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Anna Cohen als junge Frau
Anna Cohen als junge Frau
© Privatbesitz

Anna Cohen (Cohn-Schwerin) * 1885

Ferdinandstraße 67 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
ANNA COHEN
GEN. COHN-SCHWERIN
JG. 1885
DEPORTIERT 1941
LODZ
1944 CHELMNO
ERMORDET

Anna Cohen (Cohn-Schwerin), geb. am 6.7.1885 in Schwerin, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, weiterdeportiert am 28.6.1944 nach Chelmno/Kulmhof

Ferdinandstraße 67

Anna Cohen war als Tochter von Ernst Samuel Cohen (geb. 7.2.1853) und dessen Ehefrau Betty, geb. Simoni, am 6. Juli 1885 im mecklenburgischen Schwerin zur Welt gekommen. Ihr Vater war Kaufmann, laut Eintrag im Schweriner Adressbuch besaß er eine Delikatessenhandlung, die er von seinem Vater Julius Cohen übernommen hatte.

Anna Cohen wurde in ihrer Familie Anni genannt. Unter dem Pseudonym Anna Cohn-Schwerin sollte sie später als Malerin und Kunstgewerblerin tätig werden.

Doch zunächst absolvierte sie in ihrer Heimatstadt die Höhere Mädchenschule bis zur zehnten Klasse und ging im Anschluss für 1½ Jahre in ein Mädchenpensionat nach Hannover, um dort die Kunstgewerbeschule zu besuchen. 1903 nahm sie am Schweriner Lehrerinnenseminar teil und bestand 1905 ihr Examen als Lehrerin an Volks- und Bürgerschulen für Mädchen. Ihre künstlerische Ausbildung setzte sie 1906 im Alter von 21 Jahren an der Akademie des Münchner Künstlerinnen-Vereins fort. Die private Akademie war 1882 gegründet worden und gehörte zu den ersten Ausbildungsstätten für angehende Künstlerinnen. An staatlichen Kunsthochschulen zu studieren, war in dieser Zeit nur den Männern erlaubt. Anna Cohen blieb für die nächsten fünf Jahre in München.

Nach einem Studienaufenthalt 1912 in Paris an der renommierten Académie Ranson (Paul-Elie Ranson, geb.1864, gest.1909) kehrte Anna Cohen 1913 in ihre Geburtsstadt zurück und betätigte sich als freie Malerin.

Am 16. Oktober 1916 verstarb ihr Vater Ernst Cohen im Alter von 63 Jahren im Haushalt seiner älteren Tochter Louise (geb.12.9.1883). Louise und ihr Mann, der Arzt Joachim Koller, lebten mit Sohn Ernest Klaus in Berlin-Schöneberg. Die Mutter Betty Cohen war bereits vor ihrem Ehemann verstorben.

Anna Cohen ging 1918 nach Hamburg. Sie wohnte in den ersten Jahren im Mühlenkamp 10 in Winterhude und verdiente ihren Lebensunterhalt als Kontoristin. Um sich fortzubilden, belegte sie Kurse an der "Kunsthochschule". 1922 zog sie in eine Atelierwohnung in die Ferdinandstraße 67, seither wurde sie im Hamburger Adressbuch als "Anna Cohn-Schwerin Kunstmalerin" verzeichnet.

Anna Cohen war mit dem Kunstmaler Mack Kock (eigentlich Wo-Mack Kock, geb. 3.3.1897, gest. 28.10.1946) befreundet, der einige Jahre in der gegenüberliegenden Atelierwohnung in der Ferdinandstraße arbeitete. Sein Vater Kwang-Sow Kok (eigentlich Kok Kwang-Sow) stammte aus China und arbeitete in Hamburg als Dolmetscher, als Vermittler zwischen chinesischen Seeleuten und ihren Reedereien. Die Mutter Marie Helene Elisabeth, geb. Bastian, kam aus Dresden. Seine Ausbildung hatte Mack Kock als Meisterschüler von Professor Willy von Beckerath (geb. 28.9.1868, gest.10.5.1938) erhalten und wurde von ihm als einer der ersten deutschen Surrealisten bezeichnet.

