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Adolf Biedermann
© Maren Münchow

Adolf Biedermann * 1881

Jarrestraße 27 (Hamburg-Nord, Winterhude)


HIER WOHNTE
ADOLF BIEDERMANN
JG. 1881
ENTRECHTET/GEDEMÜTIGT
TOT 11.5.1933

Adolf Albert Bertram Biedermann, geb. 30.3.1881 in Hamburg, am 11.5.1933 nach einem ungeklärten Sturz aus dem Nachtzug Köln-Hamburg bei Recklinghausen tot aufgefunden

Adolf Biedermann kam als Sohn des Malermeisters Alfons Adolf Arthur Biedermann (geb. 21.12.1845 in Kempen) und seiner Ehefrau Adele Sophie Louise, geb. Gehrz (geb. 7.8.1863 in Hamburg), am 30.3.1881 im Eppendorfer Weg 12 in Eimsbüttel zur Welt.

Als sein Vater am 10. Juli 1888 an Blinddarmentzündung verstorben war, konnte Adolfs Mutter ihn und seine Geschwister nicht mehr ernähren. Am 21. November 1888 wurden Adolf und seine Brüder Bruno (geb. 24.10.1886) und Paul (geb. 6.3.1888) im Waisenhaus in der Averhoffstraße aufgenommen. Ihr Bruder Alfons (geb. 17.11.1883) folgte am 5. Dezember 1888. Die Geschwister Arthur (geb. 15.9.1882) und Bertha (geb. 24.9.1885) konnten weiter mit der Mutter im Kleinen Schäferkamp 36 Haus 3 leben. Adele Biedermann ließ sich zur Hebamme ausbilden. Daher gelang es ihr, die Söhne Bruno und Paul am 1. April 1893 zu sich zu holen.

Die "Inpflegenahme" der Kinder wurde vom Vormundschaftsgericht genehmigt, nachdem Adele Biedermann sowie ihr Verlobter, der Tischlergeselle Franz Otto Wilhelm Buschow von der Polizeibehörde gründlichst überprüft wurden. Die Söhne Alfons und Adolf durften zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Mutter zurückkehren. Nachdem sie geheiratet hatten, bat Franz Buschow das Waisenhaus um die Entlassung seines Stiefsohnes Alfons am Tag der Konfirmation seines Bruders Adolf, dem 7. April 1895, um seine Frau zu überraschen.

Adolf Biedermann schloss die Volksschule ab und absolvierte in Eckernförde vom 17. April 1895 bis 1899 eine Schlosser- und Mechanikerlehre, nach deren Beendigung er den Gesellenbrief erhielt. Nach kurzer Tätigkeit bei seinem Lehrmeister reiste er im In- und Ausland und wurde Gewerkschaftsmitglied. Von Oktober 1901 bis September 1903 leistete er seinen Militärdienst in der 4. Kompanie des Infanterie-Regimentes von Manstein ab.

1903 ließ Adolf Biedermann sich wieder in Hamburg nieder und heiratete am 1. Oktober 1904 Clara Julia Sternberg, die im selben Waisenhaus gelebt hatte wie er.
Sie war am 8.2.1881 in Barmstedt, Kreis Pinneberg, geboren worden. Ihre Eltern waren der Schiffsführer und spätere Bierverleger (= Händler) Johann Julius Peter Sternberg, geboren am 13.1.1839 in Kiel, und Johanna Elisabeth Josephine, geb. Gade, geboren am 5.6.1846 in Hamburg. Der Witwer Johann Sternberg brachte bei der Heirat 1878 zwei Kinder mit in die Ehe: Ferdinand (geb. 1870) und Wilhelm (geb. 1875). Als er am 30. August 1890 an Herzschlag starb, blieben die Kinder bei ihrer Stiefmutter, die sie durch Klavierunterricht ernährte. Die Geschwister Julius (geb. 1882), Elisabeth (geb. 1883), Theodor (geb. 1885), Friedrich (geb. 1886) und Robert (geb. 1889) wurden am 1. Oktober 1890 im Waisenhaus aufgenommen. Damit auch Elsa (geb. 1879) und Clara ab dem 15. Oktober 1890 dort versorgt werden konnten, musste eine Sondergenehmigung beantragt werden, da von Witwen nur die Hälfte der Kinder aufgenommen werden durfte. Clara ging ab 1895 bei verschiedenen Haushalten "in Dienst".

