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Olaf Diercks * 1936
Heußweg 102 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)
HIER WOHNTE
OLAF DIERCKS
JG. 1936
EINGEWIESEN 1941
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 7.8.1943
‚HEILANSTALT‘
KALMENHOF / IDSTEIN
ERMORDET 7.9.1943
Olaf Diercks, geb. 1.12.1936 in Hamburg, aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) am 22.4.1941, abtransportiert nach Idstein in die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" am 7.8.1943, dort gestorben am 7.9.1943
Heußweg 102 (Eimsbüttel)
Olaf Diercks kam am 1. Dezember 1936 im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) zur Welt. Die Geburt verlief problemlos.
Seine Mutter, die Verkäuferin Anna Emma Bertha Diercks, geboren am 21. Dezember 1908 in Hamburg, war nicht verheiratet. Sie wohnte im Hoisweg 102 (heute Heußweg) in Eimsbüttel zur Untermiete. Olaf Diercks‘ leiblicher Vater, der Schlachtermeister Walter Ernst Christian Dobbertin, geboren am 29. Juli 1893 in Lübeck, erkannte die Vaterschaft am 12. Januar 1937 an. Über weitere Verbindungen zu seinem Sohn ist nichts bekannt.
Als Olaf Diercks die Zähne bekam, bemerkte seine Mutter erste Krampfanfälle. Seit Herbst 1939 traten wiederholt Krämpfe der Körpermuskulatur auf, die zum Teil verbunden mit Bewusstlosigkeit waren (tonisch-klonische Krampfanfälle). Diese Anfälle verstärkten sich seit Anfang 1940.
Daraufhin stellte die Mutter den Jungen einem Kinderarzt vor. Wahrscheinlich durch ihn veranlasst, wurde Olaf Diercks für eine neurologische Untersuchung im April 1940 fünf Tage in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen. Die Röntgenaufnahmen des Schädels zeigten keine Auffälligkeiten.
Wegen einer Scharlacherkrankung befand sich Olaf Diercks ab 20. Juni 1940 in der Kinderklinik des Universitätskrankenhauses Eppendorf. Dort bezeichnete man ihn als geistig nicht normalen Jungen. Im Verlauf des Krankenhausaufenthalts wurden drei epileptische Anfälle beobachtet. Er erhielt neben Scharlach die Diagnose Windpocken, Epilepsie und Idiotie. (Idiotie ist ein veralteter Begriff für eine schwere Form der Intelligenzminderung). Am 31. Juli 1940 wurde der Junge als "gebessert" entlassen.
Ein dreiviertel Jahr später, am 22. April 1941, wurde Olaf Diercks dauerhaft in den damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Es hieß, das Kind habe in der Körperpflege versorgt und gefüttert werden müssen. Doch Brot könne der Junge allein essen. Er sei sehr unruhig und müsse deshalb im Bett angegurtet werden.
Wiederholt beobachtete das Personal epileptische Anfälle. Ende 1941 und 1942 wurde notiert, Olaf Diercks müsse weiterhin in der Körperpflege besorgt und gefüttert werden. Er könne nicht sprechen, zeige kein Interesse an der Umgebung und reagiere auf nichts. Er laufe am Tage einige Stunden umher, taumele aber leicht und stürze viel. Auch für Spielsachen zeige er kein Interesse.
Im Juli/August 1942 erkrankte Olaf Diercks an einer Darmentzündung. Die Alsterdorfer Anstalten baten seine Mutter mit Schreiben vom 27. Juli 1942, den schwer kranken Sohn zu besuchen. Ob sie der Bitte folgte, ist nicht dokumentiert.
Erst am 7. August 1943 findet sich wieder ein Eintrag in Olaf Diercks‘ Patientenakte: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalt durch Fliegerangriff verlegt nach Idstein. Gez. Dr. Kreyenberg".
Nachdem die Alsterdorfer Anstalten während der schweren Luftangriffe der Alliierten auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") Schäden erlitten hatten, nutzte der Leiter der Alsterdorfer Anstalten, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, diese Situation und bat die Hamburger Gesundheitsbehörde um Genehmigung für den Abtransport von etwa 750 Anstaltsbewohnerinnen und -bewohnern, da sie durch die Bombenangriffe obdachlos geworden seien. Daraufhin verließen zwischen dem 7. und dem 16. August 1943 drei Transporte mit insgesamt 469 Mädchen, Jungen, Frauen und Männern Alsterdorf in verschiedene Richtungen. Einer dieser Transporte, der die Alsterdorfer Anstalten am 7. August 1943 verließ, hatte die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden und die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau zum Ziel. Diesem Transport waren 128 Personen zugewiesen, 76 Jungen, Mädchen, Frauen und Männer für die "Landesheilanstalt Eichberg" und 52 Jungen für die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof". In dem Transport zur "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" in Idstein befand sich Olaf Diercks.
Ursprünglich war die 1888 gegründete Anstalt Kalmenhof eine fortschrittliche, pädagogisch orientierte Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen. Sie war 1939 in das "Euthanasie"-Programm der "Aktion-T4" (eine Tarnbezeichnung nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) einbezogen worden. Die Patientinnen und Patienten wurden von dort in die benachbarte Tötungsanstalt Hadamar verlegt und mit Gas ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der "Euthanasie"-Morde Ende August 1941 richtete die zur Berliner "Euthanasie"-Zentrale gehörende Tarnorganisation "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" im Kalmenhof eine "Kinderfachabteilung" ein, in der Kinder durch überdosierte Medikamente wie Luminal, Skopolamin oder Morphium getötet wurden.
Olaf Diercks war noch nicht sieben Jahre alt, als er in der Anstalt Kalmenhof ankam und wahrscheinlich der "Kinderfachabteilung" zugewiesen wurde. Dort währte sein Leben nur einen Monat. Olaf Diercks starb am 7. September 1943. Es ist als sicher anzunehmen, dass er ermordet wurde.
Sein Leichnam soll in Idstein verbrannt, die Asche auf dem Friedhof von Idstein beigesetzt worden sein.
Ob und ggf. wie Olaf Diercks‘ Mutter Kenntnis vom Tode ihres Sohnes erhielt, wissen wir nicht.
Stand: Juli 2024
© Ingo Wille
Quellen: StaH 332-5 Standesämter 113435 Geburtsregister Nr. 1409/1908 (Anna Emma Diercks), Standesamt Idstein, Sterberegisterauszug Nr. 148/1943 (Olaf Diercks); Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Sonderakte V 45 (Olaf Diercks).