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Paula Danziger * 1876

Hohe Bleichen 5 (vormals Nr. 51) (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
PAULA DANZIGER
JG. 1876
DEPORTIERT 1941
RIGA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Hohe Bleichen 5 (vormals Nr. 51):
Selma Danziger

Paula Sophie Danziger, geb. am 26.2.1876 in Altona, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Selma Danziger, geb. am 16.12.1872 in Altona, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof

Hohe Bleichen 5 (Hohe Bleichen 51)

Die Schwestern Paula und Selma Danziger wurden in Altona geboren, das damals noch nicht zu Hamburg gehörte. Ihre Eltern David Danziger (geb. 1839) und Goldchen/Golde, geb. Wagner (geb. 1838), lebten in der Kibbelstraße 1 (die Straße gibt es heute nicht mehr) und hatten mindestens acht Kinder. Der Vater verdiente seinen Lebensunterhalt als "Colporteur", eine alte Bezeichnung für den Handel mit Schriften und Büchern religiöser Art. Bei der Volkszählung im Jahre 1890 wurde er mit dem Gewerbe "Zeitungsgeschäft" aufgeführt. Nach dem Tod der Eltern, sie verstarben 1901 und 1904, zogen die Geschwister in die Kleine Bergstraße 1. Selma muss eine solide Berufsausbildung erhalten haben, da sie als Buchhalterin tätig war. Ihre Schwester Paula eröffnete Anfang 1900 für kurze Zeit ein Schreibwarengeschäft in der Kaiser-Wilhelm-Straße 19, das sich wohl nicht rentierte. Sie arbeitete dann als Verkäuferin. Paula hatte am 6. Oktober 1896 im Alter von zwanzig Jahren eine Tochter zur Welt gebracht. Agnes Martha wuchs bei Adoptiveltern auf.

Selma und Paula Danziger blieben ledig, sie wurden erstmalig 1916 im Hamburger Adressbuch mit der Wohnadresse Hohe Bleichen 51 vermerkt, obwohl sie noch bis 1936 ihre Kultussteuern an die Jüdische Gemeinde in Altona entrichteten.

Ihre ältere Schwester Bertha Danziger (geb. 24.4.1870) arbeitete als Verkäuferin und heiratete am 27. Juli 1893 den Kaufmann Moses Os (geb. 22.6.1869 in Lingen). Das Ehepaar Os lebte im Schrötteringksweg 3 in Hamburg-Uhlenhorst, bis es 1932 zu Selma und Paula zog. Moses Os starb am 6. Oktober 1933.

Im März 1938 nahmen die Schwestern vorübergehend ihren Bruder John Jesaias Danziger (geb. 20.12.1879) mit Schwägerin Gertrud bei sich auf. Diese hatten ihre Wohnung in Harburg Kleiner Schippsee 10 aufgeben müssen.

John Danziger war nach einer kaufmännischen Lehre in Münster/Westfalen als Angestellter tätig gewesen. Während seiner Militärzeit im lothringischen Mörchingen hatte er im Herbst 1901 seine spätere Ehefrau Gertrud Schömann (geb. 30.10.1878 in Sankt Wendel) kennengelernt und 1904 geheiratet.

Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem John Danziger als Soldat diente, sah er sich gezwungen, "als Deutscher" seine Existenz in Elsass-Lothringen aufzugeben. Er kehrte mit seiner Familie nach Hamburg zurück. Sein älterer Bruder Moses Max Danziger (geb. 10.11.1877), der ebenfalls eingezogen worden war, wurde als Landsturmmann des 39. Infanterie Regiment bei Staroje in der Ukraine am 2. August 1918 getötet.

1920 wurde John Danziger Mitinhaber der Textilwaren Großhandlung Stern & Co. in der Gerhofstraße 3–5. 1922 eröffnete er unter demselben Firmennamen in Harburg ein Schuhgeschäft, zunächst in der Lüneburgerstraße 7.

Als jüdischer Inhaber einer Firma wurde John Danziger 1938 aus dem deutschen Wirtschaftsleben verdrängt, sein Geschäft wurde geschlossen, bzw. befand sich in "Abwicklung". Im September bezogen John und Gertrud Danziger eine eigene Wohnung in der Isestraße 104. Dort wurde John im Zuge des Novemberpogroms am 10. November 1938 morgens um 6 Uhr aus seiner Wohnung geholt und ins KZ Sachsenhausen gebracht. Nach seiner Entlassung gelang es ihm, im März 1939 mit seiner Ehefrau nach Süd-Afrika zu den Kindern Paula (geb. 26.4.1905) und Erich (geb. 16.5.1909) zu emigrieren.

Selma und Paula Danziger lebten noch bis Anfang 1939 in den Hohen Bleichen, dann lautete ihre Adresse Isestraße 94, zweite Etage. In ihre dortige 3½-Zimmerwohnung zog Mitte 1940 der Handelsgehilfe Berthold Bucki (geb. 23.1.1897) ein. Der Sohn ihrer verstorbenen Schwester Louise Bucki, geb. Danziger (geb. 17.1.1867, gest. 11.5.1915), war Witwer. Seine Ehefrau Emma, geb. Heiland (geb. 21.9.1893), war am 19. Mai 1940 in der Psychiatrischen und Nervenklinik der Hansischen Universität Hamburg verstorben. Berthold Bucki war der erste, der seinen Deportationsbefehl erhielt. Am 8. November 1941 wurde er ins Getto Minsk deportiert. Sein Stolperstein liegt im Malzweg 21 in Hamburg-Borgfelde (s. Stolpersteine in Hamburg-Borgfelde).

