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Detlef Davids * 1935
Große Rainstraße 87 (Altona, Ottensen)
HIER WOHNTE
DETLEF DAVIDS
JG. 1935
EINGEWIESEN 1942
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 10.8.1943
HEILANSTALT MAINKOFEN
ERMORDET 27.5.1944
Detlef Davids, geb. 28.9.1935 in Altona, am 17.11.1942 aufgenommen in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute: Evangelische Stiftung Alsterdorf), "verlegt" am 12.8.1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau, dort gestorben am 27.5.1944
Große Rainstraße 69 (Ottensen)
Detlef Herbert Paul Davids, das einzige Kind der damals unverheirateten Damenschneiderin Johanna Davids, wurde am 28. September 1935 in der Straße Holländische Reihe 89 in der zu dieser Zeit noch selbstständigen Stadt Altona geboren. Von seinem Vater sind außer dem Namen Reinhard Weikert keine weiteren Daten bekannt.
Detlef Davids' Mutter, geboren am 28. Juni 1910 in Wittenberge, heiratete am 27. November 1937 den 1913 geborenen Hilfsarbeiter Richard Göppel. Das Ehepaar wohnte fortan in der Bahrenfelder Straße 34 im Altonaer Stadtteil Ottensen. Wir wissen nicht, ob Detlef Davids bei ihnen lebte.
Bei Detlef Davids waren im Alter von drei Monaten erstmals Krämpfe aufgetreten, die zu seiner Aufnahme im Altonaer Kinderhospital in der Tresckowallee (heute: Altonaer Kinderkrankenhaus, Bleickenallee) führten. Er litt an Rachitis, Encephalitis (Gehirnentzündung) und Spasmophilie (eine mit Neigung zu Krämpfen verbundene Stoffwechselkrankheit). Dreimal war er Patient im Altonaer Kinderhospital, zuletzt im Januar 1941, als er erneut Krampfanfälle erlitt.
Als Folge der früheren Encephalitis wurden ein Strabismus beiderseits (Schielen), unwillkürliche Bewegungen des rechten Arms (Athetose), eine Verhärtung der Muskulatur und ein stark spastischer Gang diagnostiziert. Spätestens 1941 lebte der Junge bei seinen Großeltern, dem Malermeister Hermann Davids, und dessen Ehefrau Helena Anna, geb. Siebert, in der Großen Rainstraße 69 in Ottensen.
Der Altonaer Arzt Raimar Pohl stellte am 17. November 1942 fest, dass Detlef Davids dringend in Anstaltsbehandlung gegeben werden müsse, da eine Pflege im Hause nicht mehr möglich sei. Am nächsten Tag wurde der Junge mit einem Krankenwagen in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn eingeliefert und sofort in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) weitergeschickt.
Bei seiner Aufnahme wurde er als zu klein für sein Alter befunden. Die Diagnose lautete: "Epilepsie, Zustand nach Encephalitis." Detlef Davids wusste weder seinen Namen, noch erkannte er andere Personen oder Gegenstände in seiner Umgebung. Er war zudem durch eine rechtsseitige Lähmung am Gehen behindert. Eine Fußfehlstellung wurde im März 1943 in der Alsterdorfer Krankenstation korrigiert. Durch die anschließend notwendige Gipsschiene war Detlef Davids noch einige Zeit weiter in seinen Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt. Kurz darauf musste Detlef Davids erneut in die Krankenstation, diesmal mit einer Lungenentzündung.
Nachdem die Alsterdorfer Anstalten während der schweren Luftangriffe der Alliierten auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") Schäden erlitten hatten, nutzte der Leiter der Alsterdorfer Anstalten, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, diese Situation und bat die Hamburger Gesundheitsbehörde um Genehmigung für den Abtransport von etwa 750 Anstaltsbewohnerinnen und -bewohnern, weil sie durch die Bombenangriffe obdachlos geworden seien. Daraufhin verließen zwischen dem 7. und dem 16. August 1943 drei Transporte mit insgesamt 469 Mädchen, Jungen, Frauen und Männern Alsterdorf in verschiedene Richtungen, darunter am 10. August 1943 der Transport mit 113 Männern, Jugendlichen und Jungen mit dem Ziel "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" in der Nähe von Passau, in den Detlef Davids eingereiht war.
