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Salomon Broches * 1876

Grindelallee 115 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
SALOMON BROCHES
JG. 1876
AUSGEWIESEN 1938
ZBASZYN / POLEN
DEPORTIERT 1940
ERMORDET IM
WARSCHAUER GHETTO

Weitere Stolpersteine in Grindelallee 115:
Olga Broches, Raphael Broches

Salomon Broches, geb. am 3.11.1876 in Wilna, am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen abgeschoben, 1939 ins Warschauer Getto deportiert, umgekommen
Olga Broches, geb. Elias, geb. am 16.10.1891 in Hamburg, am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen abgeschoben, unbekannter Deportationsort, umgekommen
Raphael Broches, geb. am 8.2.1907 in Warschau, am 28.10.1938 nach Zbaszyn/Polen abgeschoben, 1939 ins Warschauer Ghetto deportiert, vermutlich in das KZ Treblinka verbracht, ermordet

Grindelallee 115

Salomon Broches war der Sohn eines Beamten und erlernte den Beruf des Optikers. 1903 heiratete er in Warschau Nadja Gleichenhaus, geboren am 15. Februar 1880 in Minsk/Russland als Tochter eines Kaufmanns. In Warschau kamen auch die drei Söhne des Ehepaares zur Welt: Raphael am 8. Februar 1907, Emanuel zwei Jahre später am 8. April 1909 und Daniel am 15. Oktober 1910. Vor dem Ersten Weltkrieg zog die Familie nach Hamburg, hielt sich während des Krieges aber überwiegend in Polen auf. 1919 kehrte sie nach Hamburg zurück, wo sie in der Grindelallee 115 wohnte. Dort befand sich auch das Optikergeschäft des Vaters.

Der älteste Sohn Raphael spielte Geige und galt bereits mit acht Jahren als Wunderkind. Er besuchte in Hamburg die Oberrealschule vor dem Holstentor, wo er Ostern 1928 die Reifeprüfung ablegte. Seine musikalische Ausbildung bekam er bei Heinrich Bandler, Konzertmeister und erster Violinist beim Philharmonischen Orchester Hamburg. Am 2. Mai 1928 schrieb sich Raphael an der philosophischen Fakultät der Hamburgischen Universität für das Studienfach Musik ein. Er berichtete im Lebenslauf zu seiner Dissertation, dass er von 1928 bis 1930 Musikwissenschaft und französische Philologie studierte. Auf seiner Studentenkarte finden sich allerdings Stempel bis zum Sommersemester 1931. Um sich "geigerisch zu vervollkommnen", unterbrach er sein Studium in Hamburg und ging erst ans Staatliche Konservatorium Straßburg, später dann an die Ecole Normale de Musique in Paris, wo er Schüler des Violinisten Jacques Thibaud wurde. Am 15. April 1935 kehrte er nach Hamburg zurück, um sich in Musikwissenschaft promovieren zu lassen. Im September 1936 beteiligte er sich an einem Werbeabend des Jüdischen Kulturbundes, wo er als Geiger der kleinen Orchestervereinigung tätig war. Sein Vater Salomon Broches stellte sein Optikergeschäft als Zahlstelle für den Kulturbund zur Verfügung.

