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Selbstporträt, Zeichnung
Selbstporträt (Zeichnung)

Anna Maria Buller * 1913

Wagnerstraße 47 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
ANNA MARIA
BULLER
JG. 1913
EINGEWIESEN 1931
STAATSKRANKENANSTALT
FRIEDRICHSBERG
"VERLEGT"
HEILANSTALT HADAMAR
ERMORDET 6.7.1943

Anna Maria Buller, geb. 28.1.1913, 1931 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg eingewiesen, ermordet am 6.7.1943 in der Tötungsanstalt Hadamar

Anna Maria Buller, Tochter von Julius und Anna Buller, lebte mit ihren Eltern in Hamburg, besuchte die Volksschule in der Humboldtstraße, kam mit 12 Jahren in den Oberbau und wurde mit 16 Jahren aus der Reifeklasse entlassen. Sie lernte dann Reklamezeichnerin.
Anna Maria Bullers Leidensweg begann am 12. Februar 1931 im Krankenhaus Barmbek, wo die 18-jährige mit Fieber und dem Verdacht auf Grippe aufgenommen wurde. Das Personal hielt im Aufnahmebogen fest, dass die Mutter kein ungewöhnliches Verhalten ihrer Tochter bemerkt habe, "nur der Blick sei in der letzten Zeit etwas starr und leer gewesen”. Wenig später wurde Anna Maria Buller in die Anstalt Friedrichsberg verlegt, da die Ärzte in Barmbek ihr Verhalten als "unnormal" klassifizierten. Der aufnehmende Arzt in Friedrichsberg attestierte ihr eine Schizophrenie. Alles, was Anna Maria Buller von nun an tat, wurde im Rahmen dieser psychiatrischen Diagnose gedeutet. In Friedrichsberg versuchten die Psychiater, eine Geschichte ihres Wahns zu (re)konstruieren. Sie notierten, dass Anna Maria Buller schon als Kind und Jugendliche abweichendes Verhalten gezeigt habe: "nur immer Zeichnen u. Lesen, schwere Bücher, Dostojewski, Schopenhauer, Zola. Ging nie aus, tanzte nicht, ging nur mit Mutter aus, hing sehr an dieser. Auf d. Schule sehr fleißig, pünktlich, gewissenhaft ... Für Männer hat sie kein Interesse." So entstand in der Akte das Bild einer Frau, deren Geisteskrankheit immer schon existiert, die aber nie jemand bemerkt hatte.
Zunächst wurde sie zwangsbehandelt: mit Beruhigungsmitteln, z.B. Injektionen von Morphium Präparaten und der Verabreichung von Paraldehyd und auf die Beobachtungsstation verlegt, fixiert, etc. – meist mit der Begründung, dass sie laut und aggressiv gegenüber Krankenschwestern und Psychiatern sei. Zudem erhielt sie unregelmäßig Digitalis, das heute als Herzmittel noch in Gebrauch ist, damals mit der Idee verabreicht, dass mit der Verringerung des Herzschlags Patienten automatisch ruhiger würden. Allerdings war bekannt, dass Digitalis "psychische Nebenwirkungen" bis hin zu Halluzinationen hervorrufen konnte. Die Pflegeeintragungen beschrieben Anna Maria Buller als unberechenbar, widerstrebend und gefährlich: "Pat. [Abk. Für Patientin] schrie anhaltend bis 8 Uhr: ‚Muthorst, Gertrud, Tante Hertha, Frau Kort ich lebe noch, man will mich ermorden. Hilfe, Hilfe, Mord, Mord ihr Schufte ihr Biester vergiften wollt ihr mich, Hilfe, Hilfe.‘ Pat. war nicht zu beruhigen, zog das Hemd aus, verweigert das Essen, hat nur getrunken. Pat. ist in allem sehr widerstrebend, schlägt und stößt mit Füßen.” Nicht erwähnt wurde, dass Anna Maria Buller Morphium Skopolamin und andere "Beruhigungsmittel" erhielt, am 23. Februar katheterisiert wurde und einen Einlauf erhielt, dass sie zweimal täglich per Ernährungssonde zwangsernährt wurde, dass Bakterien in ihrem Urin entdeckt wurden, sie am 25. Februar erhöhte Körpertemperatur zeigte und dramatisch an Gewicht verlor. Diese Informationen sind in anderen Dokumenten registriert, die getrennt von den Pflegeberichten aufbewahrt wurden.
Die festgehaltenen kurzen Beispiele von Anna Maria Bullers Äußerungen zeigen den "Alltag" der Patientin in der Staatsanstalt Friedrichsberg machen deren Hoffnungslosigkeit sehr deutlich. Am Ende der Kette von Zwangsmaßnahmen gestand Anna Maria Buller dem Psychiater, dass sie verrückt sei. Aufgrund dieser "Krankheitseinsicht" wurde sie im September 1931 zunächst zu ihren Eltern entlassen.

