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Wilhelm Witzel * 1895
Friedensallee 94 (Altona, Ottensen)
HIER WOHNTE
WILHELM WITZEL
JG. 1895
VERHAFTET 20.11.1943
UNTERSUCHUNGSHAFT HAMBURG
HINGERICHTET 28.3.1944
HOLSTENGLACIS
Wilhelm Ludwig Adolf Witzel, geb. 24.12.1895, verhaftet 20.11.1943, hingerichtet am 28.3.1944 im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis
Friedensallee 94, Altona
Wilhelm Ludwig Adolf Witzel wurde am 24.12.1895 als Kind von Louis Wilhelm und Minna Margaretha Witzel, geb. Kurzer, in Nordhausen geboren. Seine Eltern hatten am 7. Februar 1891 in Altona geheiratet. Der Vater arbeitete als Maschinenführer bei der Papierfabrik Blunk in Altona.
Wilhelm Witzel war das einzige leibliche Kind seiner Eltern, wuchs aber zusammen mit mehreren Pflegekindern auf, die seine Eltern für das Jugendamt in Hamburg betreuten. Wilhelm Witzel beendete 1909 in Altona die Volksschule vorzeitig. Dann arbeitete er, ohne je eine Ausbildung gemacht zu haben, auf der Werft. Er war evangelisch-lutherisch.
Seine Musterung erfolgte 1915 beim Infanterieregiment 31 in Altona für den Zollgrenzschutz. Er leistete seinen Kriegsdienst an der Westfront und wurde dann 1918 als Musketier entlassen. (Die Musketiere waren eine Truppengattung der Infanterie, die ursprünglich mit Musketen bewaffnet gewesen waren.)
Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er bei verschiedenen Firmen, so u. a. bei Firma Kiesler & Wesseloh, bei der Allgemeinen Transport A.G., im Hafenfernverkehr und dann fünf Jahre im Güterfernverkehr als Führer von Zugmaschinen. Ein Führerschein war zu dieser Zeit noch nicht erforderlich.
Am 16. Juni 1923 heiratete er Martha Henriette, geb. Raulfs, geboren am 13.12.1898 in Hamm/Westfalen. Ihre Eltern waren der Gastwirt Heinrich und Christine Raulfs, geb. Bade. Martha Raulfs hatte in Altona die Volksschule besucht und dann als Putzfrau gearbeitet. Außerdem half sie ihrem Vater in der Gaststätte. Sie war in erster Ehe mit Peter Robert Hinrich von Bergen (geb. 22.7.1889) verheiratet gewesen, von dem sie am 9. April 1921 geschieden worden war.
Von 1916 bis 1923 wohnten Wilhelm und Martha Witzel in der Großen Brunnenstraße 68 in Altona, dann zogen sie 1934 in eine Wohnung in der Carl-Theodor-Straße 10. Ab 1935 lautete die Adresse Friedensallee 94, denn sie lebten nun im Keller des HJ-Heims, für das sie als Heimwartsehepaar eingesetzt worden waren. Das Amt für Sport und Jugendpflege in Altona bot ihnen als Gegenleistung für diese Tätigkeit mietfreies Wohnen und überließ ihnen das Heizmaterial günstiger.
Wilhelm Witzels Eltern lebten in der unmittelbaren Nachbarschaft, was sowohl Wilhelm Witzel nutzte, wenn er bei den häufigen Streitereien mit seiner Frau dort unterkam, als auch seinen Eltern, wenn sie Unterstützung bei Behördengängen benötigten.
Anfang des Jahres 1939 legte Wilhelm Witzel seine Führerschein Klasse 2-Prüfung ab und arbeitete dann als Fernfahrer. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde er als unabkömmlich eingestuft. D.h. er galt als Fachkraft, die nicht zur Wehrmacht eingezogen wurde, weil er "Reichsverteidigungsaufgaben in der Kriegswirtschaft des Verkehrs oder der Verwaltung" gemäß § 5 Abs. 2 Wehrgesetz leistete, d.h. Wilhelm Witzel wurde wegen seiner Tätigkeit als Heimwart des HJ-Heims nicht eingezogen.
