Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine


zurück zur Auswahlliste

Wilhelm Czymmek, um 1930
© Privatbesitz

Wilhelm Czymmek * 1906

Berner Chaussee 16 (Wandsbek, Bramfeld)


HIER WOHNTE
WILHELM CZYMMEK
JG. 1906
MEHRFACH VERHAFTET
ZULETZT 1942
1944 NEUENGAMME
ERMORDET 16.1.1945
AUSSENLAGER BREMEN-FARGE

Wilhelm Hermann Johann Czymmek, geb. 23.1.1906 in Hamburg-Bramfeld, 1943 KZ Neuengamme, zu Tode gekommen im Arbeitslager Bremen-Farge am 16.1.1945

Berner Chaussee 16 (früher Bernestraße 25/33)

Der Stolperstein für Wilhelm Czymmek wird vor seinem Geburtshaus verlegt, weil seine letzte Wohnadresse unklar ist. Auf seine Geschichte stießen wir zufällig, weil ein Nachfahre der Czymmeks sich mit Fragen zu einem Bramfelder Foto an uns gewandt hatte. Er wollte die Adresse der Familie herausfinden. Auf dem Foto der goldenen Hochzeit von Joachim Hinsch und Frau befinden sich in der hinteren Reihe die Eltern von Wilhelm Czymmek, in der ersten Reihe sitzt er selbst, als vierter von links, unter seinen Geschwistern. Die Familie lebte mindestens bis 1929 in einer Kate in Bramfeld, danach in Barmbek. Nach Beschreibungen lag die Kate in der Nähe der Anderheitsallee, hatte weder Strom noch fließendes Wasser und wurde nach dem Umzug der Familie als Räucherkate genutzt. Diese Beschreibung deutete mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die ehemalige Räucherkate Krogmann, gelegen in der damaligen Bernestraße (parallel zur Anderheitsallee) Nummer 33. Im Hamburger Adressbuch von 1914 ist die Adresse der Czymmeks mit Bernestraße 25/33 angegeben. Im Meldebuch für Bramfeld 1899–1904 ist der Zuzug der Familie für den 1. Oktober 1900 vermerkt.

Die Czymmeks waren eine typische Bramfelder Arbeiterfamilie. Der Vater, Karl Czymmek, kam aus Ostpreußen nach Hamburg und heiratete 1898 Martha Hinsch. Mit ihren sechs Kindern lebten sie in Bramfelds Norden in einer kleinen Kate. Als städtischer Arbeiter verdiente Karl Czymmek laut Einkommensteuerrolle 1909 und 1915 so wenig, dass er keine Steuern zu zahlen hatte. Der älteste Sohn Otto, geb. 1901, lernte Zimmermann und ging auf Wanderschaft. Sohn Karl, geb. 1904, lernte Tischler, arbeitete bei Blohm & Voss und wanderte 1929 in die USA aus. Wilhelm, geb. 1906, verdingte sich als Kohlenträger. Seine Schwester Frieda, geb. 1900, begann mit zehn Jahren in der Familie Max Bahrs in Bramfeld – dem Stammhaus der späteren Baumarktkette – zu arbeiten. Ein Großneffe Wilhelm Czymmeks schrieb uns: "Sie passte auf die Kinder der Bahrs auf, half in der Küche und bekam dort auch entsprechend ‚gutes Mittagessen‘, wie sie erzählte. Am Nachmittag begann dann die Schule für meine Großmutter. Sie arbeitete bis 1914 bei den Bahrs. Die Bahrs waren sehr großzügig. Da die Eltern meiner Großmutter arm waren, richteten die Bahrs meiner Großmutter ein eigenes Sparbuch ein, das sie nach der Konfirmation bekam, so dass sie später eine Aussteuer hatte." Es gab noch zwei weitere Schwestern, Martha, geb. 1903, und Anna, deren Geburtsjahr uns nicht bekannt ist.