Anna Cohens Neffe Ernest Klaus Koller beschrieb seine Tante als "a very fun-loving lady”. Er besuchte sie zuletzt Ende 1938, als er von Berlin über Hamburg in die USA emigrierte. Er erinnerte sich, dass sie am Wochenende viele Gäste empfing und ein offenes und humorvolles Haus führte.

Obwohl seine Tante eine gute Künstlerin war, konnte sie von ihrer Porträtmalerei nicht leben. Sie nahm Dekorationsarbeiten an, bemalte Porzellan und individuelle Krawatten. Ein Freund oder Gönner, der im Kaffeegeschäft tätig war, habe sie und noch zwei oder drei weitere Künstler unterstützt, so Ernest Klaus Koller.

Anna Cohen wird heute eine der ersten deutschen Comicfiguren zugeschrieben, die stilisierte Kaffeebohne Darbohne. Diese Bildergeschichten wurden 1927 von der Hamburger Kaffee- Firma J. J. Darboven herausgegeben.

Anna Cohen war Mitglied des Hamburgischen und Münchner Kunstvereins. Sie gehörte der GEDOK an, der Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen, die von Ida Dehmel (geb.14.1.1870), der Frau des Schriftstellers Richard Dehmel, 1926 gegründet wurde.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde auch die GEDOK gleichgeschaltet. SA-Männer drangen im April 1933 in den Versammlungsraum der GEDOK am Jungfernstieg 26–30 ein. Sie forderten den Rücktritt Ida Dehmels als Vorsitzende aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und den Ausschluss aller jüdischen Mitglieder.

Wie aus ihrer Kultussteuerkarte hervorgeht, trat Anna Cohen 1933 der Jüdischen Gemeinde in Hamburg bei. Vielleicht hoffte sie, im jüdischen Kontext Anschluss zu finden.

Die Kunsthistorikerin Maike Bruhns schreibt über Anna Cohen, dass sie im Jüdischen Kulturbund allerdings nur ein Mal mit einer Beteiligung an der Chanukka-Messe dokumentiert wurde. Diese Veranstaltung fand zum jüdischen Lichtfest im Dezember 1936 am Neuen Wall 59 statt. Darüber berichtete das "Israelitische Familienblatt" am 10. Dezember 1936: "P.[aul] Henle, P.[aula] Gans, A.[nna] Cohn-Schwerin, E.[dith] Marcus bringen eine Fülle malerischer Arbeiten, die auf höchster Stufe steht."

Als Jüdin konnte sie nicht Mitglied in der Reichskulturkammer werden, was einem Ausstellungs- und Arbeitsverbot gleichkam. Im "Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde" wurde sie unter der Rubrik "Verzeichnis nichtarischer Kunstlehrer" aufgeführt. Sie versuchte ihren Lebensunterhalt durch Unterricht in allen kunstgewerblichen Arbeiten zu bestreiten. Im September 1940 bewarb sie sich an der Jüdischen Fachschule für Schneiderinnen in der Heimhuder Straße 70 als Gewerbelehrerin für die Unterrichtsfächer Modezeichnen, Kostümkunde, Geschichte der Mode und kunstgewerbliche Techniken. Dieser Ausbildungslehrgang, von der Beratungsstelle für jüdische Wirtschaftslehre eingerichtet, wurde als Hachschara anerkannt, als Vorbereitung auf ein Leben in Palästina. Die Unterrichtserlaubnis wurde ihr von der Gestapo erteilt, wobei unklar bleibt, ob sie ihren Dienst antrat. Bereits im Sommer 1941 wurde die Schule auf Anweisung der NS-Behörde geschlossen.

Im Herbst erhielt Anna Cohen ihren Deportationsbefehl, sie wurde am 25. Oktober 1941 ins Getto "Litzmannstadt" nach Lodz deportiert. Unterkunft erhielt sie dort in der Hausierergasse 6. Als Anfang 1942 die ersten "Aussiedlungen" ins Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof bevorstanden, war auch Anna Cohen betroffen. Am 2. Mai bat sie in einem Brief an das "Amt für Aussiedlung" von der "Evakuierung" zurückgestellt zu werden. Sie begründete ihr Gesuch damit, dass sie bei Professor Emanuel Hirschberg (geb.13.12.1894, ermordet 1944 in Auschwitz) beschäftigt sei, der auf Befehl der deutschen Gettoverwaltung mit der Vorbereitung und Einrichtung eines Getto-Museums beauftragt worden war. Ihrem Gesuch wurde stattgegeben. Die Mitarbeiter um den Danziger Lehrer und Rabbiner Emanuel Hirschberg, eigentlich Hirszberg, waren mit der Herstellung von Puppen beschäftigt, die das osteuropäische jüdische Leben, Kultur und Folklore dokumentieren sollten.