Zum Zeitpunkt der Eheschließung lebte Adolf Biedermann im Winterhuder Weg 2a, zog aber mit seiner Ehefrau in die Schmalenbekerstraße 25 im Stadtteil Barmbek, wo die Familie bis 1913 wohnte. Der Sohn Helmut Adolf Arthur Franz wurde am 6.3.1905 geboren. Am 3.2.1907 kamen Tochter Adele Hildegard Elisbabeth und am 7.11.1909 Tochter Gertrud Berta Elsa zur Welt. Zwei weitere Kinder starben früh. Von 1914 bis 1929 wohnte die Familie dann in der Flurstraße 11, der heutigen Saarlandstraße. Adolf Biedermann arbeitete in einer Maschinenbaufirma und trat 1907 in die SPD ein.

Am 11. September 1908 legte Adolf Biedermann den Hamburger Bürgereid ab. Damit erwarb er das Wahlrecht für und die Wählbarkeit in die Hamburger Bürgerschaft. Doch die damalige Verfassung garantierte den einkommensstarken (männlichen) Hamburger Bürgern dort die Mehrheit.

Sehr aktiv engagierte sich Adolf Biedermann als Mitglied der SPD und des Deutschen Metallarbeiterverbandes (DMV). Von 1912 bis 1914 amtierte er als Bezirksführer des SPD-Distriktes Barmbek, den er anschließend von 1914 bis 1919 als Vorsitzender leitete. Für den DMV war er erst als Werkstattdelegierter und später in der Hamburger Bezirksführung tätig. Er galt als guter Redner und schrieb Artikel für das "Hamburger Echo" und die Metallarbeiterzeitung. Nebenbei bildete er sich intensiv fort. Im Arbeiterbildungswesen belegte er zwölf Semester Geschichte sowie Volkswirtschaftslehre und durfte am Allgemeinen Vorlesungswesen der Universität Hamburg teilnehmen. 1914 erhielt er die Zulassung zur SPD-Parteischule in Berlin, die er dann jedoch nicht wahrnehmen konnte, da der Erste Weltkrieg begann.

Im August 1914 wurde Adolf Biedermann in den Heeresdienst eingezogen. Am 18. September 1916 erhielt er als Vizefeldwebel der 4. Kompanie des Reserve-Infanterie-Regimentes 84 das Eiserne Kreuz 2. Klasse. Bis 1917 diente er als Unteroffizier an der Front und wurde dann in ein Feldrekrutendepot versetzt. Im November 1918 wählten ihn die aufständischen Soldaten zum Vorsitzenden des Soldatenrates seiner Einheit.

Am 3. November 1918 kursierten in Hamburg erste Gerüchte über eine Matrosenrevolte in Kiel. In der Nacht vom 5. auf den 6. November begann in Hamburg ein bewaffneter Aufstand, initiiert durch Matrosen, die sich auf der Durchreise nach Kiel befanden. Im Hafen liegende Torpedoboote wurden ohne Widerstand beschlagnahmt, der Elbtunnel besetzt. Es wurde ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat gebildet, den der Hamburger Senat am 6. November faktisch anerkannte. Am 8. November 1918 wurde in den Betrieben die Exekutive des Arbeiter- und Soldatenrats gewählt, der die Wahl einer verfassungsgebenden Bürgerschaft für den 16. März 1919 vorbereitete. Danach sollten Arbeiter und Erwerbslose den Großen Arbeiterrat neu wählen. Bei den Wahlen errang die SPD mit 50,5 Prozent die Mehrheit, die USPD nur 8,1 Prozent (die neugegründete KPD war nicht angetreten). Der Arbeiterrat, in dem die SPD ebenfalls dominierte und der sich künftig auf wirtschaftliche Angelegenheiten beschränkte, übertrug die politische Gewalt am 26. März 1919 auf die erstmals in freier, gleicher und geheimer Wahl bestimmte Bürgerschaft. Adolf Biedermann gehörte dieser Bürgerschaft an.