Über Wilhelm Czymmek hielt sein Großneffe folgende Familienerinnerungen fest: "Meine Großmutter erzählte, dass er gerne turnte und wie viele in der Zeit in einem Turnverein war. Bei uns in der Familie wurde Wilhelm Czymmek Onkel Willi genannt. In den 1930er Jahren lebten unsere Urgroßeltern und meine Großeltern in Barmbek. Dort arbeitete auch Wilhelm Czymmek als Kohlenträger, wahrscheinlich wohnte er auch dort. Wilhelm Czymmek war in der SPD aktives Mitglied und entschied sich nach der Machtergreifung der Nazis in den Untergrund zu gehen, um politisch gegen die Nazis zu arbeiten. Mein Vater (Jahrgang 1926) konnte sich erinnern, wie Weihnachten 1933 oder 1934 meine Urgroßeltern seinen Onkel Wilhelm Czymmek zu meinen Großeltern mitbrachten und dann zusammen Weihnachten feierten. Danach hat mein Vater Wilhelm Czymmek erst nach Kriegsbeginn im Frühjahr 1940 wiedergesehen. Mittlerweile wohnten meine Großeltern und mein Urgroßvater Karl Czymmek in unserem Haus in Langenhorn. Wilhelm Czymmek kam zu unserem Haus. Mein Vater erinnerte sich, dass er alte verschlissene Kleidung trug und Turnschuhe. Turnschuhe waren zu der Zeit im Straßenbild sehr ungewöhnlich. Wilhelm Czymmek wollte mit seinem Vater Karl Czymmek sprechen. Er sagte, er wolle ‚Papiere‘ von ihm haben. Um was genau es sich für Papiere handelte, war für meinen Vater immer unklar geblieben. Es kam in unserem Garten zu einem sehr heftigen Streit zwischen Wilhelm Czymmek und seinem Vater. Im Ergebnis ging er ohne die ‚Papiere‘ davon.

Mein Großvater hatte Wilhelm Czymmek später noch mal zufällig am Barmbeker Bahnhof getroffen. Zwischen 1942 [Wählerkartei 1943 gibt an, dass W. C. seit August 1942 im Winterhuder Weg gemeldet war, d. Verf.] und 1944 muss Wilhelm Czymmek dann von der Gestapo verhaftet und in das Hamburger Konzentrationslager Neuengamme eingeliefert worden sein. Von Neuengamme ist er in das Außenlager Bremen/Farge überstellt worden. In Bremen/Farge bauten täglich ca. 10.000 Menschen an einem großen U-Bootbunker, davon waren etwa 3000 KZ-Häftlinge. Die SS kalkulierte, dass die Häftlinge im Schnitt neun Monate mit täglich 12-Stundenschichten arbeiten konnten, bevor sie durch Erschöpfung oder Krankheit starben und dann durch neue Häftlinge ersetzt wurden. Mein Onkel konnte sich daran erinnern, wie es im Januar 1945 an unserer Haustür klingelte. Es war die Polizei. Sie teilte meiner Großmutter mit, dass ihr Bruder Wilhelm Czymmek am 16.1.1945 im Außenlager Bremen/Farge verstorben sei und überreichte ihr einen kleinen Zettel mit diesen Anga­ben: ",… gestorben an Vergiftungserscheinungen durch eigenes Verschulden. Einäscherung fand in Bremen statt. Totenschein ist beim Standesamt Neuengamme zu beziehen.’"

Weitere Recherchen zum Schicksal Wilhelm Czymmeks bei der SPD Ham­burg, dem Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte blieben erfolglos. Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht, wo Delikte wegen politischen Widerstandes verhandelt wurden, taucht Czymmek als Angeklagter nicht auf.

In den Strafvollzugskarteien hingegen ist vermerkt, dass er zwischen 1933 und 1942 vier Mal wegen Eigentumsdelikten vor dem Amtsgericht zu Strafen zwischen 10 Tagen und fünf Monaten verurteilt wurde und am 17. November 1942 in die Landesarbeitsanstalt Glückstadt überstellt wurde. Dem Sterberegistereintrag der KZ-Gedenkstätte Neuengamme waren folgende Angaben zu entnehmen: "Konfession: evangelisch; Familienstand: nicht verheiratet; Beruf: Transportarbeiter; Todesort: Bremen-Farge, Arbeitslager; Todesursache: Vergiftung durch Frostschutzmittel; Meldende Person: Apenburg, Otto." Otto Apenburg war als Kriminalsekretär Leiter der politischen Abteilung im KZ Neuengamme. Seine Aufgabe bestand in der Überwachung der Häftlinge und dem Tarnen von Morden durch falsche An­gaben im Sterberegister. Ob die angegebene Vergiftung durch Frostschutzmittel von Wilhelm Czymmek – aus welchen Gründen auch immer – selbst herbeigeführt wurde oder Apenburgs Erfindung war, bleibt offen.

