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Bereits verlegte Stolpersteine



Günther Blobel
Günther Blobel
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Günther Blobel * 1936

Tarpenbekstraße 107 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
GÜNTHER BLOBEL
JG. 1936
EINGEWIESEN 1942
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT‘ 10.8.1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
TOT 28. JUNI 1945

Weitere Stolpersteine in Tarpenbekstraße 107:
Josephine Boock, Klaus Peter Wörbach

Günther Blobel, geb. am 14.12.1936 in Hamburg, aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 17.7.1942, abtransportiert in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau am 11.8.1943, dort gestorben am 28.6.1945

Tarpenbekstraße 107 (Anscharhöhe), Eppendorf

Günther Blobel kam am 14. Dezember 1936 in der damaligen Hamburger Geburtsklinik, der Staatlichen Frauenklinik Finkenau, in Hamburg-Uhlenhorst, Finkenau 33/35, zur Welt. Seine Mutter, die Arbeiterin Irmentraut Blobel, war bei Günthers Geburt ledig. Der leibliche Vater Ernst Ludwig Siegfried Hassenpflug erkannte seine Vaterschaft im Februar 1937 an. Beide Eltern wohnten zur Zeit von Günther Blobels Geburt in der Eimsbütteler Straße 38 im Stadtteil Eimsbüttel und gingen später die Ehe ein.

Günther Blobels Bruder Rolff, geboren am 21. Dezember 1938, befand sich im Kinderheim Altona, Bahrenfelder Kirchenweg 51, als er am 17. Februar 1940 an doppelseitiger Lungenentzündung starb. Laut Günther Blobels Patientenakte hatte er noch eine Halbschwester mit Namen Brigitte, deren Geburtsdatum und leiblichen Vater wir nicht kennen. Das Mädchen soll von der Mutter zur Adoption freigegeben worden sein.

Günther Blobel kam nach der Geburt zu Verwandten der Mutter, konnte dort aber nicht bleiben, weil sie an Tuberkulose erkrankten. Auch Günther war an Lungen-Tbc erkrankt, als er am 22. März 1939 zunächst in der Heilstätte Kastanienhof der Diakonischen Anstalt Anscharhöhe in der Tarpenbekstraße in Hamburg-Eppendorf aufgenommen und von dort an das ebenfalls zur Anscharhöhe gehörende Kleinkinderheim (Mutter-Langer-Heim) übergeben wurde.

In einem Bericht des Landesjugendamtes vom 11. Dezember 1939 zu der Frage, ob der Junge zur Mutter gegeben werden könne, wurde notiert: "Mutter und Erzeuger kümmern sich kaum um das Kind." Die Mutter könne nicht als geeignete Erzieherin angesehen werden. 1940 berichtete die Heimleitung der Anscharhöhe an das Landesjugendamt, Günther sei ein großer Junge geworden, der erst jetzt zu laufen und zu sprechen beginne. Geistig sei er wohl zwei Jahre zurück.

Im April 1942 hieß es, Günther Blobel sei ein unruhiger Junge, der seinen Namen nicht kenne, auf Ansprache nicht reagiere, sich für nichts interessiere und mit Spielsachen oder Bilderbüchern nichts anzufangen wisse. Bei Günther Blobel, so die Assistenzärztin des Landesjugendamtes, Bosse, bestehe ein "Schwachsinn erheblichen Grades" (Der heute nicht mehr verwendete Begriff "Schwachsinn" bezeichnete eine Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche). Die Ärztin empfahl, den Jungen als "Bewahrfall" in die Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) zu überweisen.

Die damaligen Alsterdorfer Anstalten nahmen Günther Blobel am 17. Juli 1942 in ihre Einrichtung auf. Seine Mutter wohnte zu dieser Zeit in der Eiffestraße 652 in Hammerbrook bei ihrem Bruder, der leibliche Vater auf der Reeperbahn 38 auf St. Pauli. Die Vormundschaft für das Kind lag beim Landesjugendamt.

Günther Blobel hatte inzwischen "ganz gut" gehen gelernt. Er konnte jedoch weiterhin nicht sprechen, sich weder an- noch auskleiden oder selbst essen. Bei der Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten wurde ihm eine "Schutzjacke" angelegt, weil verhindert werden sollte, dass er "das Bettzeug in den Mund steckt und zerfrißt". ("Schutzjacke" ist ein beschönigender Begriff für die in der Umgangssprache genannte "Zwangsjacke").
Im Juni 1943 wurde der 6 1/2 Jahre alte Junge in das "Männergebiet, Haus Karlsruh" verlegt. Gründe dafür sind nicht vermerkt.