Am 15. Dezember 1918 nach Hamburg zurückgekehrt, wurde er zunächst beim Arbeitsamt tätig. Im Februar 1919 bestellte ihn die SPD zum Parteisekretär und im März 1919 begann seine Arbeit als Abgeordneter. Er war u. a. Mitglied der Behörde für öffentliche Jugendfürsorge, des Verwaltungsgerichtes und des Jugendamtes. Von Oktober 1919 bis 1925 leitete er die Hamburger und Bremer Landesabteilungen der "Reichszentrale für den Heimatdienst", die Vorläufer der Landeszentralen für politische Bildung.

Am 27. Januar 1922 leistete Adolf Biedermann den Diensteid der hamburgischen Beamten. Ab Mai 1924 gehörte er außerdem dem Bezirksvorstand des im Februar 1924 gegründeten überparteilichen "Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold; Bund Deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner" an, das ab 1929 sogenannte Schufos (Schutzformationen) einrichtete, um sozialdemokratische Veranstaltungen vor Störungen und Überfällen durch Kommunisten und Nationalsozialisten zu sichern.

Im November 1926 rückte Adolf Biedermann in die Sozialdemokratische Reichstagsfraktion nach und legte deshalb 1927 sein Hamburger Abgeordnetenmandat nieder, um sich ganz der Arbeit in Berlin widmen zu können. Er gehörte zum rechten Flügel der SPD und genoss große Annerkennung im bürgerlichen Lager. Sein hohes Ansehen in Hamburg belegen Presseberichte von 1926, die Matthias Loose für die Stadtteilzeitung der SPD so zusammenfasste: "Nicht nur das ,Hamburger Echo‘ lobte die Aktivitäten Biedermanns, sondern auch die bürgerliche Presse zollte ihm Anerkennung. Für die ,Hamburger Stimmen‘ gehörte er zu den ,positivsten Mitarbeitern‘ in der Bürgerschaft, der sich in einer ganzen Reihe von Ausschüssen an führender Stelle betätigt und sich stets für eine Zusammenarbeit mit den beiden anderen bürgerlichen Parteien in der Regierungskoalition in Hamburg eingesetzt hatte."

Adolf Biedermann erkannte die Gefahr von rechts. Am 28. September 1930 betonte er in einer Rede, dass die SPD in den Notzeiten der Republik unbedingt verantwortlich in der Regierung mitarbeiten müsse.

1930 hatte er mit seiner Familie eine Wohnung in der Jarrestraße 27 bezogen, in dem bald "Jarrestadt" genannten neu erbauten Viertel zwischen Wiesendamm und Barmbeker Straße.

Am 5. März 1933 wählten die Hamburger Adolf Biedermann erneut in den Reichstag. Er wandte sich am 23. März mit einem mutigen "Nein" gegen Hitlers "Ermächtigungsgesetz", welches das Recht zum Erlass von Gesetzen vom Parlament auf die Reichsregierung übertrug. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Kommunisten bereits gejagt oder waren schon verhaftet, und auch von der SPD-Fraktion waren nach Festnahmen nur noch 94 Abgeordnete anwesend. Das Parlament, das in der Berliner Kroll-Oper tagte, wurde durch die SA "geschützt".

Adolf Biedermann stürzte in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1933 aus dem Schlafwagen des Nachtzuges 91 von Köln nach Hamburg. Er war auf dem Rückweg aus Bonn. Seine Leiche wurde, nur mit Hose und Weste bekleidet, in der Nähe von Recklinghausen neben den Bahngleisen gefunden. Seine Schuhe, das Gepäck und die restliche Kleidung fand man später im Abteil. Es wurden viele Vermutungen über seinen Tod angestellt: Mord durch die SA, Freitod, Unglücksfall ...

Was wirklich geschah, wurde nie geklärt. Adolf Biedermann starb zu einem Zeitpunkt, als viele seiner Freunde und Bekannten bereits in den gerade eingerichteten Konzentrationslagern gefangen gehalten wurden. Nach Aussagen von Freunden kam er von den Berliner Reichstagssitzungen in einer sehr gedrückten Stimmung nach Hamburg zurück. Als er sich in Bonn befand, erreichten ihn die Nachrichten über Verhaftungen und die Beschlagnahmung des Vermögens der SPD und des Reichsbanners.

