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Carl Bruns * 1885
Papenhuder Straße 32 (Hamburg-Nord, Uhlenhorst)
Sachsenhausen
Todesmarsch, Tot 1945
Carl August Bruns, geb. 10.2.1885, inhaftiert 1936,1942–1943, zuletzt im KZ Sachsenhausen, gestorben nach dem 21.4.1945 auf einem Todesmarsch
Papenhuder Straße 32
"Er ist ins Gefängnis gekommen, weil er als Textilkaufmann so viele Kontakte zu Juden hatte", war die Begründung seiner Angehörigen dafür, dass Carl Bruns den Zweiten Weltkrieg nicht überlebt hatte. Die Wahrheit wollte die Familie vor der Umwelt verborgen halten, schließlich wurden Homosexuelle (noch bis 1969) als Kriminelle behandelt. Erst Jahrzehnte später erfuhr Wolfgang Schreiber vom Schicksal seines homosexuellen Großonkels. Wolfgang Schreiber: "Meine Oma, Marta Busse, war die jüngere Schwester von Carl Bruns. Als ich klein war, versuchte sie mich vor ‚Männern mit Kettchen‘ an Bahnhöfen zu warnen, was ich als kleiner Junge natürlich nicht begriff. Wahrscheinlich wollte sie mir das Schicksal ihres Bruders ersparen." Erst als seine Großmutter 1985 verstorben war und sich Wolfgang Schreiber 1986 in einem Brief gegenüber seiner Tante Ursula Becker, einer Nichte von Carl Bruns, als schwul geoutet hatte, brach diese das Schweigen und erzählte ihm von seinem Großonkel. "Nun war meine Neugierde entfacht, und ich begab mich auf Spurensuche. Im Hamburger Staatsarchiv wurde ich fündig, dort befinden sich die Strafjustizakten. Heute lebe ich selbst als offen schwuler Mann in Amsterdam und fühle mich meinem Großonkel sehr verbunden, auch wenn ich leider nur sehr wenig von seinem Leben weiß."
Ursula Becker, Jahrgang 1924, die am 19. Juni 2006 zur Einweihung des Stolpersteins für ihren Onkel nach Hamburg gekommen war, hatte ihn zuletzt gesehen als sie zehn Jahre alt war. "Er war eine elegante Erscheinung und ein Kunst liebender Mensch, man könnte sagen, ein Ästhet. In der Wohnung Papenhuder Straße hatten sie mehrere Untermieter, die dort zusammen mit meiner Großmutter, die den Haushalt führte, Onkel Otto und Onkel Carl lebten. Carl nähte die Gardinen und knüpfte Teppiche. Er war eines von insgesamt sieben Geschwistern, darunter waren auch einige Nazis. Das war wohl auch der Grund dafür, über sein Schicksal in der Familie zu schweigen", erinnerte sich Ursula Becker. Ihre Mutter hatte das Schicksal ihres Bruders als Schande empfunden. "Als ich 25 Jahre alt war, hat sie mir die Wahrheit gesagt. Meine Mutter hegte den Verdacht, dass Wolfgang genauso sein wird wie sein Großonkel. Sie mochte aber nicht mit ihm darüber sprechen, also habe ich das übernommen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ein Stolperstein an meinen Onkel erinnert. Ich kann es nicht verstehen, dass so viele Menschen die Schrecken der Nazi-Zeit nicht wahrhaben wollen. Es muss alles getan werden, um daran zu erinnern."
