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Klaus Brodrecht * 1923
Abteistraße 17 (Eimsbüttel, Harvestehude)
HIER WOHNTE
KLAUS BRODRECHT
JG. 1923
EINGEWIESEN 1930
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 7.8.1943
HEILANSTALT EICHBERG
ERMORDET 26.8.1943
Klaus Ehrenfried Brodrecht, geb. am 5.2.1923 in Hamburg, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten 23.1.1930, "verlegt" in die Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg im Rheingau, dort ermordet 26.8.1943
Stolperstein: Abteistraße 17
Seit August 2019 erinnert ein Stolperstein an Klaus Ehrenfried Brodrecht.
Er war hier, im großelterlichen Puttfarckschen Haus, am 5. Februar 1923 als erster Sohn des Kaufmannes Werner Brodrecht und seiner Frau Ilse Olga, geb. Puttfarcken, geboren worden.
Fünf Monate später, am 30. Juni 1923, taufte ihn sein Großvater Christian Brodrecht, Pfarrer in Dorndorf a.d. Saale, in der Kirche St. Johannis Harvestehude im Beisein seiner Paten Hans Puttfarcken (Onkel) und Christine Brodrecht (Tante) auf den Namen Klaus Ehrenfried.
Aus Klaus‘ späterer Krankenakte der damaligen Alsterdorfer Anstalten ergibt sich, dass seine Geburt "ohne Störung" verlaufen, aber die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt gewesen sein soll. Sonst wissen wir nicht, wie seine frühe Kindheit verlaufen ist. Klaus Brodrecht wurde am 23. Januar 1930 mit 6½ Jahren in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen.
Der zu diesem Zeitpunkt in Hamburg tätige und später an Verfahren zur Zwangssterilisation und Begutachtung zur Euthanasie beteiligte Kinder- und Jugendpsychiater Werner Villinger hatte ihn im Dezember 1929 untersucht und geurteilt, dass es "mit Rücksicht auf den nahezu 3-jährigen kleinen Bruder und ein demnächst zu erwartendes Geschwisterchen sowie auf den Nervenzustand der Mutter […] dringend erforderlich [erscheint], das Pat.[ient] baldigst in eine geeignete Anstalt überführt wird." (Werner Villinger befürwortete zwangsweise Sterilisationen zur "Verhütung erbkranken Nachwuchses" nach dem Gesetz vom 14.7.1933. Ab März 1941 war er einer der Gutachter der Euthanasie-Zentrale in Berlin, die über Leben oder Sterben von Menschen mit geistiger Behinderung entschieden.)
Klaus Brodrechts Diagnose bei der Aufnahme lautete: "Idiotie mit motorischer Unruhe und ticartige Bewegungen" (als "tic" wurden nervöse Zuckungen bezeichnet). Die Akte enthält die Angaben über Klaus Bodrechts weiteren Lebensweg. Darin wird u.a. beschrieben, er sei ohne Sprache, mache dauernd Schaukelbewegungen, schreie und weine viel, werfe mit Gegenständen, sei ruhig, spiele für sich, spreche nach Familienurlauben häufig das Wort "bitte". In der Akte sind auch seine Erkrankungen, Aufenthalte in der Krankenstation, Medikamentengaben und Therapien vermerkt.
Einer in damaliger Zeit verbreiteten (aus heutiger Sicht aggressiven) Behandlung, der "v.-Wieser`sche Röntgentherapie" wurde Klaus vom Dezember 1930 bis zum März 1932 zu Forschungszwecken unterzogen. Er war einer von 126 Bewohnern der damaligen Alsterdorfer Anstalten, an denen diese medizinischen Experimente zur Behandlung von Unruhezuständen und bestimmten Formen des "Schwachsinns", wie es hieß, durch den Oberarzt Gerhard Kreyenberg durchgeführt wurden, der diese Experimente 1932 aufgab, weil sie keine Ergebnisse erbracht hatten. Klaus erhielt insgesamt 36 Bestrahlungen in unterschiedlichen Stärken und gerichtet auf verschiedene Hirnareale, viele davon in kurzen Abständen.
Die Eltern standen während des 13-jährigen Aufenthaltes in Alsterdorf mit ihrem Sohn im Kontakt. Sie beantragten eintägige und gelegentlich mehrtägige Besuche im Elternhaus, die meist genehmigt wurden. Klaus‘ Familie hatte sich inzwischen vergrößert, drei Brüder (geb. 1925, 1930 und 1938) lebten nun mit den Eltern in der Abteistraße 17.
Im November 1939 wurde Klaus wegen Skabies (Krätze) in der Krankenabteilung behandelt. Dies könnte ein Hinweis auf die damaligen Zustände in den Alsterdorfer Anstalten sein.
Ab 1939 verringerte sich Klaus Brodrechts Körpergewicht von ca. 59/60 kg immer weiter, bis er im Juli 1943 als 20-jähriger nur noch 42,7 Kg wog, wie zuletzt mit 12 Jahren. Dennoch wurde er noch im Mai 1943 als ein extrem starker Esser beschrieben.
Am 7. August 1943 schließt seine Akte mit dem Vermerk: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalt durch Fliegerangriff verlegt nach Eichberg". Wie wir heute wissen, war das eine Schutzbehauptung. Ende Juli 1943 waren die Alsterdorfer Anstalten überfüllt. Durch die Bombenbangriffe auf Hamburg Obdachlos Gewordene sollten hier verpflegt und versorgt werden. Die Anstalt selbst war zwar durch Bombentreffer beschädigt, nicht aber zerstört worden.
Der Anstaltsleiter, Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, Patienten in andere Anstalten abzuschieben, insbesondere diejenigen, die nicht arbeiten konnten und intensiver Pflege bedurften. Am 7. August 1943 und den folgenden Tagen, als die Bombenopfer und Verletzte längst aus Hamburg evakuiert waren, wurden ca. 500 Patienten (d.h. ca. 25% der Bewohner) über den Güterbahnhof Ochsenzoll in verschiedene Anstalten abtransportiert.
Zur Heilanstalt Eichberg bei Eltville am Rhein wurden 28 Kinder und 48 Männer deportiert, unter ihnen Klaus Bodrecht. Der Zug wurde nicht von Pflegepersonal begleitet, vieles deutet darauf hin, dass sich unterwegs erschütternde Szenen abgespielt haben müssen. Einige Patienten versuchten bei der Ankunft am 8. August zu fliehen, Kinder waren bewusstlos und hinfällig. Etliche starben in den darauf folgenden Tagen.
Von den nach Eichberg gebrachten 76 Menschen waren fünf Monate später, im Januar 1944, bereits 60 gestorben oder ermordet worden. Klaus Brodrecht war einer von Ihnen. Sein Tod wurde bereits am 26. August 1943 festgehalten.
Die Sterbeurkunde weist die verschleiernde Todesursache "Herzschwäche und Geisteskrankheit" aus. Klaus Bodrecht wurde nur 20 Jahr alt, von denen er über dreizehn in den Alsterdorfer Anstalten gelebt hatte.
Stand: September 2019
© Christina Igla und Heiko Meyer
Quellen: Archiv der evangelischen Stiftung Alsterdorf, Patientenakte Nr. 783 (Klaus Ehrenfried Brodrecht); Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner: Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr", Hamburg 1987; Ernst Klee: "Euthanasie" im NS-Staat – Die "Vernichtung unwerten Lebens", Frankfurt/M. 2010, S. 394.