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Selma Bernau (née Renner) * 1887
Osterstraße 101 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)
HIER WOHNTE
SELMA BERNAU
GEB. RENNER
JG. 1887
DEPORTIERT 1942
ERMORDET IN
AUSCHWITZ
further stumbling stones in Osterstraße 101:
Eduard Renner, Ernst Renner
Selma Bernau, geb. Renner, geb. am 4.10.1887 in New York, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz
Eduard Renner, geb. am 27.9.1929 in Oederquart, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz
Ernst Renner, geb. am 12.10.1927 in Oederquart, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz
Osterstraße 101
Die Eltern von Selma Bernau, Rudolph Renner (geb. 19.8.1856) und Emily, geb. Seligmann (geb. 21.9.1860), hatten am 15. Juni 1882 in Hamburg geheiratet. Ihre Mutter war hier in der Neustadt als Tochter des "Barbiers" (Herrenfriseur) Louis Seligmann (gest. 20.8.1887) und dessen zweiter Frau Sara Seligmann, geb. Fürst (gest. 3.4.1879) geboren und aufgewachsen. Der Vater Rudolph Renner stammte aus Oederquart im niedersächsischen Landkreis Stade und war wie sein Vater Heyn Renner (geb. 19.4.1823, gest. 15.9.1881) als Schlachtermeister und Viehhändler tätig. Die Familien Renner und Seligmann waren jüdischer Herkunft.
Am 10. April 1887 wanderte das Ehepaar Rudolph und Emily Renner mit ihren Kindern Alma (geb. 28.4.1883 in Oederquart) und Hugo (geb. 13.12.1884 in Altendorf/ Wischhafen), von Hamelwörden/ Wischhafen über Antwerpen mit dem Dampfschiff "Roland" nach Nordamerika aus. Selma, ihr drittes Kind, kam noch im selben Jahr am 4. Oktober 1887 in Manhattan/ New York zur Welt. (Die Passagen hatte Emily Renners Halbbruder Carl Seligmann (14.1.1841-1901) besorgt. Er war Auswanderer-Expedient in Hamburg und betrieb auch ein überseeisches Bank- und Speditionsgeschäft, siehe Harald Seligmann, www.stolpersteine-hamburg.de).
Doch das Leben in Amerika gestaltete sich wohl nicht wie erhofft. Familie Renner kehrte nach Deutschland zurück und ließ sich wieder in der niedersächsischen Gemeinde Wischhafen nieder. Wann genau, ist nicht überliefert. Selma besuchte bis Ostern 1900 die Volksschule im benachbarten Freiburg an der Elbe, die auch ihr Bruder Hugo besuchte. Am 25. März 1902 wurde sie aus der Volksschule in Wischhafen entlassen.
Als sie am 11. Dezember 1909 den nichtjüdischen Kutscher Rudolf Friedrich Johann Bernau (geb. 13.11.1883 in Hamburg) heiratete, lebte sie bereits in Hamburg im Stadtteil Barmbek in der Hamburger Straße 178. Da sie im Hamburger Adressbuch nicht verzeichnet ist, wohnte sie vielleicht als Hausangestellte bei ihren Arbeitgebern.
Die Eheleute Bernau blieben zunächst in Barmbek, sie zogen in die Ortrudstraße 25. Tochter Alice wurde am 3. Mai 1911 geboren, Auguste folgte am 30. März 1912. Ein Jahr später zog Familie Bernau in die Hansdorferstraße 15, dann in die Wohldorferstraße 43. Zuletzt wohnten sie in Bramfeld-Hellbrook in der Neustraße.
Als Rudolf Bernau zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Soldat eingezogen wurde, war Selma hochschwanger. Sie zog mit ihren Töchtern zu ihren Eltern nach Wischhafen zurück. Dort wurde am 13. August 1914 Sohn Herbert geboren. Seinen Vater lernte er nicht kennen: Rudolf Bernau, "Wehrmann" der 12. Kompanie, wurde am 9. Juli 1916 in der Schlacht an der Somme in Frankreich getötet. (Auf dem Deutschen Soldatenfriedhof in Rancourt/ Frankreich trägt ein Kreuz aus Granit den Namen Rudolf Bernau.)
