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Portrait von Fanny Borchardt
Fanny Borchardt
© Privatbesitz

Fanny Borchardt (geborene Hildesheim) * 1881

Beim Rauhen Hause 30 (Hamburg-Mitte, Horn)


HIER WOHNTE
FANNY BORCHARDT
GEB. HILDESHEIM
JG. 1881
DEPORTIERT 1943
THERESIENSTADT
ERMORDET IN
AUSCHWITZ

Weitere Stolpersteine in Beim Rauhen Hause 30:
Alfred Levy, Anni Levy, Tirze Levy

Fanny Borchardt, geb. Hildesheim, geb. 18.3.1881 in Hamburg, deportiert am 23.6.1943 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 15.5.1944 nach Auschwitz
Alfred Levy, geb. 8.6.1896 Brodenbach, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Anni Levy, geb. Borchardt, geb. 12.11.1909 Alt-Rahlstedt, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk
Tirze Levy, geb. 31.7.1939 Hamburg, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk

Beim Rauhen Hause 30

Zu den ersten Frauen, die im neuen Schulgebäude des Hamburger Fröbelvereins in der Bundesstraße zur Kindergärtnerin ausgebildet wurden, gehörte Fanny Hildesheim, verheiratete Borchardt. Ihre Nachkommen erinnern sie als kluge und warmherzige Frau, die ihnen als Motto mit auf den Weg gab: "Man muss den Frieden nicht nur lieben, sondern ihn auch suchen."
Fanny Hildesheim war die jüngste Tochter des Kaufmanns Gedalja Hildesheim (geb. 24.7.1836) und seiner Ehefrau Friederike, genannt Rike, geb. Wolff. Ihre älteste Schwester, Sara (geb. 21.9.1872), ging schon zur Schule, als sie geboren wurde, die mittlere, Martha (geb. 28.6.1875), wurde bald schulpflichtig. Die Schwestern waren wie schon ihr Vater in Hamburg geboren, während die Mutter (geb. 2.12.1850) aus Lübtheen bei Ludwigslust zugezogen war. Sie stammte aus einer Kaufmannsfamilie, aus der auch die Mutter des früheren Hamburger Ersten Bürgermeisters Ole von Beust hervorging. Gedalja Hildesheim führte den Namen Gottfried und ließ sich darunter in den Hamburger Adressbüchern eintragen, erstmals 1873 in der Glashüttenstraße 4 in St. Pauli. Er wurde Mitinhaber der Firma Cohen & Hildesheim, die sich in der Altstadt niederließ. 1881 kehrte Gottfried Hildesheim mit seiner Familie in die Glashüttenstraße, nun Nr. 34, zurück. Dort wurde Fanny am 18.3.1881 geboren. Als sie zwei Jahre alt war, zog die Familie in die Grindelallee 107 und drei Jahre später in die Fruchtallee 46, wo sie auch noch wohnte, als Fanny ca. 1887 eingeschult wurde. Es ist nicht bekannt, welche Schulbildung sie erhielt. Die nächsten Umzüge führten in den Eppendorfer Weg 42 und die Bismarckstraße 13. Bei dem darauf folgenden Wohnungswechsel waren die Schwestern Sara und Martha nicht mehr dabei, da sie geheiratet hatten. So blieb Fanny allein mit ihren Eltern, als diese schließlich zum Eimsbütteler Marktplatz 6 zogen.

Fanny Hildesheim absolvierte beim Fröbelverein die Ausbildung zur Kindergärtnerin und verließ ebenfalls das Elternhaus. Sie wohnte in der Kollaustraße 24 in Lokstedt, das damals noch nicht zu Hamburg gehörte, als sie dort am 19. April 1904 heiratete. Ihre älteste Schwester, Sara, war schon zehn Jahre zuvor die Ehe mit dem Viehhändler Salomon Eichmann aus Schötmar/Bad Salzuflen eingegangen und dorthin gezogen, Martha hatte ein Jahr später die Ehe mit dem Annoncen-Agenten Ivan Borchardt (geb. 9.7.1870 in Exin) geschlossen. Als Ivan und Martha Borchardt 1904 nach Alt-Rahlstedt in die Grubes Allee (heute: Grubesallee) zogen, hatten sie bereits vier Kinder: Grete (15.1.1896), Else (21.4.1897), Hans (7.6.1898) und Werner 4.11.1900).

