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Ruth Drucker *1919
© Yad Vashem

Ruth Drucker * 1919

Övelgönner Straße 25 (Altona, Altona-Nord)

1941 Minsk
ermordet

Ruth Drucker, geb. 21.9.1919, deportiert nach Minsk am 18.11.1941, Todesdatum unbekannt

Ruth Drucker wurde als Tochter einer Hamburger jüdischen Familie geboren. Ihr Vater Siegfried Drucker, ein Kartoffelhändler, und ihre Mutter Martha, geborene Wolff, bekamen 1920 noch einen Sohn namens Heinz und 1924 eine Tochter namens Hannelore. Die Familie lebte in einer großen Wohnung in der Heinrich-Barth-Straße. Doch unter der Herrschaft der Nationalsozialisten musste Siegfried Drucker sein Geschäft aufgeben und zog mit seiner Familie in eine Dreizimmerwohnung in der Bornstraße 22.

Im Februar 1939 verstarb Ruth Druckers Vater. Laut Aussage seiner Enkeltochter Mathel Gottlieb-Drucker war er als Sozialist in Neuengamme inhaftiert gewesen, hatte – schwer zuckerkrank – dort keine Medikamente erhalten und war todkrank entlassen worden.

Im selben Jahr lernte Ruth Drucker Leon Gottlieb kennen. Sein jüdischer Vater stammte aus Weißrussland. Leon Gottlieb war als so genannter Halbjude sowie als überzeugter Kommunist mehrfach von Verfolgung bedroht. Er hatte aus politischen Gründen über zwei Jahre in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Dachau und zuletzt in Buchenwald eingesessen. Nach seiner Entlassung aus Buchenwald im Februar 1939 verbrachte er drei Monate in Hamburg. In dieser Zeit lernten er und Ruth Drucker sich kennen und hatten offenbar ein stürmisches Liebesverhältnis, "a whirlwind romance", wie Mathel Gottlieb-Drucker es nennt. Ende Mai 1939 verließ Leon Gottlieb von Bremerhaven aus Deutschland. Es gelang ihm, nach Singapur zu entkommen. Er wollte Ruth Drucker nachkommen lassen.

Doch Ruth Drucker konnte Hamburg noch nicht verlassen, bis es Ende 1940 für eine Auswanderung zu spät war. Ihre Mutter war an Krebs erkrankt. Da ihre Geschwister inzwischen schon entkommen waren – Hannelore mit einem Kindertransport nach England und Heinz 1939 nach Australien – stellte Ruth Drucker ihre Emigration zurück und blieb in der Bornstraße 22, um ihre Mutter zu pflegen, bis diese Ende 1939 im Israelitischen Krankenhaus verstarb.

In der Zwischenzeit hatte Ruth Drucker entdeckt, dass sie von Leon Gottlieb schwanger war. Am 19. Februar 1940 wurde ihre Tochter Mathel per Kaiserschnitt geboren. Die junge Mutter musste nach der Entbindung mehrere Monate im Krankenhaus bleiben. Leon Gottliebs Eltern, Anna Eliesabeth Gottlieb, geborene Machwirth, und der Ingenieur Josef Gottlieb, nahmen den Säugling bei sich auf. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus lebte Ruth ebenfalls bei ihnen in der Övelgönnerstraße 25. Ihre Freundin Inge Klindwordt, Jahrgang 1922, erinnert sich daran, dass Ruth glücklich über die Geburt ihrer Tochter war und an eine gemeinsame Zukunft mit Leon glaubte, den sie sehr liebte.

Laut Kultussteuerkarte der jüdischen Gemeinde wohnte Ruth Drucker ab Oktober 1940 in der Sillemstraße 3 und war als Arbeiterin halbtags tätig mit nur sehr geringem Verdienst, möglicherweise musste sie auch Zwangsarbeit leisten. Zuvor hatte sie als "kaufmännischer Lehrling" ihr Geld mit Büroarbeiten verdient. Nun putzte sie in einem jüdischen Altenheim.

