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Willi Böttcher * 1899

Eißendorfer Straße 79 (Harburg, Harburg)


HIER WOHNTE
WILLI BÖTTCHER
JG. 1899
VERHAFTET OKTOBER 1942
"RUNDFUNKVERBRECHEN"
1943 GEFANGENENLAGER
GRIEBO
ERMORDET 27.4.1943

Willi Böttcher, geb. am 15.11.1899 in Kietz, Wg. "Rundfunkverbrechen" im Untersuchungsgefängnis Hamburg Oktober 1942 – März 1943, Strafgefangenenlager "Elberegulierung" in Griebo bei Coswig März 1943, ermordet am 27.4.1943

Stadtteil Harburg-Altstadt, Eißendorfer Straße 79

Willi Otto August Böttchers Geburtsort Kietz (heute: Skic) liegt in der bis 1918 preußischen Provinz Posen-Westpreußen des Deutschen Reiches. Heute gehört er zu Polen. Nach seinem Schulabschluss fuhr Willi, der Sohn eines Tagelöhners, zunächst zur See.

1925 verabschiedete er sich von der Seefahrt und ließ sich in der Industriestadt Harburg für einen beruflichen und privaten Neuanfang nieder. Hier versuchte er sein Glück als Bauarbeiter bei F. Thörls Vereinigten Harburger Ölfabriken, die inzwischen die Krisenjahre des Ersten Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit überwunden hatten. 1924 hatte die Firma wieder das Produktionsniveau der Vorkriegsjahre erreicht und in den Folgejahren entwickelte sie sich zur größten Ölfabrik des Kontinents. Mehr als 2.000 Menschen waren dort beschäftigt.

Am 14. Mai 1927 heiratete Willi Böttcher die vier Jahre jüngere Martha Loese, die aus Nestempohl (heute: Niestepowo), einem kleinen Dorf bei Danzig, stammte. Ab November 1937 wechselte er zur Harburger Baufirma H. C. Hagemann, wo er als Steinträger arbeitete.

Politisch engagierte er sich in der KPD, der Kommunistischen Partei Deutschlands. Jakob (Jonny) Kock, einer der führenden Vertreter der Harburger KPD, der 1935 nach Kopenhagen fliehen konnte, kannte ihn gut und schätzte ihn als tapferen Kameraden im gemeinsamen Kampf gegen Hitler.

Schon vor 1933 war diese Gegnerschaft zwischen NSDAP und KPD unübersehbar, die alle Reichs- und Landtagswahlkämpfe kennzeichnete und oft in turbulente Saalschlachten und blutige Straßenkämpfen mündete. Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler waren die Nationalsozialisten fest entschlossen, den Kampf gegen ihre politischen Gegner – allen voran gegen die Kommunisten – mit allen Mitteln fortzusetzen und die anderen Parteien der Reihe nach zu zerschlagen. Bereits am 2. Februar 1933 wurde die KPD in Preußen – und damit auch in Harburg – mit einem Demonstrationsverbot belegt. Viele Funktionäre und Mitglieder der Harburger KPD wurden kurz danach verhaftet, andere verloren ihren Arbeitsplatz. Zugleich wurde die Presse- und Versammlungsfreiheit Schritt für Schritt eingeschränkt. Auch in Harburg wurde die örtliche Polizei durch SA-Männer verstärkt, die jetzt ganz offiziell für Recht und Ordnung sorgten.

Am 7. Februar 1933 erschossen Mitglieder der NSDAP im Großen Schippsee den Arbeiter Martin Leuschel, der sechs Wochen zuvor der Harburger KPD beigetreten war. An dem anschließenden Trauerzug durch Harburg und Wilhelmsburg nahmen mehr als 20.000 Menschen teil, die damit zugleich bekundeten, dass sie gegen die politische Wende waren. Doch unbeeindruckt von diesem stillen Protest wurde der sozialdemokratische Harburger Oberbürgermeister Walter Dudek am 11. März 1933 von SA-Männern aus dem Rathaus der Stadt abgeführt und zwei Monate später durch den Nationalsozialisten Ludwig Bartels ersetzt.

