trinken ihn auf Euer gutes Wohl
Und sagen Euch, es gibt nur noch ein Wunsche,
Dass schnell es sei, bis Ernst die Mami hol.

Drum setzt Euch hin in Eure neue Klause,
Und nehmt die Tage, nehmt sie einfach hin
Fühlt Euch dort jetzt genau, gradwie zu Hause
und haltet hoch den Kopf und auch den Sinn.

Seid frohen Muts und lasst’s Euch nicht verdrießen
Wenn auch das Neue anfangs etwas schwer
Mit diesen Blumen wollen wir Euch grüßen
und senden unsere ganze Liebe her.


Über das Leben von Fanny Berlin sowie ihrer Tochter Olga und ihres Enkelkindes Dan gibt ein Briefwechsel mit Herbert Berlin Auskunft.

Fanny Berlin, 8.8.1939:
"Nun sind wir also schon eine Woche in unserem Heim und es gefällt Olly, mir und auch Dan sehr gut; wir haben keine Sehnsucht nach Ohlsdorf, noch nicht eine Minute. Kannst Du Dir denken, dass ich den alten Stall schon fast vergessen habe. Es war ja auch zuletzt zu dreckig; der Kalk ist förmlich von den Wänden gefallen, man konnte nur noch den Regen, da es überall durchregnete, aufwischen. Vorbei ist vorbei, einmal sind die Schweine dort bitter enttäuscht, mindestens wegen der Wohnung. Heute sind wir nun endlich richtig mit unserer Wohnung fertig geworden, nun werden wir es auch weiter machen, bis wir eines Tages alle zusammenkommen, davon bin ich ja so fest überzeugt. Darum bin ich ja auch so froh, dass Ernst und Donat nun auch fort sind, die machen bestimmt ihren Weg. Neues gibt es hier eigentlich gar nicht."

Zusatz von Olly Berlin:
"Wir sind wirklich froh, dass sie und ebenso Du raus sind. Jeder Tag, so wie die Berichte hier sind, kann etwas bringen, aber hoffentlich wächst Gras darüber. – Unsere Wohnung ist fabelhaft und komfortabel, für nur RM 55,- Miete. An der großen Küche für die Vorderwohnung liegt unsere kleine."

Fanny Berlin 15.8.1939:
"Hier gibt es wenig, wir hoffen und wünschen, dass alles seinen ruhigen Weg weitergeht, wie immer. Dan macht uns große Freude; in den nächsten Tagen hat er bestimmt seine ersten Zähne. Mama sagt er auch schon, manchmal sogar zu mir. Er hat sich fein rausgemacht, trotzdem er nicht mehr den ganzen Tag im Freien stehen kann. Das Wetter ist hier eigentlich noch immer recht gut, hin und wieder Regen, aber wir haben doch einen guten Sommer gehabt."

Olga Wolf 2.10.1939:
"Fein, dass wir die neutralen Lucos [Fannys Bruder Ludwig und Schwägerin Coba/Jacoba in Holland] haben. Wie viel wir diesen überhaupt danken, können wir gar nicht so oft sagen. Na, Du weißt es selbst. Ebenso Dan, der sich ganz prächtig macht, nutzt die geschenkten Windeln und ... etc. von ihnen kräftig aus. Hoffe, dass er bald (Henkel) trocken wird. Diese ewige Kinder-Wäsche! Heute, Sonntag, fuhren wir mit ihm nachmittags an die Alster ca. 2 Stunden spazieren. Das ist für Mami auch recht gut. Wenn sie kein Bridge spielt, geht Mami fast immer mit. – Trotzdem die Wintermode schon eingesetzt hat, läuft Mami noch mit ’nem Strohhut. Der gute Filzhut liegt noch im Karton! Reden hilft ja nichts. Wir haben unterwegs von all den Damen nur zwei mit Stroh – bedeckten – Häuptern gesehen. Ich habe absichtlich diese Menge gezählt. Na, Du kennst sie ja! –

Dan wiegt jetzt mindestens 18 Pfund. Neulich war ich beim Doktor, weil er zu gesund ist, er isst nämlich zu viel. Dort wog er 8,3 Kilo. Er tätschelte ihn ein paar Mal und wiederholte immer: ,Ein Prachtkerl ist das!‘ Er ist bei seinem Gewicht groß und fest gebaut. Hat eine breite hohe Männerbrust schon; verspricht, wenn alle geschäftlichen Transaktionen nicht gelingen, ein Weltmeister im Preisboxen zu werden oder so ähnlich! Augenblicklich verspricht er erstmal, ein Racker zu sein. Er ist sehr artig. Ein ganz Vergnügter. Frl. Bertha Heymann nennt ihn ‚Snuten und Poten-Wolf’ [Snuten und Poten war eines der populären Lieder der Gebrüder Wolf]. Er gibt eine Welle manchmal an. Mischt hier herum. Lacht, wenn Mami jr. lacht. Jeden lächelt er übrigens freundlich an und ist gar nicht fremd. Geht von einem Damenschoß zum anderen. Das macht ihm nichts aus! Er hat schon mächtige Chancen und wird sehr bewundert. Richard [Fannys Bruder Richard Meyer] hat sogar auch Vergnügen an ihm. … – Uns geht es wirklich gut und wir geben die Hoffnung nicht auf, dass es bald Frieden wird und wir alle zusammen vereint sind."