Fanny heiratete ihren Schwager Hugo, geb. 5.6.1878 in Rogasen, den jüngsten Bruder Ivan Borchardts. Die beiden zogen ebenfalls nach Alt-Rahlstedt, in die Lindenstraße 28 (heute: Boytinstraße), die parallel zur Grubesallee verläuft. Das Leben beider Familien blieb eng verbunden, und Fanny pflegte zeitlebens auch die ferneren verwandtschaftlichen Beziehungen. Die unterschiedlichen Geburtsorte Ivan und Hugo Borchardts erklären sich daraus, dass ihr Vater Salomon Borchardt als Lehrer in der damaligen preußischen Provinz Posen an verschiedenen Orten unterrichtete. Von ihren fünf weiteren Geschwistern kam nur die Schwester Johanna, verheiratet mit Wolff/Willy Bachrach, nach Hamburg. Die Mutter Sophie, geb. Rosenthal, zog nach dem Tod ihres Mannes Salomon in ihre Nähe.

In Alt-Rahlstedt wurde 1905 als Nachkömmling Martha Borchardts jüngste Tochter Eva Leonore und am 10. März 1908 Fannys erste Tochter Käthe geboren. Am 12. November 1909 brachte Fanny Borchardt Zwillinge zur Welt, Anni und Mete, und schließlich am 7. November 1911 Gertrud. Trotz der großen Altersunterschiede hielten die Cousins und Cousinen gut zusammen.

Gedalja/Gottfried Hildesheim starb am 8. Oktober 1906 im Alter von 70 Jahren in seiner Wohnung am Eimsbütteler Marktplatz. Seinen Tod zeigte sein Schwiegersohn Ivan Borchardt beim Standesamt an. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs starb der Schwager Salomon Eichmann in Schötmar. Seine Witwe Sara blieb mit ihren Kindern in Schötmar wohnen.

Als der Erste Weltkrieg begann, waren Ivan und Hugo Borchardt zur Teilnahme zu alt und Hans und Werner zu jung, doch wurden sie mit Ausnahme von Ivan im Verlaufe der Kriegsjahre Soldaten, Hugo nachweislich im Jahr 1916. Hans und Werner kehrten versehrt nach Hause zurück. Im Oktober 1915 war Sophie Borchardt im Alter von 77 Jahren in Hamburg (am 30. Oktober 1915) gestorben. Als einzige ihrer Generation lebte noch Rike Hildesheim.

Hugo, von Beruf Kaufmann, war als Agent tätig und erreichte kein so hohes Einkommen wie sein Bruder Ivan. Anders als dieser, blieb er der jüdischen Gemeinde verbunden und entrichtete regelmäßige Beiträge.

Mitte der 1920er Jahre endete die gemeinsame Rahlstedter Zeit. Im Alter von nur 50 Jahren starb am 24. August 1925 Fanny Borchardts Schwester Martha (im Elim-Krankenhaus in Eimsbüttel) an einer Sepsis, die sich nach einer Operation entwickelte. Dieser Verlust belastete Fanny schwer. Bis auf Marthas jüngste Tochter Eva Leonore hatten alle Kinder ihr Studium abgeschlossen und das Elternhaus verlassen. Eva konnte sich aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht selbstständig versorgen und wurde in eine private Pflege in Allendorf a.d. Lumda/Oberhessen gegeben. (s. Biographie Eva Leonore Borchardt, www.Stolpersteine-Hamburg.de)
Zur selben Zeit erwarb Hugo Borchardt ein Grundstück mit einem Stadthaus in der Rudolfstraße 30, die später in "Beim Rauhen Hause" umbenannt wurde. Fanny Borchardt musste den Umzug von Alt-Rahlstedt nach Hamburg-Horn bewältigen, mit dem auch ein Einschnitt im Leben der Töchter verbunden war. Keine von ihnen war noch schulpflichtig, aber auch noch keine mündig. Sie benötigten Ausbildungsplätze und erhielten sie offenbar im Kaufmännischen. Und noch etwas war neu: Gegenüber lag das Rauhe Haus mit dem Jungeninternat und einer Jungenschule, was das Interesse der Borchardt-Töchter weckte.
Fanny Borchardts Neffen und Nichten gingen eigene Wege, die Kontakte lockerten sich. 1930 kam der viel versprechende Neffe, der Tropenarzt Werner Borchardt, bei der Besteigung des Merapi in Niederländisch-Indien ums Leben.