Der Transport erreichte sein Ziel am 12. August. Außer einer Ankunftsnotiz findet sich in Detlef Davids Mainkofener Patientenakte für die folgenden mehr als acht Monate kein weiterer Eintrag. Erst am 1. Mai 1944 hieß es: "Patient hat seit seiner Verlegung nach Mainkofen nicht Besonderes geboten. Ist nunmehr ernsthaft unter hohem Temperaturanstieg erkrankt. Es besteht der Verdacht auf Lungentuberkulose."
Detlefs Mutter, die aus dem zerstörten Hamburg geflüchtet und inzwischen in Salzwedel im heutigen Sachsen-Anhalt untergekommen war, erhielt mit einem Telegramm vom 1. Mai 1944 folgende Information: "Sehr geehrte Frau Göppel! Wir teilen Ihnen mit, dass ihr Sohn Detlef Davids ernsthaft erkrankt ist und stellen es Ihnen anheim ihn zu besuchen."
Zwei Wochen später, am 15. Mai 1944, wurde in seiner Akte notiert: "Schnelles Nachlassen der körperlichen Widerstandskräfte. Patient geht erheblich zurück. Es befindet sich ein physikalischer Befund über beiden Lungen. An der Diagnose Lungentuberkulose ist nicht mehr zu zweifeln." Am 27. Mai 1944: "Heute Exitus letales." Als Todesursache wurde "Zustand nach Encephalitis, symptomatische Epilepsie, Lungentuberkulose" angegeben.
Detlef Davids’ Mutter erhielt am Todestag telegraphisch die Nachricht von seinem Ableben. Ihre Bitte um "sofortige Überführung meines dort verstorbenen Sohnes Detlef Davids" wurde als unmöglich zurückgewiesen. Die Anstalt hielt am Beerdigungstermin am Mittwoch, 31. Mai 1944 fest.
Die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen, in der vornationalsozialistischen Zeit ein psychiatrisches Krankenhaus, war systematisch zu einer Sterbeanstalt entwickelt worden. Von dort wurden während der ersten Phase der "Euthanasie"-Morde bis August 1941 Menschen in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim in der Nähe von Linz verschleppt und mit Gas ermordet. 604 von ihnen sind namentlich bekannt. Danach wurden die Patientinnen und Patienten in Mainkofen selbst ermordet, und zwar durch Nahrungsentzug im Rahmen des "Bayrischen Hungererlasses" (Hungerkost, fleisch- und fettlose Ernährung, in Mainkofen als "3-b Kost" bezeichnet), pflegerische Vernachlässigung und überdosierte Medikamente. In Mainkofen starben 762 Patientinnen und Patienten in den sogenannten Hungerhäusern. Als angebliche Todesursache wurden insbesondere Darmkatarrh, Tuberkulose, Lungenentzündung bzw. Lungentuberkulose angegeben.
Von den 113 Alsterdorfer Jungen und Männern, die am 12. August 1943 in Mainkofen eingetroffen waren, verstarben 74 bis Ende 1945. Als Todesursache wurde bei ihnen vierzig Mal "Lungentuberkulose" und fünfzehn Mal "Darmkatarrh" behauptet. Nur 39 von ihnen überlebten hier das Jahr 1945, davon 15 Erwachsene sowie 24 Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 21 Jahren. Sie wurden am 19. Dezember 1947 nach Alsterdorf zurück verlegt.
Stand: November 2021
© Ingo Wille
Quellen: Adressbuch Hamburg; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 427 Detlef Detlev Davids; Harald Jenner/Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie – Die Toten 1939-1945, Hamburg 2017, S. 148; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 315 ff.