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Fünfköpfige Familie Esser am Tisch
Alwin, Elsa, Luise, Fritz, Rudolf Esser in der Schäferstraße 4, 1926/1927
© Privat

Alwin Esser * 1912

Schäferstraße 4 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

KZ Fuhlsbüttel
erschlagen von Gestapo am 10.11.1933

Alwin Esser, geb. am 7.3.1912 in Hamburg, erschlagen im KZ Fuhlsbüttel von der Gestapo am 10.11.1933

Schäferstraße 4

Alwin Esser wurde als zweites von drei Kindern geboren. Mit den Eltern Fritz und Elsa, dem älteren Bruder Rudolf und der jüngeren Schwester Luise wuchs er in einer Dreieinhalbzimmerwohnung in der Schäferstraße 4 in Eimsbüttel auf. Der Vater Fritz wie auch Rudolf und Alwin waren politisch engagiert; Vater Fritz war Mitglied der KPD und für diese unter anderem 1924 Reichstagsabgeordneter in Berlin und 1921 bis 1924 sowie von 1928 bis 1932 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft.

Bis zum 14. Lebensjahr besuchte Alwin die Volksschule Moorkamp. Anschließend begann der hochgewachsene und sportliche junge Mann eine Malerlehre. Er engagierte sich bei der Roten Hilfe und war ab 1929 in der Kommunistischen Jugendorganisation KJVD aktiv. Als Eimsbütteler gehörte er dort bis zu ihrer Auflösung der Gruppe Sternschanze an.

Schon bald nach der nationalsozialistischen Machtübernahme geriet Familie Esser unter die strenge Kontrolle der Polizeibehörde und anderer NS-Organisationen. Alwin Esser wurde zum ersten Mal verhaftet und für kurze Zeit festgehalten. Die Festnahme stand vermutlich im Zusammenhang mit dem politischen Engagement des Vaters und Alwins eigener Aktivität bei der KJVD.

Nach der Freilassung knüpfte Alwin Esser schnell wieder alte Kontakte und versuchte, in Eimsbüttel Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu organisieren. Am 15. Mai 1933 wurde er erneut verhaftet und kurze Zeit später ins KZ Wittmoor verschleppt. Das KZ Wittmoor wurde am 16. März 1933 als eines der ersten Konzentrationslager in der Umgebung Hamburgs eingerichtet und diente in der Anfangsphase des NS-Regimes dazu, die große Zahl politischer Gefangener aus Hamburg unterzubringen. Im Gegensatz zu späteren Konzentrationslagern wurde das KZ Wittmoor von einem Polizeioffizier geleitet.

Mit Alwin Esser befanden sich im Mai 1933 ca. 100 politische Häftlinge in Wittmoor, die für Instandhaltungs- und Ausbauarbeiten des Lagers, vor allem aber bei der Torfgewinnung eingesetzt wurden. Am 15. August 1933 wurde Esser nach drei Monaten Haft entlassen, das Lager wurde im Oktober 1933 aufgelöst.