Im Totenbuch der Gedenkstätte ist vermerkt: "Wilhelm Hermann Johann Czymmek. Transportarbeiter, geboren am 23. Januar 1906 in Hamburg-Bramfeld/Deutschland, gestorben am 16. Januar 1945 im Außenlager Bremen-Farge (U-Boot-Bunker Valentin) Häftlings­nummer 25809".

Die hohe Häftlingsnummer deutet darauf hin, dass Czymmek 1944 nach Neuengamme kam (Ende 1943: Häftlingsnummern bis 25700. Da das Bunkerprojekt Bremen-Farge erst ab 1. Juli 1943 mit Arbeitskräften aus Neuengamme betrieben wurde, erscheint die Einlieferung nach Neuengamme Anfang 1944 plausibel.)

Nach Auskunft der Gedenkstätte Neuengamme gab es drei Häftlinge, denen die Nummer 25809 zugeordnet war. Einer dieser Häftlinge wurde am 10. Januar 1944 eingeliefert. Laut Auskunft des Denkortes Bunker Valentin wurde Czymmek am 14. Oktober 1943 mit der Häftlingsnummer 23859 nach Neuengamme eingewiesen. Nach Angaben im Hans-Schwarz-Nachlass in Neuengamme liegt das Grab Wilhelm Czymmeks auf dem Bremen-Riensberger Friedhof, an der Ehrengrabstelle CC 1873.

Ein Mitarbeiter der Gedenkstätte nannte uns 2011 den Friedhof Bremen-Osterholz. Laut der Friedhofsleitung des Osterholzer Friedhofes (Bremen) wurden die umgekommenen KZ-Häftlinge aus Bremen-Farge auf dem Riensberger Friedhof kremiert. Die Urnen wurden dann zunächst in einem Nebengebäude des Krematoriums gelagert. 1956 beschloss der Bremer Senat, alle Kriegsopfer (Soldaten, Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge ) von den umliegenden Friedhöfen zentral auf dem Osterholzer Friedhof zusammenzulegen und dort würdige Begräbnisplätze und Gedenkstätten zu schaffen. Die umgekommenen KZ-Häftlinge sind seitdem auf dem Osterholzer Friedhof im Feld K beigesetzt. Auch Wilhelm Hermann Johann Czymmek.

© Ulrike Hoppe

Quellen: StaH, 423-3/3 I C II 1 Einkommensteuerrolle 1894–1916; StaH, 242-1 II Abl. 13 und Abl. 16 Strafvollzugsanstalten; StaH, 322-8 Bd. 2 A 41/4 Bd. 2 Meldewesen Bramfeld 1899–1904; StaH, 322-8 Bd. 2 A 49 K 4656 Steuer- und Wahlkartei 1943; Hamburger Adreßbuch 1914 Film 170; KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Sterberegister und Totenbuch, Hans-Schwarz-Nachlass; Hermann Kaienburg, Das Konzentrationslager Neuengamme 1933–1945, Bonn 1997; Raymond Portefaix u.a., Hortensien in Farge, Überleben im Bunker "Valentin", Bremen 1995; Herbert Wagner, Die Gestapo war nicht allein, Münster 2004; Stadtteilarchiv Bramfeld, Briefwechsel mit T. H. 2011; Stadtteilarchiv Bramfeld, Briefwechsel mit der Gedenkstätte Neuengamme 2011; Stadtteilarchiv Bramfeld, Briefwechsel Friedrich-Ebert-Stiftung 2011; Auskunft Kathrin Herold, Denkort Bunker Valentin, v. 25.10.2011; Stadtteilarchiv Bramfeld, Telefonauskunft Ernst-Thälmann-Gedenkstätte 2011.

druckansicht  / Seitenanfang