Carl Bruns wurde am 10. Februar 1885 in Hollerdeich/Kreis Kehdingen (heute Oederquart/ Kreis Stade) geboren. Von seinen elf Geschwistern starben fünf sehr früh an Kinderkrankheiten. Nach der Dorfschule absolvierte er eine kaufmännische Lehre, arbeitete als Kaufmann in der Textilbranche und zog nach Hamburg. Am Ersten Weltkrieg nahm Carl Bruns von 1915 bis 1918 teil, zuletzt als Kanonier im Fußartillerie-Regiment 45 Hamburg-Altona. Für seine Verdienste erhielt er das "EK II, Verw.Abzeichen und Frontkämpferehrenzeichen". Im Polizeiverhör 1942 sagte Carl Bruns: "Meine homosexuelle Veranlagung hat sich erst während des Weltkrieges richtig entwickelt … Nach meiner Militärzeit habe ich mich nicht wieder Frauen genähert." Ob er seinen späteren Geschäfts- und Lebenspartner Otto Schildt, Jahrgang 1882, im Krieg kennengelernt hatte, ist nicht überliefert. 1919 wurden die beiden Geschäftsführer und ab 1927 Inhaber des Tuchlagers Welzien & Co. am Graskeller 3, dann am Neuen Wall 103. Beide Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört.
1929 lernte Carl Bruns den Fotografen Heinrich Roth, Jahrgang 1907, in dem einschlägigen Lokal "Goldene 13" in der Koppel in St. Georg kennen. Beide hatten über mehrere Jahre ein Verhältnis miteinander. Fotos belegen, dass Heinrich Roth sich offenbar auch mit Bruns’ Lebenspartner Otto Schildt gut verstand. Am 1. April 1933 zogen Otto Schildt, Carl Bruns und dessen Mutter in eine 8-Zimmer-Wohnung in die zweite Etage des Wohnhauses Papenhuder Straße 32. 1936 wurde Carl Bruns wegen seiner Beziehung zu Heinrich Roth nach §175 RStGB zu vier Monaten und zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Heinrich Roth erhielt acht Monate Gefängnis.
Am 27. März 1942 geriet Carl Bruns erneut in die Fänge der Kriminalpolizei: Ein ehemaliger Sexualpartner hatte seinen Namen im Verhör genannt. Noch am selben Tag nahmen Beamte des Kriminalkommissariats 24 Carl Bruns fest. Er bestritt die Anschuldigungen, gab aber einen Sexualkontakt mit einem Unbekannten im Sommer des Jahres 1941 zu. Vom 4. bis zum 13. April 1942 befand sich Carl Bruns als polizeilicher "Schutzhäftling" im KZ Fuhlsbüttel. Seinen Partner Otto Schildt konnte er aus den Ermittlungen heraushalten. Am 6. Juli 1942 fand der Prozess vor dem Amtsgericht Hamburg statt. Amtsgerichtsrat Friedrich Bertram verhängte eine einjährige Gefängnisstrafe wegen Vergehens nach §175 RStGB, die Carl Bruns im Männergefängnis Fuhlsbüttel und im Gefängnis Altona verbüßte. Nach seiner Entlassung am 9. März 1943 war sein Leidensweg noch nicht zu Ende: Er wurde der Hamburger Polizei überstellt und in "Vorbeugehaft" genommen. Im April 1943 folgte seine Verbringung ins KZ Sachsenhausen. Ende April 1945 kam er auf dem Todesmarsch Richtung Parchim ums Leben.
Otto Schildt starb 1943 eines natürlichen Todes. Heinrich Roth wurde nach zwei Jahren Zwangsarbeit in den Emslandlagern zunächst ins KZ Sachsenhausen und später ins KZ Neuengamme verbracht. Er starb am 3. Mai 1945 beim Untergang der Cap Arcona. An sein Schicksal erinnert ein Stolperstein am Steindamm 91/97 in St. Georg (siehe www.stolpersteine-hamburg.de).
© Bernhard Rosenkranz (†)/Ulf Bollmann
Quellen: B. Rosenkranz/U. Bollmann/G. Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, S. 118–119; Wolfgang Schreiber, Biographie Carl Bruns (1885–1945), unveröffentlichtes Manuskript sowie Gespräche zwischen Wolfgang Schreiber bzw. Ursula Becker und Bernhard Rosenkranz am 19.6.2006; StaHH, 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 5209/42; StaHH 331-1 II Polizeibehörde II, Ablieferung 15 Band 2; StaHH, 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 und 16.