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Gertrud Dawartz (geborene Müller) * 1889
Fuhlsbüttler Straße 5 (Hamburg-Nord, Barmbek-Nord)
HIER WOHNTE
GERTRUD DAWARTZ
GEB. MÜLLER
JG. 1889
ZWANGSUMZUG
1943 REGENSBURG
VERHAFTET 1943
ZUCHTHAUS REGENSBURG
DEPORTIERT 1944
AUSCHWITZ
ERMORDET 12.8.1944
Gertrud Flora Dawartz, geb. Müller, geb. 4.5.1889 in Hamburg, im September 1943 in Regensburg verhaftet, am 24.4.1944 von dort nach Auschwitz deportiert, am 12.8.1944 ermordet
Stolperstein Fuhlsbütteler Straße 5
Gertrud Flora Dawartz wuchs als eines von neun Kindern auf. Ihr Vater Siegmund Müller (1858–1923) war "Inspektor" auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf, ihre Mutter Emilie, geb. Haarburger (1858–1937), sorgte für Haushalt und Kinder. Für Gertruds Schwester Alice Graff und ihren Bruder Carl Müller liegen Stolpersteine am Großneumarkt bzw. in der Fuhlsbütteler Straße 145 (s. www.stolpersteine-hamburg.de). In deren Biographien wird auch das Schicksal der weiteren Geschwister geschildert.
Die Familie lebte seit spätestens 1892 im Verwaltungsgebäude auf dem Friedhofsgelände, Gertrud besuchte die Höhere Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße. Laut Meldekartei war sie anschließend als "Putzarbeiterin" tätig. Im Februar 1909, sie war noch keine zwanzig Jahre alt, heiratete sie den evangelischen Kontoristen Nikolaus Konrad Horn. Kurz vor der Hochzeit zog Gertrud bei ihren Eltern aus und bei ihrer Schwester Alice und deren Mann ein.
Ein Jahr später, am 5. Februar 1910, kam ihr einziges Kind, die Tochter Margarethe Emilie zur Welt. Ab 1911 lebte die Familie Horn in Berlin, doch 1919 trennte sich das Ehepaar. Nach der Scheidung 1921 kehrten Mutter und Tochter nach Hamburg zurück. Zwei Jahre später ging Gertrud mit dem 20 Jahre älteren Witwer Gustav Friedrich Dawartz (geboren 28. August 1869 in Bujendorf/Lübeck) eine neue Ehe ein. Wie Gertruds erster Mann war er evangelischen Glaubens, seine Frau war bereits 1909 gestorben. Der gelernte Schlachtermeister arbeitete als Reisender. Gustav kaufte Fette bei Schlachtereien und lieferte sie zur Seifenherstellung an Hamburger Firmen. Spätestens seit 1926 wohnte das Ehepaar in der Fuhlsbütteler Straße 5.
1928 absolvierte Gertrud einen Kurs für "Diathermie" (Hochfrequenzwärmetherapie). Mit Hilfe elektrischen Stroms entfernte sie Gesichtshaare, Warzen und Leberflecke und besaß für diese Tätigkeit einen Gewerbeschein als "Krankenbehandlerin". Ihren Beruf übte sie in ihrer Wohnung aus. Nach Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze durfte sie keine "Arierinnen" mehr behandeln. Ihr Mann beantragte im November 1939 eine Genehmigung zur Behandlung ausschließlich jüdischer Kundinnen, nachdem ihr der Gewerbeschein aberkannt worden war. Zur Begründung führte er an, sein Betrieb sei vollständig zum Erliegen gekommen und wegen seines hohen Alters – er war damals bereits 70 Jahre alt – und aus Krankheitsgründen könne er keinen anderen Beruf aufnehmen. Gustav musste deshalb Fürsorgeunterstützung beantragen und argumentierte, seine Frau könne durch eine Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit einen Teil des Lebensunterhaltes verdienen. Dem Antrag wurde stattgegeben.