Die KPD verlegte ihre politische Arbeit angesichts dieser Unterdrückungsmaßnahmen konsequent in den Untergrund und baute ihre Massenorganisation in kleinste Zellen um, die auf illegale Arbeit spezialisiert waren. Heimlich wurden Flugblätter hergestellt und unbemerkt an belebten Stellen der Stadt ausgelegt. Andere Kommunisten bemalten Hauswände mit Protestparolen. Eine große Leistung der KPD-Unterbezirksorganisation Harburg-Wilhelmsburg war es, unmittelbar nach dem Verbot der Parteipresse in regelmäßigen Abständen eine illegale `Norddeutsche Zeitung´ herzustellen und zu vertreiben. Im Zweiten Weltkrieg versuchten viele Kommunisten – wie auch andere Gegner der Nationalsozialisten, – über ausländische Rundfunksender einen Überblick über das tatsächlichen Kriegsgeschehen zu gewinnen. Diese Nachrichten gaben viele von ihnen auch unter der Hand weiter.

Diese Aktivität wurde gleich nach Kriegsbeginn unter verschärfte Strafe gestellt. Im Oktober 1942 wurde auch Willi Böttcher wegen Abhörens ausländischer Rundfunksender angezeigt und verhaftet. Das Sondergericht Hamburg verurteilte ihn am 26. März 1943 wegen Verstoßes gegen das Rundfunkgesetz zu 5 Jahren Zuchthaus.

Aus dem Hamburger Untersuchungsgefängnis wurde er unmittelbar danach in das Strafgefangenenlager `Elberegulierung´ bei Coswig in Anhalt verlegt. Viele seiner Mitgefangenen, die körperlich kräftig waren und handwerkliche Fähigkeiten besaßen. waren ebenfalls in dieses Lager überstellt worden. Die ca. 1.500 Gefangenen hatten ursprünglich die Aufgabe, das Flussbett der Elbe zu vertiefen. Nach dem Überfall auf Polen wurden sie dann allerdings kriegsbedingt verstärkt zur Zwangsarbeit in den umliegenden Rüstungsbetrieben herangezogen.

Das Strafgefangenenlager war von einem doppelten Zaun umgeben, in dem Wachhunde liefen. Die Baracken waren um einen Appellplatz angeordnet, auf dem die Häftlinge jeden Morgen um 5 Uhr antreten mussten, wie einer der Betroffenen später berichtete. Sie trugen graue Häftlingsanzüge mit gelben Streifen an den Seiten. Zu diesem dünnen Anzug, der wenig Schutz vor Kälte und Nässe bot, gehörten Holzpantoffeln, die Sommer wie Winter ohne Strümpfe getragen werden mussten. Die Herbst- und Wintermonate mit viel Regen und Schnee zehrten deshalb am stärksten an den Kräften der Häftlinge, die den Großteil ihrer Arbeiten im Freien zu verrichten hatten.

Willi Böttcher war diesen Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht gewachsen. Am 27. April 1943 – nur einen Monat nach seiner Einlieferung in das Strafgefangenenlager `Elberegulierung´ in Griebo bei Coswig – endete sein Leben.

Seine sterblichen Überreste wurden im Krematorium der Lutherstadt Wittenberg eingeäschert.


Stand: April 2019
© Klaus Möller

Quellen: Komitee ehemaliger politischer Gefangener, Akte: Willi Böttcher; StaH 351-11_22601; Totenliste Hamburger Widerstandskämpfer und Verfolgter, VAN (Hrsg.), Hamburg 1968; die anderen. Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg, VVN-BdA Harburg (Hrsg.) 6. Auflage, Harburg 2005; Jürgen Ellermeyer, Klaus Richter, Dirk Stegmann, Harburg – Von der Burg zur Industriestadt, Harburg 1988; http://www.vom-vergessen-zum-erinnern.com/neuigkeiten/; AB Harburg-Wilhelmsburg und Landkreis 1938, http://www.mdr.de/zeitreise/elbe-drittes-reich-100.html.

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