Da Raphael Broches nicht die Absicht hatte, als Solist aufzutreten, bewarb er sich um einen Platz im Palestine Orchestra in Tel Aviv, das der polnische Geiger Bronislaw Huberman 1935 gegründet hatte. Er wurde engagiert, erster Dirigent war Hans Wilhelm Steinberg. Ein Einwanderungszertifikat für Broches war beantragt und genehmigt worden. Im Oktober 1936 wollte er Hamburg verlassen und seine Stellung in Tel Aviv antreten. Doch es kam anders. Am 26. Oktober 1936 starb seine Mutter Nadja Broches in der Wohnung der Familie in der Grindelallee 115. Raphael meldete ihren Tod beim zuständigen Standesamt. Wenig später musste er Bronislaw Huberman telefonisch mitteilen, dass seine Doktorprüfung "auf etwa Mitte Dezember verschoben wurde". Dieser entgegnete ihm, es sei unmöglich, seine Anstellung bis dahin zu verschieben. Er sagte ihm jedoch auch, "dass man einem Menschen sein Doktorat unter gar keinen Umständen verderben dürfe". Zumal es der Wunsch seiner verstorbenen Mutter gewesen war, dass er promoviert würde. Huberman und Broches lösten daher das Engagement und verblieben so, dass Broches später erneut nach einer Anstellung fragen könne. Es ist jedoch unklar, ob der Vertrag jemals wirklich gelöst wurde oder ob er bestehen blieb und verlängert wurde, denn das Visum wurde nicht zurückgegeben oder geändert. Laut einer Notiz im Archiv des Orchesters kam Raphael Broches am 28. Dezember 1936 nach Palästina und verließ das Land Mitte Januar mit einem Rückreisevisum, das auf den 11. Januar 1937 datiert war. Er kehrte nach Hamburg zurück, weil er seine Dissertation an der "Hansischen Universität" abschließen und seine Promotion mit dem Rigorosum beenden wollte. Im Gegensatz zu deutschen Jüdinnen und Juden konnten ausländische Juden gemäß einer Anordnung des Reichserziehungsministers vom 15. April 1937 weiterhin zu Doktorprüfungen zugelassen werden. Das galt auch für Broches, der polnischer Staatsbürger war.

Hauptgutachter seiner Dissertation mit dem Titel "Die Korrelation von Musik und Bewegung und das Problem der geigerischen Nachgestaltung" waren Wilhelm Heinitz und Giulio Panconcelli-Calzia, Mitgutachter war Georg Anschütz. Es gab jedoch Schwierigkeiten, denn Friedrich Blume von der Universität Kiel, der ebenfalls ein Gutachten schreiben sollte, weigerte sich wegen fachlicher Nichtzuständigkeit. Die Fakultät bestand jedoch darauf und Blume lehnte die Dissertation ab. Der Grund für die Ablehnung war vermutlich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen dem historischen Musikwissenschaftler Blume und dem Systematiker Heinitz. Als Konsequenz wechselte Raphael Broches vom Hauptfach Musikwissenschaft zu Phonetik/Vergleichende Musikwissenschaft, denn in diesen Fächern gab es bereits zwei positive Gutachten. Im Rigorosum scheiterte er an seinem Nebenfach Romanistik, wiederholte die drei Prüfungen im folgenden Jahr erfolgreich und bestand am 25. Juni 1938. Am 9. August 1938 wurde er unter dem Rektorat von Adolf Rein und während des Dekanats von Wilhelm Gundert an der Philosophischen Fakultät der "Hansischen Universität" zum Doktor der Philosophie promoviert. Seine Dissertation erhielt das Prädikat "gut", das Gesamtprädikat lautete "genügend".

Raphael Broches schickte die Urkunde an das Palestine Orchestra und sein Vertrag wurde wohl ein zweites Mal verlängert, denn man erwartete ihn im November 1938. Bis dahin wollte er in Hamburg bleiben, um die Drucklegung seines Buches zu beaufsichtigen. Die Dissertation wurde noch 1938 veröffentlicht und trug die Widmung "MEINER MUTTER!". Doch das Visum für Palästina war mittlerweile durch die Verzögerung bei den Prüfungen abgelaufen und alle Versuche, es verlängern zu lassen, blieben erfolglos.

Bereits im Februar 1938 hatte die Fürsorgebehörde das Optikergeschäft seines Vaters Salomon von der Zulassungsliste gestrichen. Dasselbe traf die jüdischen Optiker Campbell & Co. und Alfred Henschel. Damit durften sie Hilfsbedürftige nicht mehr gegen Erstattung durch die Fürsorgebehörde beliefern. Inwieweit Salomon Broches’ Geschäft von Diskriminierungen ab 1933 betroffen war, ist nicht belegt.

