Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Der Koffer mit Ludwig Louis Bermanns Namen in der Gedenkstätte Auschwitz
© Ingo Wille

Ludwig Louis Bermann * 1886

Parkallee 22 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1942 Theresienstadt
1944 Auschwitz
ermordet

Ludwig Louis Bermann, geb. 26.12.1886 in Schildberg, deportiert 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 28.10.1944 nach Auschwitz

Parkallee 22 (Harvestehude)

Ludwig Louis Bermann wurde 1886 im seit 1795 von Preußen annektierten Schildberg (polnisch Ostrzeszow), einer Kreisstadt in Posen, als Sohn des Kaufmanns Benjamin Bermann (gestorben vor 1912) und Jette, geb. Horn geboren. Wie sein Vater ergriff auch er den Beruf des Kaufmanns.

Ludwig Bermann heiratete 1912 in Hagen Adele Lina Luise Prein (geb. 23.8.1890 in Hagen/Westfalen), die Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche war. Trauzeugen waren der in Hagen wohnhafte Fabrikbetriebsbeamte Friedrich Schlöter (geb. ca. 1885) und der in Hanau wohnhafte Gefreite des 1. Kompanie des Eisenbahnregiments No. 3, Julius Prein (geb. ca. 1889). Auch die Mutter des Bräutigams, der die Heiratsurkunde mit "Louis Bermann" unterzeichnete, dürfte aus ihrem neuen Wohnort Karlshorst bei Berlin angereist sein.

Die Eheleute lebten in Hagen/Westfalen und bekamen dort drei Kinder: Ilse (1912), Rudi (1915) und Anneliese (1920). Seit 1912 war Ludwig Louis Bermann "Geschäftsreisender" bzw. Handelsvertreter (Reisender) für Artikel der Herren- und Damen-Konfektion, Stoffe, Schneidereibedarf etc. Für die Schneiderartikel-Großhandlung Julius Baer (Wuppertal-Elberfeld, Königstraße 83), die Großhandlung für Posament-Futterstoff und Schneiderartikel Adolf Rosenthal (Magdeburg, Kantstraße 11), eine Tuchfirma aus Aachen sowie eine weitere deutsche und eine englische Firma bereiste er das Rheinland, Westfalen, Berlin und Hamburg. Dafür stellte ihm die Firma Julius Baer zeitweilig einen Wagen mit Chauffeur zur Verfügung. 1913 trat Ludwig Louis Bermann in den Gewerkschaftsbund der Angestellten und 1923 in den Verband reisender Kaufleute ein.

Im Februar 1931 zog Familie Bermann von Hagen/Westfalen (Fliegerstraße 96) 180 km nordöstlich nach Bad Pyrmont und im April 1934 weitere 230 km nördlich nach Hamburg. Die genauen Gründe für die Umzüge sind nicht bekannt, dürften aber im Falle des letzten Wohnortwechsels im Zusammenhang mit antijüdischen Maßnahmen stehen. Im Juni 1934 trat Ludwig Louis Bermann der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg bei. Auf seiner Kultussteuerkarteikarte wurde hinter der Ehefrau sowie den Kindern als Religion evangelisch vermerkt, als Wohnadresse war die Parkallee 22 I. Stock angegeben, die Berufsangabe lautete Vertreter. Aber auch in Hamburg fanden die Bermanns keine einfachen Existenzbedingungen vor: Der reichsweite Boykott am 1. April 1933 hatte jüdische Geschäfte, Anwalts- und Arztpraxen betroffen, in einigen Stadtteilen folgten 1935 Straßenaktionen der SA, die NS-Presse hetzte gegen Juden.

In Hamburg meldete Ludwig Louis Bermann am 4. Januar 1935 sein Gewerbe ("Vertretung in Textilwaren") für die Adresse Parkallee 22 an. Die Einnahmen gingen aber auch wegen gezielter staatlicher Behinderungen zurück. Bis 1937 wurde er nicht in den Hamburger Adressbüchern verzeichnet, vermutlich wohnte er in den ersten vier Jahren mit seiner Familie zur Untermiete. Erstmalig 1938 erschien der Eintrag "Bermann, Ludw., Kaufm., Werderstr. 5" im Adressbuch, als Eigentümer des Harvestehuder Wohnhauses war die Grundstücksverwaltung Claus Hinrichsen angegeben, denkbar ist aber auch, dass die Firma die Immobilie nur verwaltete.