Fanny Berlin, 19.11.1939:
"Er [Dan] machte auch schon backe, backe Kuchen. Unser Jung macht nämlich seine erste Nummer, backe, backe Kuchen, jetzt horcht er auch auf die Musik und macht Winke, er hat sich ganz famos rausgemacht, das Essen schmeckt ihm, mit jeder Dame ist er freundlich und lacht. Er ist ja nun schon ¾ Jahr alt, und Du mein Peter [Fanny Berlin nannte ihren Sohn Herbert häufig Peter] bist auch schon bald ¾ Jahr fort."

Fanny Berlin, Januar 1940:
"Meine Amerika-Nummer ist 11403! Vorläufig komme ich ja nicht dran. Welche Nummer hast Du? Es geht ein Gerücht, dass alle die, welche auf ihre Nummer im Ausland warten, ausgeschaltet werden, und erst diejenigen, die noch hier in Deutschland darauf warten, den Vorrang haben, na abwarten. Ich möchte ja viel viel lieber nach dort, aber man soll ja auch in Shanghai leben können."

Fanny Berlin, 23.1.1940:
"Momentan, seit 3 Wochen, ist es hier kalt und unsere Heizung ist auch nicht so wie sonst, noch dazu wenn der Wind durch die Straßen fegt, aber nicht zurück in die alte Wohnung. Am 15. Januar war ich auf dem Friedhof, es ist alles dort verschneit und vereist momentan. Mit Reichs nach U.S.A. klappt es noch nicht, sie hätten schon fahren können, aber der Mann drüben muss noch einen Bürgen bringen. Es geht ihnen aber soweit gut und Hilde ist noch immer so, so."

Olga Wolf, 23.1.1940:
"Lucos haben uns unlängst eine reiche Sendung zugehen lassen, mit der auch besonders Dan bedacht wurde und noch wird. Er ist ein Prachtkerl und nimmt fleißig an Gewicht und Talenten zu. Donat erlaubt nicht, dass wir ihn [zum] Affen erziehen, Du weißt, dass uns das auch nicht liegt. Jetzt kann man schon so richtig mit ihm rumtoben. Kitzlig ist er … das einzige was er von mir bislang geerbt hat!
– Nachmittags trägt Dan schon Stiefel. So wird er langsam ein Mann. Er macht viel Stim­mung und ist schon sehr beliebt. – Gehen fast jede Woche ein Mal ins Kino und es gibt immer die neuesten und nettesten Filme." [Aufführungen des Jüdischen Kulturbundes]

Fanny Berlin, Februar 1940:
"Die Anforderung für Olly No. 10069 [Visum für Schanghai]; mach Dir ein Bild, genau wie Amerika, ist furchtbar schwer, natürlich für mich auch, aber Donat wird die Sache schon regeln, denn wenn Du viel Geld hast wie überall. Nächste Woche wird Dan nun schon ein Jahr, wie schnell ist das Jahr gegangen, es hat auch zuviel gebracht. Am 8. März, mein Peter, bist Du dann auch schon ein Jahr fort, aber ich will nicht jammern, nur denken, eines Tages sehen wir uns bestimmt wohl und gesund wieder. Mir geht es ja G. L. gesundheitlich gut, weit besser wie im vergangenen Jahr um diese Zeit. Möchte nur recht bald überall die Sonne erst scheinen, aber es sieht noch gar nicht so aus. Solch einen strengen Winter wie jetzt haben wir ja ewig nicht gehabt und so viel Schnee. Leider hat unsere Wohnung den einzigen Fehler, dass wir unter uns den Kellereingang haben und wenn man so sitzt, wie ich momentan, Eisbeine bekommt. Olly hat sich auch etwas erkältet, dies wird hoffentlich recht bald wieder gut sein."

