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Claus-Jürgen Borchardt * 1926
Eppendorfer Landstraße 14 (Hamburg-Nord, Eppendorf)
1942 Theresienstadt
1944 Auschwitz, ermordet 03.01.1945 in Dachau
Weitere Stolpersteine in Eppendorfer Landstraße 14:
Robert Salomon Borchardt, Charlotte Borchardt, Amalie Leser, Hans Leser, Siegbert Leser, Ernst J. Schönhof, Rudolf W. Stamm, Else Stamm, Eric Walter Stamm, Dr. Carl Stamm, Minna Margarethe Stamm
Robert Salomon Borchardt, geb. 22.8.1869 Memel, deportiert 15.7.1942 nach Theresienstadt, Tod 2.10.1943 dort
Claus-Jürgen Borchardt, geb. 8.5.1926 Hamburg, deportiert 15.7.1942 nach Theresienstadt, Tod 3.1.1945 KZ Dachau/Kaufering
Eppendorfer Landstraße 14
Am 10. August 1946 schrieb Charlotte Borchardt aus dem DP-Camp Deggendorf an die Tochter einer ehemaligen Mitgefangenen im Ghetto von Theresienstadt:
" … So verging Sommer und Winter Jahr um Jahr in dieser Einöde und Abgeschlossenheit bis zum 14. Mai 1944, an welchem Tage ihre liebe gute Mutter mit einem Riesentransport von ungefähr 2-3000 Menschen nach Polen transportiert wurde, dem auch Ihre Tante Agnes und meine Geschwister angeschlossen waren. Alle waren noch so guten Mutes und alle hatten den festen Willen durchzuhalten. Niemand ahnte ja, welchen gräulichen Tagen und Dingen sie alle entgegengingen. … Was nun dort in Polen vor sich ging, haben wir ja, die Überlebenden, erst nach unserer Befreiung durch die Russen am 4. Mai 45 erfahren. Ich selbst habe auf diese Weise meine ganze Familie, meinen Mann, meinen einzigen geliebten Sohn und meine Geschwister verloren und bin von 5 Personen allein zurückgeblieben. Der Wille zum Weiterleben bei mir besteht nur in ganz geringem Maß; denn noch weiß ich nicht, was ich beginnen werde, da ich weder Angehörige, noch Heim noch Heimat mehr besitze.
… Ihre Frau Charlotte Borchardt"
Charlotte Borchardt, Ehefrau von Robert und Mutter von Claus-Jürgen Borchardt, die am 15. Juli 1942 gemeinsam von Hamburg in das Getto und Durchgangslager Theresienstadt deportiert worden waren, erlebte dort die Befreiung am 5. Mai 1945 durch die Rote Armee.
Erst am 13. Juli 1945 konnte sie den Ort verlassen und wurde als "Displaced Person" im DP-Camp Deggendorf in der amerikanischen Besatzungszone untergebracht, da sie keinen Heimatort anzugeben vermochte. Dort harrte sie in der Hoffnung auf eine Nachricht von ihrem Sohn Claus-Jürgen aus. Ihr Ehemann Robert war bereits im Getto gestorben.
Robert Salomon Borchardt, geb. 22.8.1869 in Memel, stammte aus einer weit verzweigten jüdischen Familie. Seine Eltern, Salomon Borchardt (1833 Neustadt/WPr. – 1901 Königsberg) und Pauline, geb. Rosenthal, (1845 Zempelburg/WPr. – 1932 Königsberg) kamen aus Westpreußen und zogen nach Königsberg, wo sie auch starben.
Robert Borchardt wurde Kaufmann und kam 1889 nach Hamburg, um hier eine Stellung anzutreten. Zunächst arbeitete er für die Firma F.K. Borchardt und wohnte in der Rothenbaumchaussee 101 in Hamburg-Rotherbaum. Zehn Jahre später machte er sich als Handelsvertreter und später mit einem Ex- und Importgeschäft für "chemisch-technische Produkte, Mineralöle und Fette" mit Sitz in der Brandstwiete 36 selbstständig.
1908 belief sich sein zu versteuerndes Jahreseinkommen auf 5000 Mark, genug, um die Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband zu beantragen. Da er auch die anderen Bedingungen – Militärdienst im Landsturm abgeleistet, nie Armenunterstützung erhalten – erfüllte, erhielt er am 29.12.1909 die Hamburgische Staatsbürgerschaft zuerkannt. Sein bisheriger preußischer Staatsangehörigkeitsausweis wurde eingezogen.
