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© Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Dehmel-Archiv
Ida Dehmel (geborene Coblenz) * 1870
Richard-Dehmel-Straße 1 (Altona, Blankenese)
Freitod am 29.9.1942 in Hamburg
Weitere Stolpersteine in Richard-Dehmel-Straße 1:
Peter Hess, Irene Hess, Lina Wolff
Ida Dehmel, geb. Coblenz, geb. 14.1.1870 in Bingen am Rhein, Freitod am 29.9.1942
"Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde erschaffen." Diese Worte notierte Ida Dehmel 1901 in ihren autobiographischen Aufzeichnungen, kurz nachdem sie mit Richard Dehmel von Berlin nach Blankenese in die Parkstraße 40 (heute Am Kiekeberg 22) gezogen war.
Im großbürgerlichen Elternhaus des wohlhabenden jüdischen Weingutbesitzers und Kommerzienrats Simon Zacharias Coblenz in Bingen am Rhein aufgewachsen, kämpfte Ida nach dem frühen Verlust der Mutter gegen die auf Pflichterfüllung pochende harte Erziehung ihres Vaters. Das Familienleben verlief ohne Beachtung der jüdischen Feiertage und religiösen Vorschriften. Im Brüsseler Mädchenpensionat um 1885/86 erfuhr sie zum ersten Mal Missachtung aufgrund ihrer jüdischen Herkunft. Während der vom Vater diktierten Ehe mit dem Berliner Kaufmann Leopold Auerbach führte Ida Dehmel ein großes Haus im Berliner Tiergartenviertel und lud vor allem Dichter und Künstler zu ihrem literarischen Salon ein. Auch Richard Dehmel, der als Schriftsteller von Nietzsche beeinflusst war, in den Berliner Bohème-Kreisen verkehrte und grüblerisch-ungestüme, sinnenfrohe Versepen schrieb, kam zu Ida Auerbachs Soiréen. Die umschwärmte Mäzenin wandte sich nach der Geburt ihres Sohnes Heinz Lux immer mehr diesem Gast zu.
Ida Auerbach und Richard Dehmel trennten sich von ihren Familien und heirateten im Jahr 1901. Mit dem Umzug von Berlin nach Hamburg begann für das Paar eine erfüllte Zeit des gemeinsamen Lebens und Arbeitens. Sie reisten häufig zu Vorträgen und Lesungen und hielten regen Austausch mit den Künstlern ihrer Zeit: mit dem Maler Max Liebermann, mit dem Künstler und Architekten Henry van de Velde, mit dem Verleger und Herausgeber der Zeitschrift Pan, Harry Graf Kessler, mit den Dichtern Detlef von Liliencron, Alfred Mombert und Paul Scheerbart. 1911 ließen Richard und Ida Dehmel von dem bekannten Hamburger Architekten Walther Baedeker das Dehmel-Haus in der Westerstraße 5 (später Richard-Dehmel-Straße 1) bauen. Wiederum verstand es Ida Dehmel, das Haus zur beliebten Adresse des geselligen kulturellen Lebens der Hansestadt mit vielen künstlerischen und karitativen Veranstaltungen zu machen. Ida Dehmel unterstützte junge Künstler und erfüllte sich ihren Wunschtraum: "Selbständiger Teil eines viel Größeren zu werden."
In engem Kontakt zu ihrer sechs Jahre älteren Schwester Alice Bensheimer in Mannheim engagierte sich Ida zunehmend in der Frauenfrage. Sie initiierte 1906 den Hamburger Frauenklub am Neuen Jungfernstieg, wurde 1911 Vorsitzende des Norddeutschen Verbandes für Frauenstimmrecht, gründete 1913 den Bund Niederdeutscher Künstlerinnen. Um 1910 griff Ida Dehmel eine Kindheitsvorliebe für die Perlenstickerei auf und wurde selbst zur Kunsthandwerkerin; sie trat dem Deutschen Werkbund bei und fertigte Taschen, Gürtel, Lampenschirme.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich der fünfzigjährige Richard Dehmel als Freiwilliger, und auch Idas Sohn Heinz Lux Auerbach wurde eingezogen. Ida Dehmel verstärkte in den Kriegsjahren ihr soziales Engagement in der Frauenbewegung und in der Künstlerhilfe. Sie wurde Zweite Vorsitzende der Vereinigung Deutscher Frauendank, korrespondierende Schriftführerin des Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht, war aktives Mitglied der Nationalliberalen Partei (nach dem Krieg Deutsche Volkspartei) und Vorsitzende des Frauenbundes zur Förderung Deutscher Bildender Kunst. Das Leben Ida Dehmels veränderte sich jedoch abrupt durch den Tod ihres Sohnes, der 1917 in Frankreich fiel, und durch den Tod ihres Mannes, der im Februar 1920 an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung starb.