Selma Bernau zog am 16. Juni 1917 mit ihren Eltern nach Oederquart um. Dort hatte ihr Vater Rudolph Renner das Haus Klinten 28 (heute Dorfstraße) übernommen. In Oederquart ging Selma Bernau eine Beziehung ein. Am 12. Oktober 1927 kam ihr Sohn Ernst zur Welt, Eduard folgte am 27. September 1929. Die Brüder erhielten den Geburtsnamen ihrer Mutter Renner, wer ihr Vater war, ist nicht überliefert.
Emily Renner, Selmas Mutter, war bereits am 30. Dezember 1926 verstorben. Ihr Vater Rudolph Renner, jetzt als Landwirt bezeichnet, verstarb zehn Jahre später am 15. Dezember 1936. (Beide wurden auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf beerdigt, da es in Oederquart keinen jüdischen Friedhof gab.)
Da die Kriegswitwenrente zum Familienunterhalt nicht ausreichte, belastete Selma Bernau das Haus ihrer Eltern mit Hypotheken. Ob sie ebenfalls noch Landwirtschaft betrieb, geht aus den vorhandenen Quellen nicht hervor.
Während des Novemberpogroms 1938, reichsweit von Ortsgruppen der NSDAP organisiert, wurden Juden getötet oder in den Tod getrieben, Synagogen, jüdische Geschäfte, Wohnungen und Einrichtungen verwüstet und zerstört. Auch Selma Bernau blieb im ländlichen Oederquart nicht verschont: In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurden ihr die Fensterscheiben und Lampen eingeschlagen. Und als in den darauffolgenden Tagen ihr die Lebensmittelhändler als Jüdin den Einkauf verweigerten, sah sich Selma Bernau gezwungen, Oederquart zu verlassen. Sie kehrte mit ihren beiden jüngsten Söhnen noch 1938 nach Hamburg zurück. Ihre drei älteren Kinder gingen bereits eigene Wege. Selma Bernau bezog eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Osterstraße 101, Haus 3, Erdgeschoß.
Dort wohnte auch ihre Tochter Auguste mit ihrem Kind Dorothea (geb. 9.3.1935 in Oederquart). Die Älteste Alice hatte 1934 Carl Behrmann (geb. 28.10.1907 in Freiburg an der Elbe) geheiratet. Sie lebte mit ihrer Familie in der Nähe, Osterstraße 111, Haus 5, dann im Grevensweg 8 / Hammerbrook, bis sie dort ausgebombt wurden. Bruder Herbert hatte das Bäckerhandwerk erlernt und wohnte bei seinen Arbeitgebern in der Kleinen Bäckerstraße 3 (die Bäckerstraße in der Hamburger Altstadt gibt es nicht mehr).
Selma Bernau fand zeitweise eine nicht näher beschriebene Tätigkeit bei ihrem Nachbarn Ludwig Allekotte, der unter dem Namen "Tredal-Schumacherei" in der Osterstraße 101 auch ein Geschäft betrieb.
Das Haus in Oederquart erwarb die dortige Gemeinde, nachdem Selma Bernau die Genehmigung zum Verkauf am 29. Juli 1939 erhalten hatte, für 2.800 RM (Reichsmark). Nach Abzug der Hypothekenbelastung und weiteren Abgaben überwies ihr der Versteigerer Ernst Witt die Summe von 501,73 RM auf ein gesperrtes Konto bei der Dresdner Bank in Hamburg. Sie musste für jede Verfügung die Genehmigung des Oberfinanzpräsidenten einholen. Am 2. Februar 1940 wandte sie sich an die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg mit der Bitte um Freigabe von 90,- RM für einen Gasherd und einen Küchenschrank. Die Rechnungen der Firma Dohrn & Rathke, sowie der Firma R. Bauditz, beide vom 31. Januar 1940, reichte sie mit ein. Zudem bat sie um die Bewilligung von monatlich 20,- RM für ihren Lebensunterhalt, da sie nur eine Kriegerwitwenrente bezöge. Fünf Tage später wurde die Sperrung ihres Kontos aufgehoben, wahrscheinlich war die Summe von 501.73 RM zu gering, so dass die "Sicherungsanordnung" nicht weiterhin verfügt wurde.
Selma Bernau gehörte der Jüdischen Gemeinde in Hamburg nicht an. Erst nachdem sie ab 1939/40 zwangsweise als Mitglied der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland geführt wurde, legte deren Zweigstelle, der Jüdische Religionsverband in Hamburg (so musste sich die Jüdische Gemeinde nun nennen), 1940 eine Kultussteuerkarte für sie an. Ihre Söhne Ernst und Eduard wurden im Gegensatz zu ihren Halbgeschwistern als "jüdisch" eingestuft. Die Brüder galten somit als "Volljuden", denn nach den nationalsozialistischen Bestimmungen wurden unehelich von Jüdinnen geborene Kinder generell als Juden angesehen.
Ende Februar 1942 musste Selma Bernau ihre Wohnung in der Osterstraße verlassen und mit ihren beiden Söhnen Eduard und Ernst in die Kielortallee 22, ein "Judenhaus", umziehen. Die Wohnung in der Osterstraße wurde mit dem dort zurückgelassenen Hausstand versiegelt, nur das Notwendigste konnten sie in das eng belegte "Judenhaus", ehemalige Oppenheimer Stift, mitnehmen. Anfang Juli 1942 besuchte Selma Bernau ihren früheren Nachbarn, um sich zu verabschieden. Sie hatte, ohne dass ein Zielort angegeben war, ihren "Evakuierungsbefehl" erhalten. Ludwig Allekotten berichtete in einem späteren Wiedergutmachungsverfahren, dass er beim Abschied gewusst hätte, dass Selma Bernau mit ihren beiden Söhnen nicht wieder zurückkommen würde. Damals glaube er, sie kämen nach Theresienstadt wie zuvor Bekannte von ihm, die, das wusste er zu diesem Zeitpunkt bereits, nicht mehr am Leben waren.
Selma Bernau und ihre Söhne Eduard und Ernst Renner wurden jedoch nicht in das Getto Theresienstadt deportiert, sondern ihr Zug ging am 11. Juli 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz, wo sie höchstwahrscheinlich gleich nach ihrer Ankunft ermordet wurden.
Selma Bernaus Geschwister, Alma Langbehn und Hugo Renner überlebten die Verfolgungszeit trotz Repressalien in sogenannten "privilegierten Mischehen" in Hamburg und Rostock. Auch ihre älteren drei Kinder erlebten das Ende des Krieges.
1947 strebten die Geschwister für das Grundstück Klinten 28 ein Rückerstattungsverfahren an. Wie gewöhnlich wurde der Verkauf des Hauses von den Verantwortlichen der Gemeinde Oederquart als "freiwillig" beschrieben. "Frau Bernau hat 1939 den Versteigerer Ernst Witt, Oederquart beauftragt, das Grundstück für sie zu verkaufen. Der Verkauf geschah in freiwilligen Auftrag von Frau Bernau, ohne dass durch die Gemeinde ein Druck auf die Eigentümerin ausgeübt worden war. Dass die Gemeinde überhaupt Käuferin wurde ist ein Zufall, ebenso hätte ein anderer Interessent das Grundstück erwerben können. Der Kauf ist durch Notariatsvertrag vom 29.7.1939 in Gegenwart der Verkäuferin selbst abgeschlossen worden, der Eigentumsübergang rechtmäßig erfolgt. Die Kaufsumme ist teils durch Übernahme von Hypotheken, die über die Hälfte des Wertes betrugen, teils durch direkte Zahlung beglichen worden. Für die damaligen Verhältnisse und den Zustand der Gebäude war der Kaufpreis mit 2.800 RM durchaus gut bemessen. Von einer Übervorteilung kann keine Rede sein, ebenso kann von einer Eigentumsübertragung in Ausnutzung der damaligen Verhältnisse und der Judenverfolgung keine Rede sein, da wie bereits erwähnt, auf Frau Bernau keinerlei Druck durch die Gemeinde ausgeübt wurde."
Der Gemeinderat lehnte die Rückgabe des Grundstücks in einer Sitzung vom 7. August 1947 einstimmig ab. Wie eine angestrebte Klage vor dem Landgericht ausging, ist nicht überliefert. (Nach heutigem Recht gelten Verkäufe nach 1935 generell erst einmal als erzwungen).
2001 wurden in Stade Am Sande zwei Stelen eingeweiht, die "Den ermordeten Nachbarn/Opfern des Rassenwahns 1933 - 1945" im Lande Stade gewidmet sind. Die Namen von Selma Bernau und ihren Söhnen Ernst und Eduard Renner befinden sich unter den 36 genannten Personen.
Im Juni 2020 beschloss der Gemeinderat auch in Oederquart "der jüdischen Familie Renner" zu gedenken. Eine entsprechende Gedenktafel wurde am 21. Dezember 2023 in Anwesenheit von Verwandten enthüllt.
© Susanne Rosendahl
Quellen: 1; 2; 5; StaH 332-5_8505 u 434/1882; StaH 332-5_6448 u 96/1906; StaH 351-11 AfW 40062 (Bernau, Herbert); StaH 351-11_9387 Bernau Selma; StaH 351-11 AfW 36460 (Behrmann, Alice); StaH 351-11 AfW 6828 (Langbehn, Alma); StaH 351-11 AfW 5488 (Langbehn, August Christian Heinrich); 213-13_12868 Bernau, Selma, Erben; StaH 213-13 Landgericht Hamburg - Wiedergutmachung 12868 (Bernau, Selma); StaH 351-11 AfW 9387 (Bernau, Selma); StaH 314-15_R 1940/0708; 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 4; ancestry: Hamburger Passagierlisten, 1850-1934 (Zugriff 6.7.2019); https://www.mappingthelives.org/ (Zugriff 26.6.2022); https://gedbas.genealogy.net/person/show/1321036483 (Zugriff 26.6.2022); http://www.juden-in-mecklenburg.de/Orte/Luebtheen; https://www.online-ofb.de/famreport.php?ofb=juden_nw&ID=I34466&nachname=Renner; https://die-maus-bremen.info/fileadmin/db_query/juedische_fam/ausgabe/vf1_surn.html (Zugriff 26.6.2022); https://kriegsgraeberstaetten.volksbund.de/friedhof/rancourt (Zugriff 26.6.2022); Hans Tegtmeier ...sie lebten unter uns... https://www.nordkehdingen.de/index.php/erinnerungskultur.html (Zugriff 3.12.2023); Gedenkstätten für Opfer und Verfolgte des Naziregimes auf dem Neuen Friedhof in Rostock, Hrg. VVN-BdA Mecklenburg-Vorpommern, Basisorganisation Rostock, 2011, S. 71-72; Artikel von Susanne Helfferich im Tageblatt von 12.6.2020, "Jüdischer Familie Renner gedenken" zur Verfügung gestellt von Michael Quelle (Mai 2022); Hans Tegtmeier, Beitrag zur jüdisch-christlichen Familiengeschichte der "Renner-Linie" aus Oederquart (Dezember 2023); Kristine Schlaefer, Die mißglückte Auswanderung des Hugo Renner, Ein jüdisches Schicksal in Mecklenburg, Hrsg. Interessenvereinigung der Verfolgten des Naziregimes, (IVVdN), Basisgruppe Rostock, 1999. Foto aus dem Buch von Kristine Schlaefer Die mißglückte Auswanderung des Hugo Renner. Ein jüdisches Schicksal in Mecklenburg mit freundlicher Genehmigung Neuer Hochschulschriftenverlag Dr. Ingo Koch & Co. KG.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".