Namen, Orte und Biografien suchen
Bereits verlegte Stolpersteine
Suche
Selma Cohn (geborene Kohn) * 1871
Roonstraße 18 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)
HIER WOHNTE
SELMA COHN
GEB. KOHN
JG. 1871
DEPORTIERT 1941
RIGA-JUNGFERNHOF
ERMORDET
Weitere Stolpersteine in Roonstraße 18:
Julius Cohn
Sara Selma Cohn, geb. Kohn, geb. am 15.3.1871 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Julius Cohn, geb. am 7.3.1879 in Kandzen/Ostpreußen, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Roonstraße 18
Selma Cohn war die älteste Tochter des jüdischen Kaufmanns Wilhelm Kohn (1838–1920), der aus Lischwitz in Böhmen stammte. Er war um 1870 nach Altona gezogen und hatte dort eine Sackhandlung betrieben. Selmas ebenfalls jüdische Mutter Therese, geb. Schreiber (1846-1932) war auch in Böhmen, in dem kleinen Ort Beraun (heute Beroun) bei Prag, geboren worden. Das Schicksal von Selmas Geschwistern beschreibt Frauke Steinhäuser in ihrem Text über den jüngsten Bruder (siehe Hermann Kohn www.stolpersteine-hamburg.de).
Diese waren:
Julius Albert, geboren am 22. August 1873 in Altona, Ende der 1930er Jahre als Flüchtling in Brüssel gestorben.
Regina, geboren am 2. Oktober 1875 in Altona, gestorben am 5. Januar 1902.
Leander, geboren am 22. April 1876 in Altona, erlag im Ersten Weltkrieg in einem Lazarett in Greifswald am 15. November 1914 einer Verwundung.
Martin, geboren am 30. März 1878 in Altona, überlebte das Getto Theresienstadt, starb am 24. September 1966 in Hamburg.
Emma, geboren am 14. Mai 1882 in Altona, gestorben am 22. Februar 1958 in Sao Paulo, Brasilien.
Hermann, geboren am 4. Mai 1885 in Altona, ermordet am 6. Januar 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg.
Über Selmas Kindheit und Jugend wissen wir nichts. Am 23. Februar 1906 heiratete sie in Altona den acht Jahre jüngeren Maler bzw. Malergehilfen Julius Cohn. Für sie ist im Standesamtsregister "ohne Gewerbe" als Berufsangabe verzeichnet. Einer der beiden Trauzeugen war ihr Vater.
Julius Cohn lebte in Kiel und war der Sohn des "Handelsmanns" (Kaufmanns) Emanuel Cohn und der Elke Cohn, geb. Reihn. Beide waren jüdisch und zum Zeitpunkt der Heirat ihres Sohnes bereits verstorben. Julius Cohns Geburtsort Kandzen lag damals im ostpreußischen Kreis Darkehmen, der 1871 (ohne die Stadt Darkehmen) 22669 Einwohnerinnen und Einwohner hatte, davon 44 jüdischen Glaubens. (Heute gehört das Gebiet zu Russland und Polen.)
Selma zog nach der Heirat zu ihrem Mann nach Kiel. Seit 1909 wohnte das Ehepaar in der Preußerstraße 7, wo ebenfalls Stolpersteine an sie erinnern. Am 2. November 1910 kam der Sohn Erich in Kiel zur Welt. Er blieb das einzige Kind.
Erich besuchte von Oktober 1917 bis März 1926 die 1. Knaben-Mittelschule in Kiel und nahm seit September 1918 auch am Unterricht der Israelitischen Religionsschule teil. Im Mai 1926 wechselte er auf die Staatliche Handelsschule in Hamburg, die er im September 1928 abschloss.
Die Auskunft des Stadtarchivs Kiel, dass Julius Cohn am 12. November 1918 von Pola nach Kiel zugezogen sei, lässt vermuten, dass er im Ersten Weltkrieg in Istrien, also auf dem Balkan eingesetzt war. Der frühere Ort Pola heißt heute Pula und liegt in Kroatien.
Bis 1932 arbeitete Julius Cohn wieder als Malergehilfe bzw. Maler, zuletzt als Schriftenmaler bei der Firma Neufeld und Kuhnke GmbH. Als durch die Weltwirtschaftskrise die Zahl der Arbeitslosen im Deutschen Reich auf über sechs Millionen stieg, verlor auch Julius Cohn seine Anstellung.
Ende Oktober 1932 zog die Familie nach Hamburg, wo Selma Cohns Geschwister lebten. Die Hoffnung, vielleicht in der Millionenstadt bessere berufliche Chancen zu haben, erfüllte sich nur zum Teil, so dass er Anfang November Arbeitslosenunterstützung beantragen musste. Die wirtschaftliche Situation der Familie ist in der Fürsorgeakte dokumentiert. Selma Cohn war bereits über sechzig Jahre alt und ohne Beruf, sie konnte nichts zur Haushaltskasse beitragen.
