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Julie Eichengrün (geborene Braun) * 1880
Ottersbekallee 19 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)
1941 Lodz
am 05.05.1942 weiterdeportiert in ein Vernichtungslager
Weitere Stolpersteine in Ottersbekallee 19:
Julius (Isaac) Eichengrün
Julius (Isaac) Eichengrün, geb. am 1.3.1879 in Madfeld, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 5.5.1942 deportiert in ein Vernichtungslager
Julie Eichengrün, geb. Braun, geb. am 22.7.1880 in Essingen, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, am 5.5.1942 deportiert in ein Vernichtungslager
Ottersbekallee 19
Lucille Eichengreen schreibt in ihrem Buch "Von Asche zum Leben" über das Schicksal ihrer Herkunfts-familie Landau. Sie schildert auch, wie sie ihre späteren Schwiegereltern Julie und Julius Eichengrün auf dem Transport von Hamburg nach Lodz im Zug kennenlernte, sie im Lager wiedergefunden, sich mit ihnen angefreundet und sie dann wieder verloren hat.
Julius Eichengrün wurde am 1.3.1879 in Madfeld im Sauerland geboren. Seine Eltern gaben ihm den jüdischen Vornamen Isaac. Es war nicht unüblich, dass Juden im täglichen Leben ihren alttestamenta-rischen Vornamen durch einen Nenn-Namen ersetzten, der für sie oft eine größere Bedeutung hatte als der amtliche Name. So war es vielleicht auch bei Julius Eichengrün. Seine Schwiegertochter schreibt nur von "Julius", und auch im Adressbuch ist J. oder Julius eingetragen, im Handelsregister allerdings heißt es Isak Julius (1901) und später Isaac Eichengrün (1939). Auch in der Deportationsliste steht "Isaac Eichengrün", was darauf hindeutet, dass der Vorname nicht offiziell geändert worden war. Der jüdische Vorname Isaac bewahrte Julius Eichengrün vor dem Zwangsnamen Israel, denn es gab 1938 einen Runderlass des Reichsministers des Inneren mit einem Verzeichnis jüdischer Vornamen, deren Träger keinen Zwangsnamen annehmen mussten.
Seine Eltern hießen Moses und Bertha Eichengrün, geb. Reinsberg. Familie Eichengrün war wahrscheinlich seit dem 19. Jahrhundert in Madfeld ansässig. Das Dorf gehörte früher zum Amt Thülen, das im Zuge der Gebietsreform 1975 aufgelöst wurde. Die Ortschaften, die zum Amt Thülen gehört hatten, kamen zur Stadt Brilon. Julius‘ Vater Moses Eichengrün kaufte 1871 in Madfeld ein Wohnhaus mit Hofraum, Scheune und Stallungen. Julius hatte zwei Brüder und eine Schwester, nämlich Simon, Raphael (Nenn-Name Robert) und Amalie (Malchen). Nach dem Tod der Eltern – der Vater starb 1907 und die Mutter 1912 – blieb nur Simon in Madfeld. Er wurde Eigentümer des geerbten Grundbesitzes, verkaufte diesen ein Jahr später und zog nach Brilon.
Julius Eichengrün machte eine kaufmännische Lehre und reiste als Verkäufer im Außendienst. Im Januar 1899 trat er den aktiven Militärdienst in Ostpreußen an und wurde im Jahre 1900 als Unteroffizier entlassen. Ab 1901 war er in der neu gegründeten Firma Eichengrün & Dreyfuss in Elberfeld tätig. Dabei handelte es sich um eine Großhandlung für Schneidereibedarfsartikel. Die Firma hatte ihren Sitz in Elberfeld in der Königstraße 114. Inhaber waren Robert Eichengrün – Julius‘ Bruder – und Moritz Dreyfuss. (Elberfeld war damals noch eine eigenständige Stadt. Erst 1929 wurden Elberfeld, Barmen, Ronsdorf, Cronenberg und Vohwinkel zur neuen Stadt Barmen-Elberfeld vereinigt, die ein Jahr später in Wuppertal umbenannt wurde.)
Von Elberfeld aus ging Julius Eichengrün nach Hamburg, um dort 1908 eine Zweigniederlassung zu eröffnen. Diese befand sich in der Admiralitätsstraße 76. Im selben Jahr erhielt er Prokura. Im Februar 1909 heiratete er in Elberfeld. Seine Braut Julie Braun stammte aus Essingen/Pfalz, das zum Königreich Bayern gehörte. Ihre Eltern waren der Bäcker Benedict genannt Daniel Braun und Amalia, geb. Scharff. In Essingen existierte im 19. Jahrhundert eine bedeutende Jüdische Gemeinde. Juden stellten zeitweise mehr als zwanzig Prozent der Bevölkerung. Sie waren meist Kaufleute, Vieh-, Alteisen- oder Gewürzhändler. 1815 gab es in Essingen zwei jüdische Familien mit dem Namen Braun. Die Haushaltsvorstände Abraham und Aaron Braun waren Alteisenhändler.