Fanny Berlin, 21.3.1940:
"Bei uns ist ja eigentlich noch immer kein warmes Wetter. Diese Woche ist nun schon Ostern, wie die Zeit geht. Dan ist ein vergnügtes Kerlchen, sein Essen schmeckt ihm zwar nicht mehr ganz so gut, aber er kann doch zufrieden sein und ist es eigentlich auch. Gesundheitlich geht es Olly und mir auch wie immer. Familie ist ja nicht mehr groß, aber Minna und Richard [Richard Meyer, ein Bruder von Fanny Berlin, war mit Minna Berlin verheiratet] sehen wir doch häufig. Aber nur gut, dass sie doch noch etwas entfernt wohnen. Malchen [Malchen Berlin war das Pflegekind von Richard und Minna Meyer] geht mal wieder auf einige Zeit nach Hasslinghausen [dort lebte die Familie von Malchens leiblicher Mutter], da hat sie es fein, sie versäumt hier ja auch nichts. Werner Beit [Freund von Herbert Berlin] habe ich nicht wieder gesehen, ob er noch am Krankenhaus tätig ist, weiß ich nicht."

Fanny Berlin, 29.11.1940:
"Dan ist ein famoser Junge geworden, jetzt kann er schon fast die Schürze tragen, die Du ihm zur Geburt geschenkt hast, man muss wirklich praktisch schenken. Den einzigen, den ich hier mal sehe, ist Werner Beit mit Frau, die sieht ganz gut aus, und er fragt auch immer, wie es Dir geht. Ich kenne ja sonst wenig von deinen Freunden und Freundinnen. Malchen ist auch noch unverändert hier. Klaus [gemeint ist vermutlich der Sohn von Ludwig und Jacoba Meyer in Holland, der zu diesem Zeitpunkt bereits in England war] soll es auch sehr gut gehen. Wir haben noch immer unsere Zweizimmerwohnung, welche wirklich nett und gemütlich ist, aber eines Tages hoffen wir, doch in Shanghai zu landen. Ernst hat es wirklich nicht leicht, doch hoffe ich, dass dies doch mal wird. Richard hatte eine ziemliche Operation durchgemacht, seine Gedärme sind vollkommen verlegt. Es geht sehr langsam mit ihm, aber der Professor ist sehr zufrieden."

Fanny Berlin, 14.1.1941 (der letzte erhaltene Brief):
"Mit Olly und Dan geht es wirklich gut. Wir sind gesund und munter. Haben nur den Wunsch, recht bald mit Euch wieder zusammen zu kommen. Von Onkel Ludwig habe ich auch gute Nachrichten. Klaus geht es gut und auch Rösi mit Familie? Richard ist auch bald wieder der Alte. Minna führt … und Malchen ist genauso wie früher. Von Deinen früheren Freunden kann ich Dir leider nicht viel berichten, die sind auch wohl alle fort; bis auf Beit, den sehe ich ab und zu mal im Kino im Gemeinschaftshaus, sieht aber unverändert aus. Unsere kleine niedliche Wohnung ist warm und gemütlich, und ich habe mich hier sehr schnell eingelebt. Noch lieber wäre mir natürlich, von Dir zu hören."
Zusatz von Olga Wolf:
"Deine Azalee (Pflanze), die Du Mami als Abschiedsgruß schenktest, blüht zum ersten Mal wieder und bereitet uns doppelte Freude. Wir denken viel an Dich und hoffen, Dich bald zu sehen!
Deine Dich liebende Olly"

Ludwig Wolf schrieb am 11.3.1946 an seinen Neffen Donat Wolf:
"Ja, lieber Junge, wo fange ich an und wo höre ich auf. Am besten, ich beginne da, wo wir Deine liebe Olly, Dan und Deine Schwiegermutter betreuten. Tante Magda [Magdalene Wolf, geb. Felst, zweite Ehefrau von Ludwig Wolf] und ich haben tagtäglich von morgens bis abends bis zur Evakuierung in Deiner Wohnung gepackt, Wäsche gezeichnet und für jeden sein Ge­päck geordnet. Habe sämtliche Gepäckstücke signiert folgendermaßen: Olga Sara Wolf, geb. Berlin, geboren in Hamburg, geboren 1910, Evakuierungsgepäck. Jedes Gepäckstück mußte ganz gepackt und verschnürt sein und am Tage der Abreise nach der Carolinenstraße angeliefert werden. Ich habe an diesen Tagen mit Cäsar Koppel [Cäsar Koppel war Musiker und ein Bekannter von Ludwig Wolf] zusammen, denn alleine hätte ich es nicht schaffen können, eine hoch beladene Schottsche Karre gezogen. Es war an diesem Tage mein Geburtstagsgeschenk [Ludwig wurde am 4.12.1867 geboren] und alles war für die Katz, denn das Gepäck hat Hamburg nie verlassen, das haben die Banditen gleich hier behalten. Wie mir Tante Magda erzählte, sind alle hier zur Abreise sehr gefaßt gewesen. Von der Verwandtschaft war niemand außer Tante Magda anwesend. Einige Nachbarn sowie die Scheuerfrau gingen mit zur Moorweide.

