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Passfoto Alfred Cohn, 1940er Jahre
Passfoto Alfred Cohn, 1940er Jahre
© Privat

Alfred Cohn * 1911

Schulweg 38 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

ermordet am 21.4.1945

Alfred Cohn, geb. am 9.3.1911 in Hamburg, verhaftet am 23.2.1945, ermordet am 21.4.1945 in Neuengamme

Schulweg 38

Alfred Louis William Cohn, wie er mit vollem Namen hieß, war fast 22 Jahre alt, als die nationalsozialistischen Machthaber ihm den Stempel "Mischling 1. Grades" aufdrückten. Diese Stigmatisierung prägte sein Leben bis zu seinem frühen Tod. Wenn man die noch vorhandenen Akten liest, gewinnt man den Eindruck – und das bestätigten auch Familienangehörige –, dass Alfred Cohn sich nicht angepasst und weggeduckt hat, sondern trotzig an einem selbstbestimmten Leben festhielt und die Konfrontation mit der Staatsmacht in Kauf nahm. Das hat er grausam büßen müssen.

Sein Vater, der Kaufmann Georg Cohn (geb. 1879 in Hamburg) war Jude, seine Mutter Anna Hedwig Cohn, geb. Cario ( geb. 1879 in Klostermansfeld im Kreis Eisleben in Thüringen), war nichtjüdischer Herkunft. Auf der Kultussteuerkarte ist sie als evangelisch eingetragen, und Alfreds Vater wurde als "glaubenslos" geführt. In der Heiratsurkunde – das Paar heiratete 1910 – ist festgehalten, er sei "reformierter Religion". Bei den Kindern hieß es in der Kultussteuerkarte "ohne Religion". Von den Nationalsozialisten wurden Ehen wie diese als "privilegierte Mischehe" definiert.

Der Vater Georg Cohn stammte aus einer Familie, die in Berlin ansässig gewesen war. Seine Eltern waren der Weißwarenhändler Louis Cohn und dessen Ehefrau Minna Cohn, geb. Cohn. Als Alfred geboren wurde, lebten seine Eltern in Hamburg am Neuen Steinweg 30. Seine Frau Hedwig hatte Georg Cohn in einer christlichen Gemeinschaft kennengelernt, in der man sich mit "Bruder" und "Schwester" ansprach. Möglicher­weise war das eine Gruppe, die mit der Jerusalemgemeinde in Zusammenhang stand. Er hatte wohl eine Zeit lang die Absicht zu konvertieren und sich zum Pastor ausbilden zu lassen. Dazu kam es dann aber doch nicht.

Alfred Cohn, der am 9. März 1911 geboren wurde, hatte einen dreieinhalb Jahre jüngeren Bruder Walter. Walter wurde im Ersten Weltkrieg geboren, als der Vater Soldat war und nicht bei der Familie sein konnte. Vielleicht aus diesem Grunde war die Beziehung zwischen Georg Cohn und seinem Erstgeborenen immer enger als zu dem jüngeren Sohn. Die beiden Söhne lebten mit den Eltern im Eppendorfer Weg 59 IV, wo der Vater schon zum Zeitpunkt seiner Eheschließung gewohnt hatte und wo die Familie bis zur Ausbombung im Juli 1943 blieb. Alfred besuchte die Volksschule für Knaben in der Tornquiststraße. Nach Beendigung der Schule machte er eine Bäckerlehre bei dem Bäcker und Konditor Gottlob Bühler in der Osterstraße 1, wo er 1929 die Gesellenprüfung bestand. Er war ein kräftiger, gut aussehender junger Mann mit dunklen gewellten Haaren und wie sein Bruder Walter sehr sportlich. Er war ein hervorragender Schwim­mer und spielte Wasserball.