Im Jahr darauf (1910) heiratete er Edith Esther Hedwig Loewenheim, geb. 19.2.1887 in Berlin, die ebenfalls jüdischer Herkunft war. Sie wohnte in der Brahmsallee 18. Ihre Trauzeugen waren der Kaufmann Martin Moses Cohn aus der Schlüterstraße 12 und der Zahnarzt Beni Sender aus der Rothenbaumchaussee 101.
Sie zogen nach Eppendorf in die Haynstraße 13, wo sie sich gutbürgerlich einrichteten. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs hatte Robert Borchardt ein gutes Auskommen, mit Kriegsbeginn brach das Exportgeschäft jedoch ab. Mit 47 Jahren wurde er 1916 zum Heeresdienst eingezogen und kehrte 1918 zurück. Seinen Patriotismus bekundete er außerdem durch die Zeichnung von Kriegs- und Zwangsanleihen und Kriegsnotopfer. Charlotte Borchardt wurde mit dem Verdienstkreuz für Kriegshilfe ausgezeichnet.
Ihr Vermögen betrug noch ca. 50 800 RM.
Während der Kriegszeit erzielte Robert Borchardt kein steuerpflichtiges Einkommen mehr und wurde von Verwandten, Freunden und Wohlfahrtseinrichtungen unterstützt. Die Jüdische Gemeinde stundete ihm zunächst die Zahlung seiner Beiträge und erließ sie ihm dann ganz. 1917 bezogen Robert und Edith Borchardt mit ihrer gutbürgerlichen Einrichtung eine 5-Zimmer-Wohnung in der Eppendorfer Landstraße 14. Es dauerte bis 1920, dass Robert Borchardt wieder eine positive Geschäftsbilanz aufweisen konnte, aber wegen der Inflation war er nicht mehr in der Lage, eine neue Existenz aufzubauen.
Die Ehe blieb kinderlos und wurde am 25.10.1921 geschieden.
1923 heiratete Robert Borchardt in zweiter Ehe (am 27.1.1923 in Berlin-Schmargendorf) die ebenfalls jüdische Charlotte Julie, geb. Breslauer, geb. 8.11.1884 in Berlin-Wilmersdorf, Tochter des Kaufmanns Max Breslauer und Martha, geb. Biberfeld. Sie zog zu ihrem Ehemann nach Hamburg in die Eppendorfer Landstraße 14. Charlotte Borchardt hatte keinen Beruf erlernt, arbeitete aber mit ihren Ehemann zusammen.
1924 übereignete er ihr die Möbel vertraglich.
Am 8.5.1926 wurde ihr Sohn Claus-Jürgen geboren. Er blieb das einzige Kind.
1930 musste Robert Borchardt den Gang zur Fürsorge antreten, um Beihilfe für den Ausgleich seines Mietrückstands zu beantragen. Trotz Zimmervermietung, Entlassung der Haushilfe und Kündigung der Stenotypistin, trotz Unterstützung der Großmutter Martha Breslauer in Berlin für ihren Enkelsohn Claus gelang es ihm nicht, die Mietkosten aufzubringen. Im November 1930 leistete er den Offenbarungseid, ließ sein Geschäft am 12. Dezember 1930 handelsgerichtlich auf seine Frau übertragen, behielt aber die Prokura bei.
Es blieb Robert und Charlotte Borchardt nichts anderes übrig, als in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Da sich Charlotte nicht von ihren Möbeln trennen wollte, wurden diese eingelagert, bis eine neue Wohnung gefunden war. Bis dahin wohnte die Familie zur Untermiete zunächst im Brödermannsweg in Groß-Borstel und danach in der Wrangelstraße in Hoheluft-West.
1931 erhielt Robert Borchardt im Rahmen von Fürsorgearbeit eine vorübergehende Anstellung als Aushilfe beim Statistischen Amt. Das Ehepaar gab die Geschäftsstelle der Firma auf und verlegte diese in die neu angemietete Wohnung Schlüterstraße 77. Im selben Jahr starb sein Bruder, der Reg. Medizinalrat Dr. Eugen Borchardt in Berlin.
Sohn Claus Borchardt besuchte wegen einer Sprachstörung die Sprachheilschule in der Altonaerstraße 38, ob von Anfang an, lässt sich aus den vorliegenden Quellen nicht ersehen.