Fanny Borchardts Mutter, Rike Hildesheim, zog zu ihr. Außer einer kleinen Rente hatte sie keine Mittel, weshalb die Deutsch-Israelitische Gemeinde in Hamburg bis zu ihrem Tod am 18. Januar 1934 keinerlei Forderungen mehr an sie stellte. Sie starb im Bethesda-Krankenhaus (in der Burgstraße 39) in Hamburg-Borgfelde im Alter von 84 Jahren. Ihre Enkelin Käte Borchardt meldete ihren Tod beim Standesamt.

Die Folgen von Hitlers Judenpolitik nach seinem Machtantritt 1933 für Familie Borchardt gehen aus den vorhandenen Dokumenten undeutlich hervor. Hugo Borchardts steuerpflichtiges Einkommen stieg, während die Töchter Käte und Gertrud 1934 keines erreichten.
Zweieinhalb Jahre später trafen Fanny Borchardt schwere Schicksalsschläge. Am 1. August 1936 starb ihre Schwester Sara, 64 Jahre alt, in Schötmar, am 31. August 1936 erlag ihr Mann im Alter von nur 58 Jahren (nach einem dreiwöchigen Aufenthalt) im Israelitischen Krankenhaus in der Eckernförderstraße einem Krebsleiden. Nach seinem Tod lebte Fanny von Mieteinnahmen und der Unterstützung durch ihre Tochter Gertrud. Gertrud war zwischenzeitlich ausgezogen und kehrte im Oktober in ihr Elternhaus zurück. Sie war kurz vor dem Tod ihres Vaters aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten und ging später eine sogenannte Mischehe ein. Zu Fannys großer Freude wurde 1937 ihr erstes Enkelkind, Susi, geboren.

Annis Zwillingsschwester Mete verließ das Elternhaus, um sich in einem landwirtschaftlichen Betrieb an der dänischen Grenze auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann, Fritz Loeb, kennen. Während er von Dänemark aus nach Palästina reiste, folgte sie ihm auf dem Landweg. Sie gelangte 1937 nach Palästina, wo sich die Eheleute dem Kibbuz Givath Chaim anschlossen.
Käte Borchardt erhielt 1936 erstmals eine feste Anstellung, und zwar bei der Fa. Weill + Reinke in der Spaldingstraße 156/160 in Hammerbrook, die mehreren arbeitslosen Juden und Jüdinnen ein Einkommen bot. Sie gab sie auf, als sie 1937 den am 22.12.1896 in Hamburg geborenen Paul Schelesnjakoff, Sohn des Korrespondenten Naftal-Herz Schelesnjakoff und seiner Ehefrau Marie, geb. Traube, heiratete und mit ihm zusammen nach Paris ging.

Anni Borchardt arbeitete als Kontoristin. Um 1938 heiratete sie den dreizehn Jahre älteren Alfred Levy aus Brodenbach bei St. Goar an der Mosel, jüngstes Kind von Salomon Levy und seiner Ehefrau Veronika, geb. Günther. Wie in ihrer eigenen, hatten in seiner Familie zwei Brüder zwei Schwestern geheiratet. Dort mischten sich traditionelle Männer- und "moderne" Frauennamen: Salomon Levys Bruder hieß Adam, seine Schwägerin, die zugleich die Schwester von Veronika war, trug den Namen Caroline. Der untypische jüdische Nachname "Günther" führte zu irrtümlichen Einträgen der Religionszugehörigkeit der Mutter in Geburtsregistern als "katholisch", was jedoch amtlich korrigiert wurde. Adam und Salomons Eltern hießen Bernhard und Sara, Veronika und Caroline Günthers Eltern Jacob und Rosetta. Wie die Namen, spiegeln auch die Berufe die Assimilation: Während Bernhard Levy als Handelsmann noch einer traditionellen Tätigkeit nachging, übten die Söhne bereits handwerkliche Berufe aus, Adam Levy als Schuhmacher und Salomon Levy als Klempner. Sein Sohn Alfred löste sich ganz aus dieser Berufswelt und wurde Elektroingenieur. Von seinen Geschwistern Selma, Leo, Thekla, Rosa und Lina und den Cousinen Klara, Helena, Selma und Friederika sind keine Berufe bekannt.