Von 1940 bis 1943 wurde Wilhelm Witzel als Fahrer für die Organisation Todt eingesetzt. Er transportierte Unterlagen der NSDAP, die nicht mit der Post geschickt werden konnten. (Die Organisation Todt war eigentlich eine paramilitärische Bautruppe im nationalsozialistischen Deutschland und den besetzten Gebieten, die ab März 1940 dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition unterstand.)
Wilhelm Witzel war bis März 1943 in Russland eingesetzt, wo er sich mit der Infektionskrankheit Q-Fieber, auch Wollhygiene-Fieber genannt, ansteckte und deshalb nach Hamburg versetzt wurde. (Diese bakterielle Krankheit wird durch Kontakt mit Rindern, Schafen, Ziegen oder Hunde auf den Menschen z. B. durch Zecken übertragen.)
Offensichtlich wieder genesen, nahm er im Mai 1943 eine Stelle als Fernfahrer bei der Firma Karl Arndt an, die er ausfüllte, bis er und seine Frau am 20. November 1943 wegen "Plünderung" verhaftet wurden.
Was war geschehen?
Während der Luftangriffe auf Hamburg zerstörte am 25. Juli 1943 nachts eine Bombe ein Haus in der Friedensallee 107. Dessen Bewohner bargen ihren Hausrat, den sie auf die Straße schafften. Dort befanden sie sich auch noch am darauf folgenden Tag. Wilhelm Witzel, der als Heimwart für die Gegenstände aus den umliegenden Häusern, die durch "Feindeinwirkung" zerstört wurden, mit zuständig gewesen war, verwahrte die Gegenstände bei sich im Keller.
Inzwischen suchten zwei der Ausgebombten ihre Möbel und Wertgegenstände, die Ihnen, so meinten sie, gestohlen worden waren. Sie erstatteten Anzeige. Die eine hatte Martha Witzel gefragt, ob sie Schmuckstücke an sich genommen habe. Diese hatten sich Büffetschrank befunden, der an der Straße gestanden hatte. Martha Witzel hatte verneint.
Nachdem Anzeige erstattet worden war, führte die Polizei eine Haussuchung am 20. November 1943 beim Ehepaar Witzel durch. Dort stellten Kriminalbeamte Teile der Wertgegenstände, so u. a. einen Trauring und eine Armbanduhr, sicher, die eine der beiden Ausgebombten als ihr Eigentum erkannte. Die andere erkannte einen ihrer Bettbezüge.
Die Polizei stieß zudem auf einen Koffer mit Bestecken, Schmuck, Kleidung, einem Degen und einem Ordner mit Dokumenten. Weitere Möbel, so u. a. ein komplettes Schlafzimmer, Tische und Schränke, hatte das Ehepaar Witzel im Keller deponiert. Auch Lebensmittel und Spirituosen befanden sich dort, die noch Staubreste von der Bombenexplosion trugen.
Martha Witzel wurde wegen Mittäterschaft und Verdunkelungsgefahr am 20. November 1943 vorläufig festgenommen und in das Polizeirevier Hütten überführt. Sie gab am 21. November 1943 zu Protokoll: "Ich möchte noch betonen, dass ich mit der ganzen Sache nichts zu tun habe. Die bei uns in der Wohnung gefundenen Sachen hat mein Mann alleine zu uns in die Wohnung gebracht. Ich habe nicht dabei geholfen. Ich kann bestimmt weiter keine Angaben zur Sache machen."
Zwei Beamte vom Fahndungskommando Justiz wurden nun vor der Wohnung des Ehepaares Witzel postiert, um auf die Rückkehr von Wilhelm Witzel zu warten. Er erschien am nächsten Tag, dem 23. November 1943, und wurde umgehend auf das Polizeirevier gebracht. Wilhelm Witzel sagte aus, dass etwa 15 – 20 Menschen ihn beauftragt hätten, ihre Möbel bei sich im Keller zu deponieren. Die Anwohner würden sich dann ihr Eigentum nach und nach wieder abholen.
Am 27. November 1943 bat Wilhelm Witzel um eine zweitägige Haftunterbrechung, damit er die Versorgung seiner Tiere organisieren konnte. Er wolle seine 18 Hühner und Kaninchen dem Lazarett übergeben, denn er befürchte, dass sie sonst verhungern könnten. Außerdem wolle er die Meerschweinchen, die er für Zuchtzwecke übernommen hatte, zurückgeben.
