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Sella Cohen * 1893
Großneumarkt 56 (Hamburg-Mitte, Neustadt)
HIER WOHNTE
SELLA COHEN
JG. 1893
EINGEWIESEN 1918
MEHERE HEILANSTALTEN
"VERLEGT" 1940
LANDES-PFLEGEANSTALT
BRANDENBURG
ERMORDET 1940
AKTION T4
("Euthanasie")
Weitere Stolpersteine in Großneumarkt 56:
Bertha Cohen, A(h)ron Albert Cohn, Thekla Daltrop, David Elias, Theresia Elias, Louisa(e) Elias, Helene Martha Fernich, Martha Minna Fernich, Camilla Fuchs, Siegmund Josephi, Robert Martin Levy, Hertha Liebermann, Fritz Mainzer, Elsa Nathan, Ruth Nathan, Siegfried Neumann, Fanny Neumann, Lieselotte Neumann, Mirjam Neumann, Max Leo Neumann, Therese Neumann, Bela Neumann, Josef Polack, Bertha Polack, Eva Samuel, Rosa Therese Weil, Bernhard Weil, Rosa Weinberg, Siegfried Weinberg
Sella Amalia Cohen, geb. am 7.10.1893 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Stolperstein in Hamburg-Neustadt, Großneumarkt 56
Sella Amalia Cohen war das zweitjüngste von fünf Kindern des jüdischen Ehepaares Joseph Hirsch Cohen und Bertha, geborene Simon.
Bertha Simon kam 1857 als Tochter des "Gold- und Silberarbeiters" Isaac Behr Simon und seiner Ehefrau Sara, geborene Frank, in der Neustädter Neustraße 86 zur Welt. Berthas Vater war ein "bekannter Juwelier" in der Wexstraße 1.
Berthas Ehemann, Joseph Hirsch Cohen, geboren am 12. September 1845, stammte aus Wesselburen, Kreis Dithmarschen. Wann sie den Geschäftsreisenden Joseph Hirsch Cohen, geboren am 12. September 1845, heiratete, ist nicht bekannt.
Bei der Geburt von Bertha und Joseph Hirsch Cohens Tochter Sella lebte die Familie Cohen in der Rosenhofstraße 10 im damaligen Stadtteil Hamburg-St. Pauli (heute Sternschanze). Ihr Bruder Henry Jire wurde am 12. September 1892 in der Altonaerstraße 60, ebenfalls St. Pauli, geboren. Die Schwestern Rosa Therese, geboren am 1. März 1896, Minna Lea, geboren am 14. Februar 1897, und Ella Wilhelmina, geboren am 22. Mai 1899, kamen in der Wohnung im Alten Steinweg 63 in der Hamburger Neustadt zur Welt. Minna Lea starb am 16. August 1897, Ella Wilhelmina am 9. Juli 1899.
Joseph Hirsch Cohen war während seiner Militärzeit als "Gemeiner" (d. h. ohne militärischen Rang) schwer verletzt worden. Nach einem Schenkel- und einem doppelten Leistenbruch wurde er 1876 aus dem aktiven Dienst entlassen. Er starb am 2. August 1915.
Sella und ihre Schwester Rosa erlernten nach ihrer Schulzeit den Beruf der Kontoristin. Beide lebten im Haushalt ihrer Mutter. Am 25. Oktober 1918 wurde die 25-jährige Sella wegen "Melancholie" aus dem Israelitischen Krankenhaus in die "Irrenanstalt Friedrichsberg" eingewiesen. Nach kurzzeitiger Entlassung auf Wunsch der Mutter erfolgte Anfang 1919 Sellas erneute Aufnahme mit der Begründung "einfache Seelenstörung". Der Aufnahme war ein Gutachten des damaligen Ober- und späteren Chefarztes der psychiatrischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Altona, Walter Julius Otto Cimbal, beigefügt. Darin beschrieb er Sella wie folgt: "Untersetztes, am ganzen Körper und im Gesicht braungefärbtes, angeblich 25-jähriges Mädchen, von grazilem Körperbau, in mäßigem Ernährungszustand, ausgesprochener Zigeunertypus." Es ist nicht erkennbar, ob Cimbals abfällige Beschreibung Einfluss auf Sellas Behandlung hatte. Cimbal trat im Mai 1933 der NSDAP bei und übernahm Funktionen in der gleichgeschalteten "Deutschen allgemeinen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie".
Sella Amalia Cohen blieb mit kurzen Urlaubsunterbrechungen in Friedrichsberg, bis am 30. April 1923 ihre Verlegung in die Staatskrankenanstalt Hamburg–Langenhorn erfolgte.