Der Sohn Erich, gelernter kaufmännischer Angestellter, verdiente 89 Reichsmark (RM) brutto, ab Juli 1933 nur noch 60 RM monatlich. In welcher Firma er tätig war, wissen wir nicht. Laut eines Berichts des Fürsorgewesens arbeitete er spätestens seit 1934 als Reisender bei der "Firma Julius Cohn, Rödingsmarkt 69". Dass damit die Firma Julius A. Kohn (Kohn mit K) gemeint war zeigt die Adresse. Julius Albert Kohn war ein Bruder von Selma und damit Erichs Onkel. Er handelte mit Rauchwaren (gegerbten Tierfellen).
Julius Cohn gelang es immer wieder, trotz der Schwierigkeiten für Juden auf dem Arbeitsmarkt, für einige Zeit eine Anstellung zu finden. So arbeitete er z.B.vom 6. Februar 1934 bis 12. Juni 1934 beim Malermeister Levy, Kippingstraße 25 oder vom 12. Mai bis 24. Juli 1936 im Kaufhaus Robinsohn am Neuen Wall. Zwischendurch bezog er eine karge Arbeitslosenunterstützung, so 1936 in Höhe von 12,30 RM wöchentlich. Die Wohnungsmiete betrug 56,60 RM.
Sohn Erich konnte im Februar 1939 nach Brasilien fliehen. Er wurde dort Mitglied der CIP (Congregação Israelita Paulista), der von deutschen Flüchtlingen gegründeten jüdischen Gemeinde in Sao Paulo. Mit seinen Eltern stand er in Briefkontakt. In deren letztem Schreiben vom 14. November 1941 bedankten sie sich für die Päckchen, die er ihnen schickte. Er versuchte wohl auch, ein Visum für Ekuador für sie zu bekommen, das geht aus der Antwort seines Vaters hervor: ”Nun mein Kind mit Ekuador mache Dir keine Sorgen denn [das] ist ja mit zu großen Kosten verknüpft und außerdem müssen wir abwarten was wird und wenn wir s.G.w. [so Gott will] gesund bleiben wird uns das große Glück nochmals vergönnt sein Dich mein geliebtes Kind wieder zu sehen.”
Erich Cohn war sehr verbunden mit der Familie seiner Kusine Gerda Silberberg (geb. Kohn), der Tochter von Selmas Schwester Emma, die ebenfalls in Sao Paulo lebte. Gerdas Sohn Claudio Silberberg erinnert sich an ihn als "feiner Mensch, eher zurückhaltend, sachlich." Erich blieb ledig und war als Verkaufsvertreter bei einer Firma für Kunststoffherstellung tätig. Er starb am 1. November 1992 in Sao Paulo.
Seinen Eltern, vermutlich froh, Erich in Sicherheit zu wissen, fehlte aber seit seiner Abreise sein Gehalt. Im Februar 1939 heißt es im Prüfungsbericht der Wohlfahrtsstelle: "C. macht U.-Arbeit (sogenannte Unterstützungsarbeit, schwere körperliche Arbeit, hier Erdarbeiten in Tiefstack) […] die letzte Beschäftigung hat C. verloren wegen Betriebseinstellung (Der Meister ist Jude) [...] Von dritter Seite hat das Ehepaar keine Hilfe, auch die Gemeinde tritt nicht ein. […] Die Miete ist bis einschl. Februar ds. Js. beglichen; es soll jetzt vermietet werden. Die Zahlung hat bisher noch erfolgen können, da C. guten Verdienst und etwas erspart hatte. Die Ersparnisse sind jetzt aufgezehrt. Es ist schon eine Zimmereinrichtung verkauft."
Wenig später, ab 23. März, wurde die finanzielle "Unterstützung" in Höhe von 4,40 RM wöchentlich eingestellt "wegen Arbeit". Der letzte Eintrag in der Fürsorgeakte lautet: "C. arbeitet als Malergehilfe bei RM 36- wchtl. Netto-Verdienst".
Ob Julius Cohn diese Arbeitsstelle länger behalten konnte, ist fraglich, denn jüdische Gewerbebetriebe mussten eingestellt werden und es blieb - wenn überhaupt- nur die ehemalige Jüdische Gemeinde als Arbeitgeber. Diese musste auch die Fürsorgeleistungen für jüdische Wohlfahrtsempfänger übernehmen.
Anfang Dezember 1941 erhielten Selma und Julius Cohn den Deportationsbefehl in ihrer Wohnung in der Roonstraße 18, 1. Etage. Die Deportation ging am 6. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof. Sie kehrten nicht zurück.
Stand: Februar 2025
© Sabine Brunotte
Quellen: 1; 5; 6; StaH 332-5_5968; StaH 351-14_1049; https://www.stolpersteine-hamburg.de Biografie Hermann Kohn, Zugriff 6.7.2024;
https://de.wikipedia.org/wiki/Kreis_Darkehmen Zugriff 6.7.2024; diverse Hamburger Adressbücher unter https://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/asearch, letzter Zugriff 14.8.2024; http://www.statistik-des-holocaust.de/OT411206-4.jpg, Zugriff 15.8.2024; schriftliche Auskunft Claudio Silberberg, E-Mails vom 27.6.2024, 13.8.2024, 15.8.2024 und 17.8.2024; Michael Brocke, Margret Heitmann, Harald Lordick, Zur Geschichte und Kultur der Juden in Ost- und Westpreußen, Hildesheim, Zürich, New York, S. 341; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Kiel, E-Mail vom 29.5.2024.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".