Nachdem die Alsterdorfer Anstalten während der schweren Luftangriffe der Alliierten auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") Schäden erlitten hatten, nutzte der Leiter der Alsterdorfer Anstalten, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, diese Situation und bat die Hamburger Gesundheitsbehörde um Genehmigung für den Abtransport von etwa 750 Anstaltsbewohnerinnen und –bewohnern, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Daraufhin verließen zwischen dem 7. und dem 16. August 1943 drei Transporte mit insgesamt 469 Mädchen, Jungen, Frauen und Männern Alsterdorf in verschiedene Richtungen, darunter am 10. August 1943 ein Transport mit 113 Männern, Jugendlichen und Jungen mit dem Ziel "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" in der Nähe von Passau. Unter ihnen befand sich Günther Blobel.

Der Transport kam am 12. August in Mainkofen an. Eine kurze Notiz über die Ankunft blieb bis zum 28. Juni 1945 die einzige Eintragung in Günther Blobels Patientenakte. Dann hieß es: "Psychisch erwartungsgemäß keine Änderung. Seit längerer Zeit Eiterung der Lymphdrüsen an der 1. Halsseite (Tbc.). Starke Abnahme des Ernährungszustandes. Zeitweise Durchfälle. Vielfach Hüsteln; über der 1. Lungenspitze Schallverkürzung und abgeschwächtes unbestimmtes Atmen, vereinzelte knackende Geräusche.
Heute 5 Uhr 30 Min. gestorben.
Todesursache: Drüsen- und Lungentuberkulose.
Klinische Diagnose: Angeb.[orener] Schwachsinn 1 Imbecillität."

Die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen, vormals ein psychiatrisches Krankenhaus, wurde während des Nationalsozialismus systematisch zu einer Sterbeanstalt entwickelt. Von dort wurden während der ersten Phase der "Euthanasie"-Morde bis August 1941 Menschen in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim in der Nähe von Linz verschleppt und mit Gas ermordet. 606 von ihnen sind namentlich bekannt (Stand 2016). Danach wurden die Patientinnen und Patienten in Mainkofen selbst ermordet, und zwar durch Nahrungsentzug im Rahmen des "Bayrischen Hungererlasses" (Hungerkost, fleisch- und fettlose Ernährung, in Mainkofen als "3-b Kost" bezeichnet), pflegerische Vernachlässigung und überdosierte Medikamentengaben. Nach dem Wissensstand von 2016 starben 760 Mainkofener Anstaltsbewohner an Unterernährung. Als angebliche Todesursache wurde insbesondere Darmkatarrh, Tuberkulose, Lungenentzündung bzw. Lungentuberkulose angegeben.

Von den 113 Alsterdorfer Jungen und Männern, die am 12. August 1943 in Mainkofen eintrafen, verstarben 74 bis Ende 1945. Als Todesursache tauchte, wie in anderen Sterbeanstalten auch, immer wieder "Lungentuberkulose" auf, so vierzig Mal bei den 74 Alsterdorfer Patienten, die in Mainkofen starben. "Darmkatarrh" wurde fünfzehn Mal als Todesursache genannt. Nur 39 Menschen aus Alsterdorf überlebten das Jahr 1945, davon 15 Erwachsene sowie 24 Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 21 Jahren. Die überlebenden Patienten wurden am 19. Dezember 1947 zurück nach Alsterdorf verlegt.

Günther Blobels Mutter, inzwischen verheiratete Hassenpflug, befand sich noch 1947 in dem Glauben, dass ihr Sohn am Leben sei. Sie bat mit Schreiben vom 15. März 1947 "An das Kinderheim in Mainkofen", um Mitteilung, ob der Junge noch dort sei oder wo er sich befinde. Sie bat zudem um Auskunft über seinen Gesundheits- und Geisteszustand. In einer kurzen Antwort wurde ihr mitgeteilt, dass ihr Sohn am 28. Juni 1945 an einer Lungen- und Drüsentuberkulose gestorben sei.

Günther Blobel verbrachte den größeren Teil seines kurzen Lebens in der Diakonischen Anstalt Anscharhöhe. Soweit erkennbar, kümmerte sich das Personal dort um ihn und betrachtete ihn nicht nur als "Bewahrfall". Deshalb wurde der Stolperstein zur Erinnerung an ihn im Eingangsbereich der Anscharhöhe verlegt.

Stand: August 2023
© Ingo Wille

Quellen: StaH 332-5 Standesämter 5101 Geburtsregister Nr. 2321940 Rolff Blobel; Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, V 436 (Akte Günther Blobel); Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 315 ff.

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