Charlotte und Robert Borchardt gaben ihr Geschäft nicht ganz auf, weil es immer noch Außenstände und Provisionen von Firmen verzeichnete, die er in Belgien, in Österreich, in der Tschechoslowakei, in Italien und im Deutschen Reich vertrat. Die Verrechnungen mit der Fürsorge, Einnahmen aus Untervermietung, kleinen Spenden und kleinen privaten Krediten schmälerten die Wohlfahrtsleistungen, verlässliche monatliche Unterhaltszahlungen kamen nicht zustande.
Weihnachten 1933 saß Familie Borchardt "hungernd und frierend" in ihrer Wohnung, wie es in der Fürsorgeakte heißt. Robert Borchardt erinnerte die Fürsorge an den Führerwillen: "Kein Volksgenosse soll hungern und frieren" und legte die Pfandscheine für alles, was nur etwas Wert hatte, vor. Er verwies auf die Wahrnehmung seiner patriotischen Pflichten im Ersten Weltkrieg K.v – Mann (= kriegsverwendungsfähig) und als Zeichner von Kriegs- und Zwangsanleihen.
Der nationalsozialistische Machtwechsel 1933 wirkte sich auf die Situation von Familie Borchardt zunächst nicht unmittelbar aus. 1934 erhielt Robert Borchardt als Frontkämpfer das Ehrenkreuz des Weltkriegs, das Präsident Paul von Hindenburg zum 20. Jahrestags des Beginns des Ersten Weltkriegs stiftete.
Im Juli 1934 fand der nächste Umzug der Familie Borchardt statt, nun in eine Wohnung mit zwei Zimmern und zwei Kammern in der Heinrich-Barth-Straße 34. Claus hatte mehrere Infektionskrankheiten durchgemacht und stand jetzt im Verdacht, an Tbc erkrankt zu sein. Die Jugendfürsorge der Jüdischen Gemeinde verschickte ihn im Juli 1935 zur Kur, aber die Lungenfürsorge fand keinen Anhalt für eine Erkrankung mit Tbc.
Nach Abschluss der Grundschule wechselte Claus 1936 auf die Talmud Tora Realschule im Grindelhof. Ein Jahr später erkrankte er an Diphtherie und wurde in der Universitätsklinik Eppendorf behandelt, wofür die Eltern die Kosten selbst tragen mussten. Die Fürsorgestelle legte Charlotte Borchardt nahe, sich um Arbeit zu bemühen. Robert Borchardt erzielte mit Kompensationsgeschäften ausländischer mit Hamburger Firmen von 1935 bis 1938 noch ein geringes Einkommen, das jedoch in dem Maße sank, in dem sich "arische" Geschäftspartner zurückzogen.
Robert Borchardt wandte sich nun an die Mittelstandshilfe der Jüdischen Wohlfahrtsstelle. Im Einvernehmen mit der Fürsorge stellte er einen Antrag auf Kleinrentnerhilfe, die ihm laut Reichsgesetz zustand, und erhielt bis April 1938 monatlich 130 RM. Inzwischen war er 68 Jahre alt und galt als nicht mehr arbeitsfähig.
Für Claus Borchardt änderte sich auch einiges: Weil die Schülerzahlen stark gesunken waren, wurden ab dem Schuljahr 1938/39 die beiden jüdischen Schulen, die Talmud Tora Schule (TTS) und die Jüdische Mädchenschule Carolinenstraße, zusammengelegt, eine Neuerung für die Schülerinnen und Schüler. Die Mädchen wurden mit Beginn des Schuljahrs auch in der TTS am Grindelhof unterrichtet, nach den Sommerferien zog die gesamte Schule in die frühere Mädchenschule Carolinenstraße, die nun TTS hieß.
Im Herbst des Jahres wurde Robert Borchardt aus der Wohnung herausgeklagt und die Familie zog nach Harvestehude in eine 4-Zimmer-Wohnung in der Klosterallee 28, um durch Untervermietung die eigene Miete zahlen zu können. Sein Neffe Hans Borchardt gewährte ihm gegen Mobiliar und Wertgegenstände als Sicherheiten ein Darlehen. 1937 erbrachten Provisionen aus den 12 Firmen, die er noch vertrat, zu geringe Provisionen, um davon den Lebensunterhalt zu decken.
Borchardts verkauften einen Teil ihrer Möbel und organisierten den nächsten Umzug. Sie blieben in Harvestehude und zogen am 1. April 1938 in die Hansastraße 79. Kurz zuvor hatte Charlotte Borchardt – wie alle Jüdinnen/Juden - schon Wertsachen und das Tafelsilber abliefern müssen, am 1. Januar 1940 folgten ihre Pelze.