Doch knapp neun Monate später wurde sie erneut in Friedrichsberg aufgenommen. Diesmal wies der Amtsarzt sie zwangsweise ein, weil sie die öffentliche Ordnung gestört hatte. Die Mediziner in Friedrichsberg schrieben die alte Akte fort. Der aufnehmende Arzt vermerkte, dass Anna Maria Buller nunmehr "absorbiert [sei] von ihren Wahnideen" und "glaubt schwanger und geschlechtskrank [zu sein]."
Zunächst erhielt sie die gleiche Behandlung wie beim ersten Aufenthalt. Digitalis wurde jetzt täglich injiziert, oft kombiniert mit Morphium Skopolamin. Manchmal musste sie mehr als 12 Stunden pro Tag im Dauerbad, einer Wanne, gefüllt mit warmen Wasser, ausharren, aus deren "Abdeckplane" nur der Kopf durch ein enges Loch herausguckte. Hinzu kamen sogenannte Wickel, auch Kaltwassertherapie genannt: Patienten oder Patientinnen wurden dazu eng in nasse Tücher gewickelt – zur "Beruhigung". Wenn die Tücher zu trocknen begannen, zogen sie sich immer enger um den Körper der eingewickelten Person.
Das Pflegepersonal notierte vor allem das widerständige Verhalten von Anna Maria Buller, die als gewalttätig und erregt dargestellt wurde. Wenn sie sich laut oder gewalttätig wehrte, erhielt sie Injektionen oder Beruhigungsmittel durch Einlauf.
Als sie im Haus 8 untergebracht wurde, brachen die Aufzeichnungen ab. Das Gebäude galt als das sogenannte Sicherheitshaus. Es wurde besonders streng überwacht und war durch Gräben und hohe Zäune gesichert. Nur kurze Einträge des Psychiaters geben Hinweise auf Anna Maria Bullers Leben in diesen Monaten wie: "Oft außer Bett", "Dauerbad" oder "Dauerbad; Injektionen, isst schlecht".
Auch nachdem sie wieder zurück ins Haus 10 verlegt wurde, beschränkten sich die Pflegeaufzeichnungen auf wenige Stichworte pro Eintrag. Anna Maria Buller erscheint darin kaum mehr als ein menschliches Wesen, sondern instinktgetrieben. Die Schwestern bemühten sich scheinbar, sie irgendwie unter Kontrolle zu bekommen. Allerdings änderte sich der Ton am Ende des Jahres 1932. Mehr und mehr wurde sie nun als hilf- oder ratlos dargestellt, zudem als zunehmend inkontinent. Es scheint, dass die Schwestern sich bemühten, ihre Aufzeichnungen dem anzugleichen, was Alfred Hoche und Karl Binding in ihrem 1920 erschienen Buch als "leere Hüllen" bezeichnet hatten.
Die Pflegeberichte brachen am 17. Dezember 1932 ab. Nach fast 6 Monaten in Friedrichsberg wurde Anna Maria Buller in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn verlegt. Nun galt sie als "unheilbar", und alle weiteren Maßnahmen erklären sich vor dem Hintergrund dieser endgültigen psychiatrischen Bewertung.