Nach dem Tod seiner Frau hatte sich Salomon Broches mit der fünfzehn Jahre jüngeren Olga Elias verlobt. Sie war am 16. Oktober 1891 als Tochter von Jacob und Herve "Hedwig" Elias, geborene Jacobsohn, in Hamburg zur Welt gekommen. Olga war deutsche Staatsbürgerin jüdischen Glaubens und arbeitete als Buchhalterin bei der Firma Siegfried Halberstadt. Vermutlich heirateten Olga Elias und Salomon Broches zwischen März und Juli 1939. Demnach muss Salomon Broches in der Zeit nochmals nach Deutschland eingereist sein. Ein Dokument belegt, dass "Papiere zwecks Heirat … auf dem poln. Konsulat, Hamburg" waren. Denn Salomon Broches war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschoben worden und Olga lebte inzwischen in der Tornquiststraße 3. Dokumente von Dezember 1938 sowie Januar und März 1939 belegen, dass Olga Elias zu der Zeit noch unter ihrem Geburtsnamen in Hamburg lebte. In der Kultussteuerkartei wurde sie als Olga Broches geführt, dort sind zwei Daten für ihr Ausscheiden aus der Gemeinde genannt, der 28.10.1938 und der 24.7.1939.

Salomon, Raphael und eventuell auch Olga Broches wurden am 28. Oktober 1938 im Rahmen der "Polenaktion" nach Bentschen/Zbaszyn in Polen abgeschoben.

Emanuel Broches konnte nach Frankreich und Daniel Broches nach Palästina fliehen. Daniel Broches versuchte erfolglos über den Hamburger Rechtsanwalt Siegfried Urias, der auch von Salomon Broches zu seinem Bevollmächtigten bestellt wurde, Einspruch gegen die Ausweisung seines Vaters und seines Bruders zu erheben.

Raphael und sein Vater waren bis zum Sommer 1939 in Zbaszyn interniert. Ein letztes Lebenszeichen von Raphael Broches erreichte seine Brüder 1940 aus dem Warschauer Getto. Auf einer Karte teilte er den Brüdern den Tod des Vaters mit. 1941 war er noch Mitglied eines Orchesters, das im Warschauer Getto Konzerte gab. Nach dessen Auflösung wurde er wahrscheinlich in das KZ Treblinka verbracht und dort ermordet. Der Deportationsort von Olga Broches ist unbekannt. Doch auch sie überlebte die Shoah nicht.

Für Raphael Broches liegt ein weiterer Stolperstein in der Edmund–Siemers–Allee 1, vor dem Hauptgebäude der Universität Hamburg.

Stand: Juli 2017
© Melanie Pieper

Quellen: 1; 5; 8; StaH 332-5 Standesämter 8138 und 537/1936; StaH 332-5 Standesämter 2260 und 4488/1891; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 3881; StaH 364-13 Phil Fak Prom 704, o. Bl., Doktorbrief der Hansischen Universität; StaH 621–1/86 Familienarchiv Siegfried Urias, Sig. 22, Einspruch gegen den Ausweisungsbeschluß gegen Salomon Broches; StaH 351-10 I Sozialbehörde, WA 10.18, vergl. dazu auch: Ingo Wille über Alfred Henschel, http://stolpersteine-hamburg.de/index.php?&MAIN_ID=7&p=90&BIO_ID=1962 (letzter Aufruf: 17.1.2016); Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte, Antrag auf Einschreibung/Studentenkarte von Raphael Broches; Hamburger Bibliothek für Universitätsgeschichte, Hansische Universität, Doktor-Album der Philosophischen Fakultät; Broches: Die Korrelation; Müller-Wesemann: Theater, S. 467f.; Petersen: Musikwissenschaft, S. 634; von der Lühe: Die Musik, S. 94f., 115f., 230ff.; Müller-Wesemann/Fetthauer: Raphael.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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