Als Paula ihren "Evakuierungsbefehl" erhielt, entschied sich Selma, ihre Schwester zu begleiten und meldete sich freiwillig für die Deportation am 6. Dezember 1941 nach Riga.

Ihr Hausrat, den sie in der Isestraße zurückließen, wurde zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Die Versteigerung am 9. Februar 1942, Drehbahn 36, 10 Uhr, wurde durch die Gerichtsvollzieherei per Anzeige in verschiedenen Tageszeitungen bekanntgegeben. Versteigert wurden 70 Positionen, darunter Lampen, Blumenkübel, div. Teile Glas, Vasen und Teller, Ölbilder, Bücher, 1 Dielengarderobe, 1 Chaiselongue. Sogar ein Herrenfahrrad ohne Bereifung fand einen Abnehmer. Der letzte Eintrag im Versteigerungsprotokoll vermeldete: "Es ist alles verkauft". Der Erlös von 1327,50 Reichsmark und ihre Sparguthaben gingen an die Oberfinanzkasse Hamburg.

Ihrer Schwester Bertha Os, geb. Danziger, blieb eine Deportation erspart. Sie starb am 19. Oktober 1942 im Jüdischen Altersheim in der Schäferkampsallee 25/27 an Diabetes und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Ohlsdorf neben ihrem Ehemann. Eine weitere Schwester, Auguste Lilienthal, geb. Danziger (geb. 28.5.1868), starb im September 1934, ihr Mann Martin (geb. 19.5.1853) im Mai 1935 in Hamburg. Die wohl Jüngste der Geschwister Frieda Rieke Wackwitz, geb. Danziger (geb. 2.7.1882), lebte mit ihrem Ehemann Julius Berthold Wackwitz (geb. 19.1.1877) und zwei Kindern in einer "Mischehe", bis dieser Schutz am 21. September 1942 durch den Tod ihres Mannes entfiel. Am 19. Januar 1944 wurde Frieda Wackwitz aus der Heinrich-Barth-Straße 21 nach Theresienstadt deportiert, wo sie ihre Befreiung am 8. Mai 1945 erlebte. Sie starb am 6. November 1957 in Altona.

Paula Danzigers Tochter Agnes, die am 19. Februar 1924 den Buchhalter Fritz Anton Karl Maak (geb. 3.6.1896) geheiratet hatte, lebte mit ihrem Mann und Tochter Margot Gertrud (geb. 14.6.1926 in Altona) in einer "privilegierten Mischehe". Wie die meisten jüdische Frauen und Männer aus "Mischehen", wurde auch sie von Willibald Schallert, dem Leiter der "Sonderdienststelle J" beim Arbeitsamt am Sägerplatz, zur Zwangsarbeit verpflichtet. Sie wurde als Scheuerfrau, Näherin und in einer Chemiefabrik eingesetzt, wo sie mit anderen Zwangsarbeiterinnen Rattengift in Tüten abfüllen musste. Ihr Ehemann wurde, als "jüdisch Versippter" ab Oktober 1944 zu Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen dienstverpflichtet. Als dann auch die in "Mischehen" lebenden Personen in die Deportation einbezogen wurden, erhielt Agnes noch kurz vor Kriegsende am 14. Februar 1945 den Befehl zum "auswärtigen Arbeitseinsatz" nach Theresienstadt. Auch sie überlebte, am 8. Mai 1945 wurde sie in Theresienstadt befreit.

John Danziger kehrte 1958 nach Deutschland zurück. Er starb am 12. April 1967 im Jüdischen Altenheim in der Schäferkampsallee.


Stand: Juli 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 4; 6; 9; StaH 351-11 AfW 15090 (Maak, Agnes); StaH 351-11 AfW 14950 (Maak, Fritz); StaH 351-11 AfW 48123 (Wetzel, Margot); StaH 351-11 AfW 4387 (Danziger, John); StaH 351-11 AfW 5918 (Wackwitz, Frieda Rieke); StaH 314-15 OFP, Fvg 3840; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde 628c; StaH 332-5 Standesämter 6189 u 611/1876; StaH 332-5 Standesämter 6222 u 1847/1882; StaH 332-5 Standesämter 5309 u 1107/1915; StaH 332-5 Standesämter 8179 u 490/1942; 522-1 Jüdische Gemeinde Abl. 1999/01, 181; StaH 214-1 Gerichtsvollzieherwesen 220; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 160 Verzeichnis der am 1. Dezember 1890 in Altona anwesenden Israeliten; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 374; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 2; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 3; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 5; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde, 628 c; Thevs: Stolpersteine, S. 105; Meyer: Verfolgung, S. 79–87.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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