Vermutlich nahm Alfred Levy als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. Als Elektroingenieur fand er später trotz der Weltwirtschaftskrise im Raum Hamburg eine Anstellung. 1930 zog er nach Blankenese und trat der jüdischen Gemeinde in Altona bei. Ab 1. April 1930 wurde er dort besteuert, meldete sich aber nach nur zwei Wochen nach Hamburg ab. Er zog nach Eimsbüttel in die Schäferkampsallee 49. Als er 1932 erwerbslos wurde, kehrte er vorübergehend nach Brodenbach zurück, wo immer noch Verwandte von ihm lebten. Wieder in Eimbüttel, fand er eine Unterkunft in der Weidenallee 57 und lebte von verschiedenen zeitlich befristeten Tätigkeiten. Im Dezember 1934 zog er für eineinhalb Jahre in die Hansastraße 64. Sein Einkommen war sehr gering, erst 1936 leistete er erneut Beiträge an die jüdische Gemeinde und fuhr damit, je nach Einkommen, bis 1940 fort. Am 1. Juli 1936 mietete er eine Wohnung über der Neuen Dammtorsynagoge in der Beneckestraße 4 im Grindelviertel. Als erstes seiner Geschwister verließ seine Schwester Lina, die in Höchst bei Frankfurt lebte, zwangsweise Deutschland. Verheiratet mit dem polnischen Juden Moritz Weinreb, wurden beide im Oktober 1938 nach Polen ausgewiesen.

Nach ihrer Heirat zog Anni Levy zu ihrem Ehemann, wo am 31. Juli 1939 ihre Tochter geboren wurde. Im August 1938 hatte der Reichsminister des Innern eine Namensverordnung erlassen, aufgrund derer neugeborene jüdische Kinder nur einen Namen aus einer vorgegebenen Liste erhalten durften. Anni und Alfred Levy wählten den Namen Tirze. Tirze entwickelte sich zu einem stämmigen blauäugigen, blonden Lockenkopf, der die Freude aller Angestellten der jüdischen Gemeinde und ihrer Großmutter Fanny Borchardt wurde. Tirze war eine "Hildesheim", während Gertruds Töchter, die mit im Hause der Großmutter lebten, eher nach "Borchardts" aussahen.

Käte Schelesnjakoff tat sich im Exil in Paris schwer. Ihre Mutter schrieb ihr am 20. Mai 1939:
"Du schreibst, Du konntest nicht mehr viel ertragen. Der Mensch kann viel, wenn er will und muß. Denk nur daran, was auf mich alles niedergebrochen ist in den letzten Jahren, und immer wieder versuche ich, etwas Sinn und Freude in mein Leben zu bringen, und es gelingt mir wenigstens zeitweilig. Arbeit und die Natur sind zwei gute Ärzte. Heute Nacht habe ich zwei Stunden lang am Fenster gestanden und habe mich an der schönen Maienpracht und dem Sternenhimmel erfreut. Also Mut, mein Liebes, auch für Dich wird die Sonne wieder scheinen und hoffentlich recht, recht bald.
Ich lese noch immer mit großem Interesse mein Geschichtswerk. Was wir jetzt erleben ist nicht erstmalig und nicht einmalig. Man kann viel daraus lernen. Ausserdem habe ich mir zum ersten Mal seit meiner Schulzeit, mal wieder den Lessing vorgenommen." Dazwischen erwähnt Fanny Borchardt, dass sie für Susi ein Kleidchen geschneidert habe und endet damit, dass sie, wenn es das Wetter erlaube, viel im Garten sitze.

1939 drohte Fanny Borchardt die Enteignung ihres Grundstücks. Es ging am 1. Juli 1940 in den Besitz ihres Schwiegersohnes über, der auch für ihren Unterhalt aufzukommen hatte. Fanny schrieb dazu am 20. Oktober 1940 an ihre Tochter Käte: "Ich habe nun keine pekuniären Sorgen mehr. Ein Zustand, den ich ja seit Jahren nicht mehr gekannt habe."
Andere Sorgen blieben: Ihr Beinleiden verschlimmerte sich, Alfred hatte ein schweres Herzleiden, das ihn zeitweilig ans Bett fesselte. Anni kam mit Tirze nur etwa alle vierzehn Tage, weil die Straßenbahnfahrt vom Grindel nach Horn sehr beschwerlich war. Hinzu kam das tägliche Warten auf Post.

Fanny füllte ihre Tage mit Hausarbeit, Lesen, Briefeschreiben und Gästen aus, immer in Gedanken bei ihren Verwandten, die Hamburg bereits verlassen hatten oder umziehen mussten. Dann kam der heftigste Schlag. Alfred, Anni und Tirze wurden in das Getto von Minsk deportiert, Alfred am 8., Anni mit Tirze am 18. November. Mit dieser Regelung wurde der Schein aufrechterhalten, dass die Männer die "Aussiedlung" vorbereiteten. Tatsächlich beseitigten die Angehörigen des ersten Transports die Spuren von der vorhergehenden blutigen Aktion, mit der Platz für die neu ankommenden Reichsjuden geschaffen wurde. Nach Ankunft des zweiten Transports fanden sich die Familien wieder zusammen. Ihre Familien hörten nie wieder von ihnen.