Auch Inge Klindwordts Schwester Margrit Ammermann, Jahrgang 1931, erlebte als Kind, wie Ruth Drucker zunehmend in Bedrängnis geriet. Schon ihre Eltern hatten eine enge Freundschaft zu Ruths Eltern gepflegt. Sie erinnert sich, dass "Ruthchen" öfter abends im Dunkeln zu Besuch kam, den "Judenstern" so verborgen, dass er nicht zu sehen war. "Sie war eine ganz hübsche Frau, dunkle Haare, kurz geschnittener Bubikopf …" Trotz der Gefahr, die Freundschaft zu Juden bedeuten konnte, hielten die Eltern den Kontakt aufrecht.

Schließlich erhielt Ruth Drucker an die Adresse Sillemstraße 3 den Deportationsbefehl für den 18. November 1941 nach Minsk, der Hauptstadt Weißrusslands in der von Deutschen besetzten Sowjetunion. Sie ließ ihre knapp 2 Jahre alte Tochter Mathel bei den Gottliebs zurück. Inge Klindwordt erinnert sich: "Ruthchen war in ihrer Veranlagung lebensbejahend, sie war ein positiv denkender Mensch, sie hat nicht geglaubt, dass ihr etwas Schlimmes passieren würde. Sie hat bis zuletzt gedacht, sie kommt in ein Arbeitslager und kommt da wieder raus und kommt zurück … und dass sie Leon wiederfindet und wiedersieht."

Frau Markiel, die Mutter von Margrit Ammermann und Inge Klindwordt, und Frau Gottlieb verabschiedeten die 22-Jährige am Sammelplatz an der Moorweide. Ruths Tanten Jenny und Minna Drucker, Schwestern ihres Vaters, sollten am selben Tag abtransportiert werden. Frau Ammermann erinnert sich, dass ihre Mutter bei der Rückkehr nur sagte, es sei furchtbar gewesen, sich einschloss und weinte. Zu ihrer älteren Tochter Inge sagte sie: "Ich glaube, wir sehen sie nie wieder." Ruth Drucker und ihre Tanten kamen in Minsk um.

Ruth Druckers Tochter überlebte mit ihren Großeltern den Krieg in einem "Judenhaus" für Mischehen in der Rutschbahn 25a. Wie sie später von einer Großtante hörte, hatte ihre Großmutter verhindert, dass auch sie 1941 auf die Deportationsliste gesetzt wurde. "Ich sollte eigentlich mit meiner Mutter abtransportiert werden. […] Die kamen, um meine Mutter zu holen. Meine Mutter war gerade zu Hause, und die hielt mich auf dem Arm und ich sollte auch mit. Und meine Großmutter hat ganz laut gesagt: ‚Das ist die Tochter meines Sohnes. Und die ist arisch!’ Und dann haben sie mich angeschaut. Sie sehen, ich bin blond und blauäugig. Ich bin so ein Ideal für die Hitlerzeit. Und dann haben sie gesagt: ‚Ach ja!’"

Mathels Vater Leon Gottlieb war während des Krieges als "enemy alien", als feindlicher Ausländer, von Singapur per Schiff nach Australien transportiert worden und dort geblieben. Er arbeitete als Ingenieur und heiratete eine ebenfalls emigrierte jüdische Kommunistin aus dem Berliner Widerstand. Ende 1948 wanderten auch seine Eltern mit Mathel nach Australien aus, und er nahm seine Tochter bei sich auf.

Mathel Gottlieb-Drucker lebt heute noch in Melbourne. Ihre Mutter kennt sie nur aus Erzählungen. Ihre trotz allem behütete Nachkriegskindheit bei den Großeltern, die sie im jüdischen Glauben erzogen, hat sie als sehr glücklich in Erinnerung.

© Birgit Gewehr

Quellen: 1; 4; 8; AB Altona 1943; FZH/WdE, Archiv 663T, Gottlieb-Drucker, Mathel Miriam; Korrespondenz der Autorin mit Mathel Gottlieb-Drucker 2007; Gespräch mit Margrit Ammermann am 15.1.2007, Gespräch mit Inge Klindwordt am 20.9.2007.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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