Um die Trauer zu bewältigen, arbeitete Ida Dehmel intensiv an der Fortführung des Dehmel-Archivs, gründete 1921 die Dehmelstiftung und die Dehmelgesellschaft. Dies geschah nicht nur zum Erhalt und zur Bearbeitung des Nachlasses, sondern vor allem zur Finanzierung des Dehmel-Hauses. Sie gab eine zweibändige Ausgabe ausgewählter Briefe Richard Dehmels heraus und kümmerte sich um Abdruck und Neuausgabe der Werke. 1926 verkaufte sie den gesamten Nachlass an die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek und erreichte, dass das Dehmel-Archiv zunächst im Haus und ihr zur Verfügung blieb. Erst bei Kriegsbeginn 1939 kam es zur Sicherung in die Räume der Bibliothek.
Rastlos betrieb sie auch die Institutionalisierung der Förderung von Künstlerinnen. Überregional gründete sie die bis heute bestehende Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen aller Kunstgattungen (GEDOK) und wurde deren Vorsitzende. Die GEDOK rekrutierte sich aus dem 1915 von ihr gegründeten Bund niederdeutscher Künstlerinnen. 1925 erfolgte der Zusammenschluss zum "Bund hamburgischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen", der nach dem "Anschluss" Österreichs auch die dortigen Künstlerinnen im Namen führte. "Frau Isi" – wie sie von allen Freunden genannt wurde – setzte sich in diesen Vereinigungen dafür ein, dass nicht nur die Künstlerinnen eine Plattform bekamen, sondern dass auch die Unterstützerinnen und Förderinnen – wie sie selbst – darin eine Möglichkeit für ihr Engagement erhielten. In diesen Organisationen hatte Ida Dehmel regen Austausch mit Alma del Banco und Julie Wolfthorn – beide Künstlerinnen porträtierten sie. Ida veranstaltete Vortragsabende in ihrem Haus und bezog in diese Arbeit auch immer wieder ihre Lieblingsnichte Marianne Gärtner ein, die mit ihrem Mann Dr. Robert Gärtner ebenfalls in Blankenese wohnte.
Drei Monate nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 erfuhr Ida Dehmel sehr schnell die radikalen Einschränkungen ihrer Arbeit, die sie neun Jahre später in den Freitod trieben: Am 20. April 1933 stürmten SA-Männer den Versammlungsraum im Hamburger Hof, wo die monatliche Vorstandssitzung der GEDOK stattfand, und forderten sie auf, ihr Amt niederzulegen. Drei Wochen später trat Ida Dehmel von der Spitze der Reichs-GEDOK zurück. In Folge durfte sie weder eigene Texte noch solche aus dem Nachlass ihres Mannes veröffentlichen. Ihre größte Sorge galt nach wie vor dem Erhalt des Dehmel-Hauses. Aus diesem Grund verweigerte sie jeden Gedanken an Emigration. Erst nach dem Tod ihrer Schwester Alice Bensheimer im Jahr 1935 unternahm sie in den folgenden Jahren zwei größere Schiffsreisen und sah darin die letzte Möglichkeit, dem immer enger werdenden Netz aus Vorschriften und Verboten in Deutschland zu entfliehen. Jedes Mal kehrte sie jedoch zu ihrem eigentlichen Lebensort, dem Dehmel-Haus, zurück. Da alles Jüdische nur noch mit Angst und Schrecken verbunden war, trat Ida Dehmel am 6. Dezember 1937 in die evangelisch-reformierte Kirche ein. Als 1938 alle jüdischen Deutschen einen alttestamentarischen Namen tragen mussten, nannte sich Ida Dehmel fortan in offiziellen Schreiben Jedidja.
Dank des Fürspruchs von Mary Baronin Toll bei Prinz Friedrich Christian zu Schaumburg-Lippe, dem ehemaligen Adjutanten von Goebbels, konnte sie weiter im Dehmel-Haus wohnen und wurde vom Zwang, den Judenstern zu tragen, befreit. Im Oktober 1941 wurden die ersten Hamburger Juden deportiert. Als auch Lina Wolff, die Haushilfe der jüdischen Mitbewohner des Dehmel-Hauses, am 25. Oktober 1941 nach Lodz deportiert wurde, erlebte Ida Dehmel dies aus nächster Nähe und schrieb an eine Freundin: "Eine arische Bekannte meiner Mieterin kam zu Besuch. [...] Sie sagte zu mir: ‚Wie gut, dass Sie noch nicht dran sind, da können Sie doch bessere Reisevorbereitungen treffen’. Und da schlägt kein Blitz ein und lähmt ihr die Zunge ...". Umstellt von Verfolgungen, ohne jede Perspektive, ließen das alte Augenleiden und die Gicht den Rest an Lebenswillen in ihr versiegen. Am 29. September 1942 nahm sich Ida Dehmel mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben.
© Petra Bopp
Quellen: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Dehmel-Archiv, Daija, Brief Ida Dehmel an Marie Stern, 25.10.1941; Joost Elvers, Adrian Gletschmann, Alexander Hinz (Gorch-Fock-Schule, ehem.Richard-Dehmel-Schule), Zur Erinnerung an Ida Dehmel, in: Stolpersteine in Blankenese, hg. v. Verein zur Erforschung der Juden in Blankenese, Hamburg 2005; Matthias Wegner, Aber die Liebe. Der Lebenstraum der Ida Dehmel, München 2002.