1928 stimmte ihre Mutter Bertha zu, Sellas diagnostizierte Schizophrenie mit einer "Fieberbehandlung" zu therapieren. Nach damaligem Stand der Wissenschaft wurden Patientinnen und Patienten mit Malaria-Erregern infiziert, um durch eine hochfieberhafte Erkrankung eine "Umstimmung", eine veränderte Reaktion, herbeizuführen. Sellas Zustand blieb jedoch unverändert. Weitere therapeutische Maßnahmen während ihres langjährigen Aufenthalts in Langenhorn wurden anscheinend nicht mehr unternommen. Am 28. Oktober 1937 kam Sella Cohen in das Versorgungsheim Oberaltenallee.
Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in staatlichen sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.
Sella Cohen traf am 18. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September 1940 wurde sie mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).
Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Sella Cohens Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) östlich von Lublin verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in dieser Stadt. Die früher dort existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.
Sella Cohens Schwester Rosa Cohen und deren Ehemann Bernhard Weil, geboren am 23. Juli 1886, wurden am 8. November 1941 nach Minsk deportiert. Auch Bernhard Weils geschiedene Ehefrau, Fanny Weil, geborene Simons, geboren am 12. Dezember 1883 in Köln, wurde deportiert, und zwar am 30. Oktober 1941 von Köln nach "Litzmannstadt" (Lodz).
Henry Jire Cohen, Sellas Bruder, heiratete im Juni 1920 Karoline Michaelis, geboren am 24. Juni 1897 in Berlin-Adlerhof. Das Ehepaar Cohen bekam zwei Söhne, Joachim, geboren am 7. April 1922, und Norbert Nathan, geboren am 29. September 1924.
Am 15. Juni 1938 wurde das Ehepaar Henry Jire und Karoline Cohen im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel (bis 1936 KZ Fuhlsbüttel) inhaftiert. Nach einer kurzen Verhandlung im Strafjustizgebäude, die von einem Richter in SS-Uniform geleitet wurde, erhielt Henry Jire Cohen die Auflage, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Er flüchtete Ende Dezember 1938 aus Deutschland und fand in Shanghai Aufnahme.
Karoline Cohen, ihre Mutter Johanna Michaelis und ihre Schwiegermutter Bertha Cohen wurden am 19. Juli 1942 mit den Kindern Norbert Nathan und Joachim nach Theresienstadt deportiert. Bertha Cohen starb knapp drei Monate später am 13. Oktober 1942, laut offizieller Todesfallanzeige an einem Darmkatarrh und Altersschwäche.
Johanna Michaelis wurde am 15. Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert. Joachim Cohen folgte ihr nur einen Tag später. Karoline Cohen und ihr jüngster Sohn Norbert Nathan befanden sich drei Tage später, am 19. Oktober, im nächsten Transport nach Auschwitz in den sicheren Tod.
Henry Jire Cohen, der sich in Shanghai als Schuhmacher durchschlug, überlebte als Einziger seiner Familie. Er starb am 30. Dezember 1967 in Amerika.
Am Großneumarkt 56 liegt neben dem Stolperstein zur Erinnerung an Sella Cohen neben mehreren anderen auch ein Gedenkstein zur Erinnerung an ihre Mutter Bertha Cohen. Eine ausführliche Darstellung ihres Schicksals findet sich unter ihrem Namen (siehe dort).
An Sellas Neffen Joachim Cohen, Norbert Nathan Cohen und deren Mutter erinnern ein Stolperstein in der Rentzelstraße 5 (siehe dort).
Für Sella Cohens Schwester Rosa und ihren Ehemann Bernhard Weil sind Stolpersteine am Großneumarkt 56 geplant. Das Schicksal dieses Ehepaares wird ausführlich in der Biographie von Bertha Cohen beschrieben.
Stand: Februar 2020
© Susanne Rosendahl
Quellen: 1; 4; 5; 8; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 450 Sterberegister Nr. 1109/1899 Ella Wilhelmine Cohen, 2400 Geburtsregister Nr. 896/1896 Rosa Therese Cohen, 9082 Geburtsregister Nr. 2193/1892 Henry Jire Cohen, 9093 Geburtsregister Nr. 2470/1893 Sella Amalia Cohen, 13172 Geburtsregister Nr. 1722/1899 Ella Wilhelmine Cohen; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn 1995 Abl. 1 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26.8.1939 bis 27.1.1941, 1995 Abl. 2 Nr. 14456 Patientenakte Sella Amalia Cohen; 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge – Sonderakten- 1066 (Bertha Cohen); UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Sella Amalia Cohen der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg, UKE/IGEM, Archiv, Patientenakte Sella Amalia Cohen der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Klee, Ernst, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt a. M. 2005.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".