Gertruds Tochter Margarethe Horn, gelernte Säuglings- und Wochenpflegerin, war bereits 1937 nach Großbritannien geflohen, da sie im nationalsozialistischen Deutschland keine beruflichen Entwicklungschancen hatte. Wegen fehlender Sprachkenntnisse konnte sie ihren Beruf nicht ausüben, sondern musste als Haushaltshilfe arbeiten. Höchstwahrscheinlich verhalf sie ihrer Kusine Margot, der Tochter von Gertruds Schwester Alice, zu einem Dienstmädchenvisum und rettete ihr damit das Leben. 1941 heiratete Margarethe einen Engländer, die Ehe blieb kinderlos. Der Familie ihrer Kusine blieben sie und ihr Mann eng verbunden. (Margarethe starb 1983 in Südengland.)
Im Juli 1943 zerstörte ein Bombenangriff die Wohnung in der Fuhlsbütteler Straße 5.
Gertrud und Gustav Dawartz wurden daraufhin nach Parsberg bei Regensburg evakuiert. Vielen Großstadtbewohnerinnen und -bewohnern wurden damals Quartiere in Gegenden zugewiesen, die zunächst noch außerhalb der Reichweite alliierter Bomber lagen. In Regensburg und Umgebung waren zahlreiche ausgebombte Hamburgerinnen und Hamburger untergebracht. Wahrscheinlich waren Gertrud und Gustav froh, den häufigen Luftangriffen zu entkommen. Zudem war die Versorgung mit Lebensmitteln auf dem Land einfacher zu organisieren. Die Inschrift "Zwangsumzug" auf dem Stolperstein trifft deshalb nicht zu.
Gleichwohl erwies sich dieser Umzug für Gertruds Schicksal als fatal. Durch ihre Ehe mit einem "Arier" hatte sie einen gewissen Schutz genossen. Nach Angaben ihres Mannes wurde sie jedoch im September 1943 aufgrund einer Denunziation verhaftet. In einem Schreiben an Schwager und Schwägerin in Hamburg vom 24. August 1944 – Gustav musste gerade die Nachricht vom Tod seiner Frau erhalten haben – führte er aus: "[Es] wurde Anzeige gemacht, Gertrud sollte mich geschlagen haben und außerdem Äußerungen gemacht haben und wurde am 2. Dezember 1943 von der Gendarmerie nach Regensburg gebracht. Ich wurde vernommen und habe ausgesagt, wir wären 21 Jahre verheiratet und so etwas wäre nie vorgekommen, im Gegenteil ich hätte eine herzensgute aufopfernde Frau gehabt. Als ich Gertrud am 27. April besuchen wollte, wurde mir […] gesagt sie wäre am 24. April nach ein Konzentrationslager nach Auschwitz gekommen. […]. Am 23. des Monats [August] bekam ich Nachricht, daß sie am 12. des Monats nach schwerer Krankheit gestorben wäre."
Auch Gustav Dawartz kehrte nicht mehr nach Hamburg zurück. Im Juli 1945 wurden ihm und anderen Evakuierten aus der Hansestadt Unterkünfte im bayerischen Reichenbach zugewiesen. "Rückkehr nach Hamburg erwünscht" war auf der Liste vermerkt. Er starb jedoch am 18. Februar 1946 in der Pflegeanstalt des "Klosters der Barmherzigen Brüder vom heiligen Johannes von Gott" an einem Schlaganfall bei akuter Herzschwäche.
Stand: Mai 2019
© Sabine Brunotte
Quellen: 5; StaH 332_5_9508; StaH 332-5_6469; StaH 352-3_IV K22; StaH 351-11_11219; Schriftliche Auskunft Margot Löhr, E-Mail vom 26.9.2018; Meldewesen Karteikarte Gertrud Flora Müller 741-4 K 6641; schriftliche Auskunft Stadtarchiv Neumarkt, E-Mail vom 29.12.2018; agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress, Hamburger Adressbuch 1926; zum Tod von Emily Margaretta Wooldridge, Zugriff 16.9.2015; https://de.wikipedia.org zu Kloster Reichenbach am Regen, Zugriff 15.2.2019; telefonische Auskünfte Gemeinde Reichenbach vom 7.3. und 14.3.2019.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".