1930 wurde er in der Bäckerei wegen Arbeitsmangels entlassen, war zunächst arbeitslos und arbeitete dann öfter für kurze Zeit als Bäcker. Von Juli 1934 bis März 1935 war er im Arbeitsdienst bei der Landhilfe Süderbrarup in der Nähe der Schlei in Schleswig-Holstein. Danach arbeitete er ab Juli 1937 bis April 1940 in der Pulverfabrik der Dynamit Nobel A. G. in Krümmel. Dort wurde er aus "rassischen Gründen" entlassen, wahr­scheinlich weil die Fabrik unter die Kontrolle der Wehrmacht gestellt wurde. Von Mai bis Oktober 1940 war er dann Schütze beim Militär in Schleswig in der 2. Kompanie Infanterie erstes Bataillon 26. Die Mutter hatte sich dafür eingesetzt, dass ihre Söhne einen Wehrpass bekamen und Soldaten wurden. Weil Alfred Cohn "Mischling" war, wurde er im Oktober 1940 aus der Wehrmacht entlassen und war erneut arbeitslos. Im April 1940 hatte Adolf Hitler einen Erlass herausgegeben, nach dem die jüdischen "Mischlinge ersten Grades" entlassen werden sollten. Dass Alfred Cohn noch nach diesem Erlass für einige Monate Soldat bleiben konnte, lag vermutlich darin begründet, dass nicht alle Truppenteile dem Erlass sofort folgten. Dass die Mutter sich so darum bemüht hatte, hatte seinen Grund sicher darin, dass sie sich dadurch für Mann und Söhne größeren Schutz erhoffte.

Ab März 1941 fand Alfred Cohn dann Arbeit als Kraftfahrer in der Großwäscherei Löhner. Ende Dezember 1941 vermittelte ihn das Arbeitsamt in die Konditorei Schlotterer in der Emilienstraße 14. Zuvor hatte er drei Wochen wegen "Arbeitsscheu" im KZ verbracht. Von diesem Zeitpunkt an behielten ihn die NS-Verfolgungsorgane im Blick.

Das Arbeitsverhältnis in der Konditorei endete im März 1942. Ab April 1942 arbeitete er z. B. als Kraftfahrer bei der Fa. Friedrich Paul Stolze in der Spitalerstraße 11 und in der Metallgroßhandlung Schilling. Zur gleichen Zeit geriet er mit dem Gesetz in Konflikt und wurde wegen Zuhälterei angeklagt. Angeblich hatte er Beziehungen zu drei jungen Prostituierten geknüpft, die ihm in geringem Umfang Geldgeschenke gemacht haben sollen. Wie die Situation in Wirklichkeit war, lässt sich nicht rekonstruieren. Vielleicht waren die angeblichen Prostituierten Freundinnen, die wie er ins Visier der Poli­ei geraten waren, weil sie sich dem Regime nicht unterordnen wollten. Im Juni 1942 wurde Alfred Cohn zu zehn Monaten G­fängnis verurteilt, vom 5. Juli 1942 bis zum 14. März 1943 saß er in Fuhlsbüttel in Haft, wo­bei die Untersuchungshaft angerechnet wurde. Entlassen wurde er in die Wohnung der Eltern im Eppendorfer Weg.

Im Juli 1943 wurde Familie Cohn im Eppendorfer Weg ausgebombt. Die Eltern zogen mit Walter nach Bergedorf. Alfred Cohn blieb wohl in Hamburg. Er hatte nun keinen festen Wohnsitz mehr und wollte sich aus Angst vor der Gestapo verbergen. Deshalb wechselte er oft seine Schlafstelle. Möglicherweise war ein weiterer Grund für sein "Untertauchen", dass er eine "arische" Freundin hatte. Manchmal besuchte er seine Familie in Bergedorf. Seine Mutter gab nach dem Krieg an, Alfred habe die Familie immer finanziell unterstützt, soweit ihm das möglich war. Ab November 1943 meldete er sich als Untermieter im Schulweg 38 (bei Schröder) an, seine letzte bekannte Adresse. Von März bis Oktober 1944 war er bei der Firma F. Hebenstreit & Co. in der Kiebitzstraße 37 im Arbeitseinsatz. Es handelte sich hierbei um eine Altgummihandlung, die sich nach dem Krieg in der Ritterstraße 60 befand. Auf Veranlassung der Gestapo wurde er dort entlassen.