Am 3. Dezember 1943 gab Wilhelm Witzel zu Protokoll, er habe die Angriffsnacht vom 24. Juli auf den 25. Juli 1943 zu Hause miterlebt. Das Haus hatte keine gravierenden Schäden aufgewiesen. Die Wohnung seiner (Pflege)Schwester Martha Risch sei komplett ausgebrannt. Martha Risch, einige französische Gefangene und etliche Nachbarn, deren Wohnungen ebenfalls beschädigt worden waren, hätten Sachen in seine Kellerwohnung getragen. Nach und nach hätten die betroffenen Personen diese wieder abgeholt. Zu den Schmuckgegenständen gab er zu Protokoll, dass - sollte sich niemand melden – er sie behalten hätte. Er und seine Frau – so fuhr er fort - hätten durch ihre Parteimitgliedschaft in der NSDAP besondere Vorteile gehabt, (beide sind in der Mitgliederkartei der NSDAP allerdings nicht verzeichnet), dieser hätten sie sowohl die Stelle als Heimwart wie auch seine Arbeit für die Organisation Todt zu verdanken gehabt. Die Anklage berief sieben Zeugen gegen Wilhelm Witzel, darunter einen Kriminalinspektor Joost, der mit zwei der Zeugen verwandt war.
Wilhelm Witzel wurde vom Sondergericht am 22. Februar 1944 wegen Plünderung zum Tode verurteilt. Martha Witzel erhielt eine Strafe von 2 1/2 Jahren, die sie im Frauengefängnis Dreibergen in Bützow verbüßen sollte. (Ihre Entlassung erfolgte am 17. Dezember 1944.)
Der Rechtsanwalt W. Butenschön bat das Sondergericht am 8. März 1944 vorab um die Freigabe des Leichnams von Wilhelm Witzel nach der Hinrichtung, damit dieser beigesetzt werden könne: "Die Eltern hatten bereits einen Pflegesohn im ersten Weltkrieg verloren. Im Juli 1943 sind bei den Bombenangriffen zwei weitere Pflegesöhne und eine Pflegetochter ums Leben gekommen. Wilhelm Witzel war der letzte Sohn, der ihnen noch verblieben war. Seit der Verurteilung von Wilhelm Witzel waren seine Eltern völlig gebrochen und zum Teil bettlägerig geworden. Sie wollten wenigstens später sein Grab noch besuchen können."
Am 20. März 1944 ordnete der Reichsminister der Justiz an, dass die Hinrichtung von Wilhelm Witzel mit "größter Beschleunigung" zu erfolgen habe. Sie wurde Scharfrichter Hehr übertragen. Dieser vollstreckte sie im Strafjustizgebäude am 28. März 1944 um 16.oo Uhr mit dem Fallbeil.
Die Firma Lütcke & Wulff erhielt einen Druckauftrag, um die Hinrichtung, wie damals üblich, mit Aushängen öffentlich bekanntzugeben.
Wilhelm Witzel wurde am 3. April 1944 auf dem Hauptfriedhof Altona in dem Grab 29.XIV.2.201 beigesetzt.
Am 24. August 1950 reichte Martha Witzel einen Antrag auf Anerkennung der Witwenrente bei der Landesversicherungsanstalt ein. Die Rentenzahlung wurde abgelehnt.
Martha Witzel, seit dem 23. Dezember 1952 mit Jürgen August Karl Habermann verheiratet, beauftragte am 1. August 1953 erneut einen Rechtsanwalt, für sie eine Rente zu beantragen, denn die Verhaftung ihres früheren Mannes sei aus politischen Gründen erfolgt. Wieder wurde die Rente abgelehnt. Am 12. Januar 1989 verstarb Martha Habermann.
Stand: Juni 2021
© Bärbel Klein
Quellen: StaH, 213-11_69701; 242-1 II_Ablieferung 4, Nr. 84, 351-11_20711; 424-15_657; 332-5_161/1989; 332-5_97/1918; 332-5_88/1891; 332-5_608/1921; 332-5_658/1023; 332-5_193/1944; 332-5_22/1952; 741-4_K2386; 741-4_K4585; 741-4_5377; 741-4_7192; 741-4_K2374; Unterlagen vom Hauptfriedhof Altona; www.wikipedea.de.