In dem fünfgeschossigen Wohnhaus Werderstraße 5 kam es Mitte/Ende der 1930er-Jahre zu umfangreichen Wechseln der Mieter. Zwischen 1936 und 1940 wurden laut Hamburger Adressbuch der I. bis IV. Stock komplett neu vermietet. Im Hochparterre wohnte von 1938 bis 1941 Martha Ruben, geb. Israel (geb. 23.5.1873 in Hamburg), Witwe von Albert Ruben, die am 15. Juli 1942 aus der Kielortallee 22 deportiert wurde. Im III. Stock war 1938 und 1939 die verwitwete Johanna Hirschfeld, geb. Katz (geb. 17.1.1878 in Kassel) vermerkt, die mit dem kaufmännischen Angestellten Meyer Max Hirschfeld (1872–1932) verheiratet war und der im April 1939 die Emigration in die USA gelang. Im Nebenhaus Werderstraße 7 zogen 1939 anstelle der Erdgeschossgeschäfte des Chemikalienvertreters Ernst Alsberg (gegr. 1919) und dessen Firma Paul A. G. Scholz (gegr. 1925) zwei Einrichtungen des NSDAP-Kreises Hamburg 2 ein: das Amt für Beamte und das Kreisgericht. Der Kaufmann Ernst Alsberg (geb. 8.6.1879 in Kassel) wurde zusammen mit seiner Ehefrau Gertrud Alsberg, geb. Feiss (geb. 15.1.1895 in Mußbach) am 15. Juli 1942 in das Getto Theresienstadt und später weiter in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert.

Im Zuge des Novemberpogroms 1938 wurde Ludwig Louis Bermann in das Konzentrationslager Sachsenhausen (Häftlingsblock 60, Häftlings-Nr. 10675) verschleppt, am 6. Dezember 1938 mit der Auflage entlassen, über die Vorgänge im Lager Stillschweigen zu bewahren. Seine Berufstätigkeit hatte er zum 30. September 1938 notgedrungen aufgegeben, da die Firmen, für die er als Handelsvertreter Waren verkaufte, entweder selbst boykottiert wurden oder den Kontrakt mit ihm kündigten. Firma Julius Baer, gegründet ca. 1907 von Julius Baer (1870–1927), war 1935/36 aufgelöst worden. (Die Ehefrau des Firmeninhabers, Irma Charlotte Baer, geb. Baum (geb. 24.5.1882 in Elberfeld) wurde am 21. April 1942 nach Izbica (Polen) deportiert, ihr Todesdatum ist nicht bekannt.) Firma Adolf Rosenthal (Magdeburg), gegründet von Adolf Rosenthal (1830–1901), der auch Vorstandsmitglied des Repräsentanten-Collegiums der Synagogen-Gemeinde Magdeburg sowie der Jüdischen Kranken-Unterstützungs-Gesellschaft und der Israelitischen Beerdigungsgesellschaft war, nach dessen Tod weitergeführt von seinem Sohn Hermann Rosenthal (1870–1943) und zwei weiteren Teilhabern, wurde zum 27. Dezember 1938 geschlossen (Hermann Rosenthal starb im März 1943 im Getto Theresienstadt.) Die "Verordnung zur Durchführung der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" vom 23. November 1938 untersagte Ludwig Louis Bermann endgültig eine Fortsetzung seiner Berufstätigkeit.

Adele Bermann, geb. Prein war im Mai 1935 im Universitäts-Krankenhaus Hamburg-Eppendorf an Nierenversagen verstorben. Im September 1935 wurde mit dem "Gesetz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" offiziell die Neuvermählung zwischen "Juden" und "Deutschblütigen" verboten, die bisherigen "Mischehen" wurden vom NS-Staat nicht annuliert. Aufgrund des Todes seiner nichtjüdischen Ehefrau aber wurde Ludwig Louis Bermann im Dezember 1938 nicht der Status einer "privilegierten Mischehe" zugebilligt, der ihn von einigen gravierenden Maßnahmen ausgenommen hätte. Einen gewissen Schutz bot ihm nun nur noch die Erziehung seiner minderjährigen Tochter; mit deren Volljährigkeit am 15. Juli 1941 drohte Ludwig Louis Bermann nun die Zwangsverpflichtung zu Arbeitseinsätzen und danach die Deportation.