Als "Halbjude" sollte er ab 1944 Zwangsarbeit leisten. Diese Aktion, "Wehrunwürdige", "jüdische Mischlinge" und "jüdisch Versippte" dienstzuverpflichten, war zentral angeordnet worden. Eigentlich sollten die Arbeitskräfte beim Ausbau von Stellungen in Nord-Frankreich eingesetzt werden. In Hamburg wurde aber anders verfahren, wahrscheinlich auf Anweisung der Gauleitung. 1.088 Menschen wurden für das Aufräumungsamt Hamburg dienstverpflichtet. Wie Alfreds Bruder nach dem Krieg angab, musste Alfred sich beim Aufräumungsamt melden und sollte als Kranführer arbeiten. Er wandte ein, dass er kein Arbeitszeug habe, und erhielt die Antwort, es sei kein Arbeitszeug vorrätig, er solle sich eine Woche später wieder melden. Eine Woche später wurde er wieder vertröstet. Das ging dreimal so, dann meldete er sich nicht wieder. Geld verdiente er sich durch regelmäßiges Blutspenden im Krankenhaus St. Georg.

Am 23. Februar 1945 wurde Alfred Cohn von der Gestapo in seiner Wohnung im Schulweg verhaftet, vermutlich auf eine Denunziation hin. Anlass war der Vorwurf der "Arbeitsbummelei" und eines "undurchsichtigen Lebenswandels". Bei der Hausdurchsuchung durch die Gestapo-Beamten Henry Helms und Ernst Lietzow wehrte er sich und versetzte Henry Helms einen Kinnhaken, so dass dieser zu Boden ging und kurze Zeit bewusstlos war. Alfred Cohns Flucht misslang jedoch, weil der zweite Gestapomann eine Waffe zog. Henry Helms war so wütend, dass er Alfred Cohn in Handschellen gefesselt auf die Dienststelle brachte und ihn dort im Keller in Anwesenheit von Ernst Lietzow mit einem Stock oder einer Peitsche heftig verprügelte. Anschließend stellte Helms einen Antrag auf "Sonderbehandlung", dem stattgegeben wurde. Helms schleppte sein Opfer persönlich nach Neuengamme und wohnte seiner Hinrichtung bei. Zuvor hatte er noch seiner Sekretärin vorgeschlagen, der Hinrichtung ebenfalls beizuwohnen, was diese ablehnte. Das Geschehen wurde in dem Prozess gegen Helms 1949 noch einmal aufgerollt.

Alfred Cohn starb zwischen dem 21. und 24. April 1945 im KZ Neuengamme. Es ist unklar, ob er zu einer Gruppe von 58 Männern, die im Arrestbunker erhängt, erschossen oder erschlagen wurden, gehörte. Unter diesen Leidensgenossen waren Männer, die Widerstand geleistet hatten. Seine Familie ließ man über sein Schicksal im Unklaren. Für Mutter und Bruder wurden ihre schlimmsten Befürchtungen erst im Prozess gegen Helms 1949 bestätigt, als die Presse darüber berichtete. Alfreds Bruder Walter nahm zumindest zeitweise als Zuhörer an dem Prozess teil. Mit letzter Sicherheit lassen sich die genauen Todesumstände des Alfred Cohn nicht mehr klären.

Alfreds Vater Georg Cohn war zwar durch seine "privilegierte Mischehe" vor der Deportation geschützt, aber auch er wurde ein Opfer rassischer und politischer Verfolgung. In der Weimarer Republik war er Mitglied und Funktionär der SPD. Nach der mittleren Reife hatte er eine Lehre als Verkäufer gemacht und die Handelsschule besucht. Später war er im öffentlichen Dienst beschäftigt. Seit 1928 hatte er als Posthelfer beim Postamt 7 in der Paketpost gearbeitet. Im Juni 1933 wurde er dort im Alter von 54 Jahren entlassen, weil er Jude war. Bis März 1939 war er arbeitslos und musste dann aufgrund der Bestimmungen über den Arbeitseinsatz von Jüdinnen und Juden Zwangsarbeit leisten, obwohl er schon krank war. Im September 1944 verstarb er an Krebs.

© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 4; StaH 213-11 Strafsachen Amtsgericht 6996/42 Strafsache Alfred Cohn; StaH 213-11, 2694/56, Bd. 1; StaH 242-1II Gefängnisverwaltung II Ablieferung 16 Untersuchungshaftkartei Männer; StaH 351-11 AfW, 4762 und 080815; StaH 353-2 II Wohnungsamt II Nr. 240; www.wikipedia.de Zugriff 10.11.2010; Hamburger Echo, 17.5.1949; Freie Presse, 17.5.1949; Frankfurter Rundschau, 17.5.1949; Beate Meyer, "Goldfasane", S. 105ff.; Justiz und NS-Verbrechen, S. 743f.; Gespräche mit der Nichte Gisela Cohn.

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