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Friedrich Erich Ehlert * 1883

Tornquiststraße 5 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


1940 'Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde' (Tötungsanstalt); vermutlich 1944 ermordet

Friedrich Erich Ehlert, geb. am 9.2.1883 in Berlin, gestorben vermutlich 1944 in der Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde

Tornquiststraße 5

Am Abend des 10. Oktober 1940 wurde Friedrich Ehlert von einem Bewohner der Neustadt bei der Polizei angezeigt, weil er angeblich in der Straße Hütten einen Knaben angesprochen und versucht habe, diesen in ein Treppenhaus zu locken. Nach seiner Festnahme sagte Friedrich Ehlert aus, dass er den Jungen lediglich nach dem Weg gefragt und ihm dafür 20 Pfennig gegeben habe. Auch wenn sich der Vorwurf der Verführung vor Gericht nicht erhärtete, löste diese Denunziation jedoch für den unfallbedingt an einer Intelligenzstörung leidenden Mann eine Schicksalskette aus, an dessen Ende die Überführung in eine Tötungsanstalt in Brandenburg stand.

Friedrich Ehlert wurde 1883 in Berlin als fünftes von sechs Kindern des selbstständigen Kaufmanns Franz Ehlert und Hedwig, geb. Rauch, geboren. In Berlin-Mitte besuchte er zu­nächst das Königstädtische Real-gymnasium. Im Alter von neun Jahren erlitt er jedoch einen schwerwiegenden Unfall mit einem Schädel-bruch, wodurch er Lernschwierigkeiten bekam. Seine Eltern nahmen ihn von der Schule und er besuchte bis zum Alter von 15 Jahren von einer Erziehungsanstalt aus eine Hilfsschule in Plötzensee. Während seine Geschwister zu­meist hohe Bildungsabschlüsse erwarben (ein Bruder war Chemiker, ein anderer studierte Musik), begann Franz Ehlert verschiedene Lehren als Kolonialwarenhändler, kaufmännischer Angestellter und Koch, die er jedoch mangels Begabung und möglichweise auch wegen seiner homosexuellen Ver-anlagung nicht zu Ende führte. Denn bereits während seines Aufenthalts in der Erziehungsanstalt soll er in eine Untersuchung wegen "geheimer Sünden" verwickelt gewesen sein und während seiner Ausbil-dungen "Verfehlungen an Kindern" begangen haben. Auch einer seiner Brüder galt 1940 "wegen homo-sexueller Verfehlungen" mit einem Jahr Gefängnis als vorbestraft, was womöglich als eine erbliche Vor-belastung an­gesehen wurde.

Ab 1903 war Friedrich Ehlert zunächst außerhalb von Berlin in der Landwirtschaft beschäftigt, bis er 1911 bei der Arbeit verunglückte und sein rechtes Bein oberhalb des Kniegelenkes amputiert werden musste. Von der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft bezog er seitdem eine kleine Rente. Mit seiner Bein-prothese galt er fortan als "dorfarmer Krüppel". In einer Blindenanstalt erlernte er das Bürsten- und Korbmacherhandwerk. Der Aufenthalt in der Anstalt endete nach drei Jahren, weil er als "schwach-sinniges Element" störte und im Verdacht stand, gestohlen und sich mit Anstaltszöglingen "gleich-geschlechtlich betätigt" zu haben. Anschließend verrichtete er bei einem Bauern niedere Arbeiten wie Kartoffelschälen. Da er glimmende Asche in Strohdung geworfen hatte, wurde er wegen Brandstiftung zu einer Geldstrafe von 25 RM verurteilt.

1917 musste Friedrich Ehlert sich erstmals vor einem Gericht wegen homosexueller Handlungen verantworten. Die dreijährige Gefängnisstrafe wurde im Wiederaufnahmeverfahren aufgehoben, weil er wegen "erworbenen Schwachsinns" nach § 51 RStGB nicht zu "freier Willensbildung" in der Lage gewesen sei. Nach dem Freispruch war er vom 2. Mai 1918 bis zum 3. Mai 1920 in der Heilanstalt Lübeck-Strecknitz untergebracht. Sein Bruder Franz Ehlert holte ihn zu sich nach Hamburg. Bis 1923 stockte Friedrich Ehlert seine Rente durch den Handel mit Postkarten auf. "Während seines Post-kartenhandels habe er auch eine Zeitlang homosexuelle Lokale aufgesucht, um dort unzüchtige Ansichten (insbesondere Darstellung von homosexuellen Akten) zu vertreiben. In diesen Lokalen habe er dann selbst auch wieder Partner kennengelernt, mit denen er den gleichgeschlechtlichen Verkehr ausgeführt habe, und zwar einmal in etwa 2–3 Wochen. Auch als er keine unzüchtigen Postkarten mehr bekommen konnte, habe er dennoch die homosexuellen Lokale aufgesucht, um Bekanntschaften mit gleich¬gerich-teten Partnern zu suchen. Dieses habe er fortgesetzt, so lange wie derartige Lokale bestanden hätten. Besonders habe er die Gegend an der Straße Hütten besucht, auch habe er auf der Straße Strichjungen kennengelernt, die ihm von den entsprechenden Lokalen vom Ansehen her schon bekannt gewesen waren", heißt es in einem gerichtsärztlichen Gutachten vom 9. Dezember 1940. Nachdem er den Postkartenhandel aufgegeben hatte, fand er Arbeit als Bote, als Toilettenwärter in einem Café auf St. Pauli und als Aufwäscher im Hotel Reichshof. Ab ca. 1929 lebte er ausschließlich von seiner Rente, bevor er im Januar 1939 wieder einen Posten als Toilettenwärter im Ratsweinkeller fand. Vom 21. Februar bis 31. März 1936 saß er wegen des Verdachts, mit einem 33-jährigen Mann homosexuelle Handlungen ausgeführt zu haben, in Untersuchungshaft. Eine solche Tat konnte ihm jedoch nicht nachgewiesen werden.