Dazu notierten die Autoren der Getto-Chronik, die akribisch die Ereignisse in Lodz festhielten, am 22. Juni 1942: "[…] In der Abteilung gibt es ein Atelier, in dem Maler, Bildhauerinnen und Hilfskräfte hochkünstlerische Puppen von allerlei Gestalten aus der jüdischen Welt schaffen. Die Anfertigung dieser Puppen zeigt sowohl ein sehr hohes künstlerisches Niveau als auch eine Präzision, nicht nur bei den Köpfen und Armen, die aus Plastilin angefertigt sind, sondern auch bei den Gewändern. In diesen Tagen wird die erste Serie fertig gestellt, die eine Szene aus einer jüdischen Hochzeit darstellt. Die Abteilung ist nicht nur auf der Jagd nach allerlei Exponaten und Andenken, sondern auch intensiv nach Künstlern, Malern, Bildhauern und Graphikern. Zurzeit zählt das Personal 17 Personen. Unter den Motiven überwiegen humoristisch-satirische Elemente."

Wegen dieser humoristisch-satirischen Darstellungen, die von den Nationalsozialisten wohl zu Propagandazwecken genutzt werden sollten, war die Arbeit der sogenannten Wissenschaftlichen Abteilung innerhalb des Gettos höchst umstritten. Die Wissenschaftliche Abteilung wurde am 24. Juli 1943 aufgelöst. Ob Anna Cohen sich im Anschluss in einer anderen kunstgewerblichen Abteilung betätigten konnte, ist nicht belegt. Von dem 78. Transport, der am 28. Juni 1944 ins Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof ging, wurde die mittlerweile 59-Jährige nicht mehr befreit. Eine Chance auf Zurückstellung hatten nur Arbeitsfähige, die in wichtigen Produktionsstätten tätig waren.

Anna Cohen wurde in Chelmno/Kulmhof ermordet.

Wie viele Werke und Arbeiten sie hinterließ und wo diese sich heute befinden, ließ sich nicht ermitteln. Bis zu ihrer Deportation war sie in der Ferdinandstraße gemeldet, vielleicht blieb ein Teil ihrer Arbeiten dort zurück oder ging in die Hände ihres Künstlerfreundes Mack Kock über. Der größte Teil seiner Werke soll in den Hamburger Bombennächten verbrannt sein.

In Blankenese in der Richard-Dehmel-Straße 1 liegt ein Stolperstein für Ida Dehmel. Die ehemalige Vorsitzende der GEDOK nahm sich am 29. September 1942 mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben (vgl. Stolpersteine in Hamburg-Altona). An Paula Gans und Edith Marcus erinnern Stolpersteine am Eppendorfer Baum 10 und in der Hagedornstraße 18 (s. www.stolpersteine-hamburg.de).


Stand: September 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 9; StaH 361-2 II Abl. 2007/1 Oberschulbehörde II, 44; StaH 332-5 Standesämter 7292 u 452/1946; 332-8 Meldewesen K2316; USHMM, RG 15.083, 301/430-431, Fritz Neubauer, Universität Bielefeld, E-Mail vom 11.6.2011; Bruhns: Kunst, Band 2, S. 98; Feuchert (Hrsg.): Chronik, 1942, S. 311; Bopp: Ida Dehmel in: Gewehr (Hrsg.): Stolpersteine, S. 114, Neuauflage 2015, S. 426; Amenda: Fremde, S. 63; www.ancestry.de (Sterberegister von Ernst Cohen, Zugriff 23.6.2016); www.ancestry.de (Heiratsregister von Kwang Sow Kok und Marie Helene Elisabeth Bastian in Dresden, Zugriff 23.6.2016); Fische in der Vase, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41121806.html (Zugriff 23.6.2016); Auskünfte und Fotos von Gail Koller, E-Mail vom 15.4.2015 und 20.4.2015.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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