Anna Maria Buller gelangte am 20. Januar 1933 in Langenhorn an, noch benommen durch die Narkotika, die sie in Friedrichsberg erhalten hatte. Dem Personal in Langenhorn galt sie von Beginn an als hoffnungsloser Fall. Über die fast drei Jahre Aufenthalts in Langenhorn existieren so gut wie keine Aufzeichnungen, weder von den Psychiatern noch von den Pflegenden.
Zu den schon in Friedrichsberg benutzten Zwangsmitteln kamen nun die Isolationszelle und Bettfesselungen hinzu. In den wenigen vorhandenen Pflegeberichten wurde sie immer mehr wie ein Tier beschrieben, ihre Inkontinenz erwähnt und dass sie mit ihren Exkrementen Pflegende und Mitpatienten beschmiere. Die Psychiater beschlossen, sie zu sterilisieren, was ihre Eltern vehement ablehnten. Trotzdem leiteten die Psychiater ein Sterilisationsverfahren unter Umgehung sämtlicher Rechtsfristen ein. Die Sterilisation diente fortan als weiterer Beleg für den unheilbaren Zustand Anna Maria Bullers. Immerhin wurde sie nun entlassen.

Doch das Leben in Freiheit währte nur einige Monate. Am 20. Februar 1936 wurde sie erneut in Friedrichsberg aufgenommen, das nun in Psychiatrische und Nervenklinik Eilbektal umbenannt worden war. Anna Maria Bullers Akte wurde nahtlos weiter geführt. Während der Aufnahmeuntersuchung vermerkte der Psychiater "Alte Schizophrenie mit deutlichen Defektsymptomen; psychische Verödung”. Sie kam sofort ins Haus 8 und verbrachte die meiste Zeit im Dauerbad. Zweimal monatlich notierten sie Psychiater immer wieder Ähnliches wie am 14. April 1936: "Gehemmt, gesperrt; autistisch, mutistisch; reißt die Haare am Kopfwirbel aus. verblödeter Gesichtsausdruck; keinerlei Mimik". Die Pflegeberichte wurden nur sporadisch und nur dann geführt, wenn die Schwestern meinten, dass sich etwas im Verhalten Anna Maria Bullers geändert habe.

Am 15. September 1936 wurde sie als Schizophrene mit "weitgehendem Persönlichkeitszerfall" wieder nach Langenhorn verlegt. Dort blieb sie bis März 1938. Am 31. März 1938 durfte sie vier Wochen Urlaub bei Ihren Eltern verbringen.
Auf dringende Bitten ihrer Eltern hin willigte die Anstalt ein, Anna Maria Buller zu entlassen. Erst am 30. Mai 1940 wurde sie erneut in Friedrichsberg aufgenommen. Nach den Angaben des aufnehmenden Arztes hatte Anna Maria Buller bis dahin mit ihrer Schwester zusammen gearbeitet und sei "immer unauffällig, in der Stimmung ausgeglichen" gewesen, aber "mehr für sich" geblieben. Nachdem ihre Schwester ins Krankenhaus eingewiesen worden war und dort an einer Lungenentzündung verstarb, ging es ihr schlechter. Sie schlief "länger als sonst, zwinkerte immer mit dem Auge, faßte die gebrechliche Mutter immer um u. wollte sie trösten", sie habe "wirr gesprochen", und dabei erregt, gespannt gewirkt.
Diesmal änderte der aufnehmende Psychiater die Diagnose in Dementia Praecox, eine ‚veraltete’ Diagnose, die zu dieser Zeit eigentlich nicht mehr in Gebrauch war. Sie bedeutete, dass der Verlauf der Erkrankung nicht positiv beeinflusst werden konnte, sondern die Patientin unweigerlich auf einen Endzustand hinsteuerte, der von den Psychiatern als "lebensunwert" verstanden wurde.

Ab 1940 erhielt Anna Maria Buller ein neues "Medikament" mit dem Namen Cardiazol. Die Cardiazol Schocktherapie war Teil der "aktiven Therapie", die die erzieherische Therapie vervollständigen" sollte. Zehn bis fünfzehn Sekunden nach Gabe der Injektion begannen die Patienten eine intensive Todesangst zu entwickeln, sie starben fast, wie die Psychiater dies beschrieben, sie waren quasi für eine Minute tot. In Anna Maria Bullers Fall wurden diese Injektionen mit Beruhigungsmitteln kombiniert. Nun wurde sie in den Pflegeberichten als umgänglicher und ruhiger geschildert. Die Cardiazol Schocktherapien wurden darüber hinaus unsystematisch mit Insulin Schocktherapien kombiniert und unregelmäßig gegeben. Im Juni 1940 beispielsweise erhielt sie sieben Injektionen, es scheint, dass Cardiazol als ein Mittel zur Bestrafung genutzt wurde. Zusätzlich wurde sie über längere Zeiträume mit Gurten im Bett fixiert.