Nachdem er am eingangs erwähnten 10. Oktober 1940 von der Polizei wegen des Verdachts der Verführung eines Minderjährigen verhört wurde, wurde er wegen Verdunkelungsgefahr und für weitere Vernehmungen in Polizeihaft genommen und am 16. Oktober in die Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis überführt. Im Prozess vor dem Landgericht Hamburg am 25. Februar 1941 sprach der Landgerichtsdirektor Paul Groth den Angeklagten Friedrich Ehlert von dem Vorwurf der Verführung eines Jungen unter vierzehn Jahren frei. Im selben Verfahren wurde er allerdings für schuldig befunden, mit zwei anderen Männern "unzüchtige Handlungen" vorgenom­men zu haben. Diese homosexuellen Kontakte hatte er unter dem Druck der Vernehmungen zugegeben. Obwohl Ehlert erheblich vermindert zurechnungsfähig war, erhielt er wegen Vergehens nach § 175 ­RStGB eine neunmonatige Gefängnisstrafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Das Gericht war außerdem der Auffassung, dass Friedrich Ehlert aufgrund seiner "Triebhaftigkeit und der vorhandenen Willensschwäche als typisch Homosexueller eine große Gefahr für die Öffentlichkeit, insbesondere die männliche Jugend darstellt", so dass es nach der Haftstrafe die Unterbringung in eine Heil- und Pflegeanstalt gemäß § 42 b RStGB anordnete. Die Strafe verbüßte er ab 15. März 1941 im Männergefängnis Fuhlsbüttel. Eine "freiwillige" Kastration wurde ihm schon im Prozess nahegelegt und nach Genehmigung durch den Gesundheits-senator Friedrich Ofterdinger bereits am 18. Juni 1941 im Zentrallazarett durchgeführt. Am regulären Ende der Strafzeit wurde Friedrich Ehlert am 10. Juli 1941 in die "Heil- und Pflegeanstalt" Langenhorn eingewiesen. Nachdem er dort für ca. eineinhalb Jahre untergebracht war, erfolgte am 16. April 1943 im "Zuge einer allgemeinen Verlegungsaktion" sein Transport in die Tötungsanstalt Meseritz-Obrawalde. Anlässlich einer Routineüberprüfung der dortigen Verwahrdauer durch die Staatsanwaltschaft be-scheinigte der zuständige Provinzialmedizinalrat Theophil Mootz am 27. Juni 1944 in stereotyper Weise, dass "der Zweck der Unterbringung noch nicht erreicht" sei. Ob Friedrich Ehlert zu diesem Zeitpunkt schon ermordet wurde, ist nicht genau bekannt. Der Überlebende Insasse Karl Tiedjen (geb. 1899) gab 1946 eine Erklärung zu sieben ihm bekannten Männern ab, ob diese bei Räumung der Anstalt Meseritz-Obra­walde am 29. Januar 1945 beim Naherücken der sowjetischen Front noch am Leben waren. An Friedrich Ehlert erinnerte er sich wie folgt "Bein amputiert, ist 1944 verstorben". Karl Tiedjen führte im Übrigen nur Männer an, die wie er selbst zuvor wegen homosexueller "Delikte" verurteilt worden waren, darunter die drei weiteren Opfer Lothar Schreiber (Stolperstein in Berlin, Große Hamburger Straße 38), Helmut Nehrig (Stolperstein in Hamburg-Neustadt, Wolfgangsweg 12) und Carl Sievers (Stolperstein in Hamburg-Bergstedt, Kastanienweg 5). Möglicherweise gab es dort eine Art "solidarische Schicksals-gemeinschaft", jedenfalls hat er diese Männer gekannt. Der Hamburger Staatsanwaltschaft reichte die Aussage über den Tod von Friedrich Ehlert trotz des als glaubhaft geschilderten Zeugen nicht aus. Wegen einer möglichen Straftilgung wurde vermerkt "Mitteilung an das Strafregister unterbleibt in diesem Falle, weil die letzte Sicherheit fehlt, daß Ehlert tatsächlich gestorben ist". Da sich Friedrich Ehlert nie wieder in Hamburg angemeldet hat und der in der Strafakte nachgewiesene Mediziner Mootz nach Erkenntnissen des Historikers Thomas Beddies derjenige war, "der die Selektion der Opfer in Meseritz-Obrawalde vornahm und später in den Krankengeschichten die angeblichen Todesursachen abzeichnete" und "Gift-injektionen in seinem Auftrag von Pflegerinnen und Pflegern" getätigt wurden, gehen wir davon aus, dass leider auch Friedrich Ehlert nicht überlebt hat. Ein Stolperstein vor seinem letzten frei gewählten Wohnsitz in der Tornquist­straße 5 erinnert heute an sein Schicksal.

© Bernhard Rosenkranz(†)/Ulf Bollmann

Quellen: StaHH 213-11 Staatsanwaltschaft Landgericht – Strafsachen, 1721/41; 242-4 Kriminalbiologische Sammelstelle, 205; 242-1 II Gefängnisverwaltung II, Ablieferungen 13 u. 16; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Ablieferung 1999/1 Zentralkartei; Rosenkranz/Bollmann/Lorenz, Homosexuellen-Verfolgung, S. 58–60, 208; Thomas Beddies 2006, in: http://www.deathcamps.org/euthanasia/obrawalde_de.html (eingesehen am 1.11.2012).

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