Bei dem "Gummi-Berufsschuhwerk-Großvertrieb Rasch & Jung" (Große Bleichen 31) wurde Ludwig Louis Bermann, ebenso wie Walter Hess (siehe Biografie Louise Hess geb. Mecklenburg), als Lagerarbeiter in einer "jüdischen Kolonne" eingesetzt. Die Zwangsverpflichtung wurde von Willibald Schallert (Arbeitsamt Hamburg, Abteilung Judeneinsatz) angeordnet. Das Be- und Entladen von Waggons und Schiffen sowie das Stapeln von Kollis (Stückgut) war eine körperlich anstrengende Arbeit.

Ab dem 19. September 1941 war er zum Tragen eines gelben Judensterns auf der äußeren Kleidung gezwungen; Ende Oktober 1941 begannen die Deportationen. Als ehemals in Mischehe lebend wurde Ludwig Louis Bermann zunächst noch zurückgestellt, bis die Transporte in das "Vorzugslager" begannen, das Getto Theresienstadt. Am 19. Juli 1942 wurde der 55-jährige Ludwig Louis Bermann mit dem Transport VI/2 dorthin deportiert. Einen Koffer mit maximal 50 kg. Gewicht durfte er mitnehmen, den er mit seinem Namen, Geburtsdatum und der Transportnummer "VI/II.42" deutlich kennzeichnete.

Von Theresienstadt wurde er nach 27 Monaten am 28. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Auch auf diesen Deportationstransport nahm er seinen Koffer mit. Wann genau er in Auschwitz ermordet wurde, ist nicht bekannt, vermutlich gleich nach der Ankunft; das Amtsgericht Hamburg erklärte ihn 1957 nachträglich auf den 8. Mai 1945 für tot.

Der Koffer mit seinem Namen erinnert noch heute in einer großen Vitrine der Gedenkstätte Auschwitz an ihn. 1991 wurde der Koffer als Leihgabe für die Ausstellung "400 Jahre Juden in Hamburg" noch einmal für einige Zeit in die Hansestadt zurückgebracht.

Stand: Juli 2017
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 332-5 (Standesämter), 9876 u. 734/1935 (Sterberegister, 1935 Adele Bermann geb. Prein); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 9415 (Ilse Bermann); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 9416 (Rudi Bermann); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 9417 (Anneliese Bermann); StaH 352-5 (Gesundheitsbehörde – Todesbescheinigungen), 1935, Standesamt 3c, Nr. 734 (Adele Bermann geb. Prein); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Ludwig Louis Bermann, Ernst Siegfried Alsberg, Martha Ruben, Johanna Hirschfeld; Hamburger Adressbuch 1938, 1939, 1941, 1942, 1943; Stadtarchiv Hagen/Westfalen, Heiratsregister 1912 (Nr. 381/12); Stadtarchiv Magdeburg, Adressbuch 1902, 1930, Magdeburger Zeitung 20.9.1901 (Nachruf Adolf Rosenthal), Geburtseintrag/Altstadt Paul Rosenthal 1876; Stadtarchiv Wuppertal, Adressbuch Elberfeld 1907, 1926, 1935, 1938, Sterberegister 1927, Einwohnermeldekarte Irma Baer, Wiedergutmachungsakte 615969 Charlotte Newhouse geb. Baer, Gedenkbuch Wuppertal; Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Datenbankeintrag (D 1A/1022 Bl.701, D 1A/1020 Bl.468); Yad Vashem; Bundesarchiv Koblenz, Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945; Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1935, S. 15 (Ernst Alsberg), S. 766 (Paul A. G. Scholz); Frank Bajohr, "Arisierung" in Hamburg, Hamburg 1998, S. 115–119; Beate Meyer, "Jüdische Mischlinge", Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945, Hamburg 1999, S. 30–31; Harald Vieth, Hier lebten sie miteinander in Harvestehude-Rotherbaum, Hamburg 1993, S. 49 ("Ein Koffer in Auschwitz"); Hamburger Abendblatt 23.12.1991 ("Die stummen Zeugen des Holocaust"); Hamburger Morgenpost 27.1.2015 (Olaf Wunder, "Hamburger Weltkriegs-Held Ludwig Bermann: Von ihm blieb nur dieser Koffer übrig"); http://www.magdeburg.de/PDF/Rosenthal_Hermann_Ehepaar.PDF?ObjSvrID=698&ObjID=13158&ObjLa=1&Ext=PDF&WTR=1&_ts= (eingesehen 22.2.2017).

druckansicht  / Seitenanfang