Im Januar 1941 hatte Anna Maria Buller unregelmäßige Cardiazol Injektionen über fast ein Jahr erhalten. Am 20. Februar 1941 notierte der behandelnde Psychiater, dass sie sei "völlig unverändert und negativistisch in ihrem Wesen" und diagnostizierte den "schizophrenen Endzustand". Zwei Wochen später wurde sie nach Langenhorn verlegt. Zu diesem Zeitpunkt beschrieben die Krankenschwestern sie als "orientierungslos" und "hilflos". Die Eintragungen lauteten: "Sitzt herum und weiß nicht was sie machen soll", oder: "Pat. sitzt für Stunden auf einem Platz mit hängendem Kopf".
Psychiater und Kranschwestern wussten sehr wohl, was sie taten. Friedrichsbergs ehemaliger Oberarzt Kögler bestätigte, dass "Insulin Schocktherapie und Cardiazol Schocktherapie […] sehr brutale somatische Interventionen" sind. Patienten wurden hilflos und schwach "was den Weg freimacht für psychotherapeutische Führung … der Schock selber funktioniert vielleicht wie eine Erschütterung des innersten Kerns der Persönlichkeit, verursacht durch die tiefe Wirkung auf vegetative und zerebrale Funktionen und beeinflusst dabei die mysteriösen biologischen Vorgänge der Schizophrenie". So trugen sie vermutlich aktiv zu dem "Endstadium" zu einer "geistig Toten" bei.

Mit der Verlegung nach Langenhorn begann der letzte Abschnitt des kurzen Lebens der Anna Maria Buller. Zwei Vorfälle in Langenhorn scheinen beigetragen zu haben, dass sie zur Tötung nach Hadamar verlegt wurde. Zunächst wurde im November 1942 eine Knochentuberkulose im Krankenhaus Eppendorf diagnostiziert. Wegen des psychischen Zustands Anna Maria Bullers beschloss der dortige Arzt aber, dass eine Behandlung nicht in Frage käme. Sie wurde nach Langenhorn zurückverlegt. Ihre Eltern ahnten, was das für ihre Tochter bedeutete, und flehten die Psychiater in Langenhorn an, ihre Tochter zu verschonen. Der letzte Pflegebericht vom 20. Juni 1943: "Fräul. Buller ist nicht orientiert, ist sehr verwirrt, verkennt Personen. Heute war sie sehr erregt + laut schlug um sich, war im Garten, schlug die Oberschwester in den Rücken. Sie wurde in ein Einzelzimmer gebracht."

Nur sechs Tage nach diesem Zwischenfall stand sie auf der Transportliste nach Hadamar. Neuere Forschungen über die Aktion T4 haben gezeigt, dass widerständiges, gewalttätiges Verhalten ein Faktor für die Entscheidungen war, wer in die Todestransporte eingeteilt wurde. Sicher ist, dass Anna Maria Buller am 26. Juni 1943 nach Hadamar gelangte. Am 5. Juli 1943 wurde in ihrer Akte vermerkt "Erkrankte an Darmkatarrh. Herzschwäche. Mutter ist benachrichtigt" und nur einen Tag später "Heute exitus an Enter. Kolitis [eine Form von Darmentzündung]". Dies war das übliche Prozedere in Hadamar während der Aktion T4: Bereits bei der Aufnahme erhielten die späteren Mordopfer eine standardisierte Diagnose und innerhalb weniger Tagen (meist innerhalb eines Tages) wurden sie dann in der krankenhauseigenen Gaskammer ermordet. Diese war zum Zeitpunkt des Todes von Anna Maria Buller nicht mehr in Betrieb, aber Patientinnen und Patienten wurden in Hadamar weiter durch tödliche Injektionen oder Nahrungsentzug ermordet. Für Anna Maria Buller war Hadamar der Endpunkt eines jahrelangen Leidens.

Stand Mai 2016

© Thomas Foth

Quellen: Stah 352-8-7, Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1-1995, 28338; Uta George/Georg Lilienthal/Volker Roelcke/Peter Sander/Christina Vanja (Hrsg.), Heilstätte, Tötungsanstalt, Therapiezentrum Hadamar, in: Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen. Quellen und Studien, Bd. 12, Marburg 2006.

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