Als im Sommer 1942 die Transporte ins "Altengetto" von Theresienstadt begannen, wurde auch Johanna Bachrach, eine Fanny nahestehende Schwägerin, mit einem "Alterstransport" deportiert. Fannys Sorgen wuchsen, weil sie sich über ihren eigenen Abtransport Gedanken machte. Zunächst aber stand Susis Einschulung zum Herbst 1943 an. Sie war getauft, so dass ihrem Schulbesuch in der Volksschule Rhiemsweg nichts im Wege stand. Die Schülerinnen sollten gleich in die Kinderlandverschickung gehen. Da erhielt Fanny die Aufforderung zum Transport in das Altersgetto Theresienstadt.

Am 21. Juni 1943 schrieb sie ein letztes Mal an ihr "geliebtes Kätchen".
"Seit Tagen warte ich schon wieder auf Nachricht von Dir, hoffentlich geht es Dir wenigstens gesundheitlich doch recht gut. - Nun muss ich Dir leider auch einen großen Kummer bereiten. Meine schon lang geplante Reise ist nun nicht mehr aufzuschieben, doch bleibt Trude mit Dir in Verbindung. Ich fahre zu Tante Joh.[anna], vielleicht treffe ich ja durch Zufall Onkel Peter. Mich so lange von den Kleinen zu trennen, bricht mir beinahe das Herz, aber man muss ja tapfer sein und ich habe in den letzten Jahren ja gelernt, Leid zu ertragen. Lebe wohl, mein gutes geliebtes Kind. Ich küsse Dich in Gedanken. Deine Mutti"

Fannys Tochter Gertrud und die Enkelin Susi begleiteten sie zum Sammelplatz an der Moorweide. Fanny Borchardt verließ am 23. Juni 1943 mit einem Transport von insgesamt 109 Hamburger Juden und Jüdinnen ihre Heimatstadt. Sie traf ihre Schwägerin nicht mehr an, sie war bereits im September 1942 in Treblinka ermordet worden. Nach elf Monaten Überleben im Getto von Theresienstadt wurde Fanny Borchardt am 15. Mail 1944 einem Transport nach Auschwitz zugewiesen und vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Sie wurde 63 Jahre alt.

Epilog

Das Wohnhaus Beim Rauhen Hause 30 wurde einen Monat nach Fanny Borchardts Deportation im Feuersturm am 27./28. Juli 1943 unbewohnbar zerstört. Ihre Tochter kam mit ihren Kindern in Mecklenburg unter, wo Susi eingeschult wurde.
Nach einem Eigentümerwechsel wurde das Haus 1956 wieder bewohnbar hergerichtet, 1972 ging es in den Besitz des "Rauhen Hauses" über.
Auch die Neue Dammtorsynagoge und die benachbarten Gebäude der Jüdischen Gemeinde fielen Luftangriffen der Alliierten zum Opfer. An sie erinnert ein Mahnmal am Fußweg neben dem mineralogischen Institut im Universitätsgelände. Wegen der engen Verbundenheit von Anni, Alfred und Tirze Levy mit Annis Elternhaus wurden die Stolpersteine für sie dort verlegt.

Stand August 2015
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 2 R 1940/712, Hamburger Adressbücher; Archiv des Rauhen Hauses; 332-5 Standesämter, 2001+1368/1881, 9123+2296/1896, H 20/364, 1053 + 310/1936 Hugo Borchardt, StaH 351-11, 5412;; 352-5, StA 2a/1936; 522-1, 992 d Band 4, Steuerakten, 992 e 2, Band 2 (darin Alfred Levys Adresse irrtümlich mit Beneckestraße 11 statt 4 angegeben); Verbandsgemeinde Rhein-Mosel, Sachgebiet 2.1.1, Heirats- und Geburtsurkunden; JFHH O3-70; http://www.alemannia-judaica.de/brodenbach_synagoge.htm; Briefe von Fanny Borchardt und Anni Levy an Käte Schlesnjakoff, 1939 bis 1943; Mitteilungen von Angehörigen, 2014, und von Helga Krohn, 2015.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen"

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