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Hedwig und Walter Alexander
© Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese

Dr. Walter Bismarck Alexander * 1871

Erik-Blumenfeld-Platz 15 (Altona, Blankenese)

1942 Theresienstadt
ermordet am 6.12.1942

Weitere Stolpersteine in Erik-Blumenfeld-Platz 15:
Hedwig Alexander

Hedwig Alexander, geb. 4.11.1877 in Wien, deportiert nach Theresienstadt am 19.7.1942, Todesdatum 15.02.1943
Dr. Walter Alexander, geb. 16.9.1871 in Brooklyn, New York, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, Todesdatum 6.12.1942

Erik-Blumenfeld-Platz 15 (Altona, Blankenese)

Mein Großvater Walter Alexander wurde in Brooklyn geboren. Sein Vater, Albert Alexander, war 1857 auf Einladung seiner beiden Onkel nach Amerika gegangen. Diese, Siegmund und Salomon Alexander, waren 1851 aus wirtschaftlichen Gründen nach New York ausgewandert. Albert Alexander arbeitete acht Jahre lang im Laden seiner Onkel. 1865 eröffnete Albert – inzwischen amerikanischer Staatsbürger – sein eigenes Geschäft für Kurzwaren in Brooklyn, NY. Fünf Jahre später, während er seine Eltern in Preußen besuchte, hielt er um die Hand seiner Kusine, Ernestine Gumpert, aus Schneidemühl (heute Piła, Polen) an. Sie heirateten wenige Wochen später, und sie zog zu ihm nach Brooklyn, NY.

Doch das amerikanische Intermezzo dauerte nicht allzu lange. Wenige Jahre nach der Geburt meines Großvaters zog die Familie zurück nach Deutschland, nach Berlin, und ließ sich wieder einbürgern. Mein Urgroßvater war ein derartiger Patriot, dass er Walter, seinem Ältesten, den zusätzlichen Namen Bismarck gab. Nach dem Abitur studierte mein Großvater Chemie. Er promovierte an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (heute Humboldt Universität) und wurde ein selbst im Ausland bekannter Chemiker. Er heiratete 1902 die sechs Jahre jüngere Hedwig Grundmann aus Wien, Tochter von Jonathan und Rosalie Grundmann, geborene Taussig. Wie er war seine Frau jüdischer Herkunft. 1903 wurde der Sohn Gerhard, mein Vater, geboren. Er wurde getauft. Am 21. Januar 1915 traten Hedwig und am 3. November 1916 auch Walter der evangelischen Kirchengemeinde bei. Im 1. Weltkrieg diente mein Großvater als Unteroffizier, wofür ihm – wie allen jüdischen Frontkämpfern - noch am 16. Februar 1935 das Ehrenkreuz für Frontkämpfer verliehen wurde.

Hedwig Alexander hatte eine Lehrerausbildung mit Auszeichnung bestanden, ihren Beruf aber meines Wissens nie ausgeübt. Sie spielte hervorragend Klavier und schrieb sehr anschauliche Berichte über die Reisen, die sie mit ihrem Mann gemacht hatte. Ich erinnere mich noch daran, dass sie mir oft Märchen vorlas, was mir sehr gefiel.

Mein Großvater hatte zusammen mit einem Vetter in Köpenick eine Chemische Fabrik gegründet, trennte sich aber nach dem Ersten Weltkrieg von dieser und zog nach Hamburg, wo er 1919 Teilhaber der Deutschen Oelfabrik G.m.b.H. im Hamburger Freihafen wurde. Die Fabrik hieß ab 1. April 1919 Deutsche Oel- und Factisfabrik Dr. Alexander, Dr. Bünz und Richard Petri G.m.b.H. und ab 1929 Deutsche Oelfabrik Dr. Grandel & Co. Wirtschaftlich ging es meinen Großeltern sehr gut, sie wohnten in Hamburgs Nobelvorort Blankenese in einer geräumigen Villa mit vielen Dienstboten, hatten ein Auto und einen Chauffeur, viele gute Freunde und Bekannte. 1917, erst vierzig Jahre alt, hatte meine Großmutter einen Schlaganfall bekommen, von dem sie sich nie wieder ganz erholte. Es blieb eine starke Schwerhörigkeit zurück, und wenn sie in der Hamburger City etwas einkaufte (sie ist bis zu ihrer Verschleppung eine sehr elegante Frau gewesen, erzählte man mir), dann passierte es manchmal, dass sie die Orientierung verlor und nicht mehr wusste, wo sie war und wo sie wohnte. Deshalb trug sie bei solchen Ausflügen ein Schild mit ihrer Adresse bei sich. Auch zu Hause wusste sie oftmals nicht, was sie eigentlich vorgehabt hatte, und ich höre sie noch mit ihrem Schlüsselkörbchen in der Hand "Walter, Walter" rufen.

Mein Vater hatte nach seiner Promotion in Nordischer Philosophie, Vergleichender Sprachforschung und Germanischer Philologie eine Pastorentochter geheiratet. 1934 verlor er wegen des sogenannten "Arierparagraphen" seine feste Stelle als Bibliothekar an der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin und zog mit seiner Frau nach Hamburg. Dort fand er in der Oelfabrik, in der sein Vater Teilhaber war, eine Anstellung. Als ich 1935 geboren wurde, ließ mein Großvater auf dem südlichen Teil seines Grundstücks für uns drei ein etwas kleineres Haus bauen. Drei Jahre später, im April 1938, zwangen die politischen Verhältnisse ihn und meinen Vater aus der Oelfabrik auszuscheiden.

Im März 1939 verbrachte Walter Alexander aus politischen Gründen über 14 Tage in Gestapo- und Untersuchungshaft im Stadthaus und im Gefängnis Fuhlsbüttel.
Im selben Jahr mussten die Großeltern ihr Haus verkaufen. Sie zogen dann in unser Häuschen (wir fanden eine andere Bleibe). Im Juli 1942, eine Woche nach meinem siebten Geburtstag, erhielten sie den Deportationsbefehl. Meine Mutter fragte sorgenvoll meinen Großvater, wie ihm zumute sei. Er antwortete: "Ich denke, ich gehe auf eine große Reise".

Es war eine Reise ohne Wiederkehr. Beide wurden am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Mein Großvater ist dort am 6. Dezember 1942 gestorben. Verhungert? Ermordet? Die Todesfallanzeige gibt Blutzersetzung und Herzmuskelentartung als Todesursache an. Meine Großmutter starb am 15. Februar 1943 – laut Todesfallanzeige litt sie an Wundrose und Durchfall.

Ihr Sohn Gerhard Alexander, bis dahin durch seine "privilegierte" Mischehe geschützt, wurde noch am 14. Februar 1945 ebenfalls nach Theresienstadt deportiert. Am 8. Mai 1945 erlebte er dort die Befreiung. Er starb 1988 in Hamburg.

Stand: August 2022
© Ulrike Bork/Text erweitert von Dr. Iris Bork-Goldfield

Quellen: 1; 3; 4; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 1730 (Dr. Alexander, Walter Bismarck).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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