Laufende staatliche Unterstützungen erhielt die Familie nicht. Erst am 10. November 1939 wurde sie der "Sonderdienststelle B" der Fürsorge für Juden zugewiesen. Zuvor hatte sie bei Bedarf Einmalzahlungen für Heizung, Schuhwerk und Gesundheitskosten erhalten, die Jüdische Gemeinde leistete allenfalls Winter- und Lebensmittelhilfe.
Claus Borchardt verließ 1941 die Talmud Tora Realschule mit dem Reifezeugnis für das Einjährige (= mittlere Reife). Die Fürsorge hatte Robert und Charlotte Borchardt inzwischen zur Geschäftsaufgabe genötigt, die sie bis Dezember 1941 hinauszögern konnte.
Nachdem Robert und Charlotte Borchardt auch nicht mehr in der Hansastraße wohnen konnten, brachte die Jüdische Gemeinde sie in einem ihrer Häuser im Durchschnitt 8 unter. Bevor sie selbst deportiert wurden, wurde ihre Schwägerin, Eugen Borchardts Ehefrau Charlotte Rebekka, nach Riga deportiert und Felix Nathan Borchardt in Berlin inhaftiert.
Charlotte, Robert und Claus Borchardt erhielten die Aufforderung zur "Evakuierung" in das Altersgetto von Theresienstadt zum 15. Juli 1942. Ihre Sammelstelle war die Schule Altonaerstraße, wo Claus Grundschuljahre verbracht hatte.
In Theresienstadt wurden Claus und seine Eltern getrennt. 16 Jahre alt, wurde Claus dem "Jugendheim" zugewiesen und täglich zur Arbeit außerhalb des Ghettos eingesetzt, zunächst im Fahrzeugpark der SS zur Reinigung der Autos, danach bei Erdarbeiten und dem Ausheben von Wasserkanälen, bis er wegen Gelbsucht und Scharlach wochenlang im Krankenhaus lag. Trotz seiner körperlichen Schwäche folgten weitere Arbeitseinsätze.
Über Robert Borchardts Arbeiten ist nichts bekannt, Charlotte Borchardt war ab Februar 1943 im "Matratzenreferat" tätig.
Im März traf ihre Schwester Alice mit einem Transport aus Berlin ein.
Die hygienischen Bedingungen begünstigten Epidemien, die Mangelernährung einen frühen Tod. Am 2. Oktober 1943 starb Robert Borchardt im Alter von 74 Jahren.
Charlotte Borchardts Schwester Alice wurde im Mai 1944 nach Auschwitz weiter deportiert.
Ab September 1944 arbeitete Charlotte Borchardt in den Glimmerwerken, wo sie Glimmer (Gestein, Schichtsilikate) spalten musste.
In der Nacht vom 28. auf den 29. September 1944 wurde Claus Borchardt mit anderen arbeitsfähigen Männern abtransportiert: die Herbsttransporte begannen, denen tausende Gettobewohner zum Opfer fielen. Wohin er kam, erfuhr seine Mutter erst nach ihrer Befreiung während ihres Aufenthalts im DP-Camp Deggendorf. Sein Weg hatte zur unterirdischen Zwangsarbeit im Dachauer Außenlager Kaufering geführt, wo er am 3. Januar 1945 ums Leben kam. Er war 18 Jahre alt geworden.
Von Charlotte Borchardts näheren Verwandten lebten nur noch ein Cousin in Berlin und ein anderer in New York sowie eine Tante und eine Nichte. Auch der Schwager Felix Nathan war im Oktober 1943 in Auschwitz ermordet worden.
Charlotte Borchardt entschied sich für die Auswanderung über Bremen nach New York. Bis zur Regelung ihrer Wiedergutmachung lebte sie von ihrer Arbeit als Haushilfe.
Sie starb in den USA am 20. November 1963 im Alter von 79 Jahren.
Stand: März 2022
© Hildegard Thevs
Quellen: 1; 4; 5; 7; 9; StAHH 213-13, 6702, 6703; 351-11, 7127; 351-14, 1018; Ursula Randt, Carolinenstrasse 35, Hamburg 1996; genealogische Ergänzungen von Uri Shani, E-Mail vom 21.02.2022; Dr. Irene Below, Brief von Charlotte Borchardt an Frau Lieber dankenswerter Weise zugesandt am 14.1.2022.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".