Julies Schwester Laura (geb. 1876) war verheiratet mit Moritz Dreyfuss (geb. 1871), einem der Inhaber der Firma Eichengrün & Dreyfuss. Auch der zweite Inhaber, Julius‘ Bruder Robert Eichengrün, war verheiratet mit einer geborenen Braun, nämlich mit Amanda. Robert Eichengrün (1871–1934) und Amanda Eichengrün (1878–1942) sind auf dem Jüdischen Friedhof am Weinberg in Wuppertal begraben. Amanda starb vermutlich eines natürlichen Todes. Angeblich litt sie an einer Herzmuskelerkrankung. Die Depor-tation blieb ihr erspart, sie musste aber am Ende ihres Lebens in einem "Judenhaus" leben. Ob auch Amanda eine Schwester Julies und Lauras war oder vielleicht eine Cousine, ist unklar.
In Hamburg hatte Julius Eichengrün eine Zeit lang laut Adressbuch in der Marktstraße 142 gewohnt, zog dann aber in die neu angelegte Ottersbekallee (damals Ottersbeckallee) um. Die Ottersbekallee wurde um 1910 mit großen Etagenhäusern bebaut, die heute unter Denkmalschutz stehen. Eichengrüns müssen zu den ersten Bewohnern dieses schönen Teils Eimsbüttels gehört haben. Man kann davon ausgehen, dass Julius’ Geschäfte sich befriedigend entwickelten und die junge Familie optimistisch in die Zukunft blickte. 1912 wurde Julius Eichengrün Geschäftsführer und Gesellschafter der Firma, und 1919 nahm er die hamburgische Staatsbürgerschaft an. 1916 erhielt Julie Eichengrün Prokura für die Firma, ebenso wie Laura Dreyfuss und Amanda Eichengrün ein Jahr später. Dass die Frauen formal Verantwortung für die Firma übernahmen, hing vermutlich mit dem Ersten Weltkrieg zusammen. Die Männer mussten in den Krieg ziehen. Robert und Amanda Eichengrün waren von Mai 1915 bis Juni 1919 in Hamburg in der Ottersbekallee gemeldet, die beiden Schwestern zogen also im Ersten Weltkrieg zusammen.
Julies und Julius‘ erster Sohn Paul Martin wurde 1910 geboren, starb aber wohl schon im Kindesalter kurz nach dem Ersten Weltkrieg. 1913 kam der zweite Sohn Werner Daniel zur Welt. Von November 1919 bis August 1923 lebte die junge Amalia Eichengrün (geb. 1902) aus Madfeld bei den Eichengrüns in der Ottersbekallee, möglicherweise eine Nichte von Julius, die nach Hamburg gekommen war, um die Mutter nach dem Tod des älteren Sohnes bei der Betreuung des jüngeren zu unterstützen. 1923 kehrte Amalia nach Brilon zurück.
Eichengrüns beschäftigten in der Ottersbekallee eine Haushaltshilfe. Eine Zeit lang war die Hausan-gestellte Gertrud Grossmann bei ihnen gemeldet. Auch sie war jüdisch. Sie heiratete 1941 vier Tage vor ihrer Deportation Bernhard Levisohn.
Julies und Julius‘ Sohn Dan, wie er sich später nannte, emigrierte 1939 über Kuba in die Vereinigten Staaten. In Hamburg war er nach 1933 "rassisch" verfolgt und 1933 und 1937 in Fuhlsbüttel inhaftiert worden. Eigentlich hatte er seine Zukunft in der Firma der Familie gesehen. 1935, nach dem Tod seines Onkels Robert, war er Gesellschafter geworden. 1939 schied er infolge seiner Emigration wieder aus. In New York heiratete er nach dem Krieg die Hamburgerin Cecilie Landau, die ebenfalls aus Eimsbüttel stammte. Nach New York war auch ein Teil der Familie von Julius Eichengrüns Bruder Simon emigriert, also Dans Onkel, Tante, Vettern und Cousinen. Simon wanderte 1938 mit seiner Ehefrau Pauline, seiner Tochter Else und deren drei Kindern nach Amerika aus. Auch drei weiteren Kindern von Simon gelang die Ausreise, aber die Tochter Hilde wurde von Erfurt aus deportiert. Das Schicksal von Julius’ Schwester Amalie ist unbekannt.
Julie und Julius Eichengrün blieben nicht bis zu ihrer Deportation in der Ottersbekallee. Zum Zeitpunkt der Volkszählung 1939 wohnten sie in der Rothenbaumchaussee 129. Das Gebäude Rothenbaumchaussee gehörte laut Adressbuch "Alsberg Erben", war also in jüdischem Besitz. Eichengrüns bewohnten eine Wohnung im Parterre. Sie hatten eine Haushaltshilfe, Henni Aronstein (geb. 11.9.1895), die ein Zimmer im Souterrain bewohnte. Die 1934 geborene Tochter des damaligen Hauswarts erinnerte sich noch an Eichengrüns und an die Atmosphäre von Beklemmung und Angespanntheit angesichts der Verfolgungs-situation, der drohenden Vertreibung aus dem Haus und der bevorstehenden Deportation. Eichengrüns hatten dem kleinen Mädchen einige Figuren aus der Biedermeierzeit zum Spielen geschenkt, so genannte Wiener Bronzen, die bis heute beliebte Sammlerstücke und noch im Besitz der damals Beschenkten sind. Andere Gegenstände aus dem Haushalt, die nicht ohne Wert waren, haben Eichengrüns auf den Mülleimer gelegt, wohl um deutlich zu machen, dass diese Teile von Nachbarn genommen werden dürften. Sie wussten, dass sie nichts für sich behalten konnten. Auch von diesen Gegenständen sind einige erhalten.
Deportiert ins Getto Lodz wurden Eichengrüns aus dem "Judenhaus" in der Heimhuderstraße 70, in das sie noch hatten umziehen müssen. Mit ihnen ging Henni Aronstein, die laut Deportationsliste Buchhalterin gewesen war und als Haushaltshilfe gearbeitet hatte, nachdem sie als Jüdin in ihrem Beruf nicht mehr beschäftigt wurde. Für Henni Aronstein liegt ein Stolperstein vor dem Haus Rothenbaumchaussee 129.
In den ersten sechs Wochen im Getto, wo sie unter schrecklichen Umständen leben mussten, schlief Julie Eichengrün auf dem Fußboden in der Nähe von Cecilie Landau und tröstete das junge Mädchen, wenn es im Schlaf laut schrie. Über diese Erinnerungen schreibt Lucille Eichengreen in ihrem Buch. Die Adresse im Getto "Litzmannstadt" war vermutlich Cranachstraße 20/30 (heute Bojownikow Getta Warszawskiego), denn diese Straße ist in der Lodzer Liste des Hamburger Transports eingetragen. Anfang Januar wurden Julie und ihr Mann mit fünf anderen Personen in einem Zimmer in der Zgierska Straße einquartiert. Es gab nicht genug zu essen, und die Eingesperrten litten unter Ungeziefer. Als Adresse für den Zeitraum zwischen dem 5. Januar und dem 11. Mai ist die Adresse T-Straße Nr. 20 angegeben. Auf einem Plan des Wohngebiets der Juden in "Litzmannstadt" sind die Straßen sowohl mit einem Buchstaben oder einer Zahl als auch mit einem deutschen Namen bezeichnet. Dem Buchstaben T entsprach die Cranachstraße im Süden des Gettos. Am 5. Mai 1942 (Angabe im Gedenkbuch) wurden Julius und Julie Eichengrün weiter deportiert, vermutlich ins Vernichtungslager Chelmno oder Auschwitz. Auf dem Abmeldeschein mit dem Briefkopf "Der Älteste der Juden in Litzmannstadt", datiert vom 1. Juni 1942, ist der 11. Mai als der Tag angegeben, an dem Julius und Julie Lodz mit unbekanntem Ziel verlassen mussten.
© Susanne Lohmeyer
Quellen: 5; 8; StaH 332-8 Meldewesen, 30, K6034; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, BIII + 131959; StaH 351-11 AfW, 010379; StaH 522-1 992e 2; HAB II 1910, 1915 + 1926; Stadtarchiv Brilon, Geburtsurkunde 38/1870; Stadtarchiv Offenbach an der Queich, Geburtsurkunde Ettingen 47/1880; Lucille Eichengreen, Von Asche zum Leben; Juden in Hamburg-Wandsbek, S. 118; www.ns-gedenkstaetten.de/nrw/wuppertal/wissenswertes/juedische-grabstaetten.html; Tobias Benner, Spuren jüdischer Geschichte in Essingen, in: SACHOR 14-2/97, S. 71ff.; Ursula Hesse, Jüdisches Leben in Alme …, S. 173f.; Auskunft der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal; Archiwum Panstwowe w Łódzi; Deportationsliste Litzmannstadt, Gedenkstätte Łódz Radegast; Telefonat mit Frau Lührs am 14.5.2012.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".