Carola [Carola Israel, Tochter von Henriette Isaac, Nichte von Ludwig Wolf] welche mit einem früheren Transport weg sollte und sich mit Veronal-Tabletten vergiftet hatte, aber wieder gesund wurde, begleitete diesmal die drei auf ihrer Fahrt ins Ungewisse. Seit dieser Zeit wiederholten sich die Evakuierungen tagtäglich und ich wurde von verschiedenen Leuten geholt, um ihre Koffer und Gepäck zu signieren. Ich sorgte dafür, daß in der Wohnung nicht allzuviel zurückgelassen wurde und es sollte alles in der Wohnung verbleiben und die Schlüssel mußten auf der Polizeiwache abgeliefert werden. Ich sorgte dafür, daß die Nazi nicht allzuviel bekamen, selbst die Glühbirnen habe ich heraus genommen und Koppel geschenkt.
Olly verkaufte und verschenkte alles, was sie nicht mitnehmen konnte. Die Wohnungseinrichtung mußte ja stehen bleiben. Aber aufzuzählen würde zu weit führen. Den letzten Rest des Geldes ließ sie sich von mir geben, um es im Korsett einzunähen, trotz meiner Warnung, es nicht mitzunehmen. Etwas später mußte ich Tante Minna Meyer, welche beim ersten Transport bei Aufrufung ihres Namens zusammenbrach und infolgedessen zurückgestellt wurde, ihre Sachen sowie Malchen ihre Habseligkeiten in Ordnung bringen. Danach kamen Tante Rosa [Rosa Stern, geb. Gumpel, Schwester von Leopold Wolfs Frau Olga, geb. Gumpel] und Tante Betty [Betty Worms, geb. Gumpel, Schwester von Olga Gumpel s. o.] an die Reihe. Auch da waren wir die einzigen, die mithalfen. Dann kam Post von Holland und Dänemark, ich beantwortete alles. Wir haben nie eine Nachricht von den Evakuierten erhalten und wissen auch nicht, wo sie abgeblieben sind. Von unserer Familie wurden Onkel Hans und Tante Flora [Hans und Flora Se­lig­mann, geb. Issac, Schwester von Ludwig Wolf] sowie Deine Cou­sine Lotte Issel und etwas später Onkel James, Tante Paula und Lene [James und Pauline Wolf sowie Helene Löwenthal, geb. Isaac, Geschwister von Ludwig Wolf] evakuiert. Es gab andauernd Aufregung und Arbeit."

Lieselotte Höbejögie, die damals 12-jährige Tochter von Ludwig Wolf, erinnert sich, dass Olga und Dan am Vorabend ihrer Einquartierung im Logenhaus an der Moorweide noch zu Besuch bei Ludwig Wolfs Familie, Hütten 86, waren. Dort wurde Dan noch einmal gebadet, ein Bild, das Lieselotte Höbejögie bis heute nicht vergessen hat.

Am 6. Dezember 1941 wurden Fanny Berlin sowie Olga und Dan Wolf nach Riga deportiert und dort ermordet. Das Datum ihres Todes ist nicht bekannt.

Auch die in den Briefen genannten Ludwig und Jacoba Meyer (Auschwitz), Minna Meyer und Malchen Berlin (Riga -> Stutthof), Rosa Stern (Theresienstadt), Betty Worms (Theresienstadt), James und Pauline Wolf (Theresienstadt), Hans und Flora Seligmann (Minsk) sowie Werner, Bertha und Berl Beit (Auschwitz) haben die Shoah nicht überlebt. Auch für sie wurden Stolpersteine in Hamburg verlegt.

Nach dem Tod von Olga und Dan Wolf war Donat in zweiter Ehe mit Beatrice Feibusch verheiratet. Aus der Ehe ist der Sohn Frank hervorgegangen, der seinen 1975 geborenen Sohn in Erinnerung an seinen ermordeten Halbbruder wiederum Dan genannt hat. Dan Wolf ist Musiker, Schauspieler und Autor. Die Geschichte von Donat, Olga und Dan hat er in seinem Theaterstück "stateless" aufgearbeitet, das auch in Hamburg mehrfach aufgeführt wurde.

© Johann-Hinrich Möller

Quellen: 1; Briefe aus Nachlass Herbert Berlin, San Raphael, Kalifornien; Brief Donat Wolf vom 9.3.1977 an seine Enkelkinder Dan und Jessica, Privatbesitz, Familie Wolf, San Raphael, Kalifornien, Deutsche Übersetzung Lena-Maria und Johann-Hinrich Möller; Wiedergutmachungskammer Hamburg AZ 2 Wik 655/52; Gespräche und Korrespondenz mit Lieselotte Höbejögie, Schweden.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Recherche und Quellen.

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