An die Zeit der Inhaftierung erinnern Aufzeichnungen des ebenfalls politisch verfolgten Willi Bredel, die auch die Umstände von Essers Freilassung beschreiben, wobei der Autor allerdings die Namen der Brüder Rudolf und Alwin verwechselte. Er beschrieb in seinem Buch die kurze Zeit zwischen der Entlassung aus dem KZ Wittmoor und Alwins Tod im Konzentrationslager Fuhlsbüttel:
"Langsam schreitet der Polizeisenator die Front [der KZ-Häftlinge, V.C.-R.] ab. Stramme Burschen. Offene, treuherzige Gesichter. Werden fabelhafte Soldaten abgeben. Ihm wird eigenartig heiter zumute. Das ist nun die Kommune. Wir werden die Jungs umkrempeln, um und um, und sie werden uns dafür noch einmal dankbar sein. Einen greift er sich heraus, einen hochgeschossenen, sportschlanken, ganz weisshäutigen Jungen.
,Wie heisst du?‘
,Rudolf [i. e. Alwin, V.C.-R.] Esser!‘
,Warum bist du hier?‘
,Ich bin Jungkommunist.‘
,Hm, hm!‘ machte der Polizeisenator und kneift hinter den Brillengläsern die Augen zusammen. Fabelhafter Bengel. Eine Haltung! Und er fragt, langsam und prüfend:
,Bist du noch Marxist?‘
,Jawohl!‘
,Herr Polizeisenator, heißt es!‘ zischt der Sturmführer. Der Senator winkt ab. ,Lassen sie das!‘ Er blickt in das offene Gesicht des Gefangenen. Ein wenig abseits haben sich die SA-Wachtmeister des Lagers aufgestellt. Ein Blick des Senators streift sie. Wie viele von ihnen würden wohl, sollten sie in die Hände der Kommune fallen, antworten: Ich bin ein Hitlermann. Mechanisch wiederholt er seine Frage:
,Du bist also noch immer Marxist?‘
,Jawohl, Herr Senator!‘
,Sturmführer!‘
Der stürzt diensteifrig herbei und knallt die Hacken zusammen.
,Sturmführer, wie heißt der Mann?‘ – ,Esser, Herr Senator! [Alwin] Esser!‘
,Der Schutzhaftgefangene [Alwin] Esser wird sofort entlassen!‘
Der Sturmführer sieht blöde und verständnislos auf den Polizeisenator, der lächelnd, aber ein­dringlich zu dem Gefangenen sagt: ,Vielleicht verstehst du diesen Wink. Ich hoffe es!‘"

Vermutlich weil er ahnte, dass er sich in Gefahr befand, plante Esser nach seiner Freilassung mit einigen Unterstützern seine Flucht nach Frankreich. Besonders seine Mutter versuchte, ihn davon abzuhalten. Sie war der Meinung, "der Nazi-Spuk" werde bald vorbei sein und wollte sich nicht von Ihrem jüngsten Sohn trennen. Daraufhin gab Alwin seinen Plan auf und blieb in Hamburg. Seine Mutter Elsa machte sich deswegen später ihr Leben lang Vorwürfe.

Statt zu fliehen widmete sich Esser wieder der politischen Arbeit in Eimsbüttel und baute mit ehemaligen Mitgliedern der Jungkommunisten eine Widerstandsgruppe auf. Mit einem Vervielfältigungsapparat stellte die Gruppe Flugblätter her, auf denen sie die Machenschaften des NS-Regimes beschrieb und zum Widerstand aufrief.

Lange blieben die Aktivitäten der Gruppe um Alwin Esser nicht unentdeckt. Bereits am 6. No­vem­­ber 1933 wurde der Vater Fritz verhaftet. Dann stürmte die Staatspolizei in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1933 in den frühen Morgenstunden die Wohnung der Familie Esser in der Schäferstraße 4. Während der Hausdurchsuchung platzierten Beamte der Staatspolizei eine Druckpresse in der Küche der Familie und nahmen dies als Grund für die Festnahmen. Luise, Rudolf und Alwin Esser wurden verhaftet und zur Gestapo an die Stadthausbrücke gebracht.

Alwins Schwester Luise wurde vernommen und am nächsten Tag wieder freigelassen. Während des Verhörs im Stadthaus kam es zu Misshandlungen: Luise wurde als junge Frau stundenlang völlig unbekleidet verhört; Alwin wurde während des Verhörs ein Satz aus den Flugblättern der Gruppe auf die Stirn gestempelt. Mit dem Aufdruck "Nieder mit Hitler und dem Brandstifter Göring" – eine Anspielung auf den Reichstagsbrand vom Februar 1933 – wurden Alwin und Rudolf schließlich in der Nacht ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel überführt.

Das Lager, am 4. September 1933 offiziell eingerichtet, sollte bis zum November 1933 insgesamt über 800 Häftlinge aufnehmen. Die Bewachung übernahm hier die SS. Nach Berichten ehemaliger Gefangener begann bereits mit der Einlieferung in Fuhlsbüttel eine brutale Prozedur von Misshandlungen und Einzelhaft. Häftlinge mussten stundenlang in militärischer Haltung mit dem Gesicht zur Wand stehen und wurden bei kleinsten Bewegungen von den Wachmannschaften geschlagen oder mit dem Gesicht gegen die Mauer gestoßen. Andere wurden unter Fußtritten und Schlägen die Treppen im Gefängnis bis zur Erschöpfung herauf und herunter gejagt. Immer wieder wurden einzelne Gefangene in den Keller gebracht und brutal misshandelt. In den Nächten kam es oft vor, dass alkoholisierte Wachmannschaften durch die Stationen gingen und wahllos einzelne Gefangene verprügelten. Als besondere Folterstätte auf dem Gelände diente die alte Anstaltskirche, wo Aufseher durch Spielen auf der Kirchenorgel die Schreie ihrer Opfer zu übertönen versuchten.

Durch den Stempelaufdruck auf seiner Stirn wurde Alwin gleich zu Beginn zum Ziel der Wachmannschaften. Noch in der Nacht seiner Einlieferung wurde er so stark misshandelt, dass er nicht überlebte. Er starb mit 21 Jahren. In der Todesbescheinigung wurde festgehalten, dass Alwin Esser im KZ Fuhlsbüttel am 10.11.1933 um 19.30 Uhr verstarb. Als Todesursache trug der Fuhlsbüttler Gefängnisarzt Schnapauff "Strangulation (Selbstmord)" ein. Nach Essers Tod ließ sich dessen Mutter von der KZ-Verwaltung die Kleidung ihres Sohnes aushändigen. Diese war blutdurchträgt. Zahlreiche Morde in Fuhlsbüttel wurden als Selbstmord "diagnostiziert". Denn sonst hätte die Staatsanwaltschaft von Amts wegen den Todesfall untersuchen müssen. Alwin Essers Mörder konnten nie ermittelt werden.

Der mitgefangene Vater Fritz Esser und der Bruder Rudolf erfuhren am nächsten Morgen durch andere Gefangene von Alwins Ermordung. Seiner Mutter Elsa, die seit der Verhaftung versuchte, Kontakt zu ihrem Mann und den Kindern zu bekommen, wurde der Besuch verwehrt. Auch den toten Alwin durfte sie nicht sehen. Die Leiche wurde kurz nach dem Tod eingeäschert.

Um zu verhindern, dass er von Kameraden und Freunden verabschiedet wurde und dadurch möglicherweise Proteste gegen das NS-Regime ausgelöst wurden, wurde Alwin Esser unter Ausschluss der Öffentlichkeit beigesetzt. An der Bestattung auf einem anonymen Grabfeld des Friedhofs Ohlsdorf in der Nähe der Kapelle 13 durften lediglich Alwins Mutter Elsa und seine Schwester Luise in Begleitung der Polizei teilnehmen.

Die Nachricht von der Ermordung Alwin Essers wurde dennoch bekannt und im Gedenken an Alwin Esser wurde in Frankreich angeblich ein Schiff nach ihm benannt. Als die deutschen Behörden davon erfuhren, wurde dies zum Anlass genommen, der Familie Esser weitere Repressalien anzudrohen.

Essers Familie überlebte die NS-Herrschaft. Die genaue Lage des Grabs von Alwin Esser geriet in Vergessenheit. Im Gedenken an ihren Sohn wählten die Eltern Elsa und Fritz ebenfalls in der Nähe der Kapelle 13 auf dem Friedhof Hamburg Ohlsdorf ihre letzte Ruhestätte.

Erst im Jahr 2000 konnte schließlich Alwin Essers Neffe Bernhard Esser mithilfe der Friedhofsverwaltung die genaue Grablage ausfindig machen.

© Volker Cirsovius-Ratzlaff

Quellen: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Archiv der VVN (KZ-Gedenkstätte Neuengamme), E11.11 Rudolf Esser + E.11.9 Elsa Esser; Wolfgang Benz und Barbara Diestel (Hrsg.), Terror ohne System.; Gespräch mit Bernhard Esser (Familie); Willi Bredel, Unter Türmen und Masten, S. 335–339; Gedenkstätte Ernst Thälmann; Ursel Hochmuth und Gertrud Meyer, Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933–1945, S. 36; KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.), Gedenkbuch Kolafu, S. 19f.; Gertrud Meyer, Nacht über Hamburg, S. 16; Galerie Morgenland Video Rundgang Kosubke vom 20.5.2005.

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