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Abert Euen * 1894

Bullerdeich 51 (Hamburg-Mitte, Hammerbrook)


HIER WOHNTE
ALBERT EUEN
JG. 1894
DENUNZIERT
VERHAFTET 1945
GEFÄNGNIS KIEL
’ERHÄNGT’ IN ZELLE
AUFGEFUNDEN
30.3.1945

Albert Euen, geb. 9.10.1894 in Hamburg, Tod am 30.3.1945 in Kiel
Ecke Brackdamm/Bullerdeich 51 (Brackdamm 9)

Albert Euen wurde Opfer einer Denunziation, die sehr detailliert dokumentiert ist und als Beispiel für die Vielzahl ähnlicher Schicksale gelten kann.

Albert Euen kam am 9. Oktober 1894 als jüngstes von fünf Kindern im Gängeviertel der Hamburger Altstadt zur Welt und wuchs in der Fischertwiete 7 auf. Sein Vater Friedrich Euen, geboren am 25. August 1854 in Klein Kreutz in der Mark Brandenburg, von Beruf Schankwirt und als erfolgreicher Binnenschiffer tätig, der Massengüter wie Kohle aus Schlesien transportierte, zog 1885 nach Hamburg. Dort heiratete er am 22. Dezember 1885 Auguste Olfsen, geboren am 11. Juni 1865 in Wischreihe bei Elmshorn. Als Friedrich Euen am 11. Februar 1891 ein "Gesuch um Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband" einreichte, lebten schon die drei älteren Kinder: Fritz, geboren am 10. Dezember 1886, Martha, geboren am 20. März 1888, und Luise, geboren am 29. Oktober 1889. 1892 kam Richard hinzu und 1894 schließlich Albert. Da Friedrich Euen ein hinreichendes Einkommen vorweisen – ca. 1800 Mark im Jahr – sowie alle nötigen Papiere vorlegen konnte und die Polizeibehörde keine Einwendungen hatte, erhielt er schon am 14. März 1891 die Aufnahmeurkunde.

Seinen Wohlstand erwirtschaftete Friedrich Euen durch ein florierendes Restaurant – vielleicht war es auch nur eine Hafenkneipe – in der Fischertwiete. Auf dieser finanziellen Grundlage erwarb er zwei Mietshäuser in Hammerbrook, Brackdamm 7 und 9, von deren Erträgen er gut leben konnte. 1908 setzte er sich in der Schleusenstraße 25 im südlichen St. Georg zur Ruhe. 1910 heiratete Tochter Martha Euen, ausgebildete Schneiderin, den "Schiffsprokurier" Ludwig Quast aus der Schleusenstraße, der später als begüterter Getreidehändler nach Rahlstedt zog. Ihre Ehe blieb kinderlos. Sohn Richard Euen begann eine vielversprechende Karriere in der Hotellerie in Altona und ging 1910 für drei Jahre nach Konstantinopel. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs legte sich ein Schatten auf die Familie: Richard Euen fiel bereits im August 1914 in der Schlacht von Tannenberg im Gefecht von Frankenau.

Sohn Fritz Euen heiratete 1917 Paula Boldt und zog ins väterliche Mietshaus Brackdamm 7. Ihre Tochter Irmgard kam dort 1930 zur Welt. Fritz Euen, gelernter Buchhalter, arbeitete als kaufmännischer Angestellter bei der HHLA (Hamburger Hafen- und Lagerhaus­aktiengesellschaft).

Sohn Albert Euen wurde Maler. Nach der Entlassung aus der Volksschule absolvierte er eine dreijährige Lehre und besuchte anschließend während zweier Wintersemester die private Malerschule Schütze am Berliner Tor. Diese vermittelte ihn als Spezialisten für Dekorationsmalerei nach Jekaterinoslaw, das spätere Dnipropetrowsk in der heutigen Ukraine, von wo er zu einer deutschen Firma in Rostow am Don wechselte. Dort wurde er bei Beginn des Ersten Weltkriegs festgenommen und in Soligalitsch, einer Kleinstadt im Nordwesten Russlands, interniert. Im Frühjahr 1918 entwich er und gelangte über St. Petersburg mit Hilfe der dortigen schwedischen Gesandtschaft nach Deutschland.

Bis zum Kriegsende diente er im Ersatzbataillon 31 in Heide/Holstein. Es hielt ihn nicht lange in Deutschland. 1919 ging er nach Buenos Aires, kehrte jedoch im folgenden Jahr zurück und ließ sich in Köln nieder, wo er als Malergehilfe arbeitete. Dort heiratete er Anna Schmitt, eine Katholikin, geboren am 30. März 1899 in Köln-Mühlheim. 1923 kamen sie nach Hamburg und bezogen im Haus Brackdamm 9 eine Parterrewohnung. Anna Euen wurde in der Familie Aenne genannt. Als ihr Sohn geboren wurde, erhielt er nach seinem im Ersten Weltkrieg gefallenen Onkel den Namen Richard. 1924 machte sich Albert Euen als Malermeister selbstständig.

Luise Euen blieb ledig. Sie betätigte sich als stellvertretende Vorsitzende bei der Theosophischen Gesellschaft. Der Katholizismus von Aenne Euen, Fritz Euens entschiedener Protestantismus, der Ausdruck in seiner Tätigkeit als Kirchenvorsteher im Stephan-Kempe-Saal fand, und die Theosophie Luise Euens bestimmten das Kolorit dieser gutbürgerlichen Familie. Hinzu kamen gewisse Widersprüche zwischen dem ernsthaften ältesten Bruder Fritz und dem jüngsten lebensfrohen Bruder Albert. Politik spielte keine Rolle. Albert Euen gehörte der NSV, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, und der DAF, der Deutschen Arbeitsfront, an.

Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges verabschiedete Albert Euen seinen Sohn Richard zur Wehrmacht, 1940 starb seine Mutter Auguste, und im "Feuersturm" des 27./28. Juli 1943 verlor er seine Frau Aenne. Sein Vater Friedrich kämpfte sich von seiner Wohnung in der Schleusenstraße durch die Flammen und gelangte nach Rahlstedt, wo er bei seiner Tochter Martha und ihrem Mann Ludwig Quast unterkam. Die dortige Adresse wurde auch Albert Euens fester Wohnsitz.

Zur Zeit der großen Luftangriffe auf Hamburg diente Albert Euen als Wachmann für das "Hanseatische Wachinstitut" im Marinegefolge in Cherbourg; später wurde er nach Calais versetzt. Kurz vor seinem 50. Geburtstag, im Sommer 1944, wurde er aus Krankheitsgründen aus der Marine entlassen und kehrte nach Hamburg zurück, wo er einen Reisepass erhielt und wieder im Wachdienst eingesetzt wurde. Im Februar 1945 wurde er ausgemustert.

Fritz Euen wurde 1944 zum Volkssturm eingezogen. Zu dritt bewachten sie das Verwaltungsgebäude der HHLA in St. Annen. Sie kamen überein, das einzige ihnen zur Verfügung stehende Gewehr ins Fleet zu werfen und das Kriegsende möglichst unauffällig abzuwarten.

Das "Hanseatische Wachinstitut" sah Albert Euen für einen Einsatz in Kolding in Dänemark vor, weswegen er nach Schleswig zog. Dort quartierte er sich als Untermieter in der Friedrichstraße 2 ein. Bei einem Küchengespräch am 5. März 1945 mit zwei anderen Untermieterinnen über die allgemeine Lage soll er Goebbels und Göring beschimpft, Russen gegen Kritik in Schutz genommen und sich über die geringen Fleischzuteilungen auf Lebensmittelmarken beschwert haben. Eine der beiden Frauen hielt es "als Angestellte einer NS-Dienststelle" – der Motorstandarte 16 – für ihre Pflicht, "Meldung zu machen, da Euen nun nach dem Ausland kommen soll". Am 13. März nahm der SD Schleswig mit dem Wachinspektor wegen der bevorstehenden In-Marsch-Setzung Rücksprache. Um ihr zuvor zu kommen und weil Albert Euen einen gültigen Reisepass mit einem Visum für Dänemark besaß, wurde er am 15. März vorläufig festgenommen "wegen des dringenden Verdachts des Verbrechens ge­gen § 5 Abs. 1 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung vom 17.8.1938 (Zersetzung der Wehrkraft)". Die Denunziantin wiederholte bei ihrer Vernehmung durch den SD "wortwörtlich", wie sie sagte, das Gehörte. Nach ihrer Erinnerung befragt, gab die zweite Gesprächsteilnehmerin an, sie habe Albert Euen gar nicht zugehört, weil er ein Nörgler sei, der allen immer wieder vom Tod seiner Frau und dem Verlust des Haushalts erzähle und sich über die Fleischrationen beschwere.

In seiner Vernehmung wies Albert Euen die Anschuldigungen zurück. Einen Tag darauf überführte ihn der SD mit einem Sammeltransport in das Polizeigefängnis Kiel. Die Gestapo Kiel ersuchte eine Woche später den Oberstaatsanwalt beim Sondergericht in Kiel um die Erlassung eines Haftbefehls, woraufhin Albert Euen am 24. März in der Gefangenen- und Untersuchungshaftanstalt Kiel registriert wurde. Bei der Vernehmung durch Staatsanwalt Marten am 27. März äußerte er sich überraschend: "Ich bitte von meiner Vernehmung heute abzusehen und mich einem Nervenarzt vorzuführen. Ich bin mit meinen Nerven so herunter, dass ich mich heute nicht verantworten kann." Ihm wurde der Haftbefehl verkündet, in dem nicht von Wehr­kraftzersetzung die Rede war, sondern dass er eines Vergehens nach § 2 Abs. 2 des Heimtückegesetzes dringend verdächtig sei. Auf der "Gefährlichkeitsanzeige" wurde Einzelhaft als nicht nötig vermerkt und zusätzlich notiert: "Selbstmordgefahr!", wobei es sich möglicherweise um einen späteren Nachtrag handelt. Zu einer Vernehmung kam es nicht mehr. Am 30. März 1945, 7 Uhr, fand man Albert Euen tot in seiner Zelle. Seine Sterbeurkunde, datiert vom 7. September 1945, nannte als Todesursache "Freitod durch Erhängen".

Friedrich Euen, inzwischen 91 Jahre alt, forschte ein Jahr lang nach seinem Sohn und erhielt mit Datum vom 18. März 1946 die Todesnachricht und die Sterbeurkunde. Er starb im Jahr darauf. Den Angehörigen gelang es nicht, ihre Zweifel am "Freitod" Albert Euens auszuräumen.

© Hildegard Thevs mit Irmgard Euen(†)

Quellen: VVN Hamburg, E 11, 26. Luise Euen; KZ-Gedenkstätte Neuengamme; div. AB; StaH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht B III 38886; 332-8 Meldewesen, K 5004; Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 358, Nr. 7187.

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