Sein Schwiegersohn, der Arzt Dr. Paul Lichtenstein, begutachtete in Recklinghausen den Leichnam. Er gelangte zu der Überzeugung, dass Adolf Biedermann ermordet worden war, da die Verletzungen nicht auf einen Unfall hindeuteten. Eine offizielle Obduktion fand allerdings nicht statt. Aus wirtschaftlichen Gründen musste Clara Biedermann in einem Prozess gegen die Reichsbahn auf einen Unglücksfall plädieren, da deren Versicherung sonst nicht gezahlt hätte.

Ein Auszug aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. Juli 1934: "Der Senat hält es nicht für wahrscheinlich, daß der Ehemann der Klägerin aus dem Abteilfenster gestürzt ist, insbesondere sich etwa in selbstmörderischer Absicht hinausgestürzt hat. Es liegen keine Umstände zur Zeit des Unfalls vor, die mit einiger Sicherheit auf einen Selbstmord schließen lassen. Eine Reihe Umstände sprechen vielmehr dagegen. Der Ehemann der Klägerin befand sich auf der Rückreise von Bonn nach Hamburg zu seiner Familie. [...] Irgendwelche besonderen Anhaltspunkte für ein fahrlässiges Verhalten, das dem Ehemann der Klägerin als älterem, erfahrenen und mit der Eisenbahn vertrauten Mann auch nicht so leicht zuzutrauen ist, liegen nicht vor."

Mehrere tausend Hamburger erwiesen dem beliebten Adolf Biedermann bei der Trauerfeier auf dem Ohlsdorfer Friedhof das letzte Geleit und demonstrierten so auch still gegen die Nationalsozialisten. Diese entfernten noch 1933 seinen Grabstein mit der Inschrift "Ein Kämpfer für Freiheit und Sozialismus". Fotos davon dienten später als Beitragsquittung der illegalen SPD, wobei die auf dem Stein dargestellten Daten dem geleisteten Beitrag entsprachen. Am 10. Mai 1934, dem Himmelfahrtstag, fanden sich wieder Sozialdemokraten (einige Quellen sprechen von hunderten, andere gar von tausenden) an seinem Grab ein, trotz strengster Überwachung. Aufgrund des Feiertages konnte der Besuch des Friedhofes nicht untersagt werden.

Paul Hellmuth Lichtenstein, geb. am 27.2.1894 in Neuwied, hatte Adolf Biedermanns Tochter Hildegard geheiratet. Seit 1922 arbeitete er als praktischer Arzt und Geburtshelfer in Hamburg. Er betrieb eine Kassen-, Wohlfahrts- und Privatpraxis, zunächst am Mühlenkamp 19 und von 1927 bis 1929 am Mühlenkamp 3. Als die Praxisräume zu klein wurden, zog er 1930 in die Barmbeker Straße 22, wo er drei Neubauwohnungen erworben hatte, in denen er Praxis und Wohnung einrichtete.

Paul Lichtenstein war jüdischer Abstammung, Redner in der SPD und Chefsanitäter im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Im Februar 1933 wurde er zusammen mit seinem Schwager, dem angehenden Rechtsanwalt Helmut Biedermann, kurzzeitig festgenommen. Freunde warnten ihn danach vor einer erneut drohenden Verhaftung. Deshalb fuhr er sofort zu seinen Eltern nach Bonn und flüchtete von dort nach Paris.

Ende Oktober 1933 reiste Paul Lichtenstein mit einem Besuchsvisum nach New York, um eine Einwanderungserlaubnis zu beantragen. Hildegard Lichtenstein floh ebenfalls nach Paris. Ihr Ehemann kehrte im Februar 1934 noch einmal dorthin zurück, beide wanderten dann nach Erhalt der Ausreisepapiere mit dem Schiff "Manhattan" von Le Havre nach New York aus. Sie nahmen im Oktober 1939 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und änderten den Nachnamen in Le Paige.

Adolf Biedermanns Tochter Elsa war 1927 in die SPD eingetreten. Sie verlor 1933 ihren Arbeitsplatz als kaufmännische Angestellte beim Hamburger Echo, als die sozialdemokratische Zeitung nicht mehr erscheinen durfte. Am 4. Juli 1935 heiratete sie den am 2.1.1908 geborenen Rechtsanwalt Friedrich Kreye. Der gemeinsame Sohn Peter wurde am 12.9.1936 geboren, am 18.5.1942 folgte Sohn Niels. Friedrich Kreye, ebenfalls aktiv in der SPD und im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, saß von 1938 bis 1940 wegen Vorbereitung zum Hochverrat im Lager Schölpermoor (bei Neumünster) und im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ein. Er hatte die Eltern eines Reichsbanner-Kameraden finanziell unterstützt und war denunziert worden. Die Verurteilung beinhaltete Ehrverlust, den Verlust der Zulassung zur Anwaltschaft und der Wehrwürdigkeit. Im November 1942 wurde Friedrich Kreye wieder für bedingt wehrwürdig erklärt, ins Bewährungsbatallion Division 999 eingezogen und in Afrika eingesetzt. Er starb am 28. November 1943 in Marokko in französischer Kriegsgefangenschaft an einer Ruhrinfektion und wurde dort begraben.

Zu Ehren von Adolf Biedermann ist eine Gedenktafel am Haus Ecke Jarrestraße/Jean-Paul-Weg angebracht und der Biedermannplatz in Barmbek-Süd nach ihm benannt worden. Wie an andere von Nationalsozialisten ermordete Reichstagsabgeordnete erinnert auch an ihn eine Schiefertafel mit seinem Namen vor dem ehemaligen Reichstags- und heutigen Bundestagsgebäude.

© Maike Bruchmann

Quellen: AfW 080281; AfW 270294; AfW 071109; Frank Müller (Hrsg.), Mitglieder der Bürgerschaft, Opfer totalitärer Verfolgung, Hamburg 1995, S. 19–20; www.verfolgte.spd-hamburg.de (eingesehen am 25.1.2006); Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten (AvS) (Hrsg.), Wegweiser zu den Stätten von Verfolgung und sozialdemokratischem Widerstand in Hamburg, Teil I: Die innere Stadt, Hamburg 2005, S. 7–8; Matthias Loose, Adolf Biedermanns Schicksal, in: unsere jarrestadt, Stadtteilzeitung der SPD-Jarrestadt (Hrsg.), Mai 1993, S. 1–3; Matthias Loose, Was wissen wir heute vom Leben Adolf Biedermanns?, in: unsere jarrestadt, Stadtteilzeitung der SPD-Jarrestadt (Hrsg.), S. 2–3; Matthias Loose, Das politische Wirken Adolf Biedermanns, in: unsere jarrestadt, Stadtteilzeitung der SPD-Jarrestadt (Hrsg.), S. 4; www.verfolgte.spd-hamburg.de (eingesehen am 04.12.2005); Informationen und Dokumente aus dem Privatbesitz von Maren Münchow (Lehrbrief, Arbeitszeugnis, Bürgereid, Militärpass, Diensteid); Personenstandsbuch Standesamt Eimsbüttel, Geburtsurkunde Nr. 1182/1881; BallinStadt www.ancestry.de, am 01.12.2007; Amtliche Fernsprechbücher Hamburg 1912–1940; AB 1903–1908, 1913, 1914, 1920, 1925, 1929, 1930; Heinrich Erdmann, Der "Wahlrechtsraub" von 1906 als Traditionsbruch. Zum Verhältnis von Senat und Bür- gerschaft nach den Verfassungen von 1860 und 1879, 1906, 1919, in: Landeszentrale für politische Bildung Hamburg (Hrsg.), Hamburg im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts: die Zeit des Politikers Otto Stolten, Hamburg 2000, S. 31–41; Richard Evans, Der "rote Mittwoch", aaO, S. 57, 58; Volker Ullrich, Weltkrieg und Novemberrevolution: Die Hamburger Arbeiterbewegung 1914 bis 1918, aaO, S. 117–121; Ursula Büttner, Errichtung und Zerstörung der Demokratie in Hamburg: Freie Gewerkschaften, Senatsparteien und NSDAP im Kampf um die Weimarer Republik, Hamburg 1998, S. 11–21, 35, 72; Andreas Klaus, Gewalt und Widerstand in Hamburg-Nord während der NS-Zeit, Hamburg 1986, S. 81, 83; Bernd Jürgen Wendt, Das Nationalsozialistische Deutschland, Opladen 2000, S. 38–40; www.wikipedia.org/wiki/Bundeszentrale_fuer_ politische_Bildung, am 16.03.2008; StaHH: 354-1 Waisenhaus IV. Die Waisenkinder, daraus: A.I., B.IV.1., C.I.7.a., C.I.9.b., C.II.3. 1888-45-47, C.II.3. 1888-52, C.II.3. 1890-37, C.II.3. 1890-38, C.II.3. 1890-44, C.II.3. 1890-45, C.II.3.c., C.II.4.x., Schreiben Standesamt Hamburg-Barmbek/Uhlenhorst v. 29.07.2008.


Adolf Biedermann MdHB

Adolf Biedermann wurde am 30. März 1881 in Hamburg als Sohn des Malers Arthur Biedermann geboren. Er verlor bereits im Kindesalter seine Eltern und wurde ab 1888 in einem Hamburger Waisenhaus erzogen.

1895 verließ er nach achtjähriger Schulzeit die Hauptschule, um in Eckernförde eine fünfjährige Schlosser- und Mechanikerlehre zu absolvieren. Montagereisen führten den jungen Gesellen anschließend an verschiedene Orte im In- und Ausland. 1901 leistete Biedermann seinen Militärdienst ab und ließ sich anschließend in Hamburg nieder – damit hatten seine Wanderjahre ein Ende gefunden. Mit einer früheren Schulfreundin gründete er eine Familie, beruflich etablierte er sich in einer Hamburger Maschinenbaufirma.

Biedermanns politische Heimat war die SPD, seine gewerkschaftliche der "Deutsche Metallarbeiterverband" (DMV). Die Arbeit in Gewerkschaft und Partei verschmolz für Biedermann zu einer Einheit: für die SPD leitete er den Distrikt Barmbek, für die Metaller übernahm er nach einigen Jahren als Werkstattdelegierter die Hamburger Bezirksführung.

Biedermann machte sich schon bald als Redner und im "Hamburger Echo" sowie in der Metallarbeiterzeitung auch als Redakteur einen Namen. Daneben besuchte er Kurse im Arbeiterbildungswesen und Allgemeinen Vorlesungswesen – u.a. zwölf Semester Geschichte und Nationalökonomie. 1914 folgte die Zulassung für die SPD-Parteischule in Berlin.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die so angebahnte Parteikarriere vorerst beendet: Im August 1914 erfolgte die Einberufung des Reservisten Biedermann zum Heeresdienst. Bis 1917 war er als Unteroffizier an der Front, wurde dann in ein Feldrekrutendepot versetzt, wo ihn seine Kameraden im November 1918 zum Vorsitzenden des Soldatenrates wählten. Nach Kriegsende kehrte er nach Hamburg zurück und fand eine Anstellung beim Arbeitsamt.

In der Hansestadt gehörte Biedermann zu den Politikern, die hier den Übergang zu demokratischen Verhältnissen in der neu gegründeten Republik auf den Weg brachten und vollendeten.

Bei den ersten Bürgerschaftswahlen nach dem Krieg 1919 wurde er, der inzwischen SPD-Parteisekretär geworden war, in die Bürgerschaft gewählt. Seine langjährige Abgeordnetentätigkeit im Hamburger Landesparlament erstreckte sich auf viele unterschiedliche Felder. Er wurde u.a. zum Mitglied der Behörde für öffentliche Jugendfürsorge, des Verwaltungsgerichts und des Jugendamtes bestellt, war tätig im "Eingabenausschuß" und in der "Vertrauenskommission für die Groß-Hamburgfrage".

Weitere Ämter kamen hinzu: Seit Oktober 1919 leitete er die "Reichszentrale für den Heimatdienst" in Hamburg, im Mai 1924 kam er zusammen mit Theodor Haubach in den Bezirksvorstand des neugegründeten "Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold". Als am 31. Oktober 1926 der Hamburger Reichstagsabgeordnete Fritz Paeplow sein Mandat niederlegte, rückte Adolf Biedermann nach und wirkte fortan in der Sozialdemokra-tischen Reichstagsfraktion. Sein Hamburger Abgeordnetenmandat legte er 1927 nieder, um sich ganz seinen Verpflichtungen in Berlin widmen zu können.

Adolf Biedermann zählte zum rechten Flügel der SPD-Reichstagsfraktion. Er war ein zäher Befürworter einer Regierungsbeteiligung der SPD auf Reichsebene und bezog wiederholt Stellung gegen den Flügel seiner Partei, der eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien ablehnte. Aber genau hierin sah Biedermann die Chance, sozialdemokratische Inhalte politisch umzusetzen. Für ihn lag politisches Handelns nicht allein in der Parteidoktrin:

"Oppositionelles Fensterscheibenwerfen" werde – so Biedermann im April 1930 vor einer Versammlung von Betriebsvertauensleuten – den Interessen der SPD-Wähler nicht gerecht; vielmehr sei es notwendig, "unter höheren Gesichtspunkten auch Unangenehmes, nicht immer mit der Theorie Übereinstimmendes" hinzunehmen. Kritisch betrachtete Biedermann im März 1930 die starre Haltung seiner Fraktion in der Frage einer Erhöhung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, die den Koalitionspartnern den Vorwand zur Auflösung der Großen Koalition unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller lieferte und so den im Präsidentenpalais und in der Reichswehrführung lange geplanten Übergang zum Präsidialregime auf den Weg brachte. Es war Biedermanns dezidiert regierungsfreundliche Haltung, die ihn nach den Reichstagswahlen vom September 1930 zum Befürworter einer Tolerierung des Kabinetts Brüning werden ließ.

Ähnlich wie Otto Braun, der als preußischer Ministerpräsident Garant des Brüningschen Tolerierungskonzeptes auf sozialdemokratischer Seite war, sah er hier die Möglichkeit, wenigstens teilweise die Notverordnungspolitik der Reichsregierung beeinflussen zu können. Der von Biedermann geforderte Eintritt von SPD-Ministern in die Reichsregierung war weder vom Reichskanzler selbst noch von den eigentlichen Trägern des Brüning’schen Präsidialkabinetts erwünscht.

Auch bei den nicht mehr freien Wahlen vom 5. März 1933 wurde Adolf Biedermann in seinem Hamburger Wahlkreis noch einmal in den Reichstag gewählt. Am 23. März 1933 wandte er sich in einem von SA "geschützten" Parlament als Abgeordneter einer schon lange nicht mehr vollzähligen SPD-Fraktion mit einem mutigen "Nein" gegen das "Ermächtigungsgesetz".(46 Gut zwei Monate später fand man seine Leiche neben den Bahngleisen in der Nähe von Recklinghausen. Auch wenn die näheren Umstände seines Sturzes aus dem Nachtschnellzug Köln-Hamburg am 11. Mai 1933 nicht abschließend geklärt werden konnten, so kann davon ausgegangen werden, dass er von SA-Leuten aus dem fahrenden Zug gestoßen wurde.(47 Bei der Trauerfeier auf dem Ohlsdorfer Friedhof erwiesen mehrere tausend Hamburger Adolf Biedermann das letzte Geleit. Hans Podeyn, der damalige Fraktionsführer der SPD-Bürgerschaftsfraktion, hielt die Gedenkrede. Noch ein Jahr später fanden sich trotz strengster Überwachung und trotz Versammlungsverbots mehrere hundert – einige Berichte sprechen gar von tausenden – Sozialdemokraten an seinem Grab ein und setzten damit ein mutiges Zeichen gegen staatliche Unterdrückung und Gewalt.

Heute erinnert an der Ecke Jarrestraße/ Jean-Paul-Weg, dem Standort des früheren Adolf-Biedermann-Hauses, eine Gedenktafel an den früheren Bürgerschafts- und Reichstagsabgeordneten.

In Barmbek, dem Ausgangspunkt seines langjährigen und bedeutenden politischen Wirkens, ist heute ein Platz nach ihm benannt.

© Text mit freundlicher Genehmigung der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (Hrsg.) entnommen aus: Jörn Lindner/Frank Müller: "Mitglieder der Bürgerschaft – Opfer totalitärer Verfolgung", 3., überarbeitete und